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Drohender Iran-Krieg - Offener Brief an die Vorsitzenden der SPD

Von Mohssen Massarrat

Der deutsch-iranische Politikwissenschaftler Mohssen Massarrat hat sich wegen der Kriegsgefahr im mittleren Osten an die SPD-Spitze gewandt. Er tut dies offensichtlich in der Hoffnung, dass sich die führenden Persönlichkeiten der SPD an eine gute Seite sozialdemokratischer Tradition erinnern - sich für friedliche Lösungen von Konflikten und für bedrängte Völker einzusetzen. Wir veröffentlichen seinen Brief. Albrecht Müller. 

An die SPD Vorsitzenden
Frau Malu Dreyer, Frau Manuela Schwesig, Herrn Thorsten Schäfer-Gümbel
Willy-Brandt-Haus, Wilhelmstr. 140, 10963 Berlin


Betr.: Drohender Iran-Krieg - Offener Brief an die Vorsitzenden der SPD

Sehr geehrte Damen und Herren,

die Gefahr eines Krieges der USA gegen den Iran ist immer größer geworden. Spätestens seit der US-Präsident am 21. Juni der Weltöffentlichkeit bekanntgab, dass er einen Vergeltungsschlag anlässlich des Drohnenzwischenfalls in der Straße von Hormus zehn Minuten vor dem Start gestoppt habe, müssen wir davon ausgehen, dass die USA einen Krieg gegen den Iran nicht in Erwägung ziehen, sondern inzwischen sehr ernsthaft vorbreitet haben.

Als ein deutsch-iranischer Politik- und Wirtschaftswissenschaftler möchte ich Sie, sehr geehrte Damen und Herren, auf die offensichtlich zunehmende Gefahr eines neuen US-Krieges im Mittleren Osten und die verheerenden Folgen für die gesamte Region, für Europa und die Welt aufmerksam machen und Sie eindringlich bitten, alles in Ihrer Macht und Verantwortung Stehende zu tun, um den Krieg zu verhindern.

Sie wissen, sehr geehrte Damen und Herren, dass die US-Regierung das Völkerrecht außer durch die Aufkündigung des Iran-Atomabkommens auch durch die Androhung eines Angriffskrieges gegen den Iran massiv verletzt hat. Auch durch ihre umfassenden Wirtschaftssanktionen gegen den Iran verletzen die USA das Völkerrecht, weil sie andere Staaten dazu zwingen, ebenso das Völkerrecht zu brechen, und weil sie zudem die iranische Bevölkerung für die Durchsetzung ihrer politischen Ziele in Geiselhaft nehmen. Es ist ohnehin ungeheuerlich, dass die gegenwärtige US-Regierung ein durch die Vorgängerregierung in Kooperation mit der Weltgemeinschaft mühsam erzieltes Abkommen mit dem Iran mutwillig in Frage stellt und ungeachtet von gravierenden Folgen gewillt ist, einen Krieg vom Zaun zu brechen.

Leider nimmt bisher auch die Öffentlichkeit die verheerenden Folgen eines Iran-Krieges kaum zur Kenntnis. Gestatten Sie mir daher bitte, Ihnen an dieser Stelle die wahrscheinliche Abfolge von Ereignissen nach einem Angriff der US-Streitkräfte gegen den Iran möglich realistisch vor Augen zu führen:

