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Ende der Evakuierung in Afghanistan: PRO ASYL fordert umfassende Bundes- und Landesaufnahmeprogramme

Willkürlich gesetzte Fristen und einengende Kriterien sorgen dafür, dass Zehntausende bedrohte Afghan*innen keine Chance auf Einreise nach Deutschland haben werden.

Mit dem heutigen Tag endet die militärische Evakuierungsaktion aus Kabul, die von westlichen Staaten nach der Machtübernahme der Taliban am 15. August begonnen wurde. Die deutschen Flüge wurden bereits nach 10 Tagen, am 26. August, eingestellt. Pro Asyl wirft der Bundesregierung und den Innenministerien der Länder vor, bereits jetzt wieder alle Kriterien zur Aufnahme so auszurichten, dass der Kreis der Aufzunehmenden möglichst klein bleibt. "Es ist empörend, dass die Bundesregierung hinter den Kulissen mit allen Mitteln versucht, die Zahl der Schutzbedürftigen möglichst gering zu halten. Das Versprechen von Außenminister Heiko Maas, für die Bundesregierung abgegeben, niemanden im Stich zu lassen, für den Deutschland Verantwortung trägt, wird so zur Worthülse", kritisiert Burkhardt.

Die Bundesregierung hat beschlossen, dass – von den Ortskräften abgesehen – nur Menschen eine Chance haben, in Deutschland Schutz zu finden, die bis zum Ende der deutschen Evakuierungsmission (also bis 26.8.) für die Evakuierungsliste gemeldet wurden. Dieses willkürlich festgelegte Datum war vorher nie kommuniziert worden. All jene etwa, die sich zum Beispiel im Norden Afghanistans versteckt hielten und nicht sofort versuchten, auf die Liste zu kommen, da sie keine Chance hatten, bis zum 31.8. Kabul zu erreichen, sind außen vor. Sie haben nun keine Möglichkeit mehr, sich registrieren zu lassen und in Deutschland Zuflucht zu finden. Journalist*innen, Menschen- und Frauenrechtsverteidiger*innen sowie Familienangehörige von in Deutschland lebenden Schutzberechtigten, die von den Taliban massiv bedroht sind, aber bisher noch auf keiner Liste der Bundesregierung auftauchen, werden einfach ihrem Schicksal überlassen.

Hessen behält bisherige restriktive Bestimmungen bei

"Die hastige deutsche Evakuierungsaktion lässt Tausende von den Taliban bedrohte Menschen zurück. Zum seit Jahren verschleppten Familiennachzug aus Afghanistan fehlt in den offiziellen Erklärungen der Bundesregierung jedes Wort", kritisiert Burkhardt. "Dass auch Familienangehörige von in den Westen Geflohenen gefährdet sind, scheint trotz unserer wiederholten Mahnungen auf taube Ohren zu stoßen. Dazu gehören auch erwachsene Familienmitglieder, die nicht der sogenannten Kernfamilie angehören", so Burkhardt.

Den aktuellen Bestimmungen einzelner Bundesländer wie etwa Hessen ist zu entnehmen, dass Bund und Länder nicht gewillt sind, die bislang geltende, restriktive Auslegung für die humanitäre Einreise von Familienangehörigen nach § 36 Aufenthaltsgesetz, die nicht der sogenannten Kernfamilie angehören, aufzugeben. Im jetzt bekannt gewordenen Rundschreiben des Hessischen Innenministeriums vom 26.8. heißt es:

"Eine Titelerteilung im Inland aus sonstigen Aufenthaltszwecken kommt nicht in Betracht. So verlangt beispielsweise § 36 Abs. 2 AufenthG, dass der Familiennachzug zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte erforderlich ist. Die Härte muss familienbezogen sein, das heißt in der Trennung der Familieneinheit begründet sein, und die familiäre Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet muss das geeignete und notwendige Mittel sein, um die außergewöhnliche Härte zu vermeiden. Allgemeine Verhältnisse im Herkunftsland, so schwierig sie auch sein mögen, reichen als Begründung des Härtefalls nicht aus." (Fettung durch PRO ASYL vorgenommen)

Familie in Deutschland – und trotzdem keine Chance auf Aufnahme

In der Praxis bedeutet das: Die afghanische Staatsanwältin, die um ihr Leben und das ihrer Kinder fürchten muss, hat keine Chance, in Deutschland aufgenommen zu werden, obwohl ihr Bruder hier lebt. Gleiches trifft auf bedrohte Menschenrechtsaktivist*innen zu sowie auf alle anderen, die familiäre Verbindungen in die Bundesrepublik haben. Es steht zu befürchten, dass andere Bundesländer dem hessischen Beispiel folgen.

"Die westlichen Staaten machen sich aus dem Staub – und verschleiern das Elend all jener Menschen, die einmal große Hoffnungen und Vertrauen in den Westen gesetzt hatten und nun einfach zurückgelassen werden", fasst Burkhardt die Lage zusammen. "Wir fordern ein umfassendes Bundesaufnahmeprogramm und ergänzende Landesaufnahmeprogramme. Alle, die Bezüge zu Deutschland haben, müssen die Chance auf Einreise haben, außerdem alle besonders Gefährdeten."

PRO ASYL fordert:

  • Die Definition von Ortskräften auf bei Subunternehmen angestellte Personen auszuweiten, denn für die Taliban ist eine solche Unterscheidung nicht ersichtlich.
  • Bei der Aufnahme von gefährdeten Personen alle gefährdeten Familienmitglieder zu berücksichtigen und nicht auf ein deutsches Verständnis der »Kernfamilie« abzustellen.
  • Weiterhin Gefährdungsanzeigen von Menschenrechtsverteidiger*innen etc. zu prüfen und Aufnahmezusagen nach § 22 Satz 2 AufenthG zu erteilen. Ein plötzlicher Stopp dieser Prüfung mit Ende der militärischen Evakuierung ist willkürlich und angesichts der massiven Bedrohung in Afghanistan nicht zu rechtfertigen.
  • Den Familiennachzug zu in Deutschland lebenden Afghan*innen massiv zu beschleunigen, denn die Taliban suchen laut Meldungen vor Ort aktiv nach Verwandten von im Westen lebenden Personen. Die anhängigen Verfahren müssen jetzt prioritär geprüft werden und von humanitärem Spielraum, z.B. für erwachsene Kinder, muss Gebrauch gemacht werden.
  • Visumsanträge von afghanischen Staatsangehörigen müssen von allen deutschen Auslandsvertretungen bearbeitet werden (sogenannte Globalzuständigkeit).
  • Bundes- und Landesaufnahmeprogramme aufzulegen für afghanische Flüchtlinge – zum Beispiel aus Anrainerstaaten -, für besonders gefährdete Personen und für Angehörige von in Deutschland lebenden Afghan*innen.

PRO ASYL hat eine Petition gestartet, um für die weitere Aufnahme von gefährdeten Menschen aus Afghanistan einzutreten.

Welche Gruppen zurückgelassen werden und welche Schicksale sich dahinter verbergen, hat PRO ASYL hier dokumentiert.

Quelle: PRO ASYL - Pressemitteilung vom 31.08.2021.

Veröffentlicht am

02. September 2021

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