Lebenshaus Schwäbische Alb - Gemeinschaft für soziale Gerechtigkeit, Frieden und Ökologie e.V.

Ihre Spende ermöglicht unser Engagement

Spendenkonto:
Bank: GLS Bank eG
IBAN:
DE36 4306 0967 8023 3348 00
BIC: GENODEM1GLS
 

Neugierige seien gewarnt

Von Reiner Bernstein

Das Landgericht Stuttgart hat am 22. August 2019 die Deutsch-Israelische Gesellschaft Stuttgart und Umgebung, vertreten durch ihre Vorsitzende Bärbel Illi, verurteilt, bei Vermeidung eines "vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes von bis zu EUR 250.000,-, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, letzteres zur Vollstreckung am Vorstand, … zu unterlassen, wörtlich oder sinngemäß über den Kläger zu behaupten, zu verbreiten und /oder verbreiten zu lassen:

  • "… Dr. Reiner Bernstein, verteidigt die BDS-Kampagne gegen Kritik in einem seiner Vorträge. Ein Vergleich der BDS-Kampagne mit dem NS-Aufruf "Kauft nicht bei Juden!" sei abwegig, behauptet er ohne Begründung."
  • "Auf unsachliche und völlig indiskutable Weise sprach Dr. Bernstein in Reutlingen von angeblich schon seit Tausenden von Jahren im Land lebenden Arabern, während doch Netanyahu erst vor ein paar Jahren aus den USA gekommen sei. Er negierte die durchgehende jüdische Präsenz in Palästina, auch während der Diaspora, was nicht nur unseriös ist, sondern auch das antisemitische Bild vom Juden als Fremdkörper transportiert."
  • "Darin tischt Dr. Bernstein wieder die Fremdkörper-Legende auf."

Hintergrund des Urteils ist mein Vortrag "Zwei Staaten adé - was nun?" im Januar 2019 in der Volkshochschule Reutlingen. Illi hatte behauptet, dass ich bei dieser Gelegenheit auch die "Nakba"-Ausstellung des Vereins "Flüchtlingskinder im Libanon" begrüßt habe, die im Anschluss an meinen Vortrag eröffnet wurde. Die Beklagte berief sich auf Notizen während meines Vortrages und beschwerte sich schriftlich bei der Stadt Reutlingen darüber, dass ich eingeladen wurde. Als ich sie schriftlich zur Rede stellte und verlangte, sie möge die Klage zurückziehen, wollte sie sich an die Beschwerde nicht mehr erinnern und lehnte meine Forderung ab.

Vor Gericht vertreten wurde ich durch Rechtsanwalt Ahmed Abed (Berlin), die Gegenseite hatte den Berliner Anwalt Norman Nathan Gelbart eingeschaltet. Dieser hatte sich auf Artikel 5 Abs. 1 des Grundgesetzes berufen, weil mich die Behauptungen der Beklagten nicht in meinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzen würden. Da das Stuttgarter Gericht ein Anerkenntnisurteil gefällt hat, entfällt die zweite Instanz.

Es gibt noch Richter in Deutschland

Mein besonderer Dank gilt den drei Richtern. Sie haben eine Sippenhaft abgelehnt, auf der die Gegenseite beharrt hatte: Meine Ehefrau Judith Bernstein, die jüdische Sprecherin der Jüdisch-Palästinensischen Dialoggruppe München, hatte vor einigen Jahren eine Erklärung mitgetragen, welche unter Verweis auf die israelische Besatzungspolitik und die schweren Verletzung der Menschenrechte der Palästinenser - erfüllen ihre Ansprüche den Tatbestand des Antisemitismus? - sowie auf den Sekundärstatus der arabisch-palästinensischen Staatsbürger Israels (er ist vom "Nationalstaatsgesetz für das jüdische Volk" im Sommer 2018 bestätigt worden) die zivilrechtlich getragene internationale BDS-Kampagne unterstützt. Sie lieferte im Dezember 2017 dem Münchner Stadtrat die vermeintliche Legitimation, der Dialoggruppe künftig kommunale Räume für Veranstaltungen zu verwehren. Diese Entscheidung hat manche Münchner Inhaber und Pächter von Lokalitäten veranlasst, der Dialoggruppe Räumlichkeiten zu verwehren, weil sie den Antisemitismus-Vorwurf fürchten.

Mit dem Stuttgarter Urteil liegt ein Präzedenzfall vor: Versuche des Rufmords, der Schmähkritik und der Verleumdung können nicht das Recht der Meinungsfreiheit geltend machen. In ihrer Bewertung haben die Richter festgehalten, dass die Anti-BDS-Erklärung des Bundestages vom 17. Mai von Abgeordneten und von Medien strittig beurteilt worden ist. Damit ist gleichzeitig bekräftigt, dass sich die israelische Regierung nicht darauf berufen kann, Kritik an ihr als Form des Antisemitismus zurückzuweisen.

