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Schwere Waffen für die Ukraine: “Raus aus der Eskalationslogik”

Diplomatie statt Waffenlieferungen und Stellvertreterkrieg

Von Jürgen Wagner

Der deutsche Panzerbauer Rheinmetall würde gerne 50 seiner ausgemusterten Leopard-1 in die Ukraine schicken und erhält dabei unter anderem ausgerechnet von der grünen Außenministerin Annalena Baerbock Schützenhilfe : "Die Ukraine braucht weiteres militärisches Material - vor allen Dingen auch schwere Waffen", so Baerbock. "Jetzt ist keine Zeit für Ausreden, sondern jetzt ist Zeit für Kreativität und Pragmatismus". Im Lichte der aktuellen Debatte um diese Waffenlieferungen verdichten sich die Anzeichen, dass eine ganze Reihe wichtiger Akteure innerhalb von NATO und EU tatsächlich keinerlei Interesse haben, diplomatische Lösungen für den Ukraine-Krieg zu finden. Stattdessen soll die Lieferung schwerer Waffen zum präferierten Szenario führen: einem lang andauernden und blutigen Stellvertreterkrieg, der allerdings beträchtliche Risiken in sich birgt.

Europa ohne Diplomatie

Wenn es um Sanktionen oder Waffenlieferungen im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg geht, legt die Europäische Union eine hektische Betriebsamkeit an den Tag. Allein drei Tranchen à 500 Mio. Euro wurden über die Europäische Friedensfazilität freigeschaufelt, um Waffen für die Ukraine zu finanzieren (siehe EU-Ertüchtigungsfonds: Tödliches Gerät außer Kontrolle ). Krieg ist zur alleinigen Option der Union geworden, am 9. April 2022 twitterte zum Beispiel der EU-Außenbeauftragte Josep Borell: "Dieser Krieg wird auf dem Schlachtfeld gewonnen werden. Weitere 500 Mio. von der #EFF sind auf dem Weg. Die Waffenlieferungen werden maßgeschneidert auf die Bedürfnisse der Ukraine sein."

Auffällig ruhig ist es dagegen an der diplomatischen Front, weder wurde ein Sonderbeauftragter ernannt noch Unterhändlerteams gebildet oder auch nur eine Person beauftragt, die für die EU verhandeln könnte. Paradoxerweise zieht sich die EU hier auf eine Position zurück, als Waffenlieferantin an eine der Kriegsparteien sei sie nicht neutral und deshalb für Verhandlungen ungeeignet, schreibt etwa das Fachportal Bruxelles2 (übersetzt mit deepl.com):

"Im Gegensatz zu anderen Konflikten hat die Europäische Union keine Initiative ergriffen, um eine Vermittlung zu versuchen. Unter dem Vorwand, dass sie kein guter Vermittler sei, da sie eine der Kriegsparteien, die Ukraine, unterstütze."

Dass die EU in diesem Konflikt alles andere als neutral ist, trifft natürlich zu, deshalb aber gleich jeden Versuch zu unterlassen, zu einer Verhandlungslösung beizutragen, deutet eher darauf hin, dass dies überhaupt nicht gewünscht wird. Gestützt wird dieser Verdacht zum Beispiel durch die Reaktionen auf die jüngste Initiative des österreichischen Kanzlers Karl Nehammer, der wenigstens den - leider erfolglosen - Versuch unternahm, diplomatische Verhandlungen mit Russland auszunehmen. So sollen mehrere EU-Staaten erneut nach Informationen des Fachportals Bruxelles2 hierüber regelrecht erbost gewesen ein (übersetzt mit deepl.com):

"Der österreichische Staatschef informierte den Präsidenten des Europäischen Rates ebenso wie den Hohen Vertreter. Er sei aber nicht im Namen der Europäischen Union mandatiert worden, präzisiert ein europäischer Diplomat. Auch [EU-Ratspräsident] Charles Michel blieb sehr zurückhaltend und äußerte nach unseren Informationen weder Zufriedenheit noch Bedauern über dieses Vorgehen. Mehrere Länder waren in der Tat ziemlich wütend über diesen Besuch. Und einige Minister haben dies am Montag (11.04.) während des Außenministertreffens mehr oder weniger offen zum Ausdruck gebracht."

