Trauer um Jochen StayVon Michael Schmid (aus: Lebenshaus Schwäbische Alb, Rundbrief Nr. 112, März 2022 Der gesamte Rundbrief Nr. 112 kann hier heruntergeladen werden: PDF-Datei , 697 KB. Den gedruckten Rundbrief schicken wir Ihnen/Dir gerne kostenlos zu. Bitte einfach per Mail abonnieren ) Am 15. Januar ist Jochen Stay im Alter von 56 Jahren plötzlich und viel zu früh verstorben. Das hat uns schwer betroffen und traurig gemacht. Jochen war über Jahrzehnte ein glaubwürdiger und engagierter Mitstreiter für eine friedliche Welt ohne Waffen und ohne Atomkraft. Insbesondere hat er in den vergangenen Jahrzehnten die Anti-Atom-Bewegung entscheidend geprägt. Flüchtig kennengelernt habe ich Jochen Ende der 1980er Jahre, als ich bei der Friedens- und Begegnungsstätte Mutlangen als Geschäftsführer und Friedensarbeiter beschäftigt war. Jochen, geboren und aufgewachsen in Mannheim, war über die evangelische Jugend seiner Kirchengemeinde politisiert worden. Mit 16 Jahren hat er an der großen Demo der Friedensbewegung 1981 in Bonn teilgenommen. Ab 1986 war er zwei Jahre lang in Mutlangen in der "Pressehütte" aktiv und hat sich an Aktionen des Zivilen Ungehorsams beteiligt. Später bezeichnete er dies als seine "Ausbildung" im gewaltfreien Widerstand gegen die Pershing II Raketen. In dieser Zeit nahm er auch an Aktionen gegen die Wiederaufarbeitungsanlage Wackersdorf teil. Auf diese Weise kam er neben seinen Aktivitäten in der Friedensbewegung in den 1980er-Jahren auch in Kontakt zur Anti-Atom-Bewegung. Zwar war der Abzug der Pershing II ein Erfolg und ebenso, dass Wackersdorf nicht gebaut wurde, aber der hochgefährliche Atommüll wurde weiter produziert und nun zur Aufarbeitung ins Ausland verschickt. Doch das nächste Problem stand an: Gorleben sollte nun zum Endlager für Atommüll werden. 1992 zog Jochen ins Wendland und organisierte dort im Rahmen der Kampagne X-tausendmal quer zusammen mit anderen die großen gewaltfreien Sitzblockaden gegen die Castor-Transporte. Sein Mutlangen-"knowhow" nahm er mit in diesen Widerstand. Tagelang beobachteten sie Transporte und sammelten Informationen, so wie Jochen zuvor die Bewegungen von Pershing-Raketen zu ihren Alarmstellungen rund um Mutlangen beobachtet hatte. Tausende von Menschen beteiligten sich an den öffentlich angekündigten, gewaltfreien Sitzblockaden gegen die Transporte der Castor-Behälter nach Gorleben. Mit seinen gewaltfreien Konzepten gelang es ihm, viele Menschen für den Widerstand zu motivieren und zu begeistern und in die Aktionen einzubeziehen. Alle, die ihn kannten, schätzten seine Kraft zu integrieren, seine Besonnenheit, seine mitreißende Klarheit und sein großes Wissen. Als Lebenshaus Schwäbische Alb e.V. organisierten wir 2006 erstmals eine Informations- und Diskussionsveranstaltung mit Jochen Stay in Riedlingen. Damals war das Donautal im Bereich zwischen Sigmaringen, Riedlingen und Ulm als möglicher Standort für ein Endlager für Atommüll genannt worden. Das hat für einige Aufregung in unserer Region gesorgt. "Strahlender Müll nach Gorleben oder ins Donautal?" lautete der provozierende Titel für die Veranstaltung. Rund 55 Besucherinnen und Besucher nahmen teil und zeugten von großem Interesse an diesem hochbrisanten Thema. Jochen informierte mit einem eindrucksvollen Vortrag über Atomstrom, Atommüll und auch den jahrzehntelangen Widerstand dagegen. Weil Jochen anschließend bei uns im Lebenshaus übernachtete, hatten wir auch noch Zeit, uns über verschiedene Fragen austauschen. Unter anderem machte er deutlich, dass er darüber nachdenke, in welcher Form er sich zukünftig engagieren wolle. Seine diesbezüglichen Überlegungen mündeten dann im Jahr 2008 in die Gründung