Lebenshaus Schwäbische Alb - Gemeinschaft für soziale Gerechtigkeit, Frieden und Ökologie e.V.

Ihre Spende ermöglicht unser Engagement

Spendenkonto:
Bank: GLS Bank eG
IBAN:
DE36 4306 0967 8023 3348 00
BIC: GENODEM1GLS
 

Gegen neue Aufrüstung: “Es gibt keine militärischen Lösungen”

Seit 2001 konnte man keine Probleme militärisch lösen, erklärt Andreas Zumach, langjähriger UNO-Korrespondent von Infosperber.

Redaktion Infosperber: Andreas Zumach hatte 1981 und 1983 die großen Friedensdemos in Bonn mitorganisiert. "Der Spiegel" konfrontiert ihn in der neusten Ausgabe mit der Tatsache, dass nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine jetzt auch die Grünen und Friedensbewegten Waffenlieferungen fordern. Infosperber veröffentlicht hier einen von Zumach genehmigten Auszug aus seinen Antworten.

"Aus Verzweiflung etwas tun"

Auf die Frage, warum jetzt auch Friedensbewegte Waffenlieferungen verlangen, meint Zumach:

"Selbstverständlich hat die Ukraine ein Recht auf militärische Selbstverteidigung. Bei den aktuellen Demos gibt es viele Menschen, die mit Blick auf Putins entsetzlichen Angriffskrieg gegen die Ukraine sagen, es bleibe jetzt nichts anderes übrig als Waffen zu liefern. Das passiert eher aus Verzweiflung und ist auch ein Stück Entlastung: Mit Waffenlieferungen können wir wenigstens etwas tun!"

Ob denn Russlands Krieg gegen die Ukraine keine Zeitenwende sei, auf die man mit Stärke antworten müsse?

"Diese Behauptung gab es schon nach dem 11. September 2001. Die Folge war der Krieg gegen den Terrorismus, der 20 Jahre überall, wo er geführt wurde, grässlich gescheitert ist – in Afghanistan und im Irak. In Mali passiert es gerade. Diese Instrumente der militärischen Stärke werden nicht dadurch richtiger, dass Putin jetzt diesen fürchterlichen Krieg führt … Ich wehre mich gegen den Begriff der Zeitenwende. Denn mit diesem Begriff wird die Vorgeschichte entsorgt und auch die eigene Verantwortung dafür. Nichts rechtfertigt diesen Krieg. Aber die westliche Politik gegenüber Russland seit dem Fall der Berliner Mauer trägt eine Mitverantwortung dafür, dass es zu dieser Situation gekommen ist … Wir sind nicht in einer gesamteuropäischen Friedens- und Sicherheitsordnung mit Russland – kollektiv im System der KSZE, wie es noch auf dem Pariser Gipfel im November 1990 ausnahmslos alle 35 Staats- und Regierungschefs der KSZE-Staaten heilig beschworen haben. Stattdessen befinden wir schon seit 15 Jahren in einer zunehmenden Konfrontation mit Russland."

Die Atomwaffen sind ein Hindernis

Auf den Einwand, jetzt im Krieg habe der Westen doch eigene Sicherheitsinteressen, antwortet Zumach:

"Herr Putin führt den furchtbaren konventionellen Krieg im Schatten seiner Atomwaffen, mit denen er auf gezielt missverständliche Weise droht. Das schränkt die militärische Handlungsfähigkeit der Nato-Staaten ein und bestätigt doch alle, die gesagt haben, wir hätten atomare Massenvernichtungswaffen längst aus der Welt schaffen müssen. Stattdessen heißt es jetzt, wir müssten auf Dauer bei der nuklearen Bewaffnung bleiben, die Teilhabe daran ausbauen oder sogar eine eigene europäische Atomwaffenstreitmacht aufbauen."

Die 100 Milliarden fehlen für friedensfördernde Maßnahmen

Auf die Feststellung, dass die Bundesrepublik doch stets auf Wandel durch Handel und auf Verständigung statt Konflikt setzte, erklärt Zumach:

"So zu tun, als würden wir eine durchweg friedliche und konstruktive Außenpolitik betreiben, war schon immer unehrlich. Die Handelspolitik der EU zeigt, dass Deutschland eine bestimmende Rolle spielt … Dass man jetzt glaubt, die Demokratie mit 100 Milliarden irgendwie handlungsfähiger und wehrhafter zu machen, halte ich für eine schreckliche Illusion. Im Gegenteil: Diese Ausgaben fehlen dann überall, wo wir durch vernünftige, schnelle Armutsbekämpfung zum Frieden beitragen könnten."

Vorbereitet sein auf die Zeit nach Putin

Auf die Frage, für welche Sicherheitspolitik der EU er eintrete, sagt Zumach:

"Ich habe immer eine politische Emanzipation von den USA befürwortet – aber auch der Behauptung widersprochen, wir könnten erst dann ein relevanter globaler Player werden, wenn wir uns gemeinsam kräftige militärische Mittel zulegen. Das führt nur in eine Rüstungsspirale: Dann heißt es, jetzt brauchen wir noch mehr, weil die USA, Russland oder China auch mehr haben. Noch einmal: Die militärische Lösung aller Probleme seit 2001 ist gescheitert. Und jetzt kommt man mit der Vorstellung, wir müssten uns durch stärkere Bewaffnung gegen eine russische Bedrohung wehren …

Ich gehe davon aus, dass dieser Krieg der Anfang vom Ende der Ära Putin ist. Es gibt viele Hinweise auf die Erosion seiner Macht. Er wird nicht bis 2036 Kremlchef bleiben. In der Zeit nach Putin wird es in Europa keine Friedensordnung ohne Russland geben, schon gar nicht gegen Russland. Diese Dynamik muss man mitdenken, statt sich jetzt mit Hochrüstung auf weitere 40 Jahre im neuen Kalten Krieg einzurichten …

Die Friedensbewegung wird sich wieder deutlicher äußern. In den drei Jahrzehnten seit dem Mauerfall war die Gefahr nie weg, sie wurde nur kaum noch wahrgenommen. Für viele Jüngere ist das natürlich neu. Sie machen zum ersten Mal diese Erfahrung und empfinden die aktuellen Kriegsbilder wohl noch dramatischer als wir damals die Bedrohungen der Achtzigerjahre im Kalten Krieg. Wir sind da ja reingeboren und reingewachsen."

Quelle: Infosperber.ch - 02.04.2022.

Veröffentlicht am

03. April 2022

Artikel ausdrucken

Weitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von