  • Die reguläre iranische Armee und vor allem die iranischen Revolutionsgarden werden auf einen US-Bombenangriff auf iranische Atomanlagen und Militäreinrichtungen aller Wahrscheinlichkeit nach zu einem asymmetrischen Gegenangriff übergehen und nicht nur die Straße von Hormus blockieren, sondern auch die Ölanlagen (Ölquellen, Pipelines, Ölverladehafen) in Saudi Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten zerstören, selbst wenn diese eben genannten Staaten zunächst aus taktischen Gründen Zurückhaltung üben und sich am Krieg nicht beteiligen. Folgen für die Weltwirtschaft durch eine globale Energieversorgungskrise wären sehr wahrscheinlich.
  • Wahrscheinlich wäre auch, dass die Revolutionsgarden gleichzeitig die US-Marine und vor allem den Flugzeugträger Abraham Lincoln und die US-Militärbasen in Katar und Bahrain angreifen und diesen erhebliche Schäden zufügen. Das wäre jedoch der Beginn von gänzlich unkontrollierbaren Reaktionen der Kriegsparteien. Die USA würden sich veranlasst sehen, im Iran sämtliche militärischen und zivilen Versorgungseinrichtungen, wie Brücken, Kraftwerke, Wasserversorgungsanlagen, Klärwerke u.v.a.m. flächendeckend - ausgehend von ihren zahlreichen Militärbasen um Iran herum (in Katar, Bahrain, Pakistan, Afghanistan, Aserbaidschan und dem Flugzeugträger im indischen Ozean) - zu bombardieren, um die Bevölkerung gegen die Regierung aufzuwiegeln. Ein Gemetzel vor allem unter der Zivilbevölkerung dürfte unvermeidbar sein, und Millionen Kriegsflüchtlinge aus dem Iran in Richtung Europa wären unausweichlich.
  • Hochmotivierte und gut trainierte schiitische Milizen in Afghanistan, im Irak, in Syrien würden die US-Soldaten und Militärbasen in der gesamten Region und nicht zuletzt durch Selbstmordattentate zur Zielscheibe ihrer Angriffe machen und der US-Armee schweren Schaden zufügen.
  • Man muss bei einer realistischen Betrachtung der Kriegsdynamik auch in Rechnung stellen, dass die mit der Islamischen Republik engverbündete libanesische Hisbollah im Falle eines US-Krieges gegen den Iran mit ihren aus Iran gelieferten Kurzstreckenraketen Tel Aviv unter massiven Beschuss nimmt, selbst wenn Israel - ebenfalls wie Saudi Arabien - zunächst aus taktischen Gründen Zurückhaltung üben und sich am Krieg gegen Iran nicht beteiligen sollte. Dass ein in Bedrängnis geratenes Israel dazu übergehen könnte, von seinem Atomarsenal gegen die schiitische Bevölkerung im Libanon, aber auch gegen iranische Städte, Gebrauch zu machen, dürfte nicht von der Hand zu weisen sein.

Alles in Allem würde die Welt mit einem wahren Flächenbrand in einer der instabilsten Regionen und durch den Zerfall einer Reihe von Vielvölkerstaaten auf Jahrzehnte mit zusätzlichen Instabilitäten konfrontiert werden, der den Staatszerfall im Irak, Libyen und Syrien bei weitem in den Schatten stellt. Ein US-Krieg gegen den Iran würde so oder so eine unvorstellbare Zahl menschlicher Opfer, eine Naturzerstörung rigorosen Ausmaßes und die Zerstörung der Kulturgüter der antiken orientalischen Zivilisation und eine zusätzliche Verschärfung des Klimawandels hervorbringen sowie die ökonomische Entwicklung und die Demokratisierung in der gesamten Region auf sehr lange Zeiträume blockieren.

Es geht hier keineswegs um eine Dramatisierung der Kriegsfolgen - möge Gott uns alle davor bewahren. Aber selbst wenn sich nur ein Teil dieses Szenarios bewahrheiten sollte, dann wäre die Weltgemeinschaft, wären wir in Europa und Deutschland und Sie, sehr geehrte Damen und Herren an der Spitze der deutschen Sozialdemokratie, also einer Partei mit Regierungsverantwortung, m. E. verpflichtet, schon jetzt gegen den drohenden Iran-Krieg zu intervenieren, bevor die Kriegsmaschinerie in Gang gesetzt wird und bevor es zu spät sein könnte, eine neue Katastrophe zu verhindern. Die Bundesregierung und ganz Deutschland hätte - als stärkste Wirtschaftsmacht der EU und angesichts der starken Abhängigkeit der USA von ihren für den Iran-Krieg logistisch wichtigen Militäreinrichtungen auf deutschem Boden - eine strategische Schlüsselfunktion, den drohenden Iran-Krieg doch noch zu verhindern.

