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Die Kooperation für den Frieden wertet das kommende Grundsatzprogramm der Partei Bündnis 90/Die Grünen als eine friedenspolitische Katastrophe

Auf seiner diesjährigen Vollversammlung hat sich die Kooperation für den Frieden, ein Dachverband der Friedensbewegung, dem mehr als 50 friedenspolitische Organisationen und Initiativen angehören, unter anderem mit dem Entwurfstand des Grundsatzprogramms der Partei Bündnis 90/Die Grünen auseinandergesetzt. Die im Text skizzierte außen- und sicherheitspolitischen Positionen wurden mehrheitlich als eine friedenspolitische Katastrophe gewertet.

Deswegen wendet sich die Kooperation mit einem Offenen Brief an die Partei- und Fraktionsvorsitzenden von Bündnis 90/Die Grünen, die sich in der Grundsatzprogrammvorlage explizit auf ihre Herkunft aus der Friedensbewegungen berufen. Im Schreiben werden die im Papier von Bündnis 90/Die Grünen vorgestellten Maßnahmen in Bezug auf unter anderem Atomwaffen, steigende Rüstungsausgaben und anstehende Rüstungsprojekte sowie die Auslandseinsätze der Bundeswehr für die Friedensbewegung als völlig unzureichend bezeichnet. Die niedergelegte Programmatik sei kontraproduktiv für eine Strategie der Entspannung und Abrüstung und könne die Bearbeitung der multiplen Krisen, sei es das Klima, das soziale Auseinanderdriften oder die weltwirtschaftlichen Ungleichheiten als Konflikt- und Kriegsursachen, nicht zielführend leisten.

Es folgt der offene Brief an die Vorsitzenden Annalena Baerbock und Robert Habeck und an die Mitglieder der Partei Bündnis 90/Die Grünen.

Ist euch "Frieden" noch wichtig?

Liebe Mitglieder der Partei Bündnis 90/ Die Grünen, liebe Vorsitzende,

aufmerksam haben wir den Entwurf eures Grundsatzprogramms gelesen, in dem ihr eingangs auf eure friedensbewegten Wurzeln verweist. Als Kooperation für den Frieden, einem Zusammenschluss der Friedensbewegung, gilt unser Interesse besonders den grundsätzlichen Fragen von Frieden und Abrüstung. Wir beobachten neuen Unfrieden in der Welt: weltweite Aufrüstung, einen steigenden Waffenhandel, ein Auslaufen/Kündigen von Abrüstungsverträgen, neue Atomwaffen, die Zunahme von Spannungen und die Verletzung von internationalem Recht. Wie finden wir aus einer Situation heraus, die Nobelpreisträger des Bulletin of Atomic Scientists auf ihrer Weltuntergangsuhr als 100 Sekunden vor 12 beschrieben haben? Neugierig durchsuchten wir den Entwurf des Grundsatzprogramms nach Analysen und Antworten.

Wie kann die Atomwaffengefahr verringert werden? Es ist gut, auf den neuen Atomwaffenverbotsvertrag hinzuweisen, es braucht jedoch ein deutlicheres Bekenntnis, um Deutschland dazu zu verpflichten.

Eingangs erwähnt ihr die Friedensbewegung als eine der Wurzeln der Partei. Nach der Durchsicht des Programmentwurfs fehlen uns aber entscheidende Positionen aus der Friedensbewegung.

So wollt ihr beispielsweise den Rüstungsexport nach europäischen Normen gestalten, also weg von den etwas schärferen deutschen Richtlinien. So erlaubt ihr mehr Waffenexporte aus Deutschland.

Ihr redet der "Anwendung militärischer Kriegsgewalt" das Wort, wenn ihr schreibt, dass die Unterlassung zu noch größerem Leid führen könne. Das Konzept der Schutzverpflichtung, das seit dem Libyen-Krieg verbrannt ist, rückt ihr in die Nähe von internationalem Recht. Hat nicht der Libyen-Krieg gezeigt, dass man zwar einen Diktator von außen wegbomben kann, aber sich für die Menschen damit im Land kein Friede und keine Demokratie ergibt?

