Wie wir aus der Krise herauskommenDas Wirtschaftswachstum diktiert die Politik. Doch die Risiken von noch mehr Schulden, Geldschwemme und Null-Zinsen nehmen zu.Von Urs P. Gasche Die Wirtschaft der westlichen Industriestaaten hat während der Aufbauphase nach dem Zweiten Weltkrieg lange gut funktioniert. Doch jetzt fährt sie mit voller Wucht in eine Sackgasse. Selbst dreizehn Jahre nach der Schuldenkrise von 2008 verschulden sich Staaten, Unternehmen, Finanzkonzerne sowie Privathaushalte blindlings weiter. Vergeblich versuchten Regierungen und Notenbanken, das Wachstum der Wirtschaft wieder anzukurbeln, indem sie deregulierten, Steuern für Unternehmen senkten und Subventionen verteilten. Doch damit sind sie kläglich gescheitert. Die Hoffnung, den Schuldenberg dank starkem Wachstum wieder abzubauen, hat sich als Wunschdenken entpuppt. Denn das erreichte Wachstum war nur möglich zum Preis einer noch höheren Verschuldung. Aus schierer Hilfslosigkeit überfluten Notenbanken die Wirtschaft schon seit Jahren mit billigem Geld. Sie nehmen in Kauf, dass das Vertrauen in den Wert des Geldes schwinden könnte. Wer reich genug ist, flüchtet sich seit einiger Zeit in Sachwerte wie Land, Immobilien, Gold oder Kunst. Oder er beteiligt sich mit Aktien an Unternehmen. Das ist ein wesentlicher Grund, weshalb sich die Kluft zwischen der breiten Bevölkerung und den Superreichen weiter stark öffnet. Siehe 1. Teil: "Notenbanken machen Reiche zu Superreichen und enteignen Sparer" 2. Teil: "Zusätzliche Umverteilung und Enteignung durch Inflation" Arbeitsplätze und Renten ohne BIP-WachstumFast niemand fragt, wie eine Wirtschaftspolitik aussieht, die nicht mehr alles dem Wirtschaftswachstum unterordnet: Wie kann man den Schuldenberg auf ein vernünftiges Maß abbauen, ohne dass das Bruttoinlandprodukt (BIP) wächst? Wie kann man die Renten ohne BIP-Wachstum sichern und wie genügend Erwerbsarbeit? Mit einer Volkswirtschaft ohne wachsendes BIP haben sich die wenigsten Ökonomen je befasst. Das rächt sich jetzt. Denn trotz aller Anstrengungen nahm das BIP der westlichen Industriestaaten in der OECD seit über zwanzig Jahren nur noch auf Pump zu. Allein die Staatsverschuldung ist in den meisten OECD-Ländern stärker gewachsen als das BIP. Dazu kommt die gestiegene Verschuldung von Unternehmen und Privaten sowie die gestiegene Verschuldung des Finanzsektors (Banken, Blackrock, Vanguard, Hedge Funds etc.). Das sollten auch Wachstumsgläubige zur Kenntnis nehmen, die bestreiten, dass es drei Planeten wie die Erde brauchte, wenn alle Einwohner Afrikas, Indiens und Chinas ebenso viele Ressourcen konsumieren würden wie die Menschen in den Industriestaaten. Wenn Bankguthaben nicht mehr sicher sindAn den zunehmend unstabilen Verhältnissen trägt die Finanzwirtschaft die Hauptschuld. Statt wie früher der Realwirtschaft zu dienen, ist die Finanzwirtschaft mit Unterstützung der Notenbanken in den letzten 25 Jahren zu einem gigantischen Wett-Casino verkommen. Die allermeisten Finanztransaktionen dienen nicht mehr den produzierenden Unternehmen, sondern sind reine Wettgeschäfte in Billionenhöhe, die häufig in Bruchteilen einer Sekunde abgewickelt werden. Die hohen unberechenbaren Risiken der Wettgeschäfte auf Pump tragen die reale Wirtschaft und die Inhaber von Spar- und Zahlungskonten. Zwar sind in der Schweiz angeblich 100.000 Franken pro Bank garantiert, jedoch lediglich bis maximal zu einer addierten Summe von 6 Milliarden Franken - bei einer Gesamtsumme an Guthaben von rund 800 Milliarden Franken! Aus Angst, eines Tages könnten zu viele Leute ihre Guthaben bei den Banken abziehen, wird bereits diskutiert, ob man den Bezug von Bargeld und die Zahlungsmöglichkeiten mit Bargeld einschränken soll. Sogar vom Abschaffen des Bargelds ist die Rede. Allein das Gerede darüber ist ein Alarmzeichen. Machtkonzentration und verzerrte PreiseErschwert wird eine Umkehr der Politik durch milliardenschwere Fusionen und Übernahmen, welche die Konzentration und damit eine Machtballung sowohl in der produzierenden Wirtschaft wie auch im Finanzsektor stark beschleunigen. Internationale Megakonzerne und deren Lobbys können nationale Regierungen und Parlamente enorm unter Druck setzen. Die nationalen Gesetzgeber schaffen es nicht mehr, die zu einflussreich gewordenen Konzerne marktgerecht zu regulieren, beispielsweise