Michael Roth: "Mit allem, was wir haben…"

Auch Michael Roth von der SPD kann dem diplomatischen Versuch aus Österreich reichlich wenig abgewinnen. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages äußerte sich gegenüber dem Deutschlandfunk , Putin sei ein "Schlächter", es seien "alle Bücken abgebrochen" und da könne man jetzt auch "nicht versuchen, neue Brücken aufzubauen" - von einem Waffenstillstand will der SPD-Mann ohnehin faktisch nichts wissen:

"Von Friedensverhandlungen halte ich da jetzt erst einmal nichts, das muss direkt zwischen der Ukraine und Russland verlaufen und was mich bei den öffentlichen Aussagen des österreichischen Bundeskanzlers etwas enttäuscht hat ist, dass er da von einem Waffenstillstand gesprochen hat. Das ist völlig richtig, aber ein Waffenstillstand, ohne vollständigen Rückzug der russischen Truppen, von ukrainischem Staatsgebiet wäre ja nur eine Atempause für die russischen Truppen, die wahrscheinlich Russland derzeit dringend braucht, weil dieser Krieg ja nicht so läuft, wie sich das Russland und Putin am Anfang erwartet haben."

Viel abgewinnen kann Roth dagegen der Vorstellung einer ukrainischen Gegenoffensive, die wohl zur Rückeroberung sämtlicher Gebiete führen soll - das wäre dann für Roth wohl der Zeitpunkt für Waffenstillstandsverhandlungen, die dann aber ohnehin niemand mehr braucht:

"Es geht ja nicht  mehr um Verteidigung, sondern es geht darum dass die Ukraine Territorien, die von der russischen Armee besetzt worden sind, zu befreien versucht. Das ist aus meiner Sicht die einzige Chance, um überhaupt zu einer Verhandlungslösung zu kommen. […] Es gibt die Forderung nach schwerem Gerät […] Wir haben aus meiner Sicht die Pflicht, der Ukraine auch beizustehen, wobei es eine klare rote Linie gibt: Wir werden als NATO keine Truppen schicken auf dem Boden oder in die Luft, aber ansonsten stehen wir mit allem was wir haben militärisch zur Verfügung".

Ganz ähnlich äußerte sich auch der ehemalige hochrangige deutsche NATO-General Egon Ramms, ebenfalls im Deutschlandfunk . Um den Vormarsch Russlands auf Kiew zu stoppen, habe das bisherige Gerät der Ukraine ausgereicht, für eine Offensive sei es aber ungeeignet.

"Wenn die Ukraine irgendwann in der Lage sein will, die Geländeteile, die durch die Russen oder auch durch die Separatisten erobert worden sind, wieder zurückzugewinnen, dann braucht die Ukraine dafür andere Waffen, als sie sie heute hat. Mit Fliegerfäusten und mit Panzerfäusten und mit kleinen Drohnen sind sie nicht in der Lage Geländegewinne zu erzielen und die Russen wieder zurückzudrängen. […] Diese Diskussion, sind wir Kriegspartei, sind wir keine Kriegspartei, ist eine ganz schwierige. Für mich zählt ein ganz anderer Punkt und den halte ich für ausgesprochen wichtig. Letztendlich verteidigt die Ukraine […] die Freiheit Europas. […] Von daher, aus meiner Perspektive, muss der Ukraine jede Unterstützung gewährt werden".

