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Das Ende einer Illusion

Die Zeit des Wachstums durch billige Energie ist vorbei. Doch ist grüner Kapitalismus wirklich eine Alternative?

Von Bruno Kern

Die Menschheit verhält sich zurzeit wie jemand, der vom Dach eines Hochhauses springt und sich während des Falls immer wieder selbst bestätigt, dass es bis jetzt ja gut gegangen sei." So beschreibt Dennis Meadows das gegenwärtige Denken. Meadows hatte bereits 1972 für den Club of Rome die "Die Grenzen des Wachstums" beschrieben. Seine Erkenntnis, wonach es in einer endlichen Welt kein unendliches Wachstum geben könne, sorgte für viel Furore und fand auch in der Theologie einen starken Widerhall. Dafür stehen Namen wie Helmut Gollwitzer, Dorothee Sölle, aber auch Eugen Drewermann. Dennoch wurde Meadows weder in der Politik noch von der überwiegenden Mehrheit der Wirtschaftswissenschaftler ernst genommen, von den Spitzenmanagern ganz zu schweigen.

Effizienz: Lösung oder Schein?

Inzwischen hat sich die Situation erheblich zugespitzt. Während Meadows vor allem die Erschöpfung der natürlichen Rohstoffe analysierte, sprechen Wachstumskritiker wie der indische Buchautor Saral Sarkar heute von einem "Zangengriff": Die Welt erlebt, wie die fossile Energiebasis wegbricht, die Rohstoffe knapper werden, das Klima und die gesamte Biosphäre aus dem Gleichgewicht geraten. Dazu kommen die Wachstumsprobleme der kapitalistischen Ökonomie. Sie steigert durch die globale Konkurrenz ständig die Produktivität, findet aber - auch angesichts gesättigter Markte - nicht mehr die nötige kaufkräftige Nachfrage.

Während dieses Dilemma inzwischen weder von aufgeklärten Konservativen noch von Grünen oder Linken bestritten wird, sind die Lösungsvorschläge äußerst kontrovers. Seit gut zwei Jahrzehnten setzen renommierte ökologische Vordenker, Umweltverbände, Institute und nicht zuletzt die Mehrheit der Partei Bündnis 90/Die Grünen auf die Steigerung der Effizienz. Mithilfe einer intelligenteren Technik und einem anderen Saft in den Stromleitungen, nämlich grünem Strom, soll der "doppelte Wohlstand bei halbem Energieverbrauch" erwirtschaftet werden, so der Sozialdemokrat und Umweltwissenschaftler Ernst-Ulrich von Weizsäcker. In seinem neuen Buch fordert der Ökonom sogar die Entkoppelung von Wohlstand und Ressourcenverbrauch um den Faktor fünf - der gleiche Wohlstand mit nur zwanzig Prozent der Ressourcen, die heute notwendig sind.

Für viele Wissenschaftler beruhen diese Hoffnungen jedoch auf unhaltbaren Glaubensannahmen. Fred Luks, der Nachhaltigkeitsmanager der Bank Austria, macht eine andere Rechnung auf: Wenn wir davon ausgehen, dass wir bis zum Jahr 2050 in den Industrieländern unseren Energie- und Ressourcenverbrauch um neunzig Prozent senken müssten (was weitgehend Konsens ist), dann wurde das bei einem bescheidenen Wirtschaftswachstum von zwei Prozent eine Effizienzsteigerung um das 27-Fache voraussetzen, bei einem Wachstum von drei Prozent um das 43-Fache.

Dazu kommt, dass internationale Studien die existierenden Effizienzpotenziale weltweit als wesentlich geringer veranschlagen, als dies Ernst-Ulrich von Weizsäcker tut. Zum Beispiel Strom aus erneuerbaren Energien. Es ist wahr, dass uns "die Sonne keine Rechnung schickt", wie dies der Publizist Franz Alt so gerne formuliert. Aber das ist eben nur die halbe Wahrheit. Die Nutzbarmachung der kostenlosen Energie aus Sonnenlicht und Wind erfordert selbst einen Input an Ressourcen und Energie, der meist nicht ehrlich in die Energiebilanzen einbezogen wird. Der Mathematiker und Bioökonom Nicolae Georgescu-Roegen, einst Pionier der radikalen Wachstumskritik, hat schon vor mehreren Jahren zwischen "machbaren" und "lebensfähigen" Energien unterschieden. Lebensfähig sei eine Energieform dann, wenn sie sich selbst reproduzieren könne. Das heißt: Wenn sie aus eigener Kraft jene technischen Voraussetzungen inklusive dazugehöriger Infrastruktur erzeugen kann, die sie braucht, um selbst Energie zu erzeugen. Zurzeit werden die erneuerbaren Energietechniken mithilfe von fossilen Ressourcen hergestellt, die in diesem Ausmaß nicht mehr lange zur Verfügung stehen.

