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Sudan: Keine weiche Landung - und kein Zurück

Von Julia Kramer (aus: Lebenshaus Schwäbische Alb, Rundbrief Nr. 112, März 2022 Der gesamte Rundbrief Nr. 112 kann hier heruntergeladen werden: PDF-Datei , 697 KB. Den gedruckten Rundbrief schicken wir Ihnen/Dir gerne kostenlos zu. Bitte einfach per Mail abonnieren )

Mit der Dezember-Revolution 2018/2019 stürzte eine zivile gewaltfreie Bewegung den jahrzehntelangen Militärdiktator Omar Al-Bashir. Die zivilen Verhandlungsführer*innen mit dem Militär ließen sich auf eine Strategie der "weichen Landung" ein: Anstatt das Militär, das die Bürokratie und zentrale Wirtschaftszweige stark durchsetzt hatte, wie in Ägypten komplett aus der Regierungsmacht zu bringen, hoffte man durch eine Übergangslösung mit Militärbeteiligung eine Konterrevolution und weiteres Blutvergießen zu vermeiden und nachhaltige Stabilität für einen gerechten Frieden in Freiheit zu erlangen. Doch bereits damals warnten Aktivist*innen aus den marginalisierten Regionen wie Darfur: Der Verhandlungsführer des Militärs, General Burhan, war kein unbeschriebenes Blatt im Darfur-Konflikt gewesen, und "Hemeti" (Mohamed Hamdan Daglo) - späterer Vize-Vorsitzender des Souveränitätsrats aus Zivilist*innen und Militärs - war nicht nur ein vom Internationalen Strafgerichtshof gesuchter Kriegsverbrecher als Anführer der sogenannten "Janjaweed"-Miliz, sondern führte später auch die "Rapid Support Forces". Diese Sondereinheit wurde von Bashir u.a. für den Grenzschutz eingesetzt, in dessen Kontext die EU im Rahmen des Khartoum-Abkommens mit dem sudanesischen Regime zusammenarbeitete. Hemeti, der u.a. Kontrolle über Goldminen in Darfur besitzt, sandte junge Söldner nicht nur nach Libyen und in den Krieg in Yemen, sondern seine Soldaten waren auch an Massakern gegen die zivile revolutionäre Bewegung im Sudan beteiligt.

Von Juni 2019 bis Oktober 2021 schien die weiche Landung einigermaßen zu funktionieren: Zivile Minister*innen konnten Reformen voranbringen und die Zivilgesellschaft weitere Veränderungsprozesse anstoßen und selbst von unten organisieren. Die revolutionären Nachbarschaftskommittees organisierten Bildungsveranstaltungen und Müll-Sammel-Aktionen, und halfen in solidarischen Aktionen (sudanesisch: "Nafir") von Klimawandel und Armut Betroffenen. Die Rebellengruppen in Darfur, den Nuba-Bergen und vom Blauen Nil führten Friedensgespräche mit dem Militär in Juba, und lange umkämpfte Gebiete wurden wieder passierbar.

Am 25.10.21 dann aber: Ein erneuter Putsch des Militärs. Der zivile Präsident Hamdok wurde unter Hausarrest gestellt. Er war bereits vorher schwach gewesen, nun wurde er endgültig zur Marionette. Um dem Militär keinen demokratischen Anstrich mehr zu geben, trat er am 2.1.2022 zurück. Seitdem wurden nicht nur zahlreiche zivile Regierungsmitarbeitende sowie Aktivist*innen und Journalist*innen verhaftet, sondern auch nach Angaben des Zentralkomitees sudanesischer Ärzt*innen seit dem Putsch 81 Zivilist*innen getötet, darunter eine Frau und neun Kinder (Stand 14.2.22). Ein Bericht von Human Rights Watch vom 3.2.22 beschreibt die gewaltsame Repression der wieder aufgeflammten zivilen Proteste.Human Rights Watch, 3.2.22: hhttps://www.hrw.org/news/2022/02/03/sudan-ongoing-clampdown-peaceful-protesters .

