Kirche des Friedens werden - Aufbrüche im Bereich der ehemaligen DDREine persönliche Studie von Eberhard Bürger als Beitrag zum 25. Jahr der Friedlichen Revolution im Jahre 2014, erschienen 2013, 288 S. im DIN A4-Format, € 18,-, ISBN 978-3-00-042460-1 (Bestelladresse: E. Bürger, An der Kälberweide 10, 39144 Magdeburg, buerger.arendsee@gmx-de) Von Werner Gebert - Buchempfehlung Der im Gründungsjahr der DDR geborene Autor hat eine große Zahl wichtiger Dokumente über die Entwicklungen in der DDR gesammelt und ausgewertet. Der Schwerpunkt liegt auf der Diskussion um den Friedensauftrag der Kirche. Es ist eine persönliche Studie, weil E. Bürger als Schüler, "Bausoldat", Theologiestudent, Vikar, Assistent bei Prof. Dr. Klaus-Peter Hertzsch, promovierter Kirchengeschichtler, Gemeindepfarrer und Friedensarbeiter sich in die Auseinandersetzungen innerhalb der Kirche und mit dem Staat eingebracht und sie mitgeprägt hat. Die Studie ist ein Lesebuch, das die vielfältigen Aufbrüche nicht nur dokumentiert, sondern sehr anschaulich beschreibt. Sie gipfeln in dem "Wunder der friedlichen Revolution 1989". Der Autor begnügt sich aber nicht mit der Beschreibung der Vorgänge, die großen Mut und Opferbereitschaft erforderten, vielmehr zieht er Lehren für die heutige Zeit daraus. Auch diese werden nicht auf allgemeine Zustimmung bei Kirchenleuten und Politikern stoßen. Die Richtung ist schon im Vorwort erkennbar, für das er den Präsidenten des Internationalen Versöhnungsbundes -Deutscher Zweig, Rechtsanwalt Ullrich Hahn, gewonnen hat. Ich habe mich entschlossen, den Kapiteln des Buches entlang zu gehen und ihre wesentlichen Aussagen wiederzugeben: Aufbruch zur Kirche des Friedens vor 1969Auf 39 Seiten wird die Einengung des kirchlichen Lebens durch Maßnahmen des sozialistischen Staates in dieser Zeit beschrieben. Doch gab es auch Entwicklungen in Richtung Friedenskirche, darunter die Gründung der Aktion Sühnezeichen (1958), die Auseinandersetzung mit den Heidelberger Thesen (1959), die Einführung der "Bausoldaten" (1964), der Besuch von M-L. King am 13.9. 1964 in Berlin (Ost), eine Handreichung für die Seelsorge an Wehrpflichtigen (1965) und das Aufsehen erregende Zeugnis der so genannten Totalverweigerer. 1969 wurde der Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR (BEK) gegründet, der seine theologische Grundlage aus einem neuen Verständnis von Mission und Zeugnis bezog: "Das Ziel der Mission Gottes ist nicht die weltumspannende Kirche, sondern der weltumspannende Schalom…". Aufbruch zur Kirche des Friedens nach 19691971/72 wurde von der BEK eine "Handreichung Erziehung zum Frieden" herausgegeben, die den Primat militärischer Friedenssicherung in Frage stellte. Von der SED wurde diese Schrift als Anschlag auf das Erziehungsziel "Stärkung der Verteidigungsbereitschaft der DDR" verurteilt. Eine von Propst Heino Falke 1972 verwendete Formulierung - er sprach von der engagierten Hoffnung auf einen verbesserlichen Sozialismus - löste Repressionsmaßnahmen der Staatsorgane aus. Die Selbstverbrennung von Pfarrer Oskar Brüsewitz 1976 aus Protest gegen die rigide ideologische Politik der DDR wurde von der Kirchenleitung deutlich gewürdigt, was wiederum zu staatlichen Zensurmaßnahmen führte. 1978 versuchte das SED-Regime die Beziehungen durch ein Treffen Erich Honeckers mit dem Vorstand der Konferenz der evangelischen Kirchenleitungen zu verbessern. Honecker würdigte die gesellschaftliche Arbeit der Kirche, auch ihr Engagement für Frieden und Völkerverständigung. Das ermutigte die Kirchen zur Entwicklung eigenständiger Friedenspositionen. Sie fragten öffentlich: Bringen mehr Waffen mehr Sicherheit? Trägt der Armeedienst zur Verringerung von Gewalt bei? 1979 widersprachen die Kirchen der Einführung des Wehrkundeunterrichts ab Klasse 9. In diesem Jahr fand auch das erste regelmäßige Friedensgebet in der Erfurter Lorenzkirche statt. Seit 1980 wurde die Friedensdekade im November begangen, wobei gleich ein Abrüstungstag ausgerufen und das Symbol "Schwerter zu Pflugscharen" in großer Stückzahl verbreitet wurde. 