Dazu kommt, dass die Energiebilanzen nicht ehrlich sind, da sie die technischen Vorleistungen zur Produktion von sauberer Energie nicht miteinbeziehen. Um etwa die Energiebilanz einer Fotovoltaik-Anlage ehrlich aufzustellen, müsste man anteilsmäßig zumindest bei der Produktion der Bagger beginnen, die den Sand schaufeln. Eine solche Rechnung ist im Hinblick auf die tatsächliche Energieausbeute ernüchternd. "Erneuerbar" heißt eben nicht "unerschöpflich".

Deshalb führt für viele Wachstumskritiker kein Weg an der Einsicht vorbei: Wir werden in Zukunft schlicht mit erheblich weniger Nettoenergie auskommen müssen. Wenn dies so ist, gilt es dafür zu sorgen, dass der unvermeidliche Schrumpfungsprozess solidarisch gestaltet wird.

Dabei hinkt die wachstumskritische Diskussion in Deutschland weit hinter dem Ausland her. Vor allem in Frankreich hat sich um das Schlagwort von der "Décroissance " - das deutsche Wort "Schrumpfung" übersetzt diesen eleganten Ausdruck leider allzu plump - längst eine lebendige Bewegung gebildet. Die Popularität dieser Bewegung kommt nicht zuletzt darin zum Ausdruck, dass "Décroissance" längst zum politischen Kampfbegriff avanciert ist.

Eine Kultur des Genug

In Deutschland konzentrieren sich auch "alternative" Ökonomische und politische "Denkfabriken" wie etwa die Memorandum-Gruppe oder das Institut für solidarische Moderne auf einen grünen Keynesianismus - und damit auf den Versuch, die Krise und den Ökologischen Umbau mithilfe staatlicher Investitionsprogramme zu bewältigen. Damit halten sie mit anderen Mitteln am herrschenden Wachstumskurs fest. Eine Ausnahme ist der Oldenburger Ökonom Niko Paech. Er gilt heute als der führende "Postwachstumsökonom" hierzulande. In seinen Analysen weist er unaufhörlich darauf hin, dass Effizienzgewinne in der gegenwärtigen Ökonomie zumeist durch Mehrverbrauch ausgeglichen werden. Was nützen sparsamere Autos, wenn mehr gefahren wird? Und Paech sieht vor allem in den "langen Wertschöpfungsketten" eine wesentliche Triebkraft des Wachstums - wenn Produkte in einem stark aufgesplitteten, meist globalen Prozess erzeugt werden.

Nico Paech entdeckt in der "notwendigen Reduktion unseres Konsums" Vorteile: Die Menschen gewännen wieder "Macht über ihr Dasein, mehr Zeitwohlstand" und ein gutes Leben jenseits eines immer absurderen Güterkonsums. Paech unterstützt dafür alle Ansätze, die der herrschenden Ökonomie durch den Aufbau von Selbstversorger- und Solidarstrukturen von unten den Rücken zukehren. Und er insistiert darauf, dass der Exodus aus der Wachstumsökonomie mit einem tiefgreifenden kulturellen Wandel einhergehen müsse.

Genau hier kämen Theologie und Kirchen ins Spiel. Die Sozialwissenschaftlerin Marianne Gronemeyer erklärt das Verlangen vieler Menschen nach "Immer mehr" aus der Verdrängung der Endlichkeit und aus dem Kampf gegen den Tod, der seit der großen Pestkatastrophe im 14. Jahrhundert nicht mehr heilsgeschichtlich "gebändigt" werden konnte. Nicht zuletzt an solchen Analysen hätte Theologie anzusetzen und mitzuarbeiten an dem kulturellen Wandel, an einer befreienden politischen Spiritualität, ohne die die Überwindung des "tödlichen Fortschritts" kaum gelingen wird.

Bruno Kern ist Theologe und Philosoph. Er arbeitet zurzeit als selbstständiger Lektor und Übersetzer in Mainz. Er ist Gründungsmitglied der "Initiative Ökosozialismus" (www.oekosozialismus.net).

Quelle: Publik-Forum , Nr. 9/2011, S. 22f. - Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Bruno Kern und des Verlags

Veröffentlicht am

20. Mai 2011

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