Halten wir fest: Ramms befürwortet also offensichtlich die Lieferung schwerer Waffen, um die Ukraine in die Lage zu versetzen, verlorenes Gebiet zurückzuerobern. Im selben Atemzug räumt der Militär jedoch ein, dass hierdurch rasche Waffenstillstandsverhandlungen faktisch unmöglich werden - logisch bleibt hier nur wenig übrig als die Schlussfolgerung, dass eine Verhandlungslösung weit hinten auf seiner Prioritätenliste steht:

"Also der Krieg wird mit unverminderter Härte weitergehen. Ich erwarte, dass Putin oder die russischen Streitkräfte sich zunächst einmal jetzt auf die vollständige Eroberung der beiden Regionen Lugansk und Donezk beschränken werden und die Brücke über Mariupol bis zur Krim entsprechend besetzen und halten werden und dann muss man sehen, ob ihm das als Erfolge genügt, um dann tatsächlich an den Verhandlungstisch zu kommen. Und tatsächlich nicht nur mit Scheinverhandlungen, sondern mit echten Verhandlungen."

Würfelspiel mit der Katastrophe

Befragt, was den passieren würde, sollte ein westlicher Transport mit schweren Waffen von Russland angegriffen werden, antwortete Ex-NATO-General Ramms:

"Dann hätten wir tatsächlich die Situation, dass Russland die NATO angreift, und von dem Augenblick an hätten wir mit Blick auf den Artikel 5 des NATO-Vertrages eine völlig andere Situation, eine völlig andere Rechtslage."

Einwurf der Deutschlandfunk-Redakteurin: "Aber es ging ja immer darum, genau das zu vermeiden." Antwort Ramms:

"Das ist das Ziel der NATO. Und dieses Ziel hat die NATO ja bisher auch eingehalten und erreicht. Man hat zwar in der Größenordnung mehrere Zehntausend die NATO-Ostflanke verstärkt, aber man hat ganz bewusst die Linie gezogen auf dem NATO-Territorium und hat diese Linie bisher nicht überschritten. Und Waffenhilfe, wie sie Russland auch für andere Länder geleistet hat und leistet, ist in dem Falle für mich jedenfalls noch nicht das Überschreiten der Linie zum Artikel 5 beziehungsweise zum Verteidigungsfall."

Ganz abgesehen davon, dass die NATO ihre eigenen Waffenlieferungen an die Ukraine schwerlich als Verteidigungsfall werten dürfte, meint Ramms hier augenscheinlich, aus seiner Warte werde durch die westliche Unterstützung für Ukraine die Schwelle zum Kriegseintritt gegen Russland noch nicht überschritten. Hoffentlich sieht das Russland genauso, es ist aber unschwer zu erkennen, dass dieses Verhalten ein Würfelspiel mit der Katastrophe ist.

Angesichts der omnipräsenten Kriegstreiberei stammt aktuell eine der wenigen vernünftigen Stimmen von Brigadegeneral a.D. Erich Vad, dem ehemaligen militärpolitischen Berater von Altkanzlerin Angela Merkel, der bei web.de zitiert wird:

"Wir machen im Moment sehr viel Kriegsrhetorik - aus guter gesinnungsethischer Absicht. Aber der Weg in die Hölle ist bekanntlich immer mit guten Vorsätzen gepflastert. Wir müssen den laufenden Krieg zwischen Russland und der Ukraine vom Ende her denken. Wenn wir den Dritten Weltkrieg nicht wollen, müssen wir früher oder später aus dieser militärischen Eskalationslogik raus und Verhandlungen aufnehmen."

Doch wie eingangs bereits erwähnt, scheint ein Großteil der relevanten westlichen Akteure hieran überhaupt kein Interesse zu haben. Viel wichtiger als die Gefahr einer weiteren Eskalation zu verringern scheint das Bestreben zu sein, Russland maximal zu schwächen und einen Denkzettel zu verpassen - die Menschen in der Ukraine werden dabei bedenkenlos für diese Ziele verheizt. Schon am 5. April berichtete die Washington Post , zahlreiche NATO-Staaten seien zu keinerlei Zugeständnissen bereit, um diplomatische Verhandlungen voranzubringen: "Das führt zu einer unangenehmen Realität: Einige in der NATO halten es für besser, wenn die Ukrainer weiter kämpfen und sterben, als dass ein Friede herauskommt, der zu früh und mit zu hohen Kosten für Kiew und den Rest Europas verbunden ist."

Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - IMI-Standpunkt 2022/017 - in: Telepolis, 13.4.2022.

Veröffentlicht am

17. April 2022

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