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Das Virus spielt für Team Trump

Der Präsident nutzt die Epidemie für seine Zwecke. Ungewollt Schwangere, Geflüchtete und die Umwelt zahlen den Preis dafür

Von Konrad Ege

Auch in den USA wird gegenwärtig entschieden, wie die Welt nach der Corona-Pandemie aussehen soll. Die Devise in Donald Trumps Washington lautet: Durchregieren. Im November soll gewählt werden. Mit ihrem Widerstand gegen eine ausgeweitete Briefwahl wollen manche Republikaner die Wählerzahlen drosseln. Zugleich mehren sich Forderungen nach Rückkehr zum "normalen Leben". Häufig kommen diese von rechts. Trump, der vielleicht schon von einer Siegesparade im Krieg gegen das Virus träumt, hört im Sender Fox, dass sich angeblich Hedgefonds-Manager und Unternehmensführer mit solchen Forderungen im Weißen Haus melden. Rechte Verbände wie "Tea-Party-Patrioten" und "Freedom Works" haben ebenfalls genug. Der Präsident, stolz auf "seine" vormals niedrige Arbeitslosenrate, fühlt sich als Opfer. Amerika habe die beste Wirtschaft der Weltgeschichte gehabt, sagt er bei einem seiner Briefings. "Und eines Tages kamen die Experten und haben ganz korrekt gesagt, tut uns leid, Sir, wir müssen unser Land dichtmachen."

Wie dramatisch die Covid-Lage bleibt, wird deutlich, wenn der Gouverneur von New York Mitte April 671 Todesfälle an einem Tag in seinem Staat schon als Fortschritt wertet. Gesellschaftliche Restriktionen zeigen offenbar Wirkung. Die Angst bleibt. Viele Amerikaner suchen vielmals am Tag auf Handy und Bildschirm Nachrichten, von denen irgendetwas Hoffnungsvolles ausgehen könnte. Doch das Positive hält sich in Grenzen. Bei Todes- und Infektionsraten sind die Vereinigten Staaten unangefochten Number ONE.

Die Furcht, sich anzustecken, erfasst vor allem jene, die trotz Pandemie arbeiten müssen. Supermärkte und Lieferfirmen suchen Arbeitskräfte. "Es ist entsetzlich", sagt ein Mann, der bei einem Discounter beschäftigt ist. Er habe riesige Angst. Nach der Schicht werfe er seine Kleidung in die Waschmaschine. Kunden hielten sich nicht an Vorschriften. Manchmal müsse er die Polizei rufen.

Haftanstalten als Brutstätten

Gut 2,3 Millionen Menschen sind in den USA inhaftiert in mehr als 7.000 Haftanstalten. Dort ist Abstand unmöglich. Die Insassen leben häufig zu zweit in Zellen oder sie verbringen die Nächte Bett an Bett in Schlafsälen. In New York City hat eine Rechtshilfeorganisation die Vollzugsbehörde im Namen der Sträflinge des Gefängnisses Rikers Island verklagt, dort sei die Rate der Infizierten pro tausend Personen um ein Vielfaches höher als in Italien. Rikers ist kein Einzelfall. Ein Zuchthaus in Louisiana verzeichnet laut Medienberichten bereits sechs Covid-19-Tote. Inhaftierte verlangen, entlassen zu werden; nur das könne den Ausbruch bremsen. Gefängnisbedienstete denken ähnlich. Die Beamten hätten nicht genügend Reinigungsmittel und Schutzanzüge, klagt die Gewerkschaft der Vollzugsbeamten in New York. Tatsächlich haben die Behörden bereits Tausende von Strafgefangenen auf freien Fuß gesetzt, doch Dringlichkeit ist nicht zu spüren.

Viele Nationen waren nicht vorbereitet auf das Virus, die USA sind in einer Klasse für sich. Das Land erlebt eine Regierung, die Inkompetenz mit Arroganz vermischt. Der republikanische Präsident, seit Jahren auf Kriegsfuß mit der Wissenschaft, meinte noch am 24. Februar: "Wir haben das eindeutig unter Kontrolle." Am 7. März dann, er mache sich keine Sorgen: "We’ve done a great job." Der republikanische Gouverneur von Georgia will erst Anfang April erfahren haben, dass das Virus auch von nicht symptomatischen Trägern verbreitet werde. Der Gouverneur von Florida, ebenfalls Republikaner, war der Ansicht, das Virus sei nicht lebensgefährlich für junge Menschen.

