Michael Schmid: “Die Waffen nieder!” - Krieg in jeglicher Form ist ein Verbrechen an der Menschheit!Von Michael Schmid - Rede bei der Kundgebung "Stoppt den Krieg! Frieden für die Ukraine und ganz Europa" am 02.03.2022 in Gammertingen Wir versammeln uns heute hier aus einem sehr traurigen und erschütternden Grund: Inmitten von Europa herrscht Krieg - direkt in unserer Nachbarschaft. Die russische Regierung hat einen Krieg gegen die Ukraine gestartet, überschreitet ihre Grenzen und verletzt in dramatischer Weise das Völkerrecht. Tausende von Menschen sind bereits getötet oder verletzt worden. Es ist nicht auszuschließen, dass dieser Krieg auch über die Ukraine hinaus eskaliert. Jedenfalls finde ich die zunehmenden Militärflugzeuge, die hier zu hören sind, äußerst beunruhigend. Denn die NATO macht mobil und Deutschland hat den Status als Aufmarschgebiet für die NATO-Truppen auf ihrem Weg nach Osten. Heute erschien in der taz eine Anzeige mit dem Aufruf "Die Waffen nieder!", der von etwa 150 Personen und 10 Organisationen aus der Friedensbewegung unterstützt wurde. Initiatoren dieser Aktion sind Armin Lauven und Martin Singe aus Bonn. Als Lebenshaus Schwäbische Alb e.V. gehören wir zu den unterstützenden Organisationen dieser Initiative. Wir haben intensiv für die Unterzeichnung geworben. In meiner Rede gehe ich entlang der Forderungen und Inhalte dieses Aufrufs vor und führe einzelne Punkte etwas weiter aus. Die russische Regierung hat die Ukraine völkerrechtswidrig angegriffen. Diesen Angriff verurteilen wir scharf. Ich muss bekennen, dass ich bis vergangenen Donnerstag nicht gedacht hätte, dass es soweit kommen wird. Ich habe mich geirrt! Dieser russische Angriffskrieg ist ebenso scharf abzulehnen, wie die anderen Angriffskriege, die in den letzten Jahrzehnten auch von den USA und europäischen NATO-Staaten geführt wurden, z.B. gegen Serbien, Afghanistan, Irak, Libyen oder Syrien. Krieg in jeglicher Form ist ein Verbrechen an der Menschheit! Krieg eignet sich in keiner Weise, um Konflikte nachhaltig zu lösen. Im Krieg in der Ukraine gibt es bereits jetzt Tausende Tote und Verwundete auf beiden Seiten. Das ist tragisch. Jeder davon betroffene Mensch ist einer zu viel! Die Welt steht vor einer politischen Katastrophe, ja sogar dem Beginn eines neuen Weltkrieges, für den aber nicht Russland allein verantwortlich gemacht werden kann. Um ein folgenreiches Desaster und nach der Alarmbereitschaft russischer Atomwaffen vielleicht auch einen Atomkrieg zu verhindern, muss im Ukrainekrieg ein sofortiger Waffenstillstand erreicht werden. Wir werden nachher noch mehr zu dem Thema Atomkriegsgefahr hören. Die westlichen Staaten und die NATO haben vorab keine ernsthaften Versuche unternommen, die sich seit Jahren drehende Eskalationsspirale zu stoppen, da sie die "berechtigten Sicherheitsinteressen" Russlands nicht hinreichend berücksichtigt haben. Natürlich habe ich als Pazifist meine Probleme mit der Berufung auf so etwas wie "legitime Sicherheitsinteressen", weil damit immer auch die Rüstung, Stationierung oder gar der Einsatz von Waffen und Soldaten gemeint sind. Doch gerade die Beachtung und Anerkennung der berechtigten Sicherheitsinteressen war ja die Grundlage der Entspannungspolitik. Und ohne diese wäre der Kalte Krieg um 1990 herum nicht beendet worden. Und wenn heute die eine Seite berechtigte Sicherheitsinteressen für sich in Anspruch nimmt, dann muss man sie auch der anderen Seite gewähren. Nach dem Wegfall des "Eisernen Vorhangs", dieser innereuropäischen Grenze, der Auflösung des Warschauer Pakts, dem Ende des Kalten Krieges hat es eine große Chance gegeben, das von Gorbatschow vorgeschlagene "Gemeinsame Haus Europa" zu schaffen. Doch das westliche Militärbündnis hatte andere Pläne als seine eigene