Der Internationale Gerichtshof (IStGH) in PalästinaDer Internationale Strafgerichtshof ist für Palästina zuständig, auch wenn Deutschland dies bestreitetBIP-Aktuell #179 Der Kommentar von Bundespräsident Steinmeier in Israel, der die Zuständigkeit des Internationalen Strafgerichtshofs für Palästina verneint, ist falsch. Aufgrund der Mitgliedschaft Palästinas im Gerichtshof, der Unterzeichnung des Römischen Statuts und der Anerkennung durch 139 Staaten ist es ein Staat und verdient internationalen Schutz vor Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Auf seiner jüngsten Reise nach Israel wird der deutsche Bundespräsident Steinmeier in der israelischen Zeitung Haaretz mit den Worten zitiert: "Die Position der deutschen Regierung ist, dass der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) keine Zuständigkeit in diesem Fall hat, weil es keinen palästinensischen Staat gibt." Es ist zwar richtig, dass die Bundesregierung diese Auffassung vertritt. Es ist aber bedauerlich, dass der Bundespräsident diese falsche Position durch seine Worte bekräftigt. Die Vorgeschichte beginnt 2015, als die damalige Chefanklägerin Fatou Bensouda von der palästinensischen Regierung aufgefordert wurde, die Kriegsverbrechen im Gaza-Krieg von 2014 zu untersuchen und gegebenenfalls anzuklagen. Es dauerte sechs Jahre, bis der IStGH am 5. Februar 2021 seine Zuständigkeit für den israelisch-palästinensischen Konflikt erklärte . Der IStGH hatte im Jahr 2000 seine Arbeit aufgenommen, seine Aufgabe ist die Verfolgung von Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen. Nach palästinensischen Angaben waren damals 2251 Palästinenserinnen und Palästinenser und 73 Israelis umgekommen (Siehe BIP-Aktuell #157 ). Palästina hatte 2015 seinen Beitritt zum IStGH erklärt, dieser wurde vom Gericht wie vom UNO-Generalsekretär akzeptiert. Das war ein gewaltiger Erfolg für Palästina in seinem Bestreben, als Staat von der UNO anerkannt zu werden. 138 Staaten hatten das schon zuvor getan. Für die Mitgliedschaft im IStGH reichte es aus, dass die Generalversammlung Palästina den Status eines "Beobachterstaates" erteilt hatte, die Anerkennung eines "Mitgliedstaates" aber noch vorenthalten hat. Diese Statusdifferenz spielte nun auch bei der Entscheidung des IStGH eine Rolle. Während Richter Perrin de Brichambaut (Frankreich) und Richterin Alapini-Gansou (Benin) den Beobachterstatus für die Gerichtszuständigkeit ausreichen lassen, hat der Vorsitzende Richter Péter Kovács (Ungarn) in einem ausführlichen Minderheitsvotum eine Gegenposition bezogen und die Zuständigkeit in Frage gestellt. Ein hochpolitischer Dissens. Das wird auch daran deutlich, dass 43 Staaten, juristische Organisationen und einzelne Juristen eine sog. amicus curiae (Freund des Gerichts)-Stellungnahme eingereicht hatten, um die Argumentation einer der beiden Parteien zu unterstützen - die Bundesregierung natürlich auf Seiten Israels. Kovács wollte Ost-Jerusalem und das gesamte C-Gebiet im Westjordanland aus der Zuständigkeit des Gerichthofes herausnehmen. Die Mehrheit des Gerichts hat jedoch die Zuständigkeit nicht nur für den Krieg von 2014, sondern auch für die Erschießung von 214 Demonstrantinnen und Demonstranten, einschließlich 46 Kindern, während der Gedenkmärsche 2018 in Gaza und für die Siedlungspolitik im gesamten Westjordanland und Ost-Jerusalem erklärt. Die Ermittlungen sollen sich sowohl gegen Kriegsverbrechen der Israelis als auch der Hamas im Gazastreifen richten. Seit dem 16. Juni ist der Engländer Karim Khan der Nachfolger von Fatou Bensouda als Generalstaatsanwalt des IStGH. Er wird die Ermittlungen bis zur Eröffnung eines Hauptverfahrens übernehmen müssen. Der politische Druck, dies hinauszuzögern und im Sande verlaufen zu lassen, wird