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Michael Schmid: “Verantwortung für eine Hochrüstung Deutschlands liegt bei der deutschen Bundesregierung und nicht bei Putin!”

Von Michael Schmid - Rede bei der Kundgebung am 25.03.2022 in Gammertingen

Seit dem russischen Angriffskrieg in die Ukraine sind nunmehr über vier Wochen vergangen. Dieser Krieg ist eindeutig völkerrechtswidrig. Bereits jetzt hat der Krieg in und um die Ukraine große zerstörerische Folgen für die betroffenen Menschen und richtet unermesslich großes Leid an. Es gibt viele Tote und Verwundete, Millionen Menschen sind geflüchtet.

Die Empörung darüber ist auch hierzulande sehr groß. Aber angesichts der nun herrschenden Kriegslogik ist die Gefahr präsent, in ein völliges schwarz-weiß Denken zu verfallen, in Feindbilddenken, das dann schnell nicht mehr in der Lage ist, differenzierter auf das zu schauen, was sich da aktuell tut. Vor allem, warum es sich so entwickelt hat.

Ich möchte ein paar wenige Punkte ansprechen, die in der öffentlichen Debatte gerade eher gar nicht bis wenig vorkommen.

Letzte Woche ist in Kontext:Wochenzeitung ein Interview mit Wolfram Wette erschienen, aus dem ich gerne einen Ausschnitt vorlesen möchte. Wolfram Wette gilt als einer der renommiertesten Militärhistoriker Deutschlands - mit einem für sein Fach ungewöhnlichen Schwerpunkt: Er forschte intensiv zu Kriegsprävention und Pazifismus. Von 1975 an arbeitete er am Militärgeschichtlichen Forschungsamt in Freiburg, ab 1998 war er Professor für Neueste Geschichte an der Universität Freiburg.

Hier jetzt eine kurze Passage aus dem lesenswerten Interview:

"Im aktuellen Krieg in der Ukraine ist die Kriegsschuldfrage zunächst einmal klar: Russland hat, aus welchen Gründen auch immer, das Land überfallen. Aber alle anderen Probleme, die damit zusammenhängen, scheinen aktuell wenig interessant zu sein. Es drängt sich der Eindruck auf, als falle die lange Vorgeschichte von Putins Aggression der offensichtlichen Kriegsschuld Putins zum Opfer. Eine wirkliche Analyse der Kriegsursachen gibt es zurzeit nicht.

Stets ist zu fragen, ob mit jedem Krieg, der beginnt, die Diplomatie versagt hat, oder ob in der Vorgeschichte die Fehler zu suchen sind. Zurzeit ist es unpopulär, solch eine Frage überhaupt zu stellen. Aber ich bin überzeugt: Auch dieser Krieg hätte verhindert werden können. Kriege sind keine übernatürlichen Erscheinungen, keine Schicksale. Kriege sind Menschenwerk, deshalb gilt grundsätzlich: Auch die Kriegsverhinderung ist Menschenwerk und damit der Erhalt des Friedens möglich - eine mehr als wichtige Aufgabe. Nun hört man sagen, Putin hat den Krieg gewollt, ergo ließ er sich nicht verhindern. Aber so ist es eben nicht, Putin hat eine Entwicklung durchgemacht.

Die zurückliegenden Jahrzehnte sind dabei von allergrößter Bedeutung, wenn man verstehen will, was jetzt los ist. Zum Beispiel habe ich die Beobachtung gemacht, dass die Rolle der USA nach dem Kalten Krieg, nach dem Zusammenbruch des Warschauer Pakts, nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der Bildung der neuen Länder, die zuvor zur Sowjetunion gehört hatten, die NATO-Osterweiterung mit ihren verschiedenen Etappen, dass all das fast völlig außerhalb jeder Diskussion ist. Darauf ist aufmerksam zu machen, ohne gleich ein abschließendes Urteil darüber abzugeben.

