Regimewechsel in Russland: Joe Biden holt aus und wirft zu weitDie Aufforderung des US-Präsidenten Joe Biden zum Regimewechsel in Russland war unmissverständlich - aber ein Missverständnis, teilt sein Lektorat mitVon Lutz Herden Es ist schon ein außergewöhnlicher Vorgang und ein ungewöhnlich peinlicher dazu. Erst das Weiße Haus, dann Außenminister Antony Blinken melden nach der Warschau-Rede von Joe Biden Korrekturbedarf an. "Dieser Mann darf nicht bleiben", hatte der amerikanische Präsident in Richtung Wladimir Putin gesagt. Da sei keine Aufforderung zum Regimewechsel gewesen, versichert sein Lektorat. Unbedingte KontinuitätWas dann? Zumal Erfahrung eines Besseren belehrt. Dass sich US-Administrationen anmaßen, zu entscheiden oder Einfluss darauf zu nehmen, wer in anderen Ländern regiert, ist seit langem und durch Tatsachen verbürgt. Es gibt eine Tradition, eine geradezu historisch anmutende Kontinuität, sich dem Ansinnen zu verschreiben, regime change zu betreiben, wenn ein Regime nicht passt. Wann immer man beginnt, diesbezüglich Bilanz zu ziehen - jener Eindruck bleibt. In den 1950er Jahren war der iranische Reformpremier Mohammad Mossadegh ebenso im Weg wie der guatemaltekische Präsident Jacobo Árbenz, der 1954 mit Hilfe der CIA aus dem Amt geputscht wurde. Gegen die halbe WeltEin Part aus der Warschau-Rede des US-Präsidenten wurde weder vom Weißen Haus noch von Blinken relativiert: der von Biden ausgerufene Feldzug Demokratie gegen Autokratie. Kommt es dazu, stehen auf der anderen Seite der Grabens nahezu alle für die Vereinigten Staaten relevanten Staaten in Nahost und Nordafrika, die autoritär regiert sind. Angefangen mit Ägypten und Jordanien, über den bisherigen Vorzugsalliierten Saudi-Arabien bis hin zu sämtlichen Golfstaaten. Und fällt nicht der alles andere als demokratisch verfasste NATO-Verbündete Türkei unter das Verdikt, eine De-Facto-Autokratie zu sein? In Südamerika wäre der Regionalmacht Brasilien der Kampf angesagt, solange dort Jair Bolsonaro regiert, Kuba sowieso, die Annäherung zwischen den USA und Venezuela wäre obsolet. Ist in Asien China zum Hauptgegner erkoren, kämen die postkommunistischen Staaten Indochinas - Vietnam, Laos und Kambodscha - hinzu. Andere ASEAN-Staaten sind ebenfalls keine lupenreinen Demokratien, von Myanmar ganz zu schweigen. Da braucht es eine geballte Ladung gegen diese geballte Macht. Der Westen ist nicht die ganze Welt - aber auf dem Kreuzzug gegen die halbe Welt? Hoffentlich ist man sich in Deutschland im Klaren darüber, was es bedeutet, für diesen Aufmarsch vereinnahmt zu werden. Bidens Messianismus erinnert an den Präsidenten George W. Bush, den nach 9/11 imperiale Hybris dazu trieb, "das Böse" aus der Welt tilgen zu wollen. Offenbar brauchen US-Regierungen von Zeit zu Zeit die religiös wirkende Aufwallung und die Preisgabe des realpolitischen Blicks, um sich mit Selbstbewusstsein zu verproviantieren. Da fällt es dann auch nicht weiter ins Gewicht, wenn Biden sein Hochamt ausgerechnet in Warschau zelebriert, wo eine Regierung residiert, deren Verständnis von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie in der EU als Zumutung gilt. Quelle: der FREITAG vom 25.03.2022. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags. Veröffentlicht amArtikel ausdruckenWeitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von |
|