Michael Schmid: “Es schaudert mich bei dem Gedanken, dass sich gar nicht so wenige Menschen nach Krieg zu sehnen scheinen”Mit dem Motto "’Die Waffen nieder!’ Friedenslogik statt Kriegslogik" fand am 13. Mai 2022 in Gammertingen eine weitere Mahnwache zum Ukraine-Krieg statt. Neben einem Redebeitrag von Michael Schmid wurde als Beitrag zum Internationalen Tag der Kriegsdienstverweigerung am 15. Mai eine Stellungnahme zur Unterstützung von Deserteuren und Kriegsdienstverweigerern aus Russland, Belarus und der Ukraine vorgelesen. Mit Schweigeminuten brachten die Anwesenden ihr Mitgefühl und ihre Solidarität für die vom Ukraine-Krieg und von anderen Kriegen betroffenen Menschen zum Ausdruck. Bernd Geisler gestaltete den musikalischen Rahmen. Ein Gedicht von Erich Fried bildete den Abschluss. Veranstalter waren "Lebenshaus Schwäbische Alb - Gemeinschaft für soziale Gerechtigkeit, Frieden und Ökologie e.V." und "Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK) Gammertingen". Mahnwachen werden vorläufig wöchentlich jeden Freitag in Gammertingen stattfinden. Von Michael Schmid - Redebeitrag Als ich an letzten Sonntagmorgen gegen 6 Uhr an einem Flugzeuggeräusch aufwachte, hoffte ich, dass das nur ein böser Traum sei. Aber der langanhaltende Lärm eines Militärtransporters machte mir eindringlich klar, es ist Krieg. Und unser Land ist längst zur Kriegspartei geworden… Nach dem völkerrechtswidrigen russischen Angriff findet der Krieg in der Ukraine nun bald seit 3 Monaten statt. Mein und unser tiefes Mitgefühl gehört besonders den geschundenen Menschen in diesem Land. Und es gehört all jenen Menschen, die weltweit von diesem Krieg betroffen sind, gerade auch diejenigen, die ohnehin schon in größter Armut leben und Hunger leiden. Ein schneller Waffenstillstand und eine Verhandlungslösung ist dringend erforderlich. Doch starke Interessenvertreter wollen etwas anderes: Keine Verhandlungen - mehr Waffen - mehr Eskalation! Einen langanhaltenden Krieg, gar einen Sieg über die Atommacht Russland. Welch ein Irrsinn! Ich zitiere nun einige Abschnitte von Jürgen Wagner (IMI): Es lohnt noch einmal ein Blick zurück: Ende März 2022 waren die Medien voll mit Berichten, die Ukraine und Russland stünden kurz vor einer Verhandlungslösung zur Beendigung des Krieges. Beim Redaktionsnetzwerk Deutschland hieß es: "Russlands Krieg gegen die Ukraine könnte durch die Verhandlungen schneller beendet werden, als Beobachter bisher angenommen haben. […] Demnach gebe es einen ersten Entwurf des Waffenstillstandsdokuments, in dem einige der Forderungen Russlands aber fehlen. […] Russland [soll] in dem Dokument nicht mehr an seinen Forderungen festhalten, die Ukraine zu ‚entnazifizieren’ und zu ‚entmilitarisieren’. […] Die Ukraine [soll] in den Gesprächen angeboten haben […], über die Zukunft der Krim Verhandlungen über einen Zeitraum von bis zu 15 Jahren zu akzeptieren. […] Zudem sei die Ukraine angeblich bereit, einen neutralen Status zu akzeptieren, wenn es Sicherheitsgarantien verschiedener Staaten für den Fall eines erneuten russischen Angriffs geben sollte - darunter auch China." Selbst ein EU-Beitritt scheint wohl Gegenstand der Gespräche gewesen und von Russland akzeptiert worden zu sein. Kurz nach Abschluss der Istanbul-Verhandlungen wurde Moskaus Unterhändler Wladimir Medinski mit den Worten zitiert: "Die Russische Föderation hat keine Einwände gegen Bestrebungen der Ukraine, der Europäischen Union beizutreten." Was dann genau geschehen ist, wird, wenn überhaupt, wohl erst in vielen Jahren herauskommen. Unmittelbar nach der Annäherung