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Thunbergs zweite Ozeanüberquerung - Es ist geschafft!

Von Elmar Klink

Eine letzte Twitter-Botschaft der schwedischen Klimaaktivistin Greta Thunberg von Bord des Segel-Katamarans "La Vagabonde" kurz vor Ankunft in Europa lautete:

"DAY 20 (2.12.): OUR LAST DAY ON THE OCEAN! WE CAN NOW ALMOST SMELL LAND! WE EXPECT TO ARRIVE AT DOCA DE SANTO AMARO; LISBON SOMETIME BETWEEN 8:00-10:00 TOMORROW.

Greta Thunberg hat es also knapp geschafft, noch rechtzeitig zum 6. Dezember, dem großen Demo-Tag von Fridays-for-Future während des UN-Weltklimagipfels vom 2. bis 13. Dezember in Madrid, vor Ort zu sein. Etwa 200 Seemeilen befand sich am Sonntag der High-Tech-Segler des australischen Youtuber-Paares Riley Whitelum und Elayna Carausu noch nordwestlich vom Zielpunkt, der portugiesischen Hauptstadt Lissabon, entfernt. Mit einer Reisegeschwindigkeit bei vorherrschender Nord-Süd-Windrichtung von 8,6 kts (= ca. 16 km/h) brauchte das Boot noch einen knappen Tag, um am Dienstagvormittag in einem Lissaboner Yachthafen anzukommen.

Die junge Thunberg ist zur Herbststurmzeit ein großes Risiko eingegangen, den Atlantik mit einem knapp 15 Meter langen Segelschiff, einer Nussschale im Vergleich, ein zweites Mal zu überqueren. Die Überfahrt war, wie sie von unterwegs berichtete, zeitweise sehr stürmisch und man musste mehrmals starken Sturmwirbeln ausweichen, darum dauerte es diesmal auch deutlich länger als bei der 14-tägigen Hinreise nach New York im August. Sie konnte den Unterschied ausmachen und spüren zwischen einem schlanken Rennsegler wie der Malizia II mit tief im Wasser liegendem Kiel, der die Wellen geradewegs durchschneidet und einem breiten Katamaran, der jede rollende Wellenbewegung der Dünungen mitvollzieht und eher auf ihnen schwankend reitet. Aber dafür war es mit einer eigenen Kabine für sie und ihren mitreisenden Vater weitaus bequemer als zuvor. In einem großen Bogen von Nordwesten näherte man sich nun dem Hafen von Lissabon. Von dort aus wird es bis ins 600 km entfernte Madrid nochmal ca. 9 Stunden reine Fahrzeit mit der Bahn dauern.

Dann wird sie da sein, erwartet von Hunderten und Tausenden ihrer Mitstreiter*innen. Ihre Ankunft wird eine triumphale sein, kein Zweifel und sie dürfte es genießen. Sie hat bewiesen, dass man heutzutage nicht mehr klimaneutral reisen kann, nur noch unter den besonderen Umständen, für die sie sich entschied. Und das sind keine für die Allgemeinheit, die stündlich zu Millionen in Zehntausenden von Flügen den Globus bereist und verpestet. Oder in großen Schiffen mit Schweröl-Treibstoff und dessen giftigen Schadstoffen die Meere überquert. Sei es zum Vergnügen, aus geschäftlichen oder aus Gründen des Welthandels. Sie kam dem von Plastik und Öl global verschmutzten Meer sehr nahe, anders als von großen Schiffen aus. Sie hat eine Erfahrung gemacht, wie es einst für den norwegischen Frühkulturen-Forscher Thor Heyerdahl der Fall war, als er 1947 mit seinem Balsaschilffloß Kon Tiki von Peru aus nach Polynesien segelte. Um zu beweisen, dass in der Frühzeit solche Fahrten stattfanden und iberoamerikanische Kultur auch von Osten aus den Südpazifik besiedelte. Damals entdeckten er und seine paar Mitreisenden erstmals überall im Meer Ölklumpen, die vom Schiffsverkehr herrührten. Heyerdahl fertigte darüber den ersten warnenden Umweltbericht an die Vereinten Nationen an. Lange bevor 1962 Rachel Carsons alarmierende Studie "Der stumme Frühling" über die Folgen der atmosphärischen DDT-Vergiftung für die Vogel-, Insekten- und Pflanzenwelt erschien. Seither kennt man dieses Meeres-Problem. Was Greta Thunberg von ihren Atlantikreisen zu berichten haben wird, werden wir spätestens in illustrierten Büchern von ihr im kommenden Jahr erfahren. Während sie in Madrid die Gelegenheit wahrnehmen wird, jetzt schon gegenüber Teilen der rund 25.000 Teilnehmenden aus 196 Ländern der UN-Konferenz über ihr Meeres- und Amerikaerlebnis zu berichten.