Beobachter*innen vor Ort vermuten, dass der Putsch auch in Zusammenhang stand mit einem Treffen mit ägyptischen Vertretern kurz vorher. Am Vortag des größten Massakers seit dem Putsch, am 17. Januar 22, hatte es ein Treffen zwischen ranghohen Militärs und russischen Akteuren gegeben. Das Militär hat offensichtlich nicht nur diplomatische Verbindungen nach Russland und Israel geknüpft - das Tränengas, das in den Straßen der sudanesischen Städte verschossen wird (und kürzlich einem Bekannten von mir beim Versuch, den Kanister zurück in Richtung der Soldaten zu werfen, die Hand kostete)[1][MS2][MS3], stammt jedenfalls aus Russland und Israel. Die Taktik des Militärs, durch punktuelle Massaker die gewaltfreie Bewegung zu zermürben, hat derweil bislang nicht funktioniert. Zwar haben verschiedene Gruppen und politische Parteien seitdem verschiedene Charta’s für ein Weiterführen der Revolution verabschiedet, was als eine mangelnde Koordination und Einheit der Bewegung gewertet werden kann. Aber die meisten sind sich einig, dass es kein Zurück gibt und keine weiche Landung mehr. Der neue Slogan der Revolution lautet: "Keine Kompromisse - keine Verhandlungen - keine Zusammenarbeit" [mit den Putschisten]. Die revolutionären Nachbarschaftskomitees haben sich wieder den regelmäßigen Protesten zugewandt. Inzwischen demonstrieren sie allerdings nicht mehr täglich, sondern jeden Montag, um die Massen und vor allem die mehrfach Marginalisierten und Diskriminierten (wie z.B. Teeverkäuferinnen etc.) nicht um ihr Einkommen zu bringen und auszupowern. Sie organisieren gleichzeitig Unterstützungsaktionen und bauen in den Stadtteilen Bühnen auf, von denen aus Informationen geteilt werden und Bewusstseinsbildung stattfindet. Neu ist, dass dabei inzwischen auch in Khartoum, das generell von sogenannten arabischen Ethnien dominiert wird, Informationen über die Situation bzgl. Protesten und Menschenrechten in den marginalisierten Gebieten wie Darfur geteilt werden, und sich eine tiefere solidarische Haltung zu entwickeln scheint. Initiativen wie die "Bana Group for Peace and Development" bilden hierbei Plattformen, um die Perspektive der Multimarginalisierten auch in die Hauptstadt zu tragen.Eine englisch- und arabischsprachige partizipative Studie von Bana mit der KURVE Wustrow von 2021 untersucht die Bedarfe, Forderungen und Beteiligungsmöglichkeiten von multimarginalisierten Frauen im Sudan: https://www.kurvewustrow.org/sudan .

Anders als z.B. in Myanmar, fokussiert sich der zivile Widerstand weiterhin auf den vorwiegend gewaltfreien Straßenprotest. Die Rebellengruppen unterdessen, die mit dem Militär in Juba ein Abkommen unterzeichnet haben - darunter die Rebellenführer Minni Arcua Minnawi  von der Sudanese Liberation Army (SLA) und Gibril Ibrahim Mohammed vom Justice and Equality Movement (JEM) - argumentieren, dass der 25.10.21 kein Putsch war, sondern eine Kurskorrektur. Sie wollen ihre Chance, bis zu den Wahlen an der Macht beteiligt zu sein, weiter ausschöpfen. Doch an der Basis in Darfur gibt es immer wieder Zusammenstöße zwischen Rebellen und der Janjaweed-Miliz von Hemeti.

Auch der UN-Sonderbeauftragte für Sudan und Leiter der neuen UN-Mission UNITAMS (United Nations Integrated Transition Assistance Mission in Sudan), Volker Perthes aus Deutschland, verurteilte den Putsch in seiner Vermittlungsinitiative nicht klar genug - so die Ansicht der Sudanese Professionals Association (SPA, eine Art Gewerkschafts-Dachverband), die in der Dezember-Revolution eine führende Rolle spielte. Sie konstatierte am 6.2.22: "Volker’s Initiative stellt die Junta, die täglich den Massen gegenüber Massaker und Gräueltaten verübt, auf dieselbe Ebene wie diese, die zäh weiter auf die Straße gehen in den meisten Teilen des Landes, für eine zivile Regierung und ein genügend gutes Leben Aller im Sudan, auf der Grundlage von Freiheit, Frieden und Gerechtigkeit."Ein von der Autorin übersetztes Zitat eines Artikels auf der Facebook-Seite der "Sudanese Translators for Change" vom 3.2.2022. Die Beratung von UNITAMS und Perthes wird von der SPA und weiten Teilen der sudanesischen gewaltfreien Bewegung in der Hinsicht als ein Rettungsangebot für die Putschisten angesehen, und gäbe ihnen eine falsche Legitimation.

Trotz aller Hürden und Rückschläge, bleibt die sudanesische Revolution weiterhin eine Inspiration und ein Lehrstück für tiefe gesellschaftliche Transformationsprozesse von unten, hin zu Freiheit, Frieden und Gerechtigkeit. "Wir haben Zeit", sagt eine sudanesische Aktivistin, als ich sie nach der aktuellen Einschätzung und Strategie der Bewegung frage, und wiederholt: "Ein Zurück ist unmöglich."

Julia Kramer war von 2008-2010 als Friedensfachkraft im Sudan, bei SONAD (Sudanese Organisation for Nonviolence and Development). 2011-2012 hat sie Solidaritätsarbeit zum Sudan und mit Geflüchteten gemacht, u.a. mit Lebenshaus Schwäbische Alb. Sie ist Mitglied bei Lebenshaus Schwäbische Alb und als Referentin für internationale Friedensfragen angestellt. 

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Fußnoten

Veröffentlicht am

10. März 2022

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