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Krieg ist Big Business

Die Lobbyisten der Rüstungsindustrie reden selten vom Geschäft, aber häufig und gerne von Sicherheit, Moral und Verantwortung.

Von Helmut Scheben

Der größte Arbeitgeber der USA ist das Verteidigungsministerium. Laut eigenen Angaben beschäftigt der  militärische Apparat  derzeit 2,91 Millionen Menschen an 4800 Orten in 160 Ländern. Die Raumfahrt als eng mit militärischer Strategie verflochtene Sparte könnte man wohl dazu rechnen, ebenso zahlreiche PR-Denkfabriken und nicht zuletzt ein paar Millionen US-Veteranen und ihre Angehörigen, die mit mehr oder weniger beträchtlichen Leistungen auf der Payroll des Pentagons stehen.

Die US-Army verbraucht weltweit Tag für Tag soviel Erdöl wie das ganze Land Schweden ebenfalls an einem Tag. Von Nahrung und Kleidung über Transport und Bauwesen bis zu den IT-Konzernen gibt es keine Branche, die nicht mit Milliarden-Aufträgen am Tropf des Militärs hängt. Für die Fabrikation des F-35 sind 1250 US-Firmen unter Vertrag. Die Beschaffungskanäle (supply chain) erstrecken sich  auf 45 US-Bundesstaaten .

Aufrüstung und Krieg waren schon immer Wirtschaftsmotoren der Industriestaaten, unterdessen sind sie Big Business geworden. Die Mythologie vom "Krieg gegen den Terror" funktioniert seit 9/11 als wirkungsvolle politische Anästhesie, welche die Öffentlichkeit an den permanenten Krieg als den Normalzustand gewöhnt hat. Die militärischen Angriffe der Nato-Alliierten auf "Schurkenstaaten" werden weitherum als unvermeidlich akzeptiert.

Dabei fällt gerne unter den Tisch, dass die Kriege in Afghanistan, Irak, Libyen, Syrien oder in der Sahelzone die Motoren einer Geldmaschine sind, die Jahr für Jahr enorm viel Cash in die Kassen der größten US-Konzerne und ihrer Aktionäre leitet.

Als in den USA Brücken und Dämme einstürzten, an Gesundheitsversorgung und Bildung gespart werden musste, hatten die Neoliberalen in Washington keine Bedenken, sich aufs keynesianische "Deficit Spending" zu berufen, als es darum ging, den Rüstungs-Moloch zu füttern.

Das Geschäft folgt der Logik von Zerstörung und Wiederaufbau. Die Luftwaffe legt die Infrastruktur eines Landes wie Irak in Schutt und Asche. Dann beginnt mit dem "Wiederaufbau" der große Reibach westlicher Unternehmen. Vizepräsident Dick Cheney war einer der schärfsten Kriegstreiber und zuvor Vorstandsmitglied des Halliburton-Konzerns, welcher wiederum ohne öffentliche Ausschreibung den Auftrag erhielt, den kaputtgebombten Irak zu sanieren. Ein open-end Auftrag.

"Ordnungsmacht", "Sicherheit" und andere wohltönende Vokabeln

Ihre großen Geschäftsinteressen vernebeln die Sicherheits-Experten und Lobbyisten der Rüstungsindustrie mit abstrakten Textbausteinen. Sie sagen nicht, mit Krieg und Aufrüstung werde gut Geld verdient. Stattdessen sagen sie zum Beispiel, Deutschland müsse "mehr für die Sicherheit Europas tun" und könne sich "seinen Schutzschirm nicht von den USA bezahlen lassen." Oder sie sagen: Die USA sollten sich unter Präsident Biden endlich wieder "als Ordnungsmacht zurückmelden". Solche Sprachhülsen verbreiten  große Medien  meistens ohne sie zu hinterfragen. Und eine breite Öffentlichkeit schluckt sie.

Kaum jemand stellt die Frage, welches Gremium der Völkergemeinschaft den Staat, der als einziger auf der Welt Atombomben auf Städte geworfen hat, als "Ordnungsmacht" gewählt hat. Ist mit der viel beschworenen Völkergemeinschaft die Nato gemeint? Soll ein Land mit 5550 Nuklearsprengköpfen  automatisch die Weltordnungsmacht sein?