Ihr Zeitplan für Nord- und Südamerika wurde durch die kurzfristige Verlegung der COP25 von Santiago de Chile nach Madrid auf den Kopf gestellt. Von Kalifornien aus trat sie die Rückfahrt mit der Bahn durch die USA an, um dann von Hampton/Virginia aus ein zweites Mal in See zu stechen, dank freundlicher ökologischer Weltenbummler, die sie auf ihrem Segler mitnahmen. Vieles wurde über den Sinn und Unsinn dieser beiden demonstrativen Segeltörns um die halbe Welt Sinnvolles und Unsinniges verbreitet. Zuletzt war es die erneute dumme Thunberg-Schelte (Hitler-Stalin-Vergleich) des ansonsten recht intelligenten Comedian Nuhr, der damit hierzulande die Gemüter erhitzte. "Experten" rechneten die Ökobilanzen der Segelfahrten rauf und runter, kamen zu absurden Ergebnissen, dass sie noch schlimmer ausfielen als wenn Thunberg zweimal mit dem Flieger den Atlantik überquert hätte. Kommentar im Grunde überflüssig. Natürlich steckt in beiden Booten, die Thunberg benutzte, eine Menge großindustrieller High-Tech, was Bau, Material und technisches Equipment angeht, das man in die CO2-Bilanz der Fahrten miteinbeziehen muss. Und dann sieht das gar nicht mehr so günstig aus. Der Demonstrationseffekt ist also nur ein eingeschränkt tauglicher. Zumal für die Rückreise auch die professionelle englische Co-Skipperin Nikki Henderson offenbar extra mit dem Flugzeug an die US-Atlantikküste in Virginia anreisen musste. Ganz pingelige Zeitgenossen werden sich auch daran stören, dass bei Flaute kurz vorm Einlaufen in Lissabon der Katamaran Gretas von einem kleinen Motorboot zur Hafenkaje geschleppt werden musste. Immerhin hat Thunberg bewiesen, dass sie auch hochseetüchtig ist (wir wissen jedoch nicht, wie oft sie sich seekrank übergeben musste). Niemand fahrt aus Spaß als Landratte zweimal über den stürmischen Atlantik in segelnden Nussschalen.

Ihr erster Skipper, der sie heil über den großen Teich brachte, der Deutsche Hochsee-Rennsegler Boris Herrmann, lobte die Kondition und Konstitution, den Humor und die bescheidene Klugheit des zierlichen Mädchens, das an einer speziellen Form des Autismus leidet, der ihre Sinne schärft und Wahrnehmung bisweilen unerträglich verstärkt. Der sie jahrelang depressiv sein ließ. Hier soll nur nebenbei angemerkt werden, dass viele Künstler, Denker, Pioniere, Grenzgänger, Entdecker und Erfinder der Welt, also die in der Regel sensiblen, sensitiven und "verrückten" Naturen -, aus der Disposition einer abweichenden Persönlichkeit heraus handelten und dennoch oder vielleicht gerade deswegen zu ihren Eingebungen, Erkenntnissen und Leistungen gelangten. Columbus war so einer, Nietzsche auch, van Gogh und James Cook, Alexander von Humboldt, Stanley und Livingston, Roald Amundsen, Barnard, der Herzspezialist, Neil Armstrong, der Mondlander oder Reinhold Messner. Alexandra David-Néel, die französische Reiseschriftstellerein, Asien- und Tibetreisende im 19. und frühen 20. Jahrhundert und Buddhismus-Forscherin, gehört dazu.

Thunberg entdeckte den Klimaschutz und erfand den SKOLSTREJK FÖR KLIMATET, als Sache und Anliegen der Jugend der Welt gegen alle Anfeindungen. Ein Akt moralischer Vermessung der Welt. Das ist jetzt schon eine Leistung, die sie für Preisauszeichnungen prädestiniert. Zuletzt wurde ihr in Abwesenheit der Kinderrechtsschutz-Preis verliehen. Kinder sind diejenigen Leidenden in und an der Welt und ihren Mitmenschen, die noch am wenigsten trotz UNICEF eine Stimme und Anwälte ihrer Leiden haben: Kriege, Gewalt, Erziehung, Missbrauch, Flucht, Krankheit, Hunger… und auch das Klima! Thunberg hat ihre Botschaft und sie vertritt sie aktiv und nachhaltig. Man wirft ihr am meisten vor, irrationale Panikmache erzeugen zu wollen, so hat sie auch ihr erstes Buch mit ihren bisherigen Redetexten "Ich will, dass ihr in Panik geratet" betitelt. Aber es geht nicht um Angst, Desorientierung und Hilflosigkeit, den eigentlichen Merkmalen von Panik. Es ist die "Panik" konstruktiver Unruhe gemeint, in die die Menschen geraten sollen angesichts der sich schleichend wie offen vor aller Augen sichtbar ereignenden Klimakatastrophe.