bei den Verhandlungen mehrten sich jedenfalls schon skeptische Stimmen westlicher Regierungschefs, namentlich von Boris Johnson und Joseph Biden. Bereits am 5. April 2022 berichtete die Washington Post darüber, innerhalb der NATO werde die Fortsetzung des Krieges gegenüber einer Verhandlungslösung derzeit präferiert. Am 7. April 2022 meldete sich dann Russlands Außenminister Sergej Lawrow mit der Aussage, es seien von ukrainischer Seite Änderungen an den Verhandlungsdokumenten vorgenommen worden, die eine Einigung erschweren würden. Anfang Mai 2022 wiederholte Lawrow diese Aussage erneut: "Wir haben den Gesprächen auf Ersuchen von Wladimir Zelenskij zugestimmt, und sie begannen, an Dynamik zu gewinnen. Im März wurden auf einem Verhandlungstreffen in Istanbul Vereinbarungen getroffen, die auf den öffentlichen Äußerungen von Wladimir Zelenskij beruhten. Er sagte, die Ukraine sei bereit, ein neutrales, blockfreies Land ohne Atomwaffen zu werden, wenn sie Sicherheitsgarantien erhalte. Wir waren bereit, auf dieser Grundlage zu arbeiten, vorausgesetzt, das Abkommen würde vorsehen, dass die Sicherheitsgarantien nicht für die Krim und den Donbass gelten, wie die Ukrainer selbst vorgeschlagen hatten. Unmittelbar nach diesem Vorschlag, den sie unterzeichnet und uns übergeben haben, haben sie ihre Position geändert." Soweit Jürgen Wagner. Dieser Hintergrund macht deutlich, dass die US-Regierung und eine Reihe weiterer Verbündeter derzeit von einer Verhandlungslösung nichts wissen wollen - und dies der Ukraine auch signalisiert haben. Stattdessen soll die sich nun bietende Gelegenheit wohl genutzt werden, um Russland so weit als möglich zu schwächen. Hier in unserem Land bläst gegenwärtig allen, die auch nur etwas abseits des Mainstreams zur Mäßigung aufrufen, der mediale Wind eiskalt entgegen. Warnende und vernünftige Gegenstimmen und Friedensappelle werden in einer von Kriegstreiberei teils geradezu brodelnden Atmosphäre marginalisiert. Und als "Fünfte Kolonne Putins" diffamiert wie vom FDP-Politiker Alexander Graf Lambsdorff diffamiert oder als "Lumpen-Pazifismus", wie der Spiegel-Kolumnist Sascha Lobo tönte und gleich noch gegen Mahatma Gandhi keilte, der "eine sagenhafte Knalltüte" gewesen sei. So wird "unter dem Beifall des erregungsfreudigen Publikums, immer mehr Öl ins Feuer der westlichen Profitmaximierung und ihrer NATO-Kriegsführung in der Ukraine" (Wolfgang Herzberg) gegossen. Es schockiert mich, dass in Deutschlands Medien und Politik die Angst vor Krieg als solchem verloren zu gehen scheint. Wie sonst kann zum Beispiel ein Friedrich Merz sagen, er hätte keine Angst vor einem Atomkrieg und ein Robert Habeck, er habe keine Angst vor einem dritten Weltkrieg? Und es schaudert mich bei dem Gedanken, dass sich gar nicht mal so wenige Menschen in unserem Land nach Krieg zu sehnen scheinen. Dabei müsste es nicht einmal zum Atomkrieg kommen, um Deutschland völlig zu zerstören. Beispielsweise hat Helmut Schmidt, der frühere Bundeskanzler, festgestellt, die Bundesrepublik sei nur "um den Preis ihrer totalen Zerstörung" zu verteidigen. Es wäre sehr zu wünschen, wenn sich alle, "die jetzt den Krieg als Fortsetzung des guten Gewissens mit anderen Mitteln neu entdecken" (Jakob Augstein) mal vor Augen führten. Erfreulich ist demgegenüber, dass der von der Emma veröffentlichte und zunächst von 28 Intellektuellen und KünstlerInnen unterzeichnete "Offene Brief an Olaf Scholz" inzwischen von rund 275.000 Menschen unterzeichnet worden ist. In diesem Brief wird sowohl vor dem "Risiko der Eskalation dieses Krieges zu