Daher müsste die Bundesregierung schon heute unmissverständlich öffentlich erklären, dass sie sich weder direkt noch indirekt an einem US-Krieg gegen Iran beteiligen und darüber hinaus auch den USA - gemäß dem eigenen Grundgesetz, das einen Angriffskrieg von deutschem Boden aus verbietet - die Nutzung der US-Militäreinrichtungen für den Iran-Krieg untersagen wird.

Gerade Sie, sehr geehrte Damen und Herren, hätten nicht nur aus moralischer und friedenspolitischer Sicht eine hohe politische Verantwortung, aber auch die historische Chance, sich auf eine SPD als Friedenspartei zu besinnen und die Bundesregierung zu einer klaren Antikriegsposition zu bewegen. Mir ist klar, dass Deutschland dann mit den Nato-Verträgen und den bilateralen Abkommen in Konflikt geraten würde. Das eigene Handeln, sich von diesen nicht zu leugnenden Konflikten leiten zu lassen, käme jedoch einer politischen Denkblockade gleich, zumal die USA sich ganz offen und ohne jeden Skrupel über das Völkerrecht stellen, wichtige diplomatische Errungenschaften wie das Iran-Atomabkommen mutwillig in den Papierkorb werfen, auf die fundamentalen Interessen ihrer eigenen Verbündeten, z B. der EU, im Falle eines Iran-Krieges nicht im Geringsten Rücksicht nehmen und ausschließlich ihre eigenen egoistischen Interessen zur Richtschnur ihrer Weltaußenpolitik machen.

Ich bin davon überzeugt, dass Deutschland und die EU immer noch über wichtige ökonomische Hebel verfügen, um das Iran-Atomabkommen doch noch zu retten. Dieses Abkommen hat außer seiner regulierenden Funktion zur Verhinderung der Weiterverbreitung von Nuklearwaffen auch eine symbolische Bedeutung für die selbständige europäische Diplomatie. Die drei EU-Staaten Deutschland, Frankreich und Großbritannien haben zum ersten Mal unter Beweis gestellt, friedenspolitisch in der Weltpolitik konstruktiv handeln und die USA zu einem Einlenken bewegen zu können. Das Nein von US-Präsident Donald Trump zu diesem Abkommen ist so gesehen auch ein Nein zu einer selbständig handelnden EU, genauso wie der Wirtschaftskrieg gegen den Iran im Grunde auch ein Wirtschaftskrieg gegen die EU ist.

Deshalb ist auch der EU-Einsatz für die Rettung des Iran-Atomabkommens ein Einsatz für die Zukunft der EU, für die ein noch so hoher Preis sich langfristig auszahlen dürfte. Deshalb wäre es angebracht, Iran zur Abwendung der US-Wirtschaftssanktionen ein sehr ernsthaftes Angebot zu machen, nachdem es sich nun eindeutig herausgestellt hat, dass Instex faktisch nicht funktioniert. Dazu müssten Deutschland und die EU allen EU-Unternehmen, die mit Iran Geschäftsbeziehungen betreiben wollen, auch die für den Zahlungsverkehr dieser Geschäftsbeziehungen betroffenen EU-Banken im Falle von entstandenen Schäden als Folge der US-Sanktionen Eins zu Eins entschädigen.

Eine solche EU-Politik, die mit stärkerem Selbstbewusstsein als bisher verfolgt würde, wäre mit allen ihren juristischen Konsequenzen einschließlich einer Klage auf Schadenersatz vor dem Haager Gerichtshof gegen die USA sogar unerlässlich. Würde nämlich die andauernde Verletzung des Völkerrechts durch die USA von der EU und der übrigen Welt einfach hingenommen, so läge es auf der Hand, dass Völkerrechtsverletzung und Schwächung von internationalen Institutionen unweigerlich zur Normalität werden mit dramatischen Konsequenzen für den Weltfrieden.

Mit freundlichen Grüßen
Prof. Dr. Mohssen Massarrat

Quelle:  NachDenkSeiten - 01.07.2019.

Veröffentlicht am

02. Juli 2019

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