Statt Effizienz hohe sozialisierte KostenVon direkten Subventionen in Billionenhöhe profitiert ausgerechnet der klimarelevante Flug-, Schiffs- und Schwerverkehr. Nicht einmal für seine massiven Umweltbelastungen muss der Verkehr aufkommen. Die Folgen der viel zu tiefen Transportpreise sind gravierend: Der deregulierte Welthandel verteilt die Produktionsstätten und die Erwerbsarbeit an volkswirtschaftlich falsche Standorte. Aus diesem Grund bringt die internationale Arbeitsteilung nicht die erhofften Vorteile, sondern beschert hohe sozialisierte Kosten. Dauerangst um Arbeitsplätze und RentenTrotz ständigem Streben nach BIP-Wachstum herrscht in den reichsten Staaten der Erde Dauerangst um Arbeitsplätze und Renten. Weil fast alle Industriestaaten die Finanzierung der Renten vom Wirtschaftswachstum und von hohen Anlagerenditen abhängig machten, ist deren langfristige Finanzierung gefährdet. Als Ausweg will man die Renten senken und erst ab einem höheren Alter auszahlen. Arbeitslose und Ausgesteuerte vertröstet man seit Jahren auf eine Zeit mit mehr Wachstum.
Wirtschaftslobbys und Regierende schüren die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes und nützen diese Angst bei Tarifverhandlungen und bei Volksabstimmungen politisch aus. Das übergeordnete, aber verdrängte ProblemDoch Schlagzeilen über den Abbau von Arbeitsplätzen und über gefährdete Renten, über Mega-Fusionen, Quartalsabschlüsse, Negativzinsen, Börsenkurse und Handelsabkommen lenken alle von einem übergeordneten Problem ab: Die heutige Generation in reichen Ländern lebt wie keine andere zuvor auf Kosten künftiger Generationen. Wenn alle Menschen so leben würden, brauchte es drei oder vier Planeten wie die Erde. Zudem überlässt die heutige Generation ihren Nachkommen einen gigantischen Schuldenberg, strahlenden Atommüll, mit Kunststoffabfällen belastete und überfischte Meere, die Folgen einer beschleunigten Klimaerwärmung, verseuchte Böden und eine dezimierten Tier- und Pflanzenwelt. Und sie hat einen Großteil an Rohstoffen der Erde, die günstig abbau- oder förderbar waren, verbraucht. Blockierter Ausweg mit höheren ZinsenDie bisherige Politik birgt hohe Risiken: Die Schuldenberge der meisten westlichen Industriestaaten sind so hoch und die Abhängigkeit von tiefen Zinssätzen so groß, dass man sie nicht mehr wie früher mit einer hohen Inflation entwerten und abtragen kann (siehe 2.Teil: "Zusätzliche Umverteilung und Enteignung durch Inflation"). Bereits Zinssätze, die in kurzer Zeit um einen oder zwei Prozentpunkte steigen, führen in den USA, Frankreich, Italien oder Deutschland zu einer Zinslast, die manche stark verschuldete Unternehmen, Finanzkonzerne und Staaten nicht mehr tragen können. Zudem würde der Börsenwert der bestehenden Nullzins-Obligationen bei einem höheren Zinsniveau stark sinken. Großbanken, Versicherungen oder Pensionskassen, welche solche Obligationen in ihren Beständen haben, müssten den Wert der Obligationen in ihren Büchern herabsetzen und kämen rasch in die Bredouille. Auch viele Haus- und Wohnungsbesitzer könnten ihre Hypothekarzinsen nicht mehr zahlen und müssten verkaufen. Die wahrscheinliche Folge wären große, unorganisierte Schuldenschnitte und Abschreiber. Es wäre weniger schmerzhaft gewesen, nach Ausbruch der Finanzkrise überschuldete Banken abzuwickeln statt mit