immens sein. Netanjahus Reaktion , "ein Skandal, purer Antisemitismus", kam nicht überraschend, er war schon dabei, alle diplomatischen Kanäle zu nutzen, um die USA, die Bundesregierung und die Staaten der EU hinter seine Strategie zu bekommen, das Verfahren zu blockieren. Der ehemalige Außenminister Gabi Ashkenasi meinte , dass der Strafgerichtshof "das Völkerrecht verzerrt und diese Institution zu einem politischen Instrument der antiisraelischen Propaganda macht". Das sind Worte, auf die der deutsche Außenminister hört. Seine Ablehnung der Gerichtsentscheidung begründet er mit der nun vom Bundespräsidenten übernommenen Position, dass Palästina kein Staat sei und der IStGH deshalb für strafrechtliche Ermittlungen nicht zuständig sei. Dabei spielt offensichtlich keine Rolle, dass Palästina bereits von 139 Staaten anerkannt und nach der maßgeblichen Montevideo-Konvention über alle Merkmale eines Staates verfügt, wie er 1988 von Arafat verkündet wurde: ein Volk, ein, wenn auch besetztes, Territorium und eine, wenn auch begrenzt handlungsfähige, Regierung. Es fehlt allerdings die volle Mitgliedschaft in der UNO, die Palästina bis heute vorenthalten wird. Stattdessen hat ihr die UNO mit der Resolution 67/19 vom 4. Dezember 2012 einen offiziellen "Beobachterstatus" zuerkannt und dabei selbst vom "State of Palestine" gesprochen: "Die Generalversammlung …bekräftigt den Grundsatz der Universalität der Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen, Der ungarische Richter Kovács begründet seine Ablehnung der Zuständigkeit des IStGH über die palästinensischen Gebiete mit angeblicher fehlender Staatlichkeit. Denn nach Art. 12 Abs. 2 Römisches Statut (RSt) kann der Gerichtshof seine Gerichtsbarkeit nur ausüben, wenn der "Staat, in dessen Hoheitsgebiet das fragliche Verhalten stattgefunden hat, … Vertragspartei dieses Statuts" ist. Palästina hätte seiner Meinung nach gar nicht in den Gerichtshof aufgenommen werden dürfen. Die Mehrheit des Kollegiums legte demgegenüber den Schwerpunkt auf das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser, wie es in Resolution 67/19 bestätigt worden war, sowie auf die Tatsache, dass Palästina Mitglied des IStGH geworden war. Dieser Entscheidung hatte auch der Generalsekretär der UNO zugestimmt , obwohl der Gerichtshof keine Organisation der UNO ist. Die Resolution spricht sogar vom "State of Palestine". Zusätzlich spielte die Überlegung eine Rolle, dass die Gerichtsfreiheit eines Territoriums, in dem es "den Anschein hat, dass eines oder mehrere dieser Verbrechen (Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Völkermord) begangen wurden" (Art. 13 a RSt), einer Straflosigkeit gleichkomme, und damit dem Sinn und den Aufgaben des Statuts wie des Gerichtshofes widerspreche. Zum zwanzigjährigen Jubiläum des Internationalen Strafgerichthofes 2018 hatte der Bundestag die Bundesregierung noch aufgefordert , "den globalen Kampf gegen Straflosigkeit weiterhin führend zu unterstützen". In der Tat waren es alle Bundesregierungen gewesen, die in Erinnerung der deutschen Kriegsverbrechen und der Nürnberger Prozesse auf die Einrichtung eines internationalen Strafgerichts gedrungen hatten. Ihre aktuelle Haltung zum Schutz Israels vor der Verantwortung für Kriegsverbrechen seiner Armee widerspricht dieser Tradition vollkommen. Sie scheut sich offensichtlich auch nicht, ihr gleichzeitiges Bekenntnis zu einer Zwei-Staaten-Lösung durch die aktive Verhinderung der Staatlichkeit Palästinas als Heuchelei zu entlarven. Hamburg, 8. Juli 2021 Bearbeitet vom Redaktionsteam von BIP Aktuell
Quelle: BIP e.V. - BIP-Aktuell #179. Veröffentlicht amArtikel ausdruckenWeitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von |
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