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Theologe Jürgen Moltmann, der das Naziregime überlebt hat, zieht Studierende mit seinem Bericht in seinen Bann

Von Peter Kenny

Die Studierenden lauschen aufmerksam und konzentriert während Prof. Dr. Jürgen Moltmann erzählt, dass er sich, nachdem er Mitglied in der Hitlerjugend gewesen sei und als "Patriot" während des Zweiten Weltkrieges auch in der deutschen Reichswehr gedient habe, vom Nationalismus und dem entsetzlichen Grauen dieses Konflikts abgewendet habe.

Prof. Dr. Jürgen Moltmann ist ein namhafter deutscher Theologe und hatte eine einfache Botschaft für seine Zuhörerinnen und Zuhörer:

"Die Kirche Christi ist in allen Völkern der Erde zuhause und kann keine ‚nationale Religion’ werden."

"Die Kirche Christi ist ökumenisch und schließt die ganze bewohnte Erde mit ein. Sie ist keine Stammesreligion, keine Religion des Westens, keine weiße Religion, sondern eine Kirche der gesamten Menschheit", sagte Moltmann und erntete dafür Applaus von seinem jungen Publikum.

Weiter sagte er, die neue Welle des Nationalismus, die sich in unserer heutigen Welt ausbreite, sei "ein Rückschlag für die ganze Menschheit". "Mitmenschlichkeit ist wichtiger als die nationale Staatszugehörigkeit", sagte er weiter, nachdem er von seiner Kindheit und Jugend unter dem Joch des Naziregimes in Deutschland erzählt hatte.

Keiner der Studierenden vom Ökumenischen Institut des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) in Bossey und der Universität Genf, die am 3. Dezember zu dem Vortrag von Moltmann mit dem Titel "The Ecumenical Church and Nationalism" (Ökumenische Kirche und Nationalismus) gekommen waren, hatte bisher einen solchen Bericht von einem Zeitzeugen dieses schrecklichen Krieges im letzten Jahrhundert gehört.

Im Anschluss an seinen Vortrag konnten die Studierenden Moltmann Fragen stellen. Eine Studierende aus Indonesien berichtete, dass Christinnen und Christen in ihrem Land eine Minderheit seien und ihren Patriotismus unter Beweis stellen müssten. Ein anderer Anwesender stellte die Frage in den Raum, ob die Menschheit ein passendes Wort finden könne, das eine gesunde Liebe für das eigene Vaterland zum Ausdruck bringe.

Im Anschluss an den bewegenden Bericht Moltmanns über den Krieg, der die Welt und die Menschheit erschüttert hatte, standen die Studierenden Schlange, um ein Selfie mit dem Professor zu machen.

Der renommierte deutsche Theologe Prof. Dr. Jürgen Moltmann zu Besuch im Ökumenischen Institut des ÖRK in Bossey. Foto: Peter Kenny/ÖRK

"Die Kirche Christi ist keine nationale Kirche, sondern eine Kirche aller Nationen und der ganzen Menschheit", erklärte Moltmann.

Pastor Dr. Odair Pedroso Mateus, der Dozent am Ökumenischen Institut in Bossey und Direktor der ÖRK-Kommission für Glauben und Kirchenverfassung ist, erzählte, der 93-jährige Kriegsveteran und Theologe habe ohne großes Getue eine sechsstündige Bahnreise von Tübingen auf sich genommen, um in Genf sein zu können.

"Habe extremen Nationalismus erlebt"

"Ich habe in meiner Kindheit und Jugend extremen Nationalismus, Patriotismus und die NS-Diktatur erlebt. Als Hitler 1933 in Deutschland an die Macht kam, war ich sieben Jahre alt. Meine erweiterte Familie war in zwei Lager gespalten: auf der einen Seite die sozialistischen Hitler-Gegner und auf der anderen die Nazis, die Hitler unterstützten."

Mit 10 Jahren hätten seine Eltern ihn zur Hitlerjugend geschickt, gegen die er ob ihres Militarismus eine Abneigung gehabt habe, aber "ich war Patriot".

1937 sei sein Vater dann vor die Wahl gestellt worden: Er müsse der NSDAP beitreten oder aber er würde seinen Job als Lehrer verlieren. Um seine Familie zu schützen, sei er der Partei beigetreten.

"Um dem Druck zu entkommen, den die NSDAP ausübte, ist er dann auch noch freiwillig zur Armee gegangen. Während des Kriegs hat er dann immer gesagt: ‚Hitler darf diesen Krieg nicht gewinnen’. Aber er war auch überzeugt: ‚Ein Mann muss sein Vaterland verteidigen’. Mit diesem Zweispalt ist er nicht klargekommen. Bis 1946 war er in Kriegsgefangenenlagern in Frankreich und kehrte er dann zurück."

Auch Moltmann selbst musste zur Armee. Als er 16 Jahre alt war, wurde seine ganze Schulklasse eingezogen und Moltmann für die Luftabwehr ausgebildet.

"Ich bin 1948 nach drei Jahren in britischer Kriegsgefangenschaft nach Hause zurückgekehrt, völlig fassungslos angesichts von Auschwitz und der Tötung deutscher Soldaten durch die SS. Seither bin ich überzeugt, dass es in der Diktatur kein Vaterland gibt."

"Meine Liebe für Deutschland ist ein Verfassungspatriotismus", fasst er zusammen.

Moltmanns Auffassung nach verehrt die Kirche Christus "als den Versöhner des Kosmos und will nicht nur Frieden auf der Erde, sondern auch Frieden mit der Erde. Der ökologische Friede der Schöpfung ist in Zeiten des Klimawandels und der Zerstörung der Erde von großer Bedeutung."

Pastorin Dr. Simone Sinn, Vizedekanin am Ökumenischen Institut, sagte, Moltmann sei einer der weltweit meistgelesenen Theologen, dem nicht nur Protestanten, sondern auch römische Katholiken und Anhänger der orthodoxen Traditionen Beachtung schenkten.

Peter Kenny arbeitet als freischaffender Journalist in Genf.

Quelle: Ökumenischer Rat der Kirchen (ÖRK) - Deutsche Fassung veröffentlicht am: 05.12.2019.

Veröffentlicht am

15. Dezember 2019

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