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1941: Die Killer kommen

Der NS-Staat rüstet zum Überfall auf die UdSSR. Nicht nur die Aggression an sich, auch die wirtschaftliche Ausbeutung zu erobernder Gebiete ist minutiös durchgeplant.

Von Lutz Herden

Seit Deutschland ab September 1939 in Europa Krieg führt, ist Alfred Rosenberg als Chefideologe des Regimes vorübergehender Versenkung entrissen. Erst führt er einen Stab, der in Polen, Frankreich und Belgien Kulturgüter raubt, dann folgt am 20. April 1941 eine wegweisende Beförderung: Rosenberg wird "Beauftragter des Führers für Fragen des osteuropäischen Raumes". Nach dem Überfall auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 darf er sich "Reichsminister für die besetzten Ostgebiete" nennen. Die im Berliner Tiergarten residierende Zentralinstanz verantwortet den Massenmord an der jüdischen Bevölkerung im Baltikum, in Belarus und der Ukraine ebenso wie die Ausbeutung eroberter Gebiete. Da der "bolschewistische Gegner" in einem "erbarmungslos zu führenden Weltanschauungskrieg" in kurzer Zeit überrannt sein werde, so Hitler, müsse dafür gesorgt sein, dass er sich nie mehr erholt.

Was dazu im Frühjahr 1941 an institutionellen Vorkehrungen und Entscheidungen getroffen wird, widerlegt die teils bis heute kolportierte These vom "Präventivkrieg" gegen Stalin. Danach habe die Wehrmacht im Osten handeln müssen, um einem Angriff der Roten Armee zuvorzukommen. Das deutsch-sowjetische Verhältnis sei nach dem Nichtangriffspakt vom August 1939 zerrüttet gewesen. Da die Wehrmacht im Jahr 1940 Großbritannien nicht in die Knie zwingen konnte und eine Invasion ("Operation Seelöwe") zu riskant erschien, habe die Führung in Moskau das III. Reich in einem Moment der Schwäche und strategischen Verwirrung treffen wollen.

Tatsächlich unterschreibt Hitler schon vor dem Berlin-Besuch von Außenminister Molotow, der am 12. und 13. November 1940 die Beziehungen vor dem Kollaps bewahren soll, die Führerweisung Nr. 18. Darin heißt es: "Gleichgültig, welches Ergebnis diese Besprechungen haben werden, sind alle befohlenen Vorbereitungen für den Osten fortzusetzen. Weisungen darüber werden folgen, sobald die Grundzüge des Operationsplanes des Heeres mir vorgetragen … sind." Nachdem Hitler das Aufmarschszenario für 3,3 Millionen Soldaten in 153 Divisionen an der Grenze zur Sowjetunion gebilligt hat, folgt am 18. Dezember 1940 direkte Order zum "Unternehmen Barbarossa". Dies geschieht lange bevor Anfang Juni 1941 die üblichen Sommermanöver der sowjetischen Streitkräfte die NS-Führung angeblich glauben lassen, diese wollten aus der Bewegung heraus angreifen.

Tatsächlich legt Franz Halder als Generalstabschef des Heeres bereits Ende 1940 Planungen vor, nach denen ein "Blitzkrieg" im Osten spätestens Ende Mai beginnen und maximal 16 Wochen dauern soll. In dieser Zeit müsse man die Linie Archangelsk–Astrachan erreichen, um freie Hand für die Einnahme Moskaus vor Einbruch des Winters zu haben. Beschlossen ist, dass mit dem Vormarsch sofort die ökonomische Ausbeute gesichert wird. Aus einer Aktennotiz über eine Konferenz von Staatssekretären der Reichsregierung mit Reichsmarschall Göring und dem "Ostbeauftragten" Rosenberg am 2. Mai 1941 geht hervor, dass man den Weltkrieg nur weiterführen könne, "wenn die gesamte Wehrmacht im 3. Kriegsjahr aus Russland ernährt wird". Am wichtigsten seien "Bergung und Abtransport von Ölsaaten, Ölkuchen, dann erst Getreide". Welches Schicksal der sowjetischen Zivilbevölkerung zugedacht ist, hat man gleichfalls festgehalten: "Hierbei werden zweifellos zig Millionen Menschen verhungern, wenn von uns das für uns Notwendige aus dem Lande herausgeholt wird."

