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Konstantin Wecker: Wir sollten das nie vergessen

Wir begehen in diesem Jahr den 75. Jahrestag der Befreiung Europas vom Nationalsozialismus. Noch immer sind Nazis und "Rechtspopulisten" gemeingefährlich, die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes jedoch ist nicht mehr gemeinnützig. Sie haben richtig gelesen. Ende 2019 entzog das Finanzamt der Organisation die Gemeinnützigkeit mit der Folge, dass sie vor dem finanziellen Ruin steht und ihre wichtige Erinnerungsarbeit vielleicht bald nicht mehr leisten kann. Konstantin Wecker erinnert an die Geschichte des KZs Dachau bei München und ruft dazu auf, das Grauen niemals zu vergessen. Vor allem eines: "bleibt widerständig!"

Von Konstantin Wecker

Liebe Freundinnen und Freunde,

in diesem Jahr feiern wir als Antifaschist*innen weltweit den 75. Jahrestag der Befreiung vom deutschen Nationalsozialismus: Noch vor Corona konnte die Veranstaltung mit den wenigen noch lebenden Auschwitz-Überlebenden auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers stattfinden. Die Befreiungsfeier in der KZ-Gedenkstätte Buchenwald durfte vergangene Woche wegen Corona nur noch digital abgehalten werden.

Am 29. April jährt sich auch die Befreiung des KZ Dachau zum 75. Mal. Dachau war eines der ersten Konzentrationslager der Nazis mit einem eindeutigen Ziel: Der Verfolgung und Vernichtung der politischen Gegner*innen des deutschen Faschismus. Über die Eröffnung des KZ Dachau berichteten fast alle Zeitungen in Deutschland fast wortgleich: "Am Mittwoch wird in der Nähe von Dachau das erste Konzentrationslager eröffnet. Es hat ein Fassungsvermögen von 5.000 Menschen. Hier werden die gesamten kommunistischen und - soweit notwendig - Reichsbanner- und marxistischen Funktionäre, die die Sicherheit des Staates gefährden, zusammengezogen." Die Leser der Münchener Neuesten Nachrichten wurden darüber am Frühstückstisch unter der Schlagzeile "Ein Konzentrationslager für politische Gefangene in der Nähe von Dachau" informiert. In der Frühphase war das KZ Dachau ein Lager zur Abschreckung und zur Repression vor allem gegen Kommunisten, Sozialisten, Gewerkschaftern, Anarchisten und einige aufrechte konservative Politikern, die sich der Vereinnahmung durch die Nazis widersetzten.

Wir sollten das nie vergessen: Erst nach der Ausschaltung der antifaschistischen Opposition konnten die Nazis für den Krieg rüsten und ihren antisemitischen und rassistischen Vernichtungskrieg starten: Die Nazis inhaftieren allein im KZ Dachau bis 1945 insgesamt über 200.000 Menschen und ermordeten etwa 43.000 von ihnen. Anfangs wurden hier vor allem politische Gegner*innen, Juden, Sinti und Roma, Homosexuelle und Geistliche eingesperrt, später dann nach Kriegsbeginn tausende Nazigegner aus ganz Europa. Viele SS-Männer, die später in den Vernichtungslagern in Osteuropa gemordet haben, lernten im KZ Dachau ihr grausames Handwerk. Deshalb wird das KZ Dachau auch als "Schule der Mörder" bezeichnet. Zehntausende KZ-Zwangsarbeiter mussten ab 1939 vor allem in den Rüstungsfabriken im Norden Münchens schuften: Ob in der Produktion von Flugzeugmotoren bei BMW in Allach und Milbertshofen oder in der Panzerfabrik Krauss-Maffei in Allach, ob bei Siemens in Obersendling oder bei Dornier in Neuaubing und in den Junkerswerken in Allach. Kurz vor Kriegsende wurden in den Dachauer Außenlagern noch rund 10.000 Jüdinnen und Juden durch Arbeit vernichtet: Hauptsächlich für die Münchner Baufirma Leonhard Moll sollten die jüdischen KZ-Häftlinge Bunker bauen, in denen die Münchner Rüstungsindustrie weiter für den Endsieg & ihre Profite Menschen bis zum Tod ausbeuten wollte. Aber auch viele andere Münchner Unternehmerfamilien haben ihren Reichtum auch der Ausbeutung von KZ-Häftlingen in der NS-Zeit zu verdanken - sie wurden bis heute nicht enteignet.

Leider muss jetzt auch noch die schon seit Monaten vorbereitete Feier in der KZ-Gedenkstätte Dachau wegen Covid-19 abgesagt werden.

Auch deshalb will ich Euch ein radioFeature meines Freundes Michael Backmund am 18. April 2020 auf Bayern 2 um 13.05 Uhr wärmstens empfehlen: Als Journalist und Autor hat er gemeinsam mit dem Radio-Journalisten Thies Marsen viele beeindruckende Überlebende und Zeitzeug*innen interviewt und in Archiven spektakuläre O-Töne und Dokumente recherchiert. Ihr Radio-Feature "Der lange Kampf um die Erinnerung - Die KZ-Gedenkstätte Dachau und ihre Geschichte" ist ab sofort im Podcast im BR abrufbar. Euch wünsche ich einen bewegenden und informativen Hörgenuss: https://www.br.de/radio/bayern2/radiofeature-kz-gedenkstaette-dachau-100.html

Ich muss Euch aber auch noch von einem handfesten Skandal erzählen: Bayern ist heute das einzige Bundesland, das die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes immer noch vom Geheimdienst beobachten und als verfassungsfeindlich einstufen lässt. Ende 2019 wurde der VVN deshalb vom Finanzamt in Berlin die Gemeinnützigkeit entzogen. 75 Jahre nach dem Ende des Naziregimes steht die Organisation der Nazi-Opfer heute vor dem finanziellen Ruin, nur eine breite Solidaritätsbewegung konnte die VVN bisher retten. Deshalb braucht die VVN jetzt unsere volle Unterstützung, damit der Entzug der Gemeinnützigkeit von der Regierung wieder rückgängig gemacht werden muss.

Ich freue mich übrigens schon auf unser nächstes Konzert zum 75. Jahrestag der Befreiung vom Nationalsozialismus: Am Samstag, 9. Mai 2020, um 20.30 Uhr - wieder live, kostenlos, weltweit und digital gestreamt. Den damaligen Sieg über den deutschen Faschismus wollen wir mit vielen meiner antifaschistischen Lieder der letzten 40 Jahre und Überraschungsgästen aus verschiedenen Ländern feiern. Passt auf euch auf, bleibt gesund, ungehorsam und widerständig.

Euer Konstantin Wecker

Quelle: Hinter den Schlagzeilen - 20.04.2020.

Veröffentlicht am

26. April 2020

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