1982 erschien eine Studie der theologischen Studienabteilung des BEK zu Grundfragen christlichen Friedensdienstes. Im Pazifismus-Kapitel heißt es: "Gewaltverzicht wird …zu einer Forderung der politischen Vernunft." Im selben Jahr formulierte der BEK eine Absage an Geist und Logik der Abschreckung; ihr wurde das Konzept der gemeinsamen Sicherheit entgegengestellt. 1983 wurde das Netzwerk "Frieden konkret" gegründet, das in den Folgejahren das Thema Menschenrechte bearbeitete und die ökumenische Versammlung 1988/89 vorbereitete.- Die Feier zum 500. Geburtstag Martin Luthers führten zu einer Öffnung des Binnenklimas in der DDR. 1986 wurden der Arbeitskreis "Solidarische Kirche" und die "Kirche von unten" (KvU) gegründet. Der Arbeitskreis bewegte sich immer mehr in Richtung politische Opposition, die KvU veranstaltete 1987 einen "Kirchentag von unten". - 1987 befasste sich die BEK-Synode mit dem Thema "Bekennen in der Friedensfrage". Gefordert wurde, dass nicht Wehrdienstverweigerer, sondern Wehrdienstleistende ihre Entscheidung zu begründen hätten. Der Olof Palme-Friedensmarsch im Herbst 1987, der einen atomwaffenfreien Korridor in Mitteleuropa forderte, provozierte wieder staatliche Einschränkungen. - 1988/89 begann in den DDR-Kirchen die offene Jugendarbeit, die sich für Außenseiter öffnete. Die neu entstehenden Friedens-, Menschenrechts- und Umweltgruppen suchten bei staatlichem Druck oft das Dach der Kirche als Schutzraum auf. Stasi-Berichte heben hervor, dass solche Gruppen "fast ausschließlich in Strukturen der evangelischen Kirchen in der DDR eingebunden" sind. 1989 entbrannte eine heftige Diskussion um den Artikel 16 der Augsburger Konfession, wo es den Christen erlaubt ist. "Rechtmäßige Kriege zu führen". Der BEK nahm dazu Stellung, in der es heißt: "Um Gottes und der Menschen willen ist der Krieg abzuschaffen"… Wir setzen "uns dafür ein, daß der Krieg als Mittel der Politik durch eine … Ordnung gerechten Friedens ersetzt wird". 1988/89- Ökumenische Versammlung "Eine Hoffnung lernt gehen"Die ACK in der DDR hatte sich mit dem Aufruf "Eine Hoffnung lernt gehen" an die Gemeinden gewandt. Etwa 10.000 Gruppen, Gemeinden und Einzelpersonen schickten Vorschläge. Die Ökumenische Versammlung fand dann in Dresden, Magdeburg und nochmals in Dresden statt: Im Februar 88 erarbeiteten 150 Delegierte elf Texte, darunter der brisante Text: "Mehr Gerechtigkeit in der DDR". Die 3. Versammlung verabschiedete im April 1989 einen "Brief an die Gemeinden", in dem es heißt: "Wir bekennen uns zu unserer vorrangigen Verpflichtung, dem Frieden mit gewaltfreien Mitteln zu dienen…" In einer theologischen Grundlegung ist zu lesen: "Die Lehre vom gerechten Krieg ist ersatzlos zu streichen und durch das Ziel des gerechten Friedens zu ersetzen." Zweifellos haben die Themen und Aussagen der ökumenischen Versammlung die friedliche Revolution stark beeinflusst; sie waren ihre Grundlage. Auch danach haben sie die Diskurse bestimmt. Große Wirkung hatte auch ein Brief von Bischof Christoph Demke an die Gemeinden, in dem er auch zur Fluchtwelle in der DDR Stellung nahm: "Wir brauchen das offene, mutige und streitbare Gespräch über die Wirklichkeit unseres Landes." Am 40. Jahrestag der DDR (7.10.89) wurde ein von 70 Basisgruppen verabschiedetes Flugblatt verbreitet, in dem es heißt: "Das sozialistische Grundanliegen: soziale Gerechtigkeit für alle und die Ablehnung kapitalistischer Machtkonzentration müssen bleiben. Aber es muß endlich mehr Freiraum zur Eigeninitiative, zur Eigenverantwortlichkeit und Mitbestimmung gegeben werden." Einblicke in die friedliche Revolution 1989 und Auswirkungen auf die KircheIn diesem Kapitel werden die Ereignisse