Lebenshaus Schwäbische Alb - Gemeinschaft für soziale Gerechtigkeit, Frieden und Ökologie e.V.

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Gesellschaftliche und persönliche Erfahrungen mit der Kraft der Gewaltfreiheit

Von Michael Schmid (aus: Lebenshaus Schwäbische Alb, Rundbrief Nr. 103, Dez. 2019 Der gesamte Rundbrief Nr. 103 kann hier heruntergeladen werden: PDF-Datei , 611 KB. Den gedruckten Rundbrief schicken wir Ihnen/Dir gerne kostenlos zu. Bitte einfach per Mail abonnieren .)

Im Einleitungsartikel zum Lebenshaus-Rundbrief Nr. 103 schlägt Michael Schmid einen Bogen von den Hunderttausenden einer jungen Generation, die in den Klimastreik getreten sind, über die bleibenden Impulse eines Mahatma Gandhi mit der "Kraft der Gewaltfreiheit" und der Weiterverbreitung dieses Wissens u.a. auch nach Deutschland, zu eigenen Erfahrungen mit gewaltfreien Aktionen bis hin zu Beispielen, in denen diese gewaltfreie Kraft erfolgreich angewandt wurde.

Liebe Freundinnen und Freunde,

im Oktober haben wir unsere 7. Tagung "We shall overcome!" mit großer Beteiligung durchgeführt. Entsprechend der Konzeption unserer Tagungen lassen wir Menschen aus ihrem Leben und von ihren Erfahrungen berichten, die sie mit ihrem eigenen Engagement gemacht haben. Sie gehören meist Organisationen, Netzwerken und sozialen Bewegungen an, die mit ihrem gewaltfreien Engagement in Deutschland und weltweit zu mehr Frieden und Gerechtigkeit beitragen wollen und die Vision einer anderen Welt lebendig halten. Was Eva-Maria Willkomm, Andreas Linder und Nirit Sommerfeld vermittelt und auf welch intensive Weise sie uns an ihrem Leben teilhaben ließen, war für uns sehr bereichernd und ermutigend. In diesem Rundbrief berichtet Axel Pfaff-Schneider ausführlich darüber.

Zu den gewaltfrei Engagierten gehören auch die vielen Millionen Menschen weltweit, die sich am 20. September 2019 am Klimastreik beteiligt und es gemeinsam geschafft haben, die Klimakrise zum Top-Thema zu machen. Meine Hochachtung haben die Hunderttausenden einer jungen Generation, die in den Klimastreik getreten sind, um deutlich zu machen, dass es hier um etwas geht, das für Menschen auf der ganzen Welt zur existenzbedrohenden Realität geworden ist. Den Protesten haben sich mittlerweile alle Generationen angeschlossen.

Kraft der Gewaltfreiheit

Die wenigsten, die sich an diesen Aktionen beteiligen, werden diese mit Mahatma Gandhi in Verbindung bringen. Dass seinem 150. Geburtstags am 2. Oktober 2019 weltweit gedacht wurde, deutet darauf hin, dass er mit seinem Leben und Engagement der Welt bleibende Impulse hinterlassen hat, die bis heute weiterwirken. Und wenn wir etwas aus der langsamen, erfreulichen Verbreitung des Wissens über die Kraft der Gewaltfreiheit seit Gandhis Tagen gelernt haben, dann das: Protest kann ein wichtiger erster Schritt für Veränderung sein.

Den Begriff "Gewaltfreiheit" hat übrigens der Berliner Politikwissenschaftler Prof. Dr. Theodor Ebert geprägt, um damit Gandhis Prinzip und Methode der "Satyagraha" zu bezeichnen. Gandhi hatte im Jahre 1906 eine Methode der Konfliktaustragung entdeckt, die er "Satyagraha" nannte: Festhalten an der Wahrheit, Kraft der Wahrheit, der Liebe oder der Seele. Bei dieser Kraft handelt es sich um die Fähigkeit, Böses mit Gutem zu vergelten, um es auf diese Weise zu überwinden. Martin Arnold hat dafür den Begriff "Gütekraft" geprägt. Gandhi entwickelte die Wirksamkeit dieser Kraft über das Individuelle hinaus zu einer wirksamen sozialen Macht im großen Maßstab. Mit dieser Kraft der Gewaltfreiheit konnte in Indien das Joch der britischen Kolonialmacht abgeschüttelt werden. Aber sie wirkte auch andernorts weiter, wie zum Beispiel bei Martin Luther King, der einmal schrieb: "Für Gandhi war die Liebe ein mächtiges Instrument für eine soziale und kollektive Umgestaltung. In seiner Lehre von der Liebe und Gewaltfreiheit entdeckte ich die Methode für eine Sozialreform, nach der ich schon so viele Monate gesucht hatte."