Im Westen hätte größere Aufmerksamkeit auf die Bedrohtheitsgefühle der Russen gerichtet werden müssen. Wenn man sich selbst sagt, ich bedrohe doch niemanden, ist das nur die eine Seite des Problems. Wenn der andere sich bedroht fühlt, ist das die andere Seite. Deshalb ist in der Friedens- und Konfliktforschung viel von Bedrohtheitsvorstellungen und -gefühlen die Rede - weil das eben subjektive, aber auch kollektive Empfindungen sind, die man ernst zu nehmen hat - und das ist nicht genügend getan worden."

Wer die Vorgeschichte nicht ernsthaft zur Kenntnis nimmt und die eigene Verantwortung anerkennt, wird auch nicht zu einer Lösung beitragen können. Weiter warnt Wolfram Wette:

"Es besteht die große Gefahr, dass es international zu einer gravierenden Neuorientierung kommt. Solche Stimmung wie in der Bundestagssondersitzung am 27. Februar, wo man sich in einem bislang nicht für möglich gehaltenen Ausmaß darüber einig war, dass die Rüstungsanstrengungen in Deutschland zu verdoppeln sind, verbunden mit ähnlichen Stimmungen in anderen Ländern, die sich bedroht fühlen, das wirkt wie ein Signal, dass die Devise jetzt weltweit nicht mehr Frieden heißt, sondern Vorbereitung auf kriegerische Auseinandersetzungen. Und immer wo aufgerüstet wird, entstehen Feindbilder - und frohlocken die Vertreter des militärisch-industriellen Komplexes. Da werden die Diplomaten weniger wichtig - und Friedensbemühungen eher belächelt als bestärkt. Man geht einen hochgefährlichen Weg in militärische Eskalationsspiralen hinein mit der Folge, dass genau das geschieht, was wir eigentlich nach 1945 als großes Lernziel vermeiden wollten."

Wolfram Wette hat die Bundestagssondersitzung am 27. Februar angesprochen, wo es plötzlich eine wirklich unfassbare Stimmung für eine gigantische Aufrüstung Deutschlands gab. Dabei übersteigen bereits jetzt die Militärausgaben aller 30 NATO-Staaten die russischen um fast das 18- bis 20fache. Die NATO-Länder und auch Deutschland haben schon vor 2014 begonnen, das heißt lange bevor es den Ukrainekonflikt gab, ihre Rüstungsausgaben deutlich zu steigern. Es ist also schlicht falsch, wenn z.B. die taz titelt: "Putin rüstet Deutschland auf".

Nein, die Verantwortung für eine Hochrüstung Deutschlands liegt bei der deutschen Bundesregierung - so sollte es zumindest sein. Und diese auf Jahrzehnte geplante Hochrüstung wird das Sterben in der Ukraine nicht beenden, wird unsere Welt nicht friedlicher und nicht sicherer machen. Wir können sie uns im Namen der Zukunft nicht leisten. Denn es muss eigentlich die Bewältigung der Klimakatastrophe, bei der es sich um die Überlebensfrage für die Menschheit handelt, endlich mit größter Entschlossenheit angepackt werden.

Am vergangenen Samstag erhielt ich den Gmünder Appell gegen Waffenlieferung in die Ukraine, der an Bundestagsmitglieder gerichtet ist. Auf meine Anfrage hin, ob ich diesen Appell noch weiterverbreiten solle, erhielt ich vom Initiator der Aktion die Antwort, eigentlich hätte die Unterschriftensammlung gerade beendet werden sollen, aber er freue sich, wenn ich diese Aktion noch weiterverbreite. Dafür hat er dann eigens die Frist um 3 Tage verlängert. Die Resonanz auf meine Unterstützungsaktion hatte zur Folge, dass aus bis dahin 32 Unterschriften innerhalb der drei Tage nun 270 wurden. Über so viel Zustimmung und Mitmachen habe ich mich natürlich gefreut. Allerdings kamen zwar wenige, aber doch sehr kritische bis heftige Reaktionen von Menschen, die sich der Friedensbewegung mehr oder weniger zurechnen. Sie kritisierten nachdrücklich eine solche Aktion, die sich gegen Waffenlieferungen in die Ukraine ausspricht und plädierten ausdrücklich für deutsches Kriegsmaterial in das Kriegsland.