Politiker, Journalisten, renommierte Entertainer und sonstige Meinungs- und Spaßmacher kritisieren und greifen immer wieder die im Wesentlichen dezentrale Fridays-for-Future-Bewegung (FFF) an, fragen nach "Legitimation" ihrer Sprecher*innen und Aktivist*innen, halten die "Bewegung" für undemokratisch, greifen sogar Greta Thunberg, die vermeintlich "Naive", persönlich an. Das könnte man in der Tat einmal näher untersuchen, wie FFF intern strukturiert und angelegt ist, wie und woher sie sich finanziert, wer das Sagen hat und alles wie verwaltet und organisiert usw. Aber angesichts der brennenden Thematik, um die es weltweit geht, lenken solche Angriffe und Vorwürfe wohl eher vom Thema ab, wollen die Dringlichkeit zerreden und einzelne Personen diskreditieren. Unter erheblichen Macht-Kompromissen mit den Industrie- und Technologielobbyisten politisch geschnürte "Klimapakete" sind kaum geeignet, das Sofortprogramm zu initiieren, das jetzt nottäte, um noch irgendwie eine Wirkung erzielen zu können in Richtung Begrenzung und Senkung der Erderwärmung und um die Umwelt- und Naturzerstörung weltweit aufzuhalten oder wenigstens einzudämmen. Jetzt - und nicht in 20, 30 oder bis in 50 Jahren! Das sind die Tatsachen, um die es jetzt geht, die die Jugend und Greta Thunberg aktuell anmahnen aus Sorge um die eigene Zukunft.

In New York, vor der UNO-Versammlung, zeigte sie Emotionen, war sie zornig und den Tränen nahe und geriet die sonst feste, beharrliche Stimme des nüchternen Mädchens ins Schwanken. Sie zeigte damit nur, dass sie ein MENSCH ist. Ein Mensch, der zu Recht anklagt. Dafür verdient sie Respekt und Unterstützung, nicht Verehrung oder Idolisierung. Vom mächtigsten (nicht wichtigsten!) Mann der Welt wurde sie mit höhnischer Ironie und Häme bedacht. Das wird sich in Madrid nicht wiederholen müssen und dürfen. Donald Trump hätte für seinen zynischen Ausfall eine UNO-Weltrüge verdient, wenn es sowas gäbe. Er hat damit nur demonstriert, dass er in diesem Punkt ein Un-Mensch und Scrooge-Typ ist, ein wohl Wissender und zugleich Leugnender, was es noch schlimmer macht.

Konferenzen sind auch Medienrummel, Schaulaufen, anstrengende Terminveranstaltungen. Thunberg hat die beharrliche Kraft dazu und den erstaunlichen Mut. Kaum an Lande gegangen mit ihrem Schulstreik-Plakat unterm Arm, wurde sie von Lissabons Bürgermeister Fernando Medina herzlich begrüßt mit den Worten, sie sei "eine der bemerkenswertesten Stimmen zum Klimawandel in dieser Zeit". Eine regionale FFF-Aktivistin mahnte in ihrer Begrüßung das Welt-Haus an, das "in Flammen" stünde, und betonte, "soziale Gerechtigkeit ist Klimagerechtigkeit". Thunberg bedankte sich für das begeisterte Willkommen mit den Worten "Ich schulde euch so viel". Sie fügte hinzu: "Es ist ein großes Gefühl, sich hier in Lissabon wiederzufinden. Nach drei Wochen Isolation und auf begrenztem Raum. Da wird man auf gewisse Weise sehr entspannt … Aber jetzt wieder an Land zu sein, ist ein überwältigendes Gefühl. Bitte habt etwas Geduld mit uns. Unsere Gehirne müssen sich erst wieder daran gewöhnen. Ich glaube, wir haben etwas Zeit zum Entspannen gebraucht - vor allem ich, um alles sacken zu lassen. Ich fühle mich gut. Ich habe die Batterien aufgeladen … "Menschen müssen alles tun, damit sie auf der richtigen Seite der Geschichte stehen".

Nach dem Weltklimagipfel in Madrid wird es für Greta Thunberg darum gehen, zuhause in Schweden bei ihrer Familie zu sein und Weihnachten zu verbringen. Sie lebt in einem skandinavischen Land, das sehr schöne Weihnachtsbräuche pflegt und wundervolle Wintergeschichten und Weihnachtsmärchen hervorgebracht hat. Als Kinder sahen wir früher im Fernsehen die Sendung "Weinachten auf Bullerbü" nach Astrid Lindgren. Selma Lagerlöf ist eine Dichterin und Erzählerin, die mit die schönsten nordischen Legenden und Erzählungen sammelte und vortrug. Wer kennt sie nicht, die Erzählung vom Kleinen Mädchen mit den Schwefelhölzern des Dänen Hans-Christian Andersen. Land, Bräuche, Erzählgut und vertraute Menschen in ihrer nahen Umgebung werden ihr helfen können, seelisch wieder aufzutanken nach einem sehr bewegten Jahr, in dem sie mehr erlebte als die meisten Menschen nicht in einem ganzen Leben erfahren. Am 3. Januar 2020 wird die im Zeichen des Steinbocks geborene Greta Thunberg 17 Jahre alt. Der Himmel möge sie weiter begleiten und beschützen!

(c) Elmar Klink, D-Bremen, 4. Dezember 2019.

Veröffentlicht am

06. Dezember 2019

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