King ließ sich also durch Gandhis erfolgreichen gewaltfreien Befreiungskampf gegen die britische Kolonialmacht anregen. Von der von ihm angeführten afroamerikanischen Bürgerrechtsbewegung wurden ab den 1950er Jahren für ihren gewaltfreien Kampf gegen die Rassendiskriminierung phantasievolle Aktionen entwickelt und eingeübt. Es gelang ihr damit, Rassismus zumindest in vielen Bereichen abzubauen. Die Methoden der gewaltfreien Aktion hatten eine Ausstrahlung in viele Teile der Welt. So auch nach Deutschland, wo sich soziale Bewegungen vielfach dieser gewaltfreien Methoden bedienten. Und die dazu beitrugen, dass auch ich in diese Tradition hineinwuchs.

"Aufwachstation" Bundeswehr

Dieser Tage habe ich in der Vorbereitung eines Vortrags, den ich zu halten hatte, über "meine eigene Geschichte mit der Gewaltfreiheit" nachgedacht. Und da kann ich natürlich nicht vergessen, dass für mich Gewaltfreiheit zunächst überhaupt keine bewusste Rolle gespielt hat. Deshalb bin ich nach dem Abitur, der vermeintlichen Pflicht folgend, zur Bundeswehr gegangen, um meiner Wehrpflicht Genüge zu tun. Kaum bei der Armee gelandet, war mir sofort klar, dass ich mich dort am falschen Ort befand. Insbesondere als ich beim ersten scharfen Schießen dem "bösen Russen", so der neben mir stehende Ausbilder, also dem aufgemalten Soldaten auf der Schießscheibe, mitten ins Gesicht schießen sollte, wurde mir der Ernst der Lage endgültig bewusst. Ich befand mich in einer äußerst schwierigen Lage, aus der mich mein Körper "befreite": Wegen Erkrankung wurde ich "vorübergehend nicht wehrdienstfähig" und deshalb nach einigen Monaten vorzeitig aus der Bundeswehr entlassen. Große Erleichterung damals! Und gleichzeitig war ich darüber erschüttert, einfach gedankenlos der von mir erwarteten "Pflicht" gefolgt zu sein. Dadurch war ich in etwas geraten, was sich mit meinen anderen Werten in Widerspruch befand. Das hat seine Spuren für meinen weiteren Lebensweg hinterlassen. Ab diesem Zeitpunkt begann ich, mich kritisch mit gesellschaftlichen und politischen Fragen zu beschäftigen und mich aktiv zu engagieren. Unter anderem nahm ich an meinen ersten Demonstrationen teil. Später verweigerte ich nachträglich den Kriegsdienst.

Es sollte noch ein paar Jahre dauern, bis ich endgültig die "Gewaltfreiheit" als mein Thema entdeckt hatte. Im April 1978 wurde ich Mitglied sowohl im Internationalen Versöhnungsbund wie auch in der ältesten Organisation der deutschen Friedensbewegung, der Deutschen Friedensgesellschaft -Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK). Dadurch kam ich mit viel Neuem in Berührung. Ich las viel und kam mit Menschen in Kontakt, die für mich zur Inspiration für die Kraft der Gewaltfreiheit werden sollten.

Gewaltfreie Aktionen in der Praxis

An meinem damaligen Wohnort Nürtingen gründeten wir einen Arbeitskreis Entwicklungspolitik, mit dem wir z.B. den Befreiungskampf gegen die brutale Somoza-Diktatur in Nicaragua und den Kampf gegen die Apartheid in Südafrika unterstützten. Wir organisierten Informationsveranstaltungen und stellten uns mit Info-Ständen in die Fußgängerzone, wir veranstalteten Konzerte mit im Exil lebenden Chilenen sowie Politische Nachtgebete in der Stadtkirche, schrieben Zeitungsartikel und Leserbriefe. Dazu kam die Unterstützung von Boykott-Aktionen - "Kauft keine Früchte der Apartheit" und Nestlé-Boykott ("Nestlé tötet Babys"). Zudem die Teilnahme an Demonstrationen, z.B. in Stuttgart und Bonn. 1980 war ich maßgeblich an der Organisation der ersten Friedenswoche in Nürtingen beteiligt - und in diesem Jahr finden, wie ich jetzt, Jahrzehnte nach meinem Umzug auf die Schwäbische Alb, mit Freude entdeckte, zum vierzigsten Mal Nürtinger Friedenswochen statt. In Gammertingen folgten dann ab 1981 vielfältige Aktivitäten in einer Ortsgruppe der Deutschen Friedensgesellschaft -Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK) und in den nachfolgenden Jahrzehnten noch vieles mehr.

chließlich beteiligte ich mich auch an gewaltfreien Aktionen, mit denen bewusst Regeln bzw. Gesetze übertreten werden, also an Aktionen des Zivilen Ungehorsams. Das reichte in den 80er Jahren vom Stromteilzahlungsboykott gegen die Atomenergie über Blockadeaktionen vor Atomraketenstellungen in Großengstingen, Mutlangen und auf der Heilbronner Waldheide, bis zum Volkszählungsboykott 1987.