Steuergeldern zu "retten". Noch heute wäre es der risikoärmere Weg, einen Großteil der Schulden organisiert und koordiniert abzuschreiben. Doch das ist "politisch nicht machbar" und deshalb tabu. Das "politisch Machbare" reicht nichtOffensichtlich braucht es einen radikalen Kurswechsel. Doch die Macht und der Einfluss der Konzerne, die auf kurzfristige Gewinnmaximierung aus sind, verhindern politische Mehrheiten für einen Kurswechsel. Die Politik beschränkt sich fast immer auf das, was sie - im Hinblick auf Wahlen und Volksabstimmungen - für "politisch machbar" hält. Am übergeordneten Ziel wird deshalb nicht gerüttelt: Die Wirtschaft - gemessen am Bruttoinlandprodukt BIP - soll endlich wieder möglichst stark wachsen. Diesem Ziel ordnet die Politik von rechts bis links fast alles unter: Die Steuer-, Sozial-, Arbeitsmarkt- und Umweltpolitik. Die Handels- und Wirtschaftspolitik sowieso. Abstimmende Bürgerinnen und Bürger sollen sich bitte nach dem ausrichten, was mehr Wirtschaftswachstum bringt und den Unternehmen im internationalen "Wettbewerb" mehr Vorteile verschafft. Auf diese Fragen könnte allerdings ein Gremium von Experten die besseren Antworten geben als die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger. Die drei eigentlichen Ziele des WirtschaftensGeordnete Schuldenerlasse wären ein erster wichtiger Schritt aus der gefährlichen Sackgasse. Als zweiten Schritt müssten sich Wirtschaft und Politik vom Zwang zum Wirtschaftswachstum befreien. Sie dürften nicht weiter versuchen, den Konsum und das Wachstum mit der Brechstange anzukurbeln. Wenn das BIP trotzdem wächst, umso besser. Wenn das BIP sinkt, macht es nichts, weil eine enkeltaugliche Zukunft und unser Glück nicht davon abhängen, ob wir in den nächsten Jahren insgesamt noch mehr Geld zum Konsumieren, Wegwerfen und Verschwenden zur Verfügung haben oder nicht. Auch ohne BIP-Wachstum ist Fortschritt möglich . Die Politik kann sich dann wieder auf die drei eigentlichen Ziele des Wirtschaftens besinnen:
Eine Exit-Strategie, die politisch nicht machbar istEs ist Aufgabe der Politik, die Spielregeln des Marktes so festzulegen, dass das private und öffentliche Wirtschaften diese drei Ziele erreichen. Das bedeutet eine Abkehr von vermeintlichen Wachstumsanreizen wie Subventionen, Steuererleichterungen, Lockerungen von Sozial- und Umweltauflagen. Es braucht strukturelle Reformen, die ein Expertengremium erarbeiten muss. Hier einige konkrete Maßnahmen, die verschiedene Seiten bereits vorgeschlagen haben:
"Politisch nicht machbar"Die meisten dieser und anderer zweckmäßiger Maßnahmen scheinen "politisch nicht machbar" zu sein. Es finden sich dafür keine politischen Mehrheiten, weil der Einfluss des Finanzsektors und der großen Konzerne zu groß ist. Das wirft die Frage auf, ob die traditionellen demokratischen Institutionen noch in der Lage sind, nötige Weichenstellungen rechtzeitig in die Wege zu leiten. Die Geschichte lehrt, dass größere Kurskorrekturen meistens aus Krisen hervorgehen. Allerdings sollten sich weitsichtige Ökonomen und Politiker schon heute damit befassen, wie eine Zukunft ohne Schuldenkrisen, ohne ökologische und soziale Ausbeutung, ohne eine Machtanballung bei internationalen Konzernen sowie, last but not least, ohne Wachstumszwang gestaltet werden kann. Zum ersten Teil: Notenbanken machen Reiche zu Superreichen und enteignen Sparer Zum zweiten Teil: Zusätzliche Umverteilung und Enteignung durch Inflation Dieser jetzt aktualisierte Artikel erschien erstmals am 15. Oktober 2016 im Magazin des Tages-Anzeigers und am 24. Oktober 2016 auf Infosperber. Weiterführende Informationen
Zum Infosperber-Dossier:
Quelle: Infosperber.ch - 03.01.2022. Veröffentlicht amArtikel ausdruckenWeitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von |
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