Werkstattbericht eines im Ausländer- und Flüchtlingsrecht engagierten RechtsanwaltsVon Ullrich Hahn - Vortrag beim Rotary Club Freiburg am 11.04.2019 (aus: Lebenshaus Schwäbische Alb, Rundbrief Nr. 102, Sept. 2019 Der gesamte Rundbrief Nr. 100 kann hier heruntergeladen werden: PDF-Datei , 542 KB. Den gedruckten Rundbrief schicken wir Ihnen/Dir gerne kostenlos zu. Bitte einfach per Mail abonnieren .) Zu meiner Person: 1978 erhielt ich meine Zulassung als Rechtsanwalt. 1980 kamen nach meiner Erinnerung die ersten Flüchtlinge in meine noch neue Kanzlei. In den Folgejahren wurden es mehr. 1988 erhielt ich vom Deutschen Roten Kreuz einen Honorarvertrag zur Fortbildung und Beratung der Flüchtlingsbetreuer in Südbaden und zur Beratung Asylsuchender selbst. Gleichzeitig wurde ich Mitglied der Rechtsberaterkonferenz des UN-Flüchtlingskommissars. Mit den Jahren entwickelte sich dieser Rechtsbereich zu meiner Haupttätigkeit. Daneben bin ich auch Fachanwalt für Strafrecht und verteidige auch hier in der Hauptsache Angeklagte mit ausländischer Staatsangehörigkeit. Es sind nach meinem Eindruck fünf Aspekte, die bei der anwaltlichen Vertretung von Asylbewerbern eine besondere Rolle spielen: 1. Die Frage nach und das Gebot der Wahrheit.a. Grundlage jedes Mandats und damit Ausgangspunkt meiner Arbeit ist die je eigene Erzählung des Mandanten, seine Fluchtgeschichte, die mir in vielen Fällen bereits zu Beginn in Form des Protokolls seiner Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vorliegt. Ich weiß in keinem Fall, ob diese Erzählung wahr ist und muss das auch nicht wissen. Ich werde sie hinterfragen, soweit mir Zeit und sprachliche Vermittlung zur Verfügung stehen, um Unklarheiten auszuräumen und fehlende Angaben zu ergänzen, aber ich treffe kein Urteil. Für die eigenen Zweifel gilt die anwaltliche Schweigepflicht. b. Wichtiger ist meine eigene Wahrheitspflicht, die ich zunächst dem Mandanten schulde: über die Aussichten des Prozesses, die Höhe der Kosten und meine sehr begrenzten Möglichkeiten. Ich schulde dem Mandanten keinen Erfolg, aber diese Wahrheit über seine Situation, die manchmal nicht leicht zu vermitteln ist. c. Im Rahmen dieser begrenzten Möglichkeiten bin ich dann parteilicher Vertreter für die Durchsetzung eines Bleiberechts. Dazu gehört auch die Beratung über gesetzliche Wege außerhalb des Asylverfahrens, die meist wesentliche Integrationsleistungen voraussetzen. 2. Der Flüchtling kommt zumeist nicht allein zu mir. In vielen Fällen hat er haupt- und ehrenamtliche Betreuer, auch Landsleute, die ihn übersetzen.Für die rechtliche Fortbildung der hauptamtlichen Sozialbetreuer des Roten Kreuzes werde ich bezahlt, ehrenamtliche Betreuer berate ich kostenlos und werde auch von diesem Personenkreis zu Fortbildungen eingeladen. Als Rechtsanwalt bin ich Teil eines Netzwerkes zur Begleitung und Integration von Migranten und ich habe durch mein begrenztes rechtliches Segment und meine professionelle Distanz zu diesen Menschen noch den leichtesten Teil. Zwischen mir und dem betroffenen Flüchtling steht mein Schreibtisch. 3. Der Asylprozess ist geprägt durch kurze Fristen und lange Wartezeiten.a. Die Klagefrist gegen Bescheide des Bundesamtes beträgt in der Regel zwei, in vielen Fällen aber auch nur eine Woche. Da wir immer auf mehrere Wochen mit unseren Beratungsterminen ausgebucht sind, müssen die notwendigen Vorsprachen und Beratungen irgendwie eingeschoben werden. In manchen Fällen verweisen wir die Ratsuchenden an die Rechtsantragsstelle des Gerichts. Die im Migrationsrecht versierten Kolleginnen und Kollegen sind rar und genauso ausgebucht. b. Die langen Wartezeiten beim Bundesamt und jetzt vor allem bei den Gerichten, sind für die Mandanten äußerst belastend, vor