Im Laufe der Zeit habe ich nach und nach mehr über die Kraft der Gewaltfreiheit gelernt, dieser Gegenkraft zur Gewalt und bestehendem Unrecht, mit der ohne Gewalt Veränderungen erreicht werden sollen und können. Nachdrücklich erlebt habe ich das, als die Friedensbewegung in den 80er Jahren mit ihren Aktionen gegen die atomare Aufrüstung wesentlich zur Vereinbarung des INF-Vertrages im Dezember 1987 beigetragen hat. In dessen Folge wurden alle landgestützten Atomwaffen mittlerer Reichweite abgerüstet und zerstört. Dieses Jahr wurde dieser Vertrag leider durch Trump und dann auch Putin wieder zerstört, mit vermutlich dramatischen Folgen. Als Zeitzeuge konnte ich zahlreiche weitere Beispiele erfolgreicher gewaltfreier Aktionen erleben, wie zum Beispiel den Mauerfall vor 30 Jahren. Bereits 1986 wurde auf den Philippinen erstmals in der Menschheitsgeschichte durch systematisch geplantes, gewaltfreies Vorgehen eine brutale Diktatur überwunden. Bei kompetenter Vorbereitung hat Gewaltfreiheit gute Erfolgschancen, selbst hoch gerüstete Gewaltherrschaft zu überwinden.

Die Wirksamkeit gewaltfreier oder zumindest gewaltloser Aktionen wird auch bestätigt durch die Forschungsergebnisse von Erica Chenoweth und Maria Stephan: Sie stellten fest, dass in den letzten hundert Jahren gewaltlose oder gewaltarme Aufstände und Kampagnen für mehr Demokratie prozentual um das Doppelte erfolgreicher als Aufstände waren, die mit Waffengewalt begonnen wurden.

Systemwandel erforderlich

Mit gewaltfreien Kampagnen müssen in der Regel sehr lange Strecken zurückgelegt werden, um möglicherweise zum Erfolg zu kommen. Darauf sollten sich "Fridays for Future" und alle einstellen, die sich der Klimakatastrophe entgegenstellen. Das verdeutlichen aktuell die Bundesregierung und die Bundestagsmehrheit, indem sie nach dem angekündigten "großen Wurf" für den Klimaschutz ein unwirksames und sozial ungerechtes Klima-Päckchen verabschiedeten. Die Erderhitzung um mehr als 1,5 Grad kann damit nicht verhindert werden - mit drastischen Folgen: Die Klimakatastrophe zerstört unsere Lebensgrundlagen und trifft weltweit die Ärmsten. Deshalb ist es gut, dass "Fridays for Future" weiter auf die Straße gehen. Und am 29. November 2019 werden sie wiederum durch ein breites zivilgesellschaftliches Bündnis bei diesen Protesten unterstützt. Für den weltweiten Klimastreiktag schließen sich zum ersten Mal Klimaaktivist*innen, Umwelt-, Entwicklungs-, Sozial- und Wohlfahrtsverbände zusammen. Wir zeigen: Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit gehören unteilbar zusammen. Menschen im Globalen Süden sowie zukünftige Generationen müssen eine klimagerechte Zukunft haben!

Eine sozial-ökologische Wende für eine gerechtere Gesellschaft - hier und weltweit - wird allerdings wesentlich mehr und ganz anderes brauchen, als ein paar Reformen. Sollen die Lebensgrundlagen auf diesem Globus erhalten und weltweite Gerechtigkeit entwickelt werden, wird das nicht ohne einen grundlegenden Systemwandel möglich sein. Hier können die von Gandhi entwickelten und von anderen Menschen und Gruppierungen weitergetragenen Experimente mit der Kraft der Gewaltfreiheit überlebenswichtige Chancen bieten. Vorausgesetzt, wir erkennen, welche Veränderungskraft gewaltfreien Aktionen innewohnen kann und wenden solche phantasievoll an.

Ich wünsche Ihnen und Euch einen gesegneten Advent, frohe Weihnachtstage, ein friedvolles neues Jahr 2020 und guten Lebensmut!

Herzliche Grüße

Euer / Ihr      
Michael Schmid

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Fußnoten

Veröffentlicht am

14. Dezember 2019

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