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Afghanistan: So viele Bomben wie schon lange nicht mehr

Von Emran Feroz

Während die Verhandlungen zwischen den USA und den afghanischen Taliban die Endrunde erreicht haben, eskaliert die Gewalt am Hindukusch wie seit langem nicht mehr. Grund hierfür sind auch die Luftangriffe des US-Militärs, die im vergangenen Jahr einen Höchststand erreicht haben - und womöglich auch nicht so schnell aufhören werden.

Alle Berichte scheinen darauf hinzudeuten, dass in Afghanistan eine Reduzierung der Gewalt bevorsteht. Nachdem US-Präsident Donald Trump im vergangenen September die Friedensgespräche mit den Taliban via Twitter aufgekündigt hatte, nur um sie wenige Wochen darauf wiederaufzunehmen, steht ein Deal zwischen Washington und den Aufständischen nun kurz vor der Tür. Zu den wichtigsten Bedingungen der Taliban gehört der vollständige Abzug der NATO-Truppen sowie die Freilassung zahlreicher Gefangener. Währenddessen verlangt die US-amerikanische Gegenseite eine eindeutige rote Linie zwischen Taliban und Al-Qaida, um zukünftige Anschläge zu verhindern. Afghanistan soll nicht abermals zum Hort von extremistischen Gruppierungen werden, die gegen die US-Amerikaner Angriffspläne schmieden, so die Forderung, die voll und ganz im Kontext der mittlerweile allseits bekannten "War on Terror"-Narrative geschmiedet wurde.

Nun kommt allerdings der Knackpunkt. Vor der Unterzeichnung des Deals wird ein siebentägiger Waffenstillstand zwischen den Taliban und den US-Truppen ausgerufen. Der Waffenstillstand soll vor allem deutlich machen, dass die Taliban es ernst meinen und eine einheitliche Struktur und Hierarchie haben. In gewisser Weise geht es auch um einen beidseitigen guten Willen. Doch gleichzeitig sollte man sich auch fragen, warum man Washington in dieser Hinsicht blind vertrauen sollte. Wer behauptet eigentlich, dass die US-Führung eine klare und durchschaubare Struktur und Hierarchie hat? Wer kann garantieren, dass das US-Militär die Waffen stillhält, während die CIA ihre Operationen nicht fortführt? Warum sollte man ausgerechnet jetzt daran glauben, dass die Kriegsprofiteure sowie der militärisch-industrielle Komplex ein Interesse an der Beendigung des Krieges hätten? Dies betrifft sowohl afghanische als auch amerikanische Akteure.

Falsche Zahlen, ungezählte Opfer

Das beste Beispiel hierfür sind abermals die Zahlen, die das Pentagon selbst liefert. Laut diesen warf das US-Militär im gesamten Jahr 2019 mindestens 7.423 Bomben über dem Land ab. Dies stellt mindestens in den letzten zehn Jahren einen absoluten Höchststand dar. Pro Tag fanden demnach in Afghanistan durchschnittlich 20 Bombenabwürfe statt. Hierbei handelt es sich allerdings weiterhin um eine Mindestanzahl, der man nicht trauen darf und sollte. 2017 wurde etwa deutlich, dass zahlreiche veröffentlichte Zahlen des US-Militärs in Sachen Luftangriffe falsch gewesen sind. Eine Recherche der Military Times hob hervor, dass in Staaten wie Irak und Afghanistan deutlich mehr Luftangriffe stattgefunden haben.

Ähnlich verhält es sich auch mit der Anzahl der zivilen Opfer, die regelmäßig in den Hintergrund gedrängt werden. Laut UNAMA (United Nations Assistance Mission in Afghanistan) wurden zwischen Januar und September 2019 mindestens 484 Zivilisten durch die NATO-Kräfte und das afghanische Militär getötet, mindestens 777 weitere Zivilisten wurden verletzt. Die meisten Opfer wurden durch Luftangriffe verursacht. UNAMA bemüht sich, zivile Opfer möglichst genau und ausführlich zu dokumentieren. Allerdings verfolgt die Organisation weiterhin eine äußerst konservative Methodik, die in einigen Regionen Afghanistans problematisch erscheint. Demnach sind für die Bestätigung jedes einzelnen zivilen Opfers drei unabhängige Quellen notwendig. Andernfalls landet das Opfer nicht in der Statistik. Zahlreiche Regionen Afghanistans, vor allem jene, die regelmäßig vom US-Militär bombardiert werden, sind isoliert und schwer aufzusuchen. Es liegt auf der Hand, dass Täter wie das US-Militär von diesem Umstand massiv profitieren. Viele ihrer Opfer bleiben einfach ungehört und "unentdeckt" - zumindest aus westlicher Sicht.

Um dem entgegenzuwirken, hat sich nun auch die Afghanistan Independent Human Rights Commission (AIHRC) eingeschaltet. Kritiker bewerteten die Kommission lange als einseitig sowie als verlängerten Arm der Kabuler Regierung, der sich lediglich auf Taliban-Anschläge fokussieren würde. Doch nun hat eine klare Verschiebung stattgefunden, womöglich auch aufgrund der Tatsache, dass es einfach nicht anders ging. In Anbetracht der Zunahme und der Brutalität der US-Luftangriffe in Afghanistan kann man sich schon mittels des eigenen Schweigens zum Mittäter machen. Laut einem jüngsten AIHRC-Bericht wurden allein im vergangenen Januar mindestens 50 Zivilisten durch Luftangriffe verletzt oder getötet. Mindestens 17 Todesopfer waren Kinder. "Dies sollte Grund genug sein, um [den Krieg] zu pausieren, vor allem jene, die Luftangriffe durchführen", ließ Shaharzad Akbari, die Vorsitzende von AIHRC, via Twitter verlauten. Ob diese Pause tatsächlich eintritt, werden die nächsten Tage deutlich machen.

Quelle:  NachDenkSeiten - 18.02.2020. Dieser Beitrag ist auch verfügbar als Audio-Podcast .

Veröffentlicht am

21. Februar 2020

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