Ich möchte kurz erwähnen, dass 2011 die Kampagne "Aktion Aufschrei - Stoppt den Waffenhandel!" ins Leben gerufen wurde. In ihrem Namen engagieren sich über hundert Organisationen aus dem umwelt-, friedens- und entwicklungspolitischen Bereich sowie Kirchen gegen deutsche Rüstungsexporte. "Lebenshaus Schwäbische Alb e.V." gehört seit Anfang zu diesem Kampagnenbündnis.

Aus unserer Sicht ist dieses Bündnis wichtig, denn Deutschland zählt zu den größten Waffenexporteuren der Welt (Platz 4 im Jahr 2020). Entgegen der restriktiven Exportrichtlinien wurden auch in großem Umfang deutsche Waffen in Kriegs- und Krisengebiete und an menschen- und völkerrechtsverletzende Staaten exportiert. Vor der daraus resultierenden Gewalt versuchen viele Menschen sich durch Flucht zu retten. Die Grenzsicherung der EU und vieler Staaten zielt wiederrum auf die Abwehr von Geflüchteten, wozu wiederum auch deutsche Rüstungsunternehmen Waffen und Grenzsicherungsanlagen liefern.

Die Rüstungsindustrie verdient also doppelt am Leid der Menschen. Um diesem unseligen Treiben nicht tatenlos zuzusehen, engagiert sich die "Aktion Aufschrei - Stoppt den Waffenhandel!" dagegen.

Mit dem Kampagnenbündnis haben wir uns auch stets gegen Waffenlieferungen in die Ukraine ausgesprochen. Die Ukraine hat allerdings von verschiedenen Nato-Staaten seit 2014 militärische Ausrüstung im Wert von mehreren Milliarden Euro erhalten und ist auch nach NATO-Standard trainiert worden. De facto konnte durch diese Aufrüstung die Zuspitzung der Krise und dann der Krieg nicht verhindert werden.

Zu den Rüstungslieferungen möchte ich aus der Rede von Jürgen Grässlin zitieren - Jürgen ist einer der Sprecher von "Aktion Aufschrei - Stoppt den Waffenhandel!", die er bei der Großdemonstration am 13. März in Stuttgart hielt.

"Waffenlieferungen an Verteidigungskräfte im Abwehrkampf gegen einen Angreifer mögen gut gemeint sein - de facto sind sie aber kontraproduktiv. Denn wer den Export von Kriegswaffen in einen Krieg hinein genehmigt, der wird selbst zur Kriegspartei. Der kann - wie Deutschland und fast alle NATO-Partner - nicht länger glaubwürdiger Organisator oder Gastgeber bei Friedensverhandlungen sein.

Wer Waffen in ein Kriegsgebiet liefert, der verliert die Kontrolle über ihren Einsatz. Defensivwaffen gibt es nicht - jede Waffe kann auch offensiv eingesetzt werden. Auch mit vermeintlichen Defensivwaffen können schwere Menschenrechtsverletzungen verübt werden.

Waffenexporte in einen Krieg tragen zur Eskalation bei. Die gelieferten Kriegswaffen befördern eine unwägbare Konflikteskalation. Waffenexporte sind wie Öl ins Feuer. Die russische Seite hat erklärt, dass Waffenlieferungen eine Kriegsbeteiligung des jeweiligen Landes darstellen. Die Folgen sind unabsehbar."