Im fortschrittlichen Amerika macht man sich Hoffnung, das jetzt enorm sichtbare soziale Gefälle und die eskalierende Not von 17 Millionen Arbeitslosen würden zur sozialen Umwälzung führen wie bei der Depression der 1930er Jahre. Noch sind viele Amerikaner aus existenziellen Gründen allein mit den eigenen Sorgen beschäftigt. Und Trumps Republikaner haben das Heft in der Hand. Das Magazin Jacobin hat an Bernie Sanders appelliert, seine Kampagneninfrastrukur trotz des Rückzugs aus dem Wahlkampf nicht aufzulösen. Sie könne mobilisieren für Gerechtigkeit in der Corona-Krise. Sanders dürfe nicht den Fehler von Barack Obama wiederholen, der nach dem Sieg seine Graswurzelkampagne "Organizing for America" demobilisiert habe. Demokratische Gouverneure verfolgen durchaus eine alternative Politik, doch stellt ihre Partei eine schwache, wenig schlagkräftige Opposition dar, die Präsidentschaftsanwärter Joe Biden kaum Rückhalt gibt. Der Kongress macht Sitzungspause. Das Repräsentantenhaus tagt frühestens wieder am 4. Mai. Das Weiße Haus bestimmt den Nachrichtenzyklus, die Hilfsprogramme tragen eine republikanische Handschrift. Vielsagend war der skeptische Kommentar des republikanischen Senators Lindsey Graham: Die vorgesehenen Leistungen seien so hoch, dass sie eine "Büchse der Pandora" öffneten für die Wirtschaft. Zu hohe Stützen lieferten Anreiz, nicht zu arbeiten, so sein Kollege Ben Sasse laut Magazin thehill.com.

Trump nutzt die Krise. Der Präsident hat den Generalinspekteur der Geheimdienste entlassen, der ihm als illoyal aufgefallen war beim Impeachmentverfahren, und gleich noch den Vorsitzenden eines vom Kongress eingerichteten Ausschusses, der die Vergabe von Corona-Hilfsgeldern kontrollieren soll. Trumps Traum von einer dichtgemachten Südgrenze ist Wirklichkeit. Von einer Zeitschrift aufgedeckte interne Anweisungen der Grenzpolizei Border Patrol schreiben vor, dass "Illegale", auch Asylbewerber, umgehend zurücktransportiert werden. Die Order sehe keine medizinischen Untersuchungen vor.

Die Umweltschutzbehörde verzichtet darauf, Vorschriften gegen die Luft- und Wasserverschmutzung zu überwachen. In Texas und Ohio werden Kliniken geschlossen, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen. Das seien keine "wesentlichen Dienstleistungen". Die stark angeschlagene Post sieht sich von Covid-Wirtschaftsmaßnahmen weitgehend suspendiert, manche Republikaner möchten privatisieren.

In Washington werden bald neue Hilfsprogramme ausgehandelt. Ein Streitpunkt ist die Finanzierung der kommenden Präsidentenwahl. Noch fällige Vorwahlen sind bereits verschoben, und man weiß nicht, wie es aussehen wird mit dem Virus am 3. November, ob Bürger wählen können, ohne eine Ansteckung zu riskieren. Wahlrechtsexperten vom Brennan Center in New York haben Pläne vorgelegt, das Briefwahlrecht auszubauen, Fristen zur Stimmabgabe zu verlängern und für das persönliche Votum Orte auszuwählen, an denen hygienische Standards garantiert sind. Es müsste mehr Wahllokale geben, um Menschenansammlungen zu vermeiden.

All das kostet; die Regierung müsse geschätzte zwei bis vier Milliarden Dollar bewilligen, heißt es. Republikanische Politiker sind offenbar nicht interessiert: Trump ist gegen mehr Briefwahlen. Ohne Beweise warnt er, es drohe massiver Wahlbetrug. Wie die Wahlen konkret ablaufen, legen die Bundesstaaten fest. Manche der republikanisch regierten arbeiten seit Jahren an der Unterdrückung von Wählern in Bezirken, die eher demokratisch abstimmen. Die Pandemie bietet neue Möglichkeiten.

Quelle: der FREITAG vom 21.04.2020. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Konrad Ege und des Verlags.

Veröffentlicht am

22. April 2020

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