der bundesweiten Anti-Atom-Organisation .ausgestrahlt mit Büro in Hamburg, deren Sprecher Jochen bis zu seinem Tod war. Im April 2010 organisierte Jochen als Zeichen des Protestes gegen die von der Bundesregierung für Atomkraftwerke beschlossene Laufzeitverlängerung eine 120 Kilometer lange Menschenkette entlang der Elbe zwischen den Atomkraftwerken Brunsbüttel und Krümmel. Trotz Protesten konnte zunächst der Beschluss gegen die verlängerten Laufzeiten nicht verhindert werden. Doch dann ereignete sich im März 2011 die Reaktorkatastrophe in Fukushima. Nun wurde .ausgestrahlt zur Koordinationsstelle der bundesweiten Antiatombewegung. An hunderten von Orten fanden Mahnwachen und andere Aktionen statt. Auch als Lebenshaus Schwäbische Alb e.V. beteiligten wir uns u.a. mit wöchentlichen Mahnwachen daran und waren froh über diese wichtige Rolle, die .ausgestrahlt und Jochen dabei übernahmen. Nicht zuletzt unter dem Eindruck dieser starken Proteste hat die Bundesregierung 2011 die endgültige Abschaltung der Atomkraftwerke in Deutschland beschlossen. Es war Jochens großes Verdienst, dass er vielen anti-atom-bewegten Menschen Möglichkeiten aufgezeigt hat, wie sie ihren Protest ausdrücken können und sie zu Aktionen angeregt. Auf diese Weise hat er entscheidend zum Atomausstieg beigetragen. Bei unserer "We shall overcome!"-Tagung im Herbst 2015 war Jochen als Referent dabei. Mit dem Titel "Mut zum Erfolg - Die Macht der scheinbar Ohnmächtigen" gab er einen sehr persönlichen, selbstkritischen und reflektierten Einblick in seinen Lebensweg. Aufgrund seiner jahrzehntelangen Erfahrungen brachte er auch seine feste Überzeugung zum Ausdruck, Erfolg in der politischen Arbeit sei organisierbar und möglich. "Wenn sich die Kleinen und scheinbar Ohnmächtigen zusammenschließen, haben es die Großen und scheinbar Mächtigen ungeheuer schwer, ihren Willen durchzusetzen", zeigte er sich überzeugt. Da Jochen bereits eine so weite Reise zu uns in den Süden auf sich genommen hatte, war es ihm wichtig, neben dem ungewöhnlichen Einblick in seine Biografie bei unserer Tagung, auch noch zu seinen gewohnten Themen zu reden. Dazu bekam er dann in einer weiteren von uns zwei Tage nach der Tagung organisierten Veranstaltung Gelegenheit, die wiederum in Riedlingen stattfand. "Atommüll ohne Ende. Wie geht die Gesellschaft mit den strahlenden Abfällen aus Atomkraftwerken um?", lautete der Titel, in der er vor allem auf das Die sichere Endlagerung des Atommülls ist weiter ungelöst. Jochen rief 2020 zusammen mit .ausgestrahlt eine Treuhandstiftung "Atomerbe" ins Leben, "um den kommenden Generationen mehr zu vermachen, als ewig strahlenden Atommüll". Er setzte sich bis zum Schluss gegen die unverantwortlichen Entscheidungen ein, welche die EU-Kommission trifft: Die Einstufung von Atomkraft und Erdgas als nachhaltig. Das ist und bleibt falsch! Bis Ende dieses Jahres sollen die drei letzten Atomkraftwerke in Deutschland endgültig abgeschaltet werden. Schade, dass Jochen das nicht mehr erleben darf. Er hatte bereits Pläne, dieses Ereignis zu feiern. Jochen war für mich persönlich stets so etwas wie ein mahnendes Gewissen, nicht nachzulassen im Kampf gegen die Atomkraft. Er hat uns gezeigt, wie wichtig es ist, uns nicht auf dem Erreichten auszuruhen und einen langen Atem zu haben. Auch für zunächst utopisch erscheinende Ziele lohnt es, sich einzusetzen. Als Lebenshaus Schwäbische Alb e.V. haben wir uns während unserer gesamten Vereinsgesichte an Aktionen gegen die Atomkraft beteiligt und werden dies sicherlich auch weiterhin tun. Auch wenn Jochen Stay uns dabei in Zukunft sehr fehlen wird. Danke, Jochen! 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