Darum zu kümmern haben sich Wirtschaftsmonopolgesellschaften, die nach einem Göring-Erlass vom 27. Juli 1941 gegründet werden, darunter eine Zentralhandelsgesellschaft Ost für landwirtschaftlichen Absatz, eine Ukraine-Ölvertriebsgesellschaft, eine Chemie Ost GmbH und eine Berg- und Hüttenwerksgesellschaft Ost. Die kurz Ostgesellschaften genannten 13 neuen Behörden residieren im Berliner Zentrum und in Charlottenburg, sind weder getarnt noch zu übersehen. Am 23. Mai 1941 verständigt sich an ihrem Sitz in der Linkstraße die Gruppe Landwirtschaft des Wirtschaftsstabes Ost darauf, dass man die sowjetische Schwarzerde-Zone (gemeint sind die etwa 170.000 Quadratkilometer großen, fruchtbaren Anbaugebiete für Getreide um Kursk, Lipezk und Woronesch) nach erfolgter Besetzung sofort abriegeln müsse. Es gelte, "unter allen Umständen mehr oder weniger hohe Überschüsse aus diesen Gebieten für uns greifbar zu machen", so das Sitzungsprotokoll. Konsequenz sei die "Nichtbelieferung der gesamten Waldzone, einschließlich der wesentlichen Industriezentren Moskau und Petersburg". Dadurch würden in jenen Regionen etwa zehn Millionen Menschen "überflüssig und entweder sterben oder nach Sibirien auswandern müssen".

Dazu passend hat Generalstabschef Halder am 30. März 1941 in seinem Tagebuch notiert: "Der Kampf wird sich sehr unterscheiden vom Kampf im Westen. Im Osten ist Härte mild für die Zukunft". Hitlers General, der 1945 "entnazifiziert" wurde, arbeitete danach jahrelang für die Operational History German Section der US-Armee und konnte bis zu seinem Tod 1972 unbehelligt in der Bundesrepublik Deutschland leben. Im November 1941 hat er auch gegen jene "Härte" nichts einzuwenden, wie sie General Georg von Küchler bei Leningrad vorführt. Dort werden in einer Heilanstalt 230 epilepsiekranke Frauen erschossen, um Quartier für Küchlers Stab zu machen. Dazu Halder im Führerhauptquartier: "Russen sehen Geistesschwache als heilig an. Trotzdem Tötung notwendig."

Die erklärte Absicht des Aggressors, den sowjetischen Staat zu schlagen, indem sein wirtschaftliches Fundament zerschlagen wird, führt freilich zu einem Dilemma. Was zerstört wird, fehlt der deutschen Kriegswirtschaft. Die konnte den Handelspartner Sowjetunion bis dahin kaum entbehren. Noch am 10. Januar 1941 haben Berlin und Moskau einen Handelsvertrag unterzeichnet, der pro Jahr 2,5 Millionen Tonnen Getreide, eine Million Tonnen Rohöl und Ölderivate, 100.000 Tonnen Baumwolle, dazu Chrom- und Manganerz aus dem Osten verspricht. Es geht um Rohstoffe, auf die Deutschland außerhalb Europas keinen Zugriff mehr hat. Noch in der Nacht vom 21. auf den 22. Juni 1941, Stunden bevor ein Vernichtungsfeldzug ohnegleichen beginnt, rollen Züge über die Grenzbahnhöfe Brest-Litowsk und Przemyśl Richtung Westen. Hitler hätte nicht halb Europa besetzen und gegen Großbritannien Krieg führen können, wären diese Ressourcen ausgeblieben. Die Aussicht, davon nichts mehr entgelten zu müssen – noch im Mai 1941 werden unter anderem Maschinen und Flugzeugmotoren exportiert – treibt das "Unternehmen Barbarossa" gehörig voran. Von der Sowjetunion soll nichts sonst übrig bleiben als eine zur Kolonie degradierte Ressourcen-Deponie, in der "minderwertige Völker" bestenfalls als Arbeitssklaven eines germanischen Weltreichs geduldet sind.

Ungeachtet dessen mahnt Göring Ende Juli 1941, gut einen Monat nach Angriffsbeginn, per Anordnung, "in den besetzten russischen Gebieten die gesamte Wirtschaft baldigst wieder in Ordnung zu bringen". Es brauche eine klare "Schwerpunktbildung bei den Wirtschaftszweigen, die für die deutsche Kriegswirtschaft entscheidend sind". Dafür lässt sich auch die deutsche Privatwirtschaft gern in die Pflicht nehmen, allen voran die chemische Industrie und der I. G.-Farben-Konzern. Dessen Verbindungsstelle Ost vermerkt am 3. Januar 1942 in einem Bericht an die Konzernzentrale Frankfurt/Main zu ihrem Engagement, "es sei nochmals der Grundsatz erwähnt, dass der Osten als reines Agrar- und Rohstoffland zu betrachten ist".

Besonders Propagandaminister Goebbels hat sich bei Hitler im April 1941 für den "Ostminister" Rosenberg eingesetzt, für den sich schließlich ein Lebenswerk erfülle, wenn der Bolschewismus "wie ein Kartenhaus" zusammenbreche. "Und haben wir gesiegt, wer fragt uns nach der Methode. Wir haben sowieso soviel auf dem Kerbholz, dass wir siegen müssen … also ans Werk!"

Quelle: der FREITAG vom 04.04.2021. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

Veröffentlicht am

08. April 2021

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