Den Anspruch, für Ordnung auf dem ganzen Planeten zu sorgen, begründet die Nato mit der Verteidigung von Freiheit, Rechtstaatlichkeit und Demokratie in den westlichen Industriestaaten. Diese Werte seien gefährdet, falls die USA nicht die weltbeherrschende Macht bleiben. Deshalb gelte es, die Vormachtsstellung mit allen Mitteln zu verteidigen, auch mit Waffengewalt in fernen Weltgegenden.

Ob diese Mittel geeignet und nötig sind, um die besagten Werte zu verteidigen, steht kaum zur Diskussion. Zweifel daran könnten das große Geschäft der Konzerne gefährden. Gravierende eigene Verletzungen von Menschenrechten in Abu Ghraib, auf Guantanamo oder die systematische Folter im Gefängnis der Air Base Bagram (Geheimbericht der US-Army) werden als Begleiterscheinungen der "sicherheitspolitischen Verantwortung" bagatellisiert.

Den Interessen der Rüstungskonzerne dienen auch "Think Tanks" oder Institutionen mit wohltönenden Namen wie das "Center for Strategic and International Studies" (gegründet von den Rüstungskonzernen Northrop Grumman, Boeing und Lockheed Martin) oder das "Center for a New American Society" (finanziert von großen Rüstungs-Auftragnehmern).

Der falsche Krieg in Hollywood

Im Film "Apocalypse Now" gibt es die schockierende Sequenz, in der Francis Ford Coppola den Krieg im Kino als ästhetischen Genuss vorführt. Zu einem Luftangriff auf ein vietnamesisches Dorf lässt Lieutenant Colonel Bill Kilgore (Robert Duvall) in ohrenbetäubender Lautstärke Wagners "Ritt der Walküren" spielen. Da dröhnen die Fanfaren von Wagners Opern-Auftakt aus allen Helikoptern, während ein vietnamesisches Dorf mit Napalm eingedeckt wird. Luftwaffe und Artillerie vollziehen unter brausender Opernmusik das "Clearing" eines Küstenabschnitts, damit Kilgore dort mit seinen Jungs am Strand surfen kann.  "Fuck man, this is better than Disneyland", sagt einer.

Die Walküren-Sequenz hat ein Vorbild. Bereits die Deutsche Wochenschau hatte im Zweiten Weltkrieg Kriegsbilder mit Wagners Walkürenritt unterlegt, zum Beispiel die Luftlandung deutscher Truppen in Kreta am 30. Mai 1941.

Coppola arbeitet mit dem filmischen Mittel der Persiflage. Durch die obszöne Inszenierung des Krieges als Musikvideo deckt er gnadenlos eine bittere Wahrheit auf. Er verweist auf die perverse Seite einer Filmindustrie, die am Fließband kassenfüllende Kriegsmovies produziert und dabei die traditionellen Klischees als Alibi einbaut: nämlich den abgenutzten Plot vom Kampf der Tapferen, welche Frauen, Kinder und Vaterland vor den Bösen schützen müssen: "Ich will nicht, dass sie bis nach Los Angeles kommen", lässt Clint Eastwood im Irak-Film "American Sniper" einen Protagonisten sagen.

Coppola deutete mit seiner bitterbösen Satire an, dass unsere Wahrnehmung vom Krieg weitgehend aus Bildern besteht, die eine falsche Realität vorgaukeln, weil die Hersteller dieser Bilder nie frei von Ideologie, Klischees und politischen Interessen sind. Und weil der wirkliche Krieg meist mehr auf Machtpolitik und Profit beruht als auf moralischer Legitimation. Als "Apocalypse Now" 1979 in Cannes gezeigt wurde, sagte Coppola auf einer Pressekonferenz, in der Materialschlacht Vietnam sei zu viel Geld im Spiel gewesen und die US-Amerikaner seien nach und nach verrückt geworden:

"It was crazy. There were too many of us, we had access to too much money, too much equipment and little by little, we went insane."Elisabeth Bronfen. Specters of War. Hollywoods Engagement with Military Conflict. S.102.

Moderne Lenkwaffensysteme: die Goldgrube der IT-Konzerne

Donald Trump ist bekanntlich kein Freund von Amazon, denn Amazon-Gründer Jeff Bezos gehört die Washington Post, die Trump regelmäßg an den Karren fährt. "Screw Amazon", soll Trump seinem Verteidigungsminister James Mattis gesagt haben. So berichtete jedenfalls der ehemalige Redenschreiber von Mattis, Guy Snodgrass, in seinem Buch "Holding the Line". Es ging um den Aufbau einer Datenbank des Pentagons. Der zehn Milliarden-Dollar-Auftrag wurde 2019 nicht an Amazon, sondern an Microsoft vergeben.

