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Demokratie steht im Wörterbuch

Von Arno Klönne/Klaus Vack

Ein Realitätsschock war es für viele professionelle Deuter des politischen Geschehens, als sie am 15. Februar aus den Fernsehnachrichten oder aus Meldungen der Nachrichtenagenturen zur Kenntnis nehmen mußten, daß weltweit Millionen von Menschen auf den Straßen waren, um Nein zu sagen zu dem Militärschlag, den der US-amerikanische Präsident und seine Verbündeten vorbereiten. Hatte es nicht seit Jahren geheißen, die Friedensbewegung sei, abgesehen von einem altmodischen Restbestand, längst abgestorben, und das ein für allemal? Und hatten nicht in der Bundesrepublik tonangebende Feuilletonisten in den vergangenen Wochen immer wieder erklärt, der Protest gegen die Kriegspläne der US-Regierung sei eine deutsche Besonderheit, einem überkommenen Ressentiment entsprungen, das "den Amerikanern nicht verzeihen" wolle, "daß sie uns befreit haben" (Thomas Schmid in der Sonntags-FAZ)? Und war nicht die historische Friedensbewegung, so die konservative Legende, nur ein Produkt kommunistischer Verführungskünste?

Solche Deutungen erwiesen sich jetzt als völlig wirklichkeitsfremd - oder als Desinformation. Massen von Menschen nahmen es selbst in die Hand, ihre Meinung öffentlich kundzutun, quer durch die Generationen, ohne Kommandos einer politischen Zentrale, ohne großartigen organisatorischen Hintergrund, auch ohne kleinliche Rechthabereien untereinander. Nichts von einem "deutschen Sonderweg". Die Millionen von Demonstranten in London, Rom, Madrid und Barcelona, Sydney und Melbourne und vielen Städten der USA waren keine "Antiamerikaner", auch keine Bewunderer Saddam Husseins und ebenso wenig "fellow traveller Moskaus". Keine der alten oder neuen diffamierenden Zuschreibungen läßt sich da noch einigermaßen vorzeigbar aufrechterhalten.

Bemerkenswert ist, daß die Proteste dort besonders stark waren, wo die Staatsmänner besonders ungeniert der Politik von George W. Bush sich angeschlossen haben - entgegen dem Willen der großen Bevölkerungsmehrheit im Lande. "Schlag mal nach, Tony - Demokratie steht im Wörterbuch", war auf einem Transparent in London zu lesen. Das gibt die Grundstimmung der Proteste wieder. Immer mehr Bürgerinnen und Bürger der sogenannten westlichen Staaten sind nicht mehr bereit, widerspruchslos hinzunehmen, daß sie von der politischen Klasse mit wohltönenden Reden hinter die Fichte geführt und übers Ohr gehauen werden. Sie sind es leid, daß ihnen systematisch die Unwahrheit über die globale Macht-, Rüstungs- und Kriegspolitik erzählt wird.

Nachdem die erste Überraschung verkraftet ist, melden sich schon Politik-Experten zu Wort und beruhigen die Machtinhaber mit der Prognose, der neuen Protestbewegung werde bald die Luft ausgehen. Es läßt sich vieles tun, damit diese Rechnung nicht aufgeht. Die nächsten Überraschungen sind fällig.

Quelle: Ossietzky - Zweiwochenschrift für Politik, Kultur, Wirtschaft , 4/2003.

Veröffentlicht am

11. März 2003

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