Außer der großen Zerstörung in der Ukraine und dem großen Leid, das verursacht wurde und wird, drohen ebenfalls enorme Risiken für Europa und für die Welt. Nicht auszudenken, wenn eines der 15 kriegsbedrohten AKWs der Ukraine beschädigt wird. Zudem ist eine weitere Eskalation bis hin zu einem alles vernichtenden Atomkrieg eine wahrlich beängstigende Perspektive.

Diese Woche erhielt ich eine weitere kritische Mail als Reaktion auf den Gmünder Appell - mit einem völlig anderen Tenor - und zwar von einem in der Schweiz lebenden israelischen Journalisten und Friedensaktivist. Sein Vater ist einst vor den Nazis aus Deutschland nach Palästina geflohen. Er schrieb: "So sehr ich den Geist des Appels unterstütze, vermisse ich die Kritik auch an der ukrainischen Führung, die mitverantwortlich ist für die jetzige Katastrophe und ihre konstanten Versuche, einen Weltkrieg näher zu bringen und die stumpfsinnigen und kontraproduktiven Sanktionen, die schon jetzt viel Elend auch in armen Ländern und nicht nur dort verursachen. Dabei machen sie wenig Eindruck auf den Diktator Putin." Diese Kritik richtet sich nicht nur gegen den Gmünder Appell, sondern überhaupt an die Adresse der Friedensbewegung.

Ohne dass ich mir diese Kritik in allen ihren Punkten zu eigen machen möchte, so möchte ich doch betonen, dass es mir angesichts der ständig erhobenen Forderung der ukrainischen Führung nach Einrichtung einer Flugverbotszone und anderen Versuchen, die NATO in den Krieg hineinzuziehen, wirklich angst und bange wird. So hat der ukrainische Präsident Selenskyj die Bundesregierung vor ein paar Tagen in einer live übertragenen Videoansprache vor dem Bundestag erneut zu mehr Unterstützung aufgefordert, um den Krieg in seinem Land zu stoppen. Insbesondere erneuerte Selenskyj seine Forderung nach der Schaffung einer Flugverbotszone. Und er verlangt von Deutschland, endlich eine Führungsrolle einzunehmen und in den Krieg einzutreten. In dem von Selenskyi geforderten Sinn in den Krieg eintreten - ob Deutschland oder ein anderer Nato-Staat -, das bedeutet den 3. Weltkrieg! Noch hält die deutsche Bundesregierung diesem Druck stand und gibt zumindest solchen Forderungen nicht nach, die letztlich (selbst-)mörderisch wären. Aber angesichts der herrschenden Kriegslogik, die derzeit auch hierzulande in Politik, Medien und Öffentlichkeit dominiert, stellt sich die Frage, ob diesem Druck auf längere Sicht wirklich standgehalten wird.

Jedenfalls sage ich mit den Worten des Verlegers und Autors Helmut Donat "nein zu Selenskijs Vorschlag, Deutschland solle sich an die Spitze Europas stellen - und erneut in Waffen erstarren. Der Friede ist ein sehr, sehr hohes Gut, und ich halte es mit Reinhard Mey, der in einem Lied sagt: ‚Nein, meine Söhne geb’ ich nicht!’ Es kann uns nicht gleichgültig sein, dass die mühevoll, in Jahrzehnten erreichte Friedenskultur, an deren Aufbau viele mitgewirkt haben, durch eine neuerliche Kriegskultur, von der wir wissen, wohin sie führt, ersetzt wird. In einer Welt und in einem Land, in dem der Krieg und nicht der Frieden als "Ernstfall" gilt, möchte ich nicht leben." (Helmut Donat) Deshalb fordere ich mit Bertha von Suttner: "Die Waffen nieder!" Wir setzen uns für eine Friedenslogik ein, die Deeskalation, Diplomatie, sofortige Einstellung der Kriegshandlungen, Rückzug der Waffen, Verhandlung und Vermittlung zwischen den Konfliktparteien anstrebt. Und die zudem auf zivilen Widerstand und soziale, gewaltfreie Verteidigung setzt.