Mit der Begründung, das Geschäft sei auf unzulässigen Druck von Präsident Trump zustande genommen, reichte Amazon im Februar 2020 dagegen Klage ein. Nun hat das Pentagon, um einen längeren Rechtsstreit zu vermeiden, den Auftrag zurückgezogen und plant eine neue Ausschreibung.

Dabei sollen auch andere Computer-Konzerne wie Oracle, IBM und Google berücksichtigt werden. Das Projekt heißt jetzt "Joint Warfighter Cloud Capability".NZZ 8.7.21. Je mehr Konzerne daran beteiligt sind, desto größer wird die Lobby für Feindbilder, Rüstung und Krieg.

Früher dachte man bei dem Wort "Rüstungsindustrie" an Ruag-Patronen, Oerlikon-Kanonen, Kampfstiefel oder Militärbiscuits. Spätestens seit Ronald Reagans "Strategic Defense Initiative", mit der man angreifende sowjetische Atomraketen mit Laserwaffen im Weltraum zerstören wollte, musste auch dem letzten Rekruten klar geworden sein, dass Krieg etwas mit Computern und künstlicher Intelligenz zu tun hat. Das Star-Wars-Projekt der achtziger Jahre war eine Wahnvorstellung, die ergebnislos Milliarden Dollar verschlang, aber nach wie vor virulent ist. Denn die zugrunde liegende Logik ist immer noch Lehrmeinung im Pentagon, welche lautet: Wir müssen uns auf den Atomkrieg vorbereiten. Dafür wurde unter der Regierung Obama eine Billion Dollar (1 trillion $) für die Weiterentwicklung der US-Atomwaffen in den kommenden Jahrzehnten budgetiert. Das wird als "nuclear updating" deklariert.

Moderne Waffensysteme sind ein gigantischer Markt für die IT-Branche. Ein F-35 ist ein fliegender Computer, der den Namen Tarnkappen-Jet vielleicht deshalb zu Recht trägt, weil er unter seiner Tarnkappe verbirgt, wieviel Geld er dem Hersteller Lockhheed Martin in die Kasse spült. Im US-Kongress ist das seit langem ein Thema. Der Demokrat Adam Smith, Vorsitzender des mächtigen Armed Services Committee, nannte die F-35-Produktion im März ein "Versagen in einem verdammt riesigen Ausmaß" und "ein Rattenloch, in das wir Geld werfen."NZZ 8.6.21.

Die für die Rüstungsindustrie relevanten Konzerne sind wohlweislich über fast alle US-Bundesstaaten verteilt, folglich gibt es kaum einen US-Parlamentarier, der es wagen würde, gegen die regelmäßige Erhöhung des Verteidigungsetats zu opponieren. Es geht um Arbeitsplätze "daheim". Als Donald Trump im Juni 2017 dem Emirat Katar für 12 Milliarden Dollar Kampfjets verkaufte, twitterte der Botschafter von Katar in Washington, der Deal bedeute: "60’000 new jobs in 42 states across the United States". [Ähnlich läuft es mit den "Gegengeschäften" in der Schweiz: Alle Landesteile und großen Kantone sind zu berücksichtigen.]

Die Macht der Generäle

Norman Cousins war einer der prominentesten Wissenschaftsjournalisten und Friedensaktivisten in den USA der Ronald-Reagan-Jahre. In seinem 1987 erschienen Buch "The pathology of power" beschreibt er mit hohem Level an militärtechnischen Kenntnissen die enorme Macht, welche die Rüstungsindustrie, das Militär und die Geheimdienste in der US-Politik ausüben. Cousins hatte politischen Einfluss bei inoffiziellen Kontakten zwischen Moskau und Washington. Er rapportiert ein Gespräch von 1963 mit dem sowjetischen Regierungschef Nikita Chruschtschow, in dem dieser sich illusionslos über den Mechanismus des Wettrüstens zeigt:

"Es vergeht keine Woche, ohne dass meine Generäle mit allerlei Horrorgeschichten zu mir kommen, mit allen Sorten von Geheimdokumenten, die zeigen, dass die Sowjetunion in der Entwicklung dieser oder jener Waffe weit hinter den USA zurückliegt. Sie sagen, sie könnten nicht für die Sicherheit unseres Landes garantieren, wenn sie nicht mehr Rubel bekommen, Milliarden von Rubel. Ich weiß, dass in Ihrem Land das Gleiche geschieht. Die Generäle brauchen einander. So können sie ihre Position stärken und sich wichtig machen."

