Dramatischer Anstieg weltweit: Rekordwert bei Menschen auf der Flucht, kaum Veränderung in DeutschlandDie Zahl der Menschen auf der Flucht ist im vergangenen Jahr weltweit auf ein Rekordhoch gestiegen. Nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR sind 79,5 Millionen Menschen auf der Flucht - mehr als ein Prozent der Weltbevölkerung. Das ist nicht nur ein Anstieg von fast neun Millionen Menschen zum Vorjahr. Es ist zugleich die größte Zahl an gewaltsam Vertriebenen, die UNHCR in seiner 70-jährigen Geschichte je registriert hat. In Deutschland und Europa hingegen hat sich die Situation kaum geändert. Dem am Donnerstag veröffentlichten Weltflüchtlingsbericht "Global Trends" zufolge gab es zum 31. Dezember 2019 weltweit 29,6 Millionen Menschen, die in ein anderes Land flüchten mussten. Dazu zählen 3,6 Millionen Venezolaner, die in die Nachbarländer geflohen sind. Hinzu kommen 45,7 Millionen Binnenvertriebene, also Menschen, die innerhalb ihres eigenen Landes auf der Flucht sind. Diese Zahl stieg deutlich um 4,4 Millionen Menschen. Auch die Zahl der Asylsuchenden, über deren Status also noch nicht entschieden ist, wuchs deutlich: Die 4,2 Millionen bedeuten 20 Prozent mehr als im Jahr zuvor. "Wir beobachten eine veränderte Realität. Vertreibung betrifft aktuell nicht nur viel mehr Menschen, sondern sie ist auch kein kurzfristiges und vorübergehendes Phänomen mehr", sagte Filippo Grandi, Hoher Kommissar der Vereinten Nationen für Flüchtlinge. "Von den Betroffenen kann nicht erwartet werden, jahrelang in Ungewissheit zu leben, ohne die Chance auf eine Rückkehr und ohne Hoffnung auf eine Zukunft an ihrem Zufluchtsort. Wir brauchen eine grundlegend neue und positivere Haltung gegenüber allen, die fliehen - gepaart mit einem viel entschlosseneren Bestreben, Konflikte, die jahrelang andauern, zu lösen, und die Ursache dieses immensen Leidens sind." Mit insgesamt 79,5 Millionen Menschen hat sich die Zahl der Vertriebenen innerhalb von nicht einmal zehn Jahren nahezu verdoppelt, von 41 auf 79,5 Millionen. Wäre das ein eigener Staat, wäre es das zweitgrößte Land Europas gleich hinter Deutschland und auch weltweit einer der größten 20 Staaten. Drei Viertel der Flüchtlinge, 73 Prozent, leben im direkten Nachbarland - immer in der Hoffnung, schnell nach Hause zurückehren zu können. 85 Prozent aller Flüchtlinge fanden in ärmeren Ländern Schutz. In Europa leben weniger als 10 Prozent der weltweiten Flüchtlinge. Rechnet man die Binnenvertriebenen mit ein, sinkt der Anteil auf 3,24 Prozent. Für Deutschland werden 1.146.685 Flüchtlinge gemeldet. Das sind 82.848 mehr als im Jahr zuvor. Das geht vor allem auf Menschen zurück, die schon in Deutschland waren und deren Fälle nun bearbeitet sind. Die Zahl der Asylsuchenden sank dementsprechend um fast genau 60.000 von 369.284 auf 309.262. Deutschland ist weiter das fünftgrößte Gastland für Flüchtlinge. International leben die meisten in der Türkei mit 3,6 Millionen, gefolgt von Kolumbien mit 1,8 und Pakistan und Uganda mit jeweils etwa 1,4 Millionen. Pro Kopf der Bevölkerung haben andere Länder sogar noch mehr Flüchtlinge aufgenommen als die Türkei, wo jeder 23. Einwohner ein Flüchtling ist. In Jordanien ist es jeder 15., in Curacao jeder 10. und in Libanon sogar jeder 7. Einwohner. Am größten ist der Anteil aber im kleinen Aruba. Die Inselnation vor der Küste Venezuelas hat nur etwa 112.000 Einwohner. Jeder sechste Mensch auf den Inseln ist aber ein Flüchtling. Mehr als zwei Drittel, 68 Prozent, all dieser Menschen kommen aus nur fünf Ländern: 6,6 Millionen aus Syrien, 3,7 Millionen aus Venezuela, 2,7 Millionen aus Afghanistan, 2,2 Millionen aus dem Südsudan und 1,1 Millionen aus Myanmar. Der Bericht zeigt ebenfalls auf, dass die Chancen von Flüchtlingen auf ein rasches Ende ihrer Notlage zunehmend schwinden. Konnten in den neunziger Jahren jedes Jahr noch durchschnittlich 1,5 Millionen Flüchtlinge nach Hause zurückkehren, so ist diese Zahl in den letzten zehn Jahren auf rund 390.000 gesunken. Es gibt also ein massives Ungleichgewicht zwischen Vertreibung und Lösungen. Der starke Anstieg von 70,8 Millionen Ende 2018 auf 79,5 Millionen ein Jahr später ist auf zwei Hauptfaktoren zurückzuführen: Zum einen ist die Zahl der Binnenvertriebenen vergangenes Jahr besorgniserregend gestiegen, insbesondere in der Demokratischen Republik Kongo, der Sahelzone, im Jemen und in Syrien. Der Krieg in Syrien dauert mittlerweile neun Jahre und hat 13,2 Millionen Menschen zu Flüchtlingen, Asylsuchenden und Binnenvertriebenen gemacht - das ist allein ein Sechstel der weltweiten Gesamtzahl. Zweitens wird im aktuellen Bericht die Situation der Venezolaner außerhalb ihres Landes erstmals besser abgebildet. Viele von ihnen sind weder als Flüchtlinge noch als Asylsuchende registriert, sie brauchen aber ebenso Schutz. Hinter diesen Zahlen steht eine Vielzahl von Schicksalen. Die Zahl der vertriebenen Kinder - Schätzungen gehen von 30 bis 34 Millionen unter 18 Jahren aus, Tausende davon sind unbegleitet - übersteigt beispielsweise die Bevölkerung von Australien, Dänemark und der Mongolei zusammengenommen. Die Zahl der Vertriebenen, die über 60 Jahre alt sind, weist wiederum in eine andere Richtung: Während sie nur vier Prozent der Vertriebenen ausmachen, sind es insgesamt etwa 12 Prozent - eine Zahl, die die Trennung von geliebten Menschen und damit verbundenes Leid und Verzweiflung widerspiegelt. Fakten zu Flucht und Vertreibung auf einen Blick:
Quelle: UNHCR Deutschland - Pressemitteilung vom 18.06.2020. Veröffentlicht amArtikel ausdrucken |
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