 

 

(Musik von Bernd Geisler)

 

Michael Schmid:

Ich möchte nun zu einem stillen Gedenken einladen. Damit soll allen vom Ukraine-Krieg betroffenen Menschen gedacht und unsere Solidarität ausgedrückt werden. Aber dabei sollen auch alle Menschen einbezogen werden, die von den anderen fast 30 aktuellen Kriegen betroffen sind. So geht am morgigen 26. März 2022 der brutale Krieg im Jemen in sein 8. Jahr, ein Krieg, der über eine Viertelmillion Menschen getötet hat; mehr als 4 Millionen Menschen sind aufgrund dieses Krieges vertrieben worden und 80 % der Bevölkerung, darunter 11,3 Millionen Kinder, benötigen dringend humanitäre Hilfe.

Im Jemen führt eine von Saudi-Arabien angeführte Militärkoalition Krieg. Deutschland und andere NATO-Mitglieder zählen zu den Unterstützern der Militärintervention von Saudi-Arabien im Jemen. Mit ihrer offensiven Rüstungsexportpolitik an Saudi-Arabien, an die Vereinigten Arabischen Emirate, an Ägypten und weitere kriegführende Staaten leistet die Bundesregierung Beihilfe zu schweren Menschenrechtsverletzungen und Mord. Auch Katar mischt in diesem Krieg in Jemen mit und das mit Waffen aus Deutschland. Wirtschaftsminister Robert Habeck war gerade in Katar, um von Golfstaaten Energie beziehen, die in Jemen in diesen grausamen Krieg involviert sind. Dabei soll es darum gehen, vom Gas und Öl Putins wegzukommen, und dafür wechselt man zu einem anderen kriegführenden Land. Überzeugend ist das nicht!

Jetzt wollen wir allen vom Krieg betroffenen Menschen still gedenken und dabei auch diejenigen nicht vergessen, die an den europäischen Außengrenzen einen verzweifelten Überlebenskampf führen, weil Europa seine Grenzen für sie nahezu völlig dicht gemacht hat.

(Stilles Gedenken an die Opfer des Ukrainekriegs und an alle Opfer von Kriegen)

Katrin Warnatzsch:

Auszug aus der Erklärung der Werkstatt für Gewaltfreie Aktion, Baden: "Nein zum Krieg in der Ukraine! Ja zu Sozialer Verteidigung!" vom 6. März 2022

Druck auf den russischen Präsidenten Wladimir Putin kann auf vielfache Weise ausgeübt werden. Wir sind beeindruckt von den Demonstrierenden, die in Russland jeden Tag auf die Straße gehen und dabei viel riskieren. Wissenschaftler*innen, Ärzt*innen, Künstler*innen lehnen diesen Krieg ab und äußern dies auch öffentlich. Wir halten auch Sanktionen für richtig, wenn sie primär den politisch und wirtschaftlich Mächtigen schaden und nicht der breiten Bevölkerung. Russische Soldaten, die desertieren, sollten in Deutschland politisches Asyl erhalten.

Wir erleben, dass auch hier in Deutschland unter dem Eindruck des Krieges die Aufrüstung und Militarisierung unseres Lebens vorangetrieben wird. Die angekündigte massive Aufrüstung der Bundeswehr erfüllt uns mit großer Sorge. Wir lehnen sie ab! Sie wird keinen Frieden bringen.

Mit großem Respekt nehmen wir wahr, dass es Menschen in der Ukraine gibt, die mit bloßen Händen auf Panzer zugehen, mit den russischen Soldaten reden und manchmal sogar die Panzer zum Umdrehen bringen. Dieses Vorgehen erfordert viel Mut und Zivilcourage. Sie zeigen uns mit diesem Vorgehen, was auch möglich wäre.