Als er Präsident Kennedy von diesem Gespräch berichtete, so Cousins, habe dieser lachend gesagt: "Chruschtschow kennt das System perfekt. Ich kann von meiner Seite aus die gleiche Geschichte erzählen (…) Aber wenn ich meine Generäle frage, ob sie die Waffenüberlegenheit, die sie suchen, wirklich erreichen und nicht demnächst wieder Geld wollen, rutschen sie auf ihrem Sitz hin und her und fangen an zu stottern. Sie können natürlich nichts garantieren, außer dass sie demnächst wieder mit Geldforderungen kommen werden – und das Ergebnis ist im allgemeinen weniger Sicherheit … Ich hoffe, Sie haben Chruschtschow gesagt, dass es niemand bei den Demokraten und Republikanern gibt, der mehr wünscht als ich, ernsthaft mit der Sowjetunion zu verhandeln, um dieser Rüstungsspirale, in wir gefangen sind, ein Ende zu machen." John F. Kennedy wurde am 22.November 1963 in Dallas erschossen."Norman Cousins, The Pathology of Power. S.183,184.

Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion träumten nicht nur Pazifisten von einer neuen Ära der Friedfertigkeit. Es war eine große Illusion. Inzwischen ist das Rüstungsgeschäft ins Gigantische gewachsen. 740 Milliarden Dollar beträgt derzeit das US-Verteidigungsbudget. Das sind 740 Milliarden, die verwendet werden, um das Ungeheuer King Kong zu füttern, vor dem Präsident Eisenhower 1961 in seiner berühmten Farwell-Rede warnte. Der "militärisch-industrielle Komplex" könne so mächtig werden, dass er die Politik an sich reiße und die Demokratie zerstöre, sagte Eisenhower.

Der Spitzendiplomat George F. Kennan, der die Politik der USA im Kalten Krieg mitprägte, schrieb im Vorwort zu Cousins Buch im Jahr 1987, wenn die Sowjetunion plötzlich im Ozean versinken würde, müsste der militärisch-industrielle Komplex der USA weitermachen, bis ein neuer Feind erfunden würde: "Alles andere wäre ein unerträglicher Schock für die Wirtschaft der USA."Norman Cousins, The Pathology of Power. S. 11.

Kennans Prognose hat sich bewahrheitet.

Militärisch-industrielle Komplexe auch in Russland, China und anderen Ländern

Bereits Anfang der Sechzigerjahr sah sich auch Chruschtschow dem Druck der Rüstungsindustrie der UdSSR ausgesetzt, wie oben geschildert. Heute ist der politische und wirtschaftliche Einfluss der vielen Konzerne und Staatsbetriebe, die mit Rüstungsaufträgen großes Geld verdienen, in den meisten Ländern noch erheblich größer als zu Zeiten von Eisenhower oder Chruschtschow, wohl mit Abstand am größten in den USA. Doch auch in westeuropäischen Ländern ist der Einfluss der Rüstungsbranche und ihrer Zulieferer groß. Ihr Interesse am Verbreiten von Feindbildern und an höheren Rüstungsausgaben ist evident. Forderungen nach Abrüstungsverhandlungen und Abrüstung finden nur noch wenig Aufmerksamkeit.

Militärisch-industrielle Komplexe auch in Russland, China und anderen Ländern

Bereits Anfang der Sechzigerjahr sah sich auch Chruschtschow dem Druck der Rüstungsindustrie der UdSSR ausgesetzt, wie oben geschildert. Heute ist der politische und wirtschaftliche Einfluss der vielen Konzerne und Staatsbetriebe, die mit Rüstungsaufträgen großes Geld verdienen, in den meisten Ländern noch erheblich größer als zu Zeiten von Eisenhower oder Chruschtschow, wohl mit Abstand am größten in den USA. Doch auch in westeuropäischen Ländern ist der Einfluss der Rüstungsbranche und ihrer Zulieferer groß. Ihr Interesse am Verbreiten von Feindbildern und an höheren Rüstungsausgaben ist evident. Forderungen nach Abrüstungsverhandlungen und Abrüstung finden nur noch wenig Aufmerksamkeit.

Zum Infosperber-Dossier:

Quelle: Infosperber.ch - 18.07.2021.

Fußnoten

Veröffentlicht am

20. Juli 2021

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