Plug & Fight
Deutschland initiiert neuen Anlauf für eine EU-Interventionstruppe
Von Jürgen Wagner
Bereits im Jahr 2003 wurde die Aufstellung europäischer Kampftruppen (“Battlegroups“) auf den Weg gebracht. Dabei handelt es sich um rund 1.500 SoldatInnen starke und innerhalb von 5 bis 30 Tagen verlegbare Einheiten. Seit Januar 2007 stehen immer zwei Battlegroups pro Halbjahr zum Einsatz bereit – nur wurden sie hierfür bislang nie angefordert. Die Idee wurde nun als eine vermeintliche "Lehre" aus dem Afghanistan-Konflikt unter anderem auf deutsche Initiative in etwas abgewandelter Form neu aufgegossen.
Den Auftakt hatte der EU-Außenbeauftragte Josep Borell bereits Ende August 2021 gemacht,
indem er folgerte, der US-Abzug aus Afghanistan stehe sinnbildlich für "eine Art Rückzug
der USA von der Weltbühne." Gleichzeitig verknüpfte Borell diesen Befund mit der
Forderung, die Europäische Union müsse künftig in der Lage sein, militärisch eigenständiger
zu handeln: "Die EU muss zu Militärinterventionen zum Schutz unserer Interessen fähig sein,
sollten die USA nicht involviert werden wollen. […] Als Europäer müssen wir diese Krise
nutzen, um stärker zusammenzuarbeiten und unser Strategische Autonomie zu stärken. Als
Europäer müssen wir in der Lage sein, Dinge auch selbstständig tun zu können." Kurz darauf
gipfelten Borells Überlegungen in der Forderung nach einer EU-Eingreiftruppe: "Die
bisherigen Überlegungen sehen vor, eine rund 5.000 Soldaten starke Einheit zu schaffen, die
innerhalb kurzer Zeit in Krisenländer verlegt werden kann. Sie soll zum Beispiel auch im
Kampf gegen den internationalen Terrorismus in Ländern wie Mali zum Einsatz kommen
können."
Zusammen mit vier anderen EU-Ländern (Niederlanden, Portugal, Finnland und Slowenien)
ergriff Deutschland nun die Initiative und speiste ein Diskussionspapier für die EU-Ministertagung am 21. Oktober 2021 in die Debatte ein. Das unter Verschluss gehaltene
Papier scheint offensichtlich dem Insiderdienst Bruxelles2 vorzuliegen, der ausführlich aus
ihm zitiert. Demzufolge plädierten die fünf Länder für eine Interventionstruppe, die "eine
Landkomponente bis zur Größe einer Brigade" (5.000 bis 7.000 SoldatInnen) sowie "See- und
Luftkomponenten und strategische und operative Katalysatoren" umfassen solle. Gegenüber
den Battlegroups solle dabei nicht nur der Umfang, sondern auch die Bereitschaftsphase
vergrößert werden, nämlich von aktuell sechs Monaten auf 12 Monate. Die Truppe solle
zudem über eine "Plug-and-Fight-Fähigkeit" verfügen, also "vollständig mit NATO-Standards interoperabel" sein.
Ein letzter bemerkenswerter Aspekt betrifft die angestrebte Kommandostruktur der geplanten
Interventionstruppe. Während die Battlegroups durch die jeweilige Führungsnation
kommandiert werden, soll sich dies künftig ändern. Zuständig soll die im Juni 2017 als
Anfang für ein künftiges EU-Hauptquartier ins Leben gerufene "Militärische Planungs- und
Durchführungsfähigkeit" (MPCC). Zuerst hatte sie "nur" die Fähigkeit zur Leitung nicht-exekutiver Einsätze, im November 2018 wurden ihre Kompetenzen dann aber schon auf
kleinere exekutive Militäreinsätze im Umfang von bis zu 1.500 SoldatInnen erweitert. Geht es
nach dem u.a. von Deutschland lancierten Interventionstruppen-Papier soll die MPCC künftig
alle Missionen "einschließlich exekutiver Operationen" planen und befehligen und so noch
einmal einen deutlichen Schritt in Richtung eines voll ausgewachsenen EU-Hauptquartiers
machen.
Es bleibt abzuwarten, was aus dieser Initiative werden wird, laut Noch-Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karenbauer sei sie "sehr positiv" aufgenommen
worden. Der Vorschlag solle zudem "in den Strategischen Kompass Eingang finden", ein
aktuell in Arbeit befindliches Dokument, mit dem die Bedrohungsanalyse und das
militärische Anspruchsprofil bis Frühjahr kommenden Jahres aktualisiert werden soll und
dessen Entstehung nicht zuletzt deshalb genau beobachtet werden sollte.
Quelle:
Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.
- IMI-Standpunkt 2021/058.