Wir sind NATOMilitärische Allianz: US-Präsident Joe Biden nutzt die Gunst der Stunde für sein Ziel einer fortgesetzten Militarisierung der europäischen Alliierten. Olaf Scholz hat das verstanden. Die USA sehen aber nicht in Russland die größte Gefahr.Von Konrad Ege Der Ukraine-Krieg sorgt für weitreichende sicherheitspolitische Veränderungen in Europa. Es geht um eine Art Reinkarnation der 1949 gegründeten Nato. Die politischen Dellen in der militärischen Allianz auszubeulen, das war bereits vor seinem Amtsantritt ein großes Anliegen von US-Präsident Joe Biden. Sein Vorgänger hatte sich beschwert, das Bündnis sei womöglich obsolet. Donald Trump entsetzte die Sicherheitsexperten, doch fand seine Idee vom Rückzug aus der Führungsrolle, vor allem als Garant von "Sicherheit", durchaus Beifall in der US-Bevölkerung. Der gestandene Transatlantiker Biden hat nun, unterstützt von Wladimir Putin, sein Ziel erreicht und übertroffen. Beim Krieg in der Ukraine sei die Nato vollkommen vereinigt, so der Präsident. Zu schrecklich sind die Bilder, zu groß die Sorgen über den schwer abschätzbaren Putin. Zu laut tönen die Schuldbekenntnisse besonders von Nato-Skeptikern, sie hätten mit diesem Krieg nicht gerechnet. Biden sucht seit seinem Antritt nach den richtigen Worten, um von vier Jahren Trump verstörte Transatlantiker zu beruhigen. "Amerika ist wieder da. Die transatlantische Allianz ist wieder da", verkündete er per Video bei der Münchener Sicherheitskonferenz im Februar 2021. Es ging jedoch nicht nur um europäische Sicherheit. Aus Sicht von Team Biden war das Verlangen nach Zusammenhalt auch davon unterfüttert, transatlantische Rückendeckung zu brauchen, um sich dem aus seiner Sicht wichtigeren Anliegen – der Konkurrenz mit China – zu widmen. Biden rang sich zu Zugeständnissen durch, indem er im Sommer auf Sanktionen gegen die Pipeline Nord Stream 2 verzichtete, jenem vom US-Außenministerium verurteilten "politischen Projekt des Kremls", das Westeuropa abhängig machen solle. Beim Abzug aus Afghanistan im August nach 20 Jahren Krieg kamen freilich Beschwerden von Verbündeten wegen des unilateralen Vorgehens der US-Regierung. Scholz hat verstandenDas ist Vergangenheit. In seiner Rede zur Lage der Nation sagte Biden Anfang März, bei der Planung gegen Russland hätten die Nato-Partner eng kooperiert. Die Agentur Reuters zitierte einen ranghohen europäischen Diplomaten, Bidens Vorgehen sei "beispielhaft" gewesen. Und die Washington Post schrieb, Biden habe europäischen Politikern bewusst den Vortritt gelassen. Der Krieg in der Ukraine sollte nicht wie ein Konflikt zwischen den USA und Russland aussehen. Es war im Mai 1998, als der US-Senat mit 80 zu 19 Stimmen für die Aufnahme Polens, Ungarns und Tschechiens in die Nato votierte und die Osterweiterung begann. Die Allianz habe dem Westen ein halbes Jahrhundert lang Sicherheit gebracht, sagte der damalige demokratische Senator Biden, "und das jetzt ist der Beginn von noch einmal fünfzig Jahren Frieden". Die USA sehen sich seit dem 20. Jahrhundert als Repräsentant von Freiheit und Macht. Gegenwärtig unterhalten sie Militärbasen in gut 80 Nationen der Welt. Das ist viel in einer Zeit, in der die Vereinigten Staaten von der unipolaren Welt nach dem Kalten Krieg in eine multipolare gerutscht sind. Bei der Nato ist die US-Regierung an Veränderungen interessiert, die auf eine fortgesetzte Militarisierung der europäischen Alliierten hinauslaufen, ein Konzept, dem der sozialdemokratische Kanzler Olaf Scholz vorgegriffen hat mit seinem riesigen Rüstungsprojekt. Ivo Daalder, einst US-Botschafter bei der Nato, merkte im Fachmagazin Foreign Affairs unter der Überschrift "Die Rückkehr von Containment" an, wie so ein Umschwung auszusehen habe. Die Nato müsse ihre Vorwärtshaltung überdenken und Truppen mit zehntausenden Militärs, nicht nur ein paar tausend, an ihrer Ostgrenze platzieren. Noch Mitte Februar hieß es in einem Strategiepapier auf der Website der Transatlantik-Lobby Atlantic Council: In Washington sei außenpolitisch eine "seltene überparteiliche Übereinstimmung" herangewachsen, dass für die USA "China, nicht Russland, die Hauptbedrohung der nationalen Sicherheit" sei. Biden habe eine Chance, einen neuen "transatlantischen Handel" auszulösen. Die europäischen Nationen sollten "mehr Verantwortung für ihre eigene Sicherheit" übernehmen, also müsse mehr in europäische Hände gelangen. Die USA blieben als letzter Sicherheitsgarant im Notfall. Scholz nahm das auf, als er von einer grundlegenden Neuorientierung deutscher Außenpolitik sprach. Quelle: der FREITAG vom 12.03.2022. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Konrad Ege und des Verlags.
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