Auflösung. Auch unsere Forderungen aus der Friedensbewegung ab 1990, z.B. eine Bundesrepublik ohne Armee zu schaffen, blieben ebenso ungehört wie Forderungen, eine gesamteuropäische gemeinsame Sicherheitsarchitektur unter Einschluss Russlands aufzubauen. Ich möchte hier Andreas Zumach zitieren, der schreibt: "Entgegen dem im Westen weitverbreiteten Narrativ begann die Verschlechterung der Beziehungen nicht erst mit Russlands völkerrechtswidrige Annexion der Krim im März 2014, sondern bereits mit der NATO-Osterweiterung, die ab 1996 vollzogen wurde. Es wurde das Versprechen gebrochen, das US-Außenminister James Baker, Bundeskanzler Helmut Kohl und Außenminister Hans-Dietrich Genscher dem sowjetischen Präsidenten Michail Gorbatschow Anfang Februar 1990 nachweislich gegeben hatten. Die Osterweiterung war ein schwerer historischer Fehler der Nato." Wenn diese Vorgeschichte heute einfach ausgeblendet wird, dann kann die fatale Dynamik der Konflikteskalation zwischen Moskau und dem Westen nicht beendet und umgekehrt werden. Ich kann hier nur dringend empfehlen, Artikel von Andreas Zumach zu lesen oder sich seine Vorträge anzuhören, von denen ja auch einige als Videos im Internet zu finden sind. Auf unserer Lebenshaus-Website findet sich einiges dazu. Alles dies, was ich jetzt gerade gesagt habe, rechtfertigt allerdings nicht den völkerrechtswidrigen russischen Angriffskrieg! Wir fordern die sofortige Einstellung aller kriegerischer Handlungen in der Ukraine und die Rückkehr zu Diplomatie und Verhandlungen zur Lösung der Konflikte. Jedes kleinste Fenster für neue Verhandlungen muss unbedingt genutzt werden. Wir fordern von der russischen Regierung, sofort alle Angriffe einzustellen und alle Truppen aus der Ukraine zurückzuziehen. Wir sollten uns auch davor hüten, nun angesichts des großen Leids und unermesslichen Elends, das den Menschen in der Ukraine angetan wird, Hass und Wut auf "die Russen" aufkommen zu lassen. Immer mehr Menschen in Russland machen deutlich, dass sie diesen Krieg nicht wollen. Diesen Menschen gilt unsere Solidarität. Zudem muss Deutschland russischen Kriegsdienstverweigerern Asyl anbieten. Eine Beendigung des militärischen Widerstands seitens der Ukraine, verbunden mit der Ankündigung zivilen Widerstandes gemäß des Konzeptes Sozialer Verteidigung, könnte weitere unzählige Tote, Verletzte und Verwüstungen in einem andauernden Krieg vermeiden helfen. Wir werden nachher noch etwas von zivilen Widerstandsformen in der Ukraine hören. Wer wissen möchte, was Soziale Verteidigung ist, kann sich darüber z.B. auf der Lebenshaus-Website informieren oder auch nachlesen, was bei Wikipedia zur Sozialen Verteidigung steht. Wer sich diesem Krieg in der Ukraine entziehen will, muss dort auch ausreisen dürfen. Dabei muss aber eins auch klar sein: Die Bomben machen keinen Unterschied, was Staatsangehörigkeit oder Hautfarbe betrifft, und genauso wenig darf an den Grenzen ein solcher Unterschied gemacht werden. Die Grenzen müssen für alle Fliehenden aus der Ukraine - und anderen Ländern - offen sein! Heute habe ich schon ein STATEMENT der Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland zur aktuellen Lage bekommen, die darin ihre Fassungslosigkeit, tiefes Befremden und absolutes Entsetzen zum Ausdruck bringen angesichts der Verweigerungen der Grenzpolizei, Schwarze Menschen, unter ihnen afrikanische Studierende, die EU-Grenze von der Ukraine und von Belarus aus überqueren zu lassen. Ein solcher Rassismus ist natürlich absolut zu verurteilen! Deutschland sollte Kriegsdienstverweigerern der ukrainischen Armee Asyl anbieten und diese auf Wunsch evakuieren. Auch dazu hören wir nachher noch mehr. Solidarität mit der Ukraine heißt für uns, die Menschen in dem Land weiterhin beim Ausbau von Demokratie