Die soziale, gewaltfreie Verteidigung ist eine durchaus wirksame Waffe. Die Geschichte des Zweiten Weltkrieges zeigt, dass es viele Fälle gab, wo gewaltfreier Widerstand erfolgreich gegen die Nazis eingesetzt wurde, auch zur Rettung von Jüdinnen und Juden und zur Bewahrung der eigenen Integrität. Beispiele aus Dänemark, Norwegen und Bulgarien belegen dies.

Wer sich mit gewaltfreien Mitteln zur Wehr setzt, kapituliert nicht. Selbst wenn Russland die Ukraine militärisch besiegen würde, könnte die russische Regierung dieses große Land nicht so einfach regieren. Wenn sich 44 Millionen Menschen der Zusammenarbeit verweigern, gelingt keine dauerhafte Besatzung, auch nicht unter Einsetzung einer Marionettenregierung. Die Menschen in der Ukraine haben in der jüngsten Vergangenheit gezeigt, wie viel Kraft in zivilem, gewaltfreiem Widerstand steckt.

Der polnische Politologe Maciej Bartkowski, der in den USA am International Center for Nonviolent Conflict lehrt und forscht, hat jüngst darauf hingewiesen, dass es in der Ukraine vor dem Krieg eine große Bereitschaft gab, im Falle eines russischen Angriffs zivilen Widerstand zu leisten. Ziviler Widerstand ist eine ernstzunehmende Alternative zum Krieg, auch zu einem gemäß dem Völkerrecht legitimen Verteidigungskrieg.

Der ukrainische Pazifist Yurii Sheliazhenko schreibt am 27. Februar:

"Die Ukrainische Pazifistische Bewegung verurteilt alle Militäraktionen auf Seiten Russlands und der Ukraine im Kontext des aktuellen Konflikts. Wir verurteilen die militärische Mobilisierung und Eskalation innerhalb und außerhalb der Ukraine, einschließlich der Androhung eines Atomkriegs. Wir rufen die Führung beider Staaten und Streitkräfte auf, zurückzutreten und sich an den Verhandlungstisch zu setzen. Frieden in der Ukraine und auf der ganzen Welt kann nur auf gewaltfreiem Weg erreicht werden. Krieg ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Deshalb sind wir entschlossen, keinerlei Krieg zu unterstützen und uns um die Beseitigung aller Kriegsursachen zu bemühen.

Es ist schwer, jetzt ruhig und vernünftig zu bleiben, aber mit der Unterstützung der globalen Zivilgesellschaft ist es einfacher. Freunde aus vielen Ländern zeigen Solidarität und fördern aktiv den Frieden mit friedlichen Mitteln in und um die Ukraine. Wir sind hier zutiefst dankbar und inspiriert." Und er fährt fort:

"Die meisten Menschen schlingern intuitiv zwischen einer Kultur des Friedens und der Gewaltlosigkeit einerseits und einer Kultur des Krieges und der Gewalt andererseits hin und her. Pazifisten sollten den guten Weg zeigen. Gewaltlosigkeit ist ein viel effektiveres und fortschrittlicheres Instrument für globale Regierungsfähigkeit, soziale und ökologische Gerechtigkeit, als die Wahnvorstellungen über systemische Gewalt und Krieg als Allheilmittel, als wundersame Lösung für alle sozioökonomischen Probleme."

Wir vermuten und befürchten, dass diese Gedanken in der jetzigen kriegsbereiten Stimmung in unserem Land belächelt und nicht ernst genommen werden. Aber wir möchten sie vor allem auch denjenigen in der Friedensbewegung nicht vorenthalten, die jetzt schwankend geworden sind und meinen, Waffenlieferungen würden Frieden bringen. Unser Platz als Menschen aus der Werkstatt für Gewaltfreie Aktion ist an der Seite der Opfer dieses Krieges und an der Seite der ukrainischen und russischen Pazifist*innen.

(Musik von Bernd Geisler)

Veröffentlicht am

26. März 2022

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