des Jahres 1989 detailliert beschrieben und Bilanz gezogen: Zum ersten Mal in der deutschen Geschichte ist ein so einschneidender Machtwechsel friedlich erreicht worden" und die evangelische Kirche hat maßgeblich zum Gelingen der Revolution beigetragen. Zitat: "Der 9. Oktober ist…ein bemerkenswertes Kapitel für die Geschichte des zivilen Ungehorsams. Eine erstaunliche Erkenntnis wurde gewonnen: Man kann selbst bewaffnete Diktaturen mit friedlichen Mitteln besiegen". "Das ist ohne den Friedensbeitrag der evangelischen Kirchen in der DDR nicht zu erklären." Unter dem Stichwort "Aufräumen und sich neu orientieren" wird die Arbeit der Runden Tische dargestellt. Man sicherte die Stasi-Akten und half bei der Umwandlung der Oppositionsparteien in Parteien bzw. Wahlbündnisse. Die Kirchen setzten sich mit ihren Rollen in der Vergangenheit auseinander: Dabei wurde klar: Der Vorwurf einer stasiverseuchten Kirche entbehrt jeder Grundlage. E. Bürger nützte die neue Freiheit zu einer Reise mit Familie und Konfirmanden nach Taizé. Versuch einer Bilanz der Ereignisse um 1989/90Erstmals haben sich die Kirchen von der politischen Ideologie und staatlichen Führung distanziert. Der ständig wiederholte und verbreitete Aufruf: "Keine Gewalt!" hat sie selbst verändert: Die Gewaltfreiheit wurde zum Kennzeichen von Kirche. Die Evangelische Kirche wurde so zum Gast(Dach-)geber, Mitgestalter und auch teilweise Initiator der Friedlichen Revolution. Sie profilierte sich als Anwalt der Menschenrechte. Kirche des Friedens? Nachdenken auf AbstandGewaltfreiheit wurde verstanden als Verteidigung von Wahrheit und Gerechtigkeit. Sie ist eine Lebenshaltung, die aus ethischen und geistlichen/spirituellen Grundlagen gespeist wird. Die Ökumenische Versammlung 1988/89 war der entscheidende Wegbereiter zu einer Kirche des Friedens. Sie hat die Trennung zwischen Dogmatik und Ethik, zwischen Glauben und Handeln überwunden. "Sie hat exemplarisch deutlich gemacht, dass die Frage nach dem Kirche-Sein der Kirche nicht von der Frage nach dem Handeln der Kirche in der Welt zu trennen ist." (Joachim Garstecki) Das Anliegen, Gewaltfreiheit zu einem Kennzeichen der Kirche und damit zu einem Bekenntnis werden zu lassen, wurde von der EKD in Gestalt des EKD-Ratsvorsitzenden mit seltsamen theologischen Begründungen abgelehnt. In der 2007 erschienenen "Denkschrift der EKD zu Friedensfrage" wird zwar das Ziel des gerechten Friedens aufgenommen, jedoch ohne Bezug auf die Ökumenische Versammlung. Eine Ethik des Gewaltverzichts wird nicht entwickelt, Kriegsdienstverweigerung inhaltlich nicht angesprochen, Pazifismus nur in einem Nebensatz erwähnt. Die Vision früherer Denkschriften, ohne Rüstung zu leben, ist aufgegeben worden. (Matthias W. Engelke) Kurzum: Dass die Kirche Friedenskirche werde, ist von der EKD nicht intendiert. Fernando Enns hält dagegen: "Wer militärische Gewalt weiterhin als legitimes Mittel der Politik ansieht und also stets ins Kalkül zieht, bleibt letztlich in den Gewaltlogiken der Ungerechtigkeit stecken." Dieses Kapitel enthält auch eine harsche Kritik in Gestalt eines ausführlichen Briefes des Autors an Bundespräsident J. Gauck. Dieser hatte in einer Rede vor der Akademie der Bundeswehr in Hamburg am 12.6. 2012 u.a. gesagt: "Die Bundeswehr ist…zu einem Friedensmotor geworden." Der Brief von E. Bürger schließt mit dem Satz: "Zu Zeiten der DDR waren wir damit weiter, als die Ablehnung des bewaffneten Dienstes als das glaubwürdigere Zeugnis für den Frieden benannt wurde und die Christen zu einer deutlichen Distanz ermutigt wurde." Paul Oestreicher fragt: "Könnte die kleine Friedenkirche der Quäker den Weg zur großen Friedenskirche der Christenheit weisen? Das ist mein Traum: die eigentliche Reformation und damit wahrer Gottesdienst." Es wird auch eine ausführliche Stellungnahme von Ullrich Hahn, dem Präsidenten des Versöhnungsbundes