und der Verwirklichung von Menschenrechten zu unterstützen, Geflüchtete aufzunehmen und humanitäre Hilfe zu leisten. Die internationale Gemeinschaft muss alles dafür tun, die Konfliktparteien an den Verhandlungstisch zurückzubringen. Eine große Konferenz der OSZE muss alle vorliegenden Konflikte neu verhandeln und Lösungen finden. "Verhandeln statt schießen! Aufbau einer gemeinsamen Sicherheitsarchitektur" muss wieder zur Devise werden. Die Ukraine hat völkerrechtlich gesehen das Recht, sich militärisch zu verteidigen. Wir fordern jedoch Deutschland auf, keine Waffen an die Ukraine zu liefern, weil der Krieg selbst die größte Bedrohung für alle ist und Waffenlieferungen den Krieg anheizen. Das Verwüstungspotenzial eines modernen Kriegs ist beispielsweise im Irak, in Afghanistan und Syrien zu sehen. Dieser Krieg darf auch nicht für neue milliardenschwere Aufrüstungsschübe der Bundeswehr missbraucht werden - wie jetzt von der Bundesregierung angekündigt. Was Bundeskanzler Scholz am Sonntag unter dem Eindruck des völkerrechtswidrigen Angriffskrieges verkündet hat, ist erschreckend. Die Ukraine erhält deutsche Kriegswaffen. Zudem sollen dieses Jahr nochmals weitere 100 Milliarden Euro Sondervermögen ‚Bundeswehr’ bereitgestellt werden. Und schließlich soll der jährliche Militärhaushalt über 2% des Bruttosozialprodukts betragen. Das würde dann von ursprünglich für dieses Jahr eingeplanten über 50 Milliarden Euro eine Steigerung auf mindestens 72 Mrd. Euro bedeuten. Und diese Riesenbeträge sollen dann Jahr für Jahr für das Militär ausgegeben werden. Welch ein Irrsinn! "Olaf Scholz könnte als Hochrüstungskanzler in die deutsche Geschichte eingehen." (Jürgen Grässlin) Dabei stimmt ja auch die Behauptung, dass die Bundeswehr in den letzten Jahren und Jahrzehnten systematisch kaputtgespart worden sei, überhaupt nicht. Bereits von 2012 auf 2022 ist der Militär-Etat von 31,9 Milliarden Euro auf 50,3 Milliarden Euro gewachsen - ein Plus von 58 Prozent. Dazu kommt, dass die NATO als Ganzes ihre Militärausgaben in den letzten Jahren bereits deutlich erhöht hat, während die russischen in den vergangenen Jahren deutlich verringert wurden. Heute sind die NATO-Militärausgaben bereits rund 18mal höher als die Russlands. Aber ganz offensichtlich haben die militärischen Ausgabensteigerungen bislang in keiner Weise zu mehr Sicherheit geführt, wie derzeit leider sehr deutlich wird. Im Gegenteil, diese Rüstungsausgaben und die mit ihr zusammenhängende Politik sind sicher auch ein Teil des Problems und nicht der Lösung. Natürlich gibt es Profiteure des Aufrüstungskurses. Zitat unseres Friedensfreundes Jürgen Grässlin: "Wo Krieg ist, finden sich immer die Profiteure des Mordens und Abschlachtens. Entgegen dem Kursverfall in den ersten Kriegstagen profitierten die Händler des Todes vom Krieg in der Ukraine: Die Aktie von Krauss-Maffei Wegmann stieg innerhalb eines einzigen Tages um 3,6 Prozent, die von Hensoldt um 5,1 Prozent, Airbus um 6,5 Prozent und Rheinmetall um sieben Prozent." Klar ist auch, dass das Geld, das in das Militär gesteckt wird, an anderer Stelle eingespart wird, im Sozial- und Gesundbereich oder bei den globalen Herausforderungen wie der Klimakatastrophe und globaler sozialer Gerechtigkeit. Deshalb lehnen wir die angekündigte Hochrüstung Aufrüstung entschieden ab. Sie kann keine Eskalation verhindern, sondern bereitet Krieg vor..Stattdessen fordern wir mehr Mittel für Krisenprävention, zivile Konfliktbearbeitung, zivile Friedensdienste und eine sozial-ökologische Transformation. Ich möchte enden mit den Forderungen Motto des heute in der taz veröffentlichten, von uns unterstützten Appells: "Die Waffen nieder!"Das Blutvergießen beenden! Jedes Leben zählt!
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