einem atomaren Konflikt" und dem "Maß an Zerstörung und menschlichem Leid unter der ukrainischen Zivilbevölkerung" gewarnt, die von der westlichen Stellvertreter-Strategie verursacht werden. Vielleicht bröckelt doch allmählich die Zustimmung für einen gefährlichen Kriegskurs Deutschlands. Zu hoffen und zu wünschen wäre dies. Wir werden das uns mögliche dazu beitragen! Entsprechend unserem Motto: "Nieder mit den Waffen! Friedenslogik statt Kriegslogik!" (Musik Bernd Geisler) Michael Schmid: Ich möchte nun zu einem stillen Gedenken einladen. Damit soll allen vom Ukraine-Krieg betroffenen Menschen gedacht und unsere Solidarität ausgedrückt werden. Jeder und jede getötete oder ermordete Ukrainer:in, jeder ukrainische Geflüchtete, ist einer zu viel. Wie immer wollen wir aber auch jene Menschen einbeziehen, die von anderen Kriegen in unserer Welt betroffen sind. Und jene, welche auf ihren Fluchtwegen sterben oder vor den Toren Europas einen verzweifelten Überlebenskampf führen, weil sie nicht eingelassen werden. (Stille, um Mitgefühl und Solidarität gegenüber vom Ukraine-Krieg und von anderen Kriegen betroffenen Menschen zum Ausdruck zu bringen) Michael Schmid: Zum Internationalen Tag der Kriegsdienstverweigerung rufen wir gemeinsam mit Connection e.V. zur Unterstützung von Deserteuren und Kriegsdienstverweigerern aus Russland, Belarus und der Ukraine auf. Ich lese aus einer Stellungnahme von Connection e.V. von vorgestern vor. (Musik Bernd Geisler) Katrin Warnatzsch: Leben Aber leben bleiben Leben heißt unsere Zeit retten Leben! Nicht töten wollen! Leben gegen den Strom
Michael Schmid: Unsere Solidarität gilt natürlich der geschundenen Zivilbevölkerung in der Ukraine. Dieser Krieg muss so schnell wie möglich beendet werden! Das wird mit Waffen und noch mehr Waffenlieferungen nicht funktionieren, sondern nur auf dem Verhandlungsweg. Sonst wird der Krieg eskalieren, es wird möglicherweise zum direkten Krieg Russland gegen NATO werden und es wird zum Einsatz von Atomwaffen in Europa kommen, mit entsprechenden Folgen für Zentral-Europa und möglicherweisen die ganze Welt. Unsere Solidarität gilt jenen Menschen, die sich in der Ukraine, Russland und Belarus dem Krieg verweigern, dagegen protestieren und zivilen Widerstand leisten. Das Interview, das Werner Wintersteiner mit dem in Kiew lebendenden Pazifisten Yurii Sheliazhenko geführt hat und das wir auf der Lebenshaus-Website veröffentlicht haben, zieht weitere Kreise. Es wurde von der internationalen gewaltfreien Bewegung WORLD BEYOND WAR, die ihren Sitz in den USA und in Kanada hat, ins Englische übersetzt und veröffentlicht. Und Yurii wiederum weist in den sozialen Medien darauf hin und hat dabei auf unsere Website verlinkt. So sind wir Teil eines internationalen Netzwerks, das sowohl gegen den Krieg in der Ukraine, aber ganz grundsätzlich gegen jeden Krieg arbeitet. Unser Widerspruch gegen den aktuellen Kriegskurs ist weiter notwendig. Vielleicht sogar überlebenswichtig. Wir werden dabei bleiben, der Lieferung schwerer Waffen und dem massiven Aufrüstungskurs der NATO einschließlich atomarer Aufrüstung zu widersprechen. Und entsprechend einer Friedenslogik statt einer Kriegslogik setzen wir uns ein für Deeskalation, Diplomatie, sofortige Einstellung der Kriegshandlungen, Rückzug der Waffen, Verhandlung und Vermittlung zwischen den Konfliktparteien. (gemeinsames Schlusslied mit Bernd Geisler: We shall overcome) Für die Mahnwache verwendete Artikel:
Kleine Auswahl von Weblinks zu zivilem Widerstand in der Ukraine:
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