allem wenn sich ihre nächsten Familienangehörigen noch in der Heimat oder einem Drittland aufhalten oder eine Traumatisierung vorliegt. Andererseits bieten diese Wartezeiten eine Chance für die Integration und öffnen damit Wege zu einem Bleiberecht außerhalb des Asylverfahrens. c. Das Asylrecht ist eine politische Materie und deshalb geprägt durch eine Vielzahl von Gesetzesänderungen, auch auf europäischer Ebene. Dazu ändern sich nicht nur die Verhältnisse in den Herkunftsländern, sondern auch deren rechtliche Bewertung in der oft sehr uneinheitlichen Rechtsprechung. 4. Das Geld. Flüchtlinge sind keine finanzstarke Klientel, insbesondere so lange sie noch auf Leistungen des Asylbewerberleistungsgesetzes angewiesen sind.Wir (mein Sohn und ich) beraten deshalb alle Flüchtlinge kostenlos, auch wenn wir danach selbst kein Mandat übernehmen. Im Gerichtsverfahren gibt es für die aussichtsreichen Klagen Prozesskostenhilfe; im Übrigen erhalten wir auf unsere Gebühren Raten durch die Mandanten. Soweit wir am Ende gewinnen, bezahlt der Staat. Das geschah in den letzten Jahren sehr häufig. Man könnte sagen, die Differenz zwischen den jeweiligen Rechtsauffassungen des Bundesamtes einerseits und der der Verwaltungsgerichte andererseits ist unser Gewinn. 5. Der Erfolg ist zwar erwünscht, aber keine Bedingung für den Sinn meiner Arbeit.Meine Dienstleistung ist die Begleitung im Prozess; der Erfolg liegt nicht in meiner Hand (das gilt vergleichbar auch für die Verteidigung im Strafverfahren). Meine Möglichkeiten sind begrenzt. Darüber kläre ich schon zu Beginn den Mandanten auf und korrigiere die oft hohen Erwartungen. Ich kann dazu beitragen, dass ihr Anliegen möglichst vollständig zur Sprache kommt und alle erfolgsversprechenden rechtlichen Möglichkeiten für eine Bleiberecht ausgeschöpft werden. Unabhängig von Erfolg oder Misserfolg erlebe ich in meiner Arbeit eine ungeheure Vielzahl von ganz unterschiedlichen Menschen in meist existenziellen, für sie lebenswichtigen Situationen. Da es in der Regel um Nöte, Ängste und Traumata geht, macht diese Arbeit der Beratung und Begleitung zwar keinen Spaß, aber sie vermittelt Sinn und damit auch Lebensfreude für mich. Ich habe mir für meinen Beruf nichts anderes gewünscht. Helden des AlltagsDie Fachanwälte für Migrationsrecht gehören zu den Helden des Alltags; sie müssen sich, wenn sie gut sind, nicht nur im immerzu hektisch geänderten nationalen Recht, sondern auch in den Details des EU-Rechts profund auskennen, etwa im Arbeitserlaubnisrecht. Sie brauchen interkulturelle Kompetenz, müssen also Land und Leute kennen - das verhindert, wie es der Frankfurter Asylspezialist Victor Pfaff sagt, das "schädliche Helfersyndrom" und auch "die einseitige Sicht durch die Asylbrille", das führt "zu kritischer Empathie". Der gute Fachanwalt muss seinen Mandaten gegebenenfalls auch vor einem falschen Sachvortrag bewahren, den diesem womöglich Verwandte oder Freunde eingeblasen haben im Glauben, auf diese Weise zu helfen. Natürlich gibt es auch so manche anwaltliche Tätigkeit, die mehr Schaden anrichtet als Nutzen bringt; von der rede ich hier nicht. Der gute Fachanwalt ermittelt in langwierigen, oft durch Sprachschwierigkeiten erschwerten Gesprächen die vielleicht doch erfolgversprechenden richtigen Fakten. Und ein guter Fachanwalt ist sich auch nicht zu schade, in einem Gemeindesaal, in dem sich ein paar ehrenamtliche Helferinnen und Helfer zusammenfinden, deren Fragen zu beantworten. Auszug aus: Prantls Blick - die politische Wochenvorschau, Heribert Prantl, in: Süddeutsche Zeitung vom 18.08.2019 FußnotenVeröffentlicht amArtikel ausdruckenWeitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von |
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