Afghanistan: Inszenierung militärischer EvakuierungVon Christoph Marischka Die tatsächliche Fähigkeit der NATO und der Bundeswehr besteht darin, eine Informationsblase um die Einsätze ihrer Soldat*innen zu schaffen. So ist es ihnen gelungen, sich fast zwei Jahrzehnte in Afghanistan als Retter zu inszenieren und Handlungsfähigkeit zu suggerieren. Die zivilen Opfer von Bombardierungen, Drohnenangriffen, nächtlichen Razzien und auch durch Anschläge der Taliban und des IS waren über diese Zeit von wenigen Ausnahmen abgesehen allenfalls Randnotizen. Der jüngste Einsatz der Bundeswehr zur "Evakuierung" folgte exakt dieser Logik: Sich als Retter zu inszenieren und Handlungsfähigkeit zu simulieren. Der Flugbetrieb in Kabul wurde nicht gegen, sondern in Kooperation mit den Taliban aufrecht erhalten. Die Masse des Personals zu seiner Absicherung von NATO-Seite stammte aus den USA und diese Kräfte haben Kabul auch als letzte verlassen. Die deutschen Spezialkräfte hingegen saßen zum Zeitpunkt des großen Anschlags am 26.8. vor den Toren des Flughafens bereits in den Fliegern und diese legten einen Alarmstart hin wegen Befürchtungen, der Flughafen könnte überrannt werden. Aber auch die US-Kräfte vor Ort waren eher Geiseln der Taliban als Retter der Zivilbevölkerung. Sie sperrten den Flughafen für zivile Flugzeuge, selbst Transporte von humanitären Organisationen konnten ihn so tagelang nicht mehr nutzen. Neben der Simulation von Handlungsfähigkeit im Großen dienten die NATO-Präsenz am Flughafen konkret v.a. der Priorisierung der Ausreisewilligen. Auch wenn es völlig richtig ist, dass Deutschland Verantwortung für das Botschaftspersonal und die bedrohten Ortskräfte übernehmen muss, gehört zur Wahrheit eben auch, dass diese von Spezialkräften in den Flughafen geschleust wurden, während gleichzeitig andere NATO-Kräfte mit Schusswaffen und Tränengas und Taliban mit Peitschen Ausreisewillige vom Betreten des Flughafens abhielten und dabei mehrfach Panik entstand, bei der Menschen umkamen. Tatsächliche Verantwortung hätte die Bundesregierung übernommen, wenn sie das betreffende Personal früher und unbürokratischer ausgeflogen und aufgenommen hätte, anstatt sich noch Anfang August darum zu bemühen, Afghanen aus Deutschland nach Afghanistan abzuschieben. Andere Staaten, die nicht an der NATO-Intervention beteiligt waren, haben ihr Botschaftspersonal lediglich reduziert und Absprachen mit den Taliban über deren Sicherheit getroffen. Es war auch Teil einer verzerrten Wahrnehmung, dass Ein- oder Ausreisen nach Afghanistan nur noch über den Flughafen Kabul und auch dort nur bis zum Abzug der US-amerikanischen Streitkräfte möglich wären. Das World Food Programm etwa plante in den Tagen vor dem Abzug jedenfalls bereits den Aufbau einer Luftbrücke für humanitäre Güter aus Pakistan über die Flughäfen in Kandahar und Mazar-i-Sharif. Die UN zeigte sich auch optimistisch, weiterhin den Flughafen in Kabul nutzen zu können. Es ist möglich, dass sich auch die deutsche Diplomatie an entsprechenden Bemühungen beteiligt hat, die auf Verhandlungen mit den Taliban herauslaufen. Die öffentliche Aufmerksamkeit jedoch lenkte sie auf die militärische Inszenierung und deren nachträgliche Mandatierung. Selbst diese nutzte sie noch für ein völlig unnötiges diplomatisches Geplänkel gegen die Taliban, indem sie als völkerrechtliche Grundlage im Mandatstext u.a. die "Zustimmung der Regierung der Islamischen Republik Afghanistan" (Drucksache 19/32022) nannte, welche sich zu diesem Zeitpunkt bereits aufgelöst hatte. Die Inszenierung erreichte ihren Höhepunkt mit der Ankunft eines Großteils des Deutschen Kontingents der "Evakuierungsmission" auf dem Fliegerhorst Wunstorf, wo die ankommenden Militärtransporter A400M von Wasserfontänen der Flughafenfeuerwehr begrüßt wurden, die Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer (die bereits von Taschkent aus mitgeflogen war) dem Brigadegeneral Arlt vermeintlich spontan um den Hals fiel und dieser mit umgehängten G36 vor Kameras und Mikrofon trat. Die Inszenierung verfehlte ihre Wirkung nicht. Schon vor der Landung in Wunstorf hatte tagesschau.de einen Kommentar von Uli Hauck (ARD-Hauptstadtstudio) unter dem Titel "Der Bundeswehr sei Dank" veröffentlicht: "Das nach – rechtsextremistischen Skandalen – gescholtene Kommando Spezialkräfte hat gezeigt, warum es existiert. Die Spezialeinheit hat Menschen in den sicheren Flughafen geholt. Die Bundeswehr hat für die Bundesregierung die Kohlen aus dem Feuer geholt. Gemacht, was möglich war, in einer Extremsituation. Dafür gebührt ihr – der oftmals verweigerte – Respekt. Dank und Anerkennung." Die Debatte über Kosten, Sinn und Unsinn von 20 Jahren Krieg in Afghanistan war damit – zumindest kurzfristig – wieder vergessen. Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - IMI-Standpunkt 2021/050. Veröffentlicht amArtikel ausdruckenWeitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von |
|