Wenn bewaffnete Auslands-Einsätze der Bundeswehr auf dem Grundgesetz basieren, wie ihr schreibt, dann wollt ihr diese nicht einmal auf die UNO beschränken, Militärinterventionen der NATO und der EU sind für euch ebenso denkbar. Sie sind völkerrechtswidrig. Angesichts des Desasters aller Militärinterventionen seit dem 11.09.2001 wäre eine grundlegende Absage an die Interventionspolitik notwendig. Kriege und Militär lösen keine Probleme, s sondern verschärfen sie nur. Menschenrechte lassen sich durch und im Krieg niemals verteidigen. Frieden ist das erste Menschenrecht!

Abrüstung schreibt ihr als Aufgabe in eurem Programm fest. Es fehlt aber die Angabe von Schritten hin zu diesem großen Ziel. "Bei uns anfangen" hieß es in früheren Grünen Programmen. Das scheint uns gerade angesichts des überdimensionierten Verteidigungshaushaltes absolut notwendig. Die klare Absage an die 2% und auch an die weltweiten zwei Billionen Dollar für Rüstung und Krieg und ein klares Bekenntnis zu den Sustainable Development Goals, die nur mit Abrüstung erreicht werden können, würden den globalen friedenspolitischen Teil eures Grundsatzprogramms lebensnäher und aktiver machen.

Abrüstung heißt aber auch, die Ausgaben der NATO zu kürzen und eine Diskussion über die Zukunft dieses Militärbündnisses zu führen. Die NATO ist seit der Auflösung des Warschauer Paktes obsolet. Ihre Existenz bedeutet, Friedenspolitik an das Militär und exklusiv an das Militär zu delegieren statt auf ein europäisches Sicherheitssystem unter Einbeziehung von Russland zu setzen. Die Grundgedanken von gemeinsamer Sicherheit sollten in ein kooperatives, kollektives Sicherheitssystem in Europa einfließen. Das würde die Konfrontation massiv reduzieren. Zu diesen Herausforderungen findet sich leider kaum etwas in dem Grundsatzprogramm.

Ihr vermeidet einzelne Länder zu nennen, wie Russland, Ukraine etc., nennt aber Israel: "Das Existenzrecht und die Sicherheit Israels mit gleichen Rechten für all seine Bürger*innen sind unverhandelbar.". Dem stimmen wir zu. Aber es braucht eine Friedenslösung im gesamten Nahen Osten, die auch das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser*innen berücksichtigt. Dies fehlt uns in eurem Papier.

Uns fehlt auch der Grundgedanke von Willy Brandt, "Krieg ist die ultima irratio" - eine grundlegende Absage an Krieg als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Es genügt nicht, Ziviler Konfliktbearbeitung den Vorrang vor Krieg einzuräumen. Es gibt keinen gerechten Krieg! Frieden ist die Herausforderung für die Gestaltung der Zukunft - das wäre die Vision, die wir uns für ein Programm von Bündnis 90/Die Grünen wünschen würden. Müsste nicht ein Grundsatzprogramm von Bündnis 90/Die Grünen argumentativ und emotional viel stärker vom Friedensgedanken abgeleitet und durchzogen sein?

Darüber zu diskutieren, ja zu streiten, scheint uns gerade angesichts der großen ökologischen, ökonomischen und friedenspolitischen Herausforderungen notwendig. Wir hoffen, dass unser Brief zu einer konstruktiven Diskussion beiträgt. Wir sind gerne bereit, uns an ihrer Fortführung zu beteiligen.

Für den Rat der Kooperation für den Frieden: Jens-Peter Steffen, Wiltrud Rösch-Metzler und Philipp Ingenleuf.

Veröffentlicht am

20. November 2020

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