Berlin zum zweiten

In Kürze findet vor dem Landgericht Berlin mein zweiter Prozess statt. Ich habe gegen die Verlegerin des Verlags Hentrich & Hentrich (Leipzig) Klage angestrengt, weil ihr Autor Arye Sharuz Shalicar in seinem Buch "Der neu-deutsche Antisemit" die folgenden Ausführungen eingebaut hat:

"Reiner Bernstein liebt tote Juden in Deutschland und ehrt sie mit Stolpersteinen, aber mit lebendigen Juden in Israel hat er ein Problem, weshalb er eine Organisation unterstützt, die zum Boykott lebendiger Juden und jenen, die mit ihnen in Frieden leben, aufruft. … . Bernstein will wahrscheinlich auch nicht anders sein als die Münchner Elite und tut alles, um noch Israel-kritischer bzw. antisemitischer aufzutreten als alle anderen, um nicht nur wie alle anderen gekleidet zu sein, zu sprechen und sich zu benehmen, sondern auch mit dem Zeigefinger auf den gemeinsamen Feind, den Juden und seinen kriminellen Staat, zu deuten."

Mit meinem Verfahren gegen den Verlag, der das Buch unverdrossen weiterhin verkauft, führe ich gleichsam einen Stellvertreterprozess zugunsten all jener, denen Shalicar antijüdische Ressentiments unterstellt. Zu seinen Erzfeinden rechnet der Autor die Leitmedien, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die Kirchen und ihre in Israel und Palästina tätigen Hilfsorganisationen sowie die "Münchner Elite".

Aus Gesprächen und aus Briefwechseln wissen meine Frau und ich, dass die Verleumdungen gegen sie resigniert hingenommen werden. Was eigentlich muss hierzulande noch geschehen,

  • wenn Shalicar dem Ständigen Vertreter der Bundesregierung bei den Vereinten Nationen Christoph Heusgen "Doppelmoral und Scheinheiligkeit" vorwirft, nachdem dieser den Abriss palästinensischer Häuser bei Jerusalem kritisiert hatte,
  • wenn Shalicar der Bundesregierung im Verhältnis zum Iran eine Politik unterstellt, "die statt dem Freund Israel leider immer öfter mit Islamisten, Diktatoren und Tyrannen gemeinsame Sache" mache und
  • wenn Shalicar dem Bundespräsidenten vorwirft, dass er beim Empfang des neuen iranischen Botschafters zur Erteilung des Agréments dem Regime in Teheran "den roten Teppich ausrollt"?

Die Angriffe des Autors haben Methode. Für den deutschsprachigen Raum, wo er sich bester Verbindungen in den Bundestag und in Kommunen hinein rühmt und für seine Lesereise vom "Bundesbeauftragten für jüdisches Leben und gegen Antisemitismus" gefördert wird, ist er das Rädchen im System der israelischen Politik, die Bundesregierung und die deutsche Öffentlichkeit auf die formale Annexion der 1967 besetzten Westbank zu trimmen und die Annektierung Ost-Jerusalems im Jahr 1980 endgültig hinzunehmen.

Es geht also um ein zentrales Glaubwürdigkeitsproblem der deutschen Politik, die sich nicht länger hinter der Verantwortung vor dem Holocaust verstecken sollte. Denn allein in der Sowjetunion fielen zwanzig Millionen Menschen uns Deutschen zum Opfer. Ist Heiko Maas auch ihretwegen in die Politik gegangen? Heute hat Berlin keine Scheu, gegen Russland wegen der Krim und der Ostukraine Sanktionen mitzutragen.

Der Konflikt mit den Palästinensern findet im Nahen Osten statt, die jüdische Bevölkerung wurde in Europa ermordet. In höchst eigentümlicher Weise hat Benjamin Netanjahu beide Geschehnisse verbunden, indem er die ideologische Nähe zu Leuten wie Viktor Orbán und Jaroslaw Kaczynski sucht. Welche Rolle weist er in seinem Handeln den Opfern und den Überlebenden der "Shoah" zu? Wo blieb der empörte Aufschrei des Ministerpräsidenten, als in Budapest und in Warschau die Ermordeten dem dortigen Geschichtsrevisionismus ausgeliefert werden sollten? Hat jemand unter uns lautstarke Proteste des hiesigen Zentralrats der Juden vernommen?

Quelle: www.jrbernstein.de -  24.08.2019.

Weblinks:

Veröffentlicht am

05. September 2019

Artikel ausdrucken

Weitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von