e.V. wiedergegeben. Da heißt es: "Der Gegensatz zur Gewalt ist nicht einfach dessen Negation, die Gewaltfreiheit, sondern eine umfassende Gerechtigkeit, die auf Partizipation, d.h. der Beteiligung aller Betroffenen beruht und gerade deshalb Gewaltverzicht in den Beziehungen untereinander voraussetzt." Eine Hoffnung lernt wieder gehenDie Auseinandersetzungen mit der militaristischen Staatsideologie hatten die DDR-Kirchen in die Nähe der Friedenskirchen gerückt. Sie waren auf dem Weg, eine zivile, gewaltfreie Kultur zu entwickeln. Die gewonnenen Erfahrungen und Einsichten brachten sie bis zum Aufgehen in der EKD 1990 deutlich in die Ökumene ein. E. Bürger befasst sich im Folgenden mit Aussagen ökumenischer Versammlungen, insbesondere mit denen der Weltversammlung 1990 in Seoul und der Internationalen ökumenischen Friedenskonvokation 2011 in Kingston /Jamaika. Er hinterfragt den Begriff des gerechten Friedens: "Die vollständige Absage von und der komplette Verzicht auf alle ‚gerechten Kriege’ gäbe dem gerechteren Frieden eine Chance." Er prangert die verheerenden militärischen Entwicklungen in der Bundesrepublik an, insbesondere die Strategie der zivil-militärischen Zusammenarbeit bei Auslandseinsätzen, den Umbau der Bundeswehr zu einer Interventionsarmee, die Bündnispolitik (USA und NATO), die Bundeswehr als Mittel der Außenpolitik, Rüstungsindustrie und Rüstungsexporte sowie den Militärseelsorgevertrag. Er kritisiert auch die Einsätze der Bundeswehr im Innern, die Werbung fürs Militär in Schulen und den militärisch-industriellen Komplex inklusive gemeinsamer Forschungsvorhaben. Dagegen lobt er verschiedene landeskirchliche Initiativen, darunter die im Vorfeld von Jamaika herausgegeben Arbeitsmappe des Ökumenischen Netzes Württemberg und des Pfarramts für Friedensarbeit sowie das Positionspapier zur Friedensethik der Badischen Landeskirche. Er würdigt auch die von der ökumenischen Initiative Eine Welt und dem Bund für Umwelt und Naturschutz in Deutschland (BUND) herausgegeben Erd-Charta. Der Autor ist der Überzeugung, dass die Ergebnisse der Ökumenischen Versammlung 1988/89 inspirierende Grundlage für den weiteren Weg von Kirchen, Gemeinden und Christen bleiben. 25 Jahre nach ihrer Verabschiedung lesen sie sich so, als seien sie z.T. für heute und morgen geschrieben. Sicher müssen sie ergänzt, aktualisiert und erweitert werden. Daher verweist er auch auf das Buch von Hans-Peter Gensichen "Armut wird uns retten", auf Alternativen zum wirtschaftlichen Wachsen ("Netzwerk neue Ökonomie", Initiative "anders wachsen"), auf die Kritik von Huub Oosterhuis an der schamlosen Ideologie des freien Marktes und - recht ausführlich - auf das 2013 erschienene Buch von Geiko Müller-Fahrenholz, "Heimat Erde. Christliche Spiritualität unter endzeitlichen Lebensbedingungen." Es folgt ein Anhang mit Texten von Marianne Subklew, aus der Evang. Kirche in Mitteldeutschland (EKM), des Hausener Friedenkreises, eine Darstellung des Deutschen Zweigs des Internationalen Versöhnungsbundes (Aufgaben, Geschichte, Positionen, Satzung, Ziele, Wege, Mittel) sowie des Vereins "gewaltfrei handeln e.V. Der Anhang enthält auch einen chronologischen Überblick sowie Fotos, vorwiegend von der Friedlichen Revolution 1989. Mein Fazit: Das Buch bietet einen faszinierenden Einblick in die Friedensdiskussion in der DDR. Wagemutig haben Christen, Gruppen und Kirchen Ängste und Selbstzweifel überwunden und sich auf den steinigen Pilgerweg des Friedens begeben. Die ganze Christenheit, nicht zuletzt die EKD, kann daraus Gewinn ziehen. Eine wichtige Erkenntnis: Nur eine staatskritische Einstellung, gespeist aus dem Friedensauftrag des Evangeliums, kann zu klaren und damit befreienden Aussagen führen. Veröffentlicht amArtikel ausdruckenWeitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von |
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