Warum lassen sich anti-imperialistische Kriege nicht rechtfertigen?Von David Swanson, World BEYOND War Nehmen wir an, wir seien Teilnehmer:innen einer populären demokratisch-sozialistischen menschenrechtsliebenden Bewegung und einer erfolgreichen sowie fair gewählten nationalen Regierung, und würden von einem rechtsgerichteten Militär, sei es aus dem Ausland oder aus dem Inland, mit schrecklicher Gewalt überfallen und gestürzt. Was sollten wir dann tun? Ich frage nicht, was wir tun können, um bessere Ergebnisse zu erzielen als nichts zu tun. Fast alles erfüllt diesen Standard. Ich frage nicht, was wir tun können, von dem wir behaupten können, es sei weniger schlimm als das, was die Invasoren und Besatzer gerade getan haben. Fast alles erfüllt diesen Standard. Ich frage nicht, was wir tun können, ohne dass es beleidigend wäre, wenn ein:e entfernte:r, in Sicherheit lebende:r Bewohner:in des Imperiums, das gerade bei uns einmarschiert ist, uns über das Böse belehren würde. Wir sind Opfer. Wir können für nichts verantwortlich gemacht werden. Wir können erklären, dass wir das Recht haben, alles zu tun. Aber alles ist eine zu weit gefasste Lizenz. Es hilft uns keineswegs dabei, unsere Wahlmöglichkeiten auf das einzugrenzen, was wir tun sollten. Wenn ich frage ‚Was sollten wir tun?’ meine ich: Wo liegen die besten Chancen, um die besten Ergebnisse zu erzielen? Was wird am ehesten dazu führen, die Besatzung so zu beenden, dass sie von Dauer ist, dass zukünftige Invasionen verhindert werden, ohne dass die furchtbare Gewalt weiter eskaliert und sich verschlimmert. Mit anderen Worten: Was ist das Beste, was ich tun kann? Was kann ich tun, um eine Entschuldigung dafür zu finden? Sondern: Was ist das Beste, was wir tun können - nicht für die Reinheit unseres Herzens, sondern für das Ergebnis in der Welt? Was ist unser mächtigstes Werkzeug, das uns zur Verfügung steht? Es hat sich eindeutig gezeigt , dass gewaltfreie Aktionen, einschließlich jener gegen Einmärsche, Besatzungen und Putsche, eine bedeutend höhere Wahrscheinlichkeit haben, erfolgreich zu sein - und dass diese Erfolge für gewöhnlich deutlich länger anhalten - als jene, die durch Gewalt erzeugt werden. Der gesamte Bereich des gewaltfreien Aktivismus, der Diplomatie, der internationalen Kooperation und des internationalen Rechts, der Abrüstung und des Schutzes unbewaffneter Zivilist:innen - werden im Allgemeinen aus den Schulbüchern und den Nachrichtenberichten ausgeklammert. Wir sollen die Vorstellung als Tatsache hinnehmen, dass Russland Litauen, Lettland und Estland nicht angegriffen hat, weil sie NATO-Mitglieder sind, aber nicht wissen, dass diese Länder das sowjetische Militär mit weniger Waffen vertrieben haben, als ein Durchschnittsamerikaner auf einen Shoppingtrip mitbringt, nämlich ohne jegliche Waffen, sondern indem sie gewaltlos Panzer umzingelten und sangen. Warum ist so etwas Seltsames und Dramatisches nicht bekannt? Es ist eine Entscheidung, die für uns getroffen worden ist. Der Trick ist, unsere eigenen Entscheidungen darüber zu treffen, was wir nicht wissen wollen und das hängt davon ab, herauszufinden, was es da draußen zu erfahren gibt und es anderen zu erzählen. In der ersten palästinensischen Intifada in den 1980er Jahren wurde ein Großteil der unterworfenen Bevölkerung durch gewaltfreie Nichtkooperation zu selbstverwalteten Einheiten. Der gewaltfreie Widerstand in der Westsahara hat Marokko dazu gezwungen, einen Autonomievorschlag zu machen. Gewaltfreie Bewegungen haben US-Stützpunkte aus Ecuador und den Philippinen vertrieben und sind gerade dabei, die Einrichtung eines neuen NATO-Stützpunktes in Montenegro zu verhindern. Staatsstreiche wurden verhindert und Diktatoren gestürzt. Das Scheitern ist natürlich sehr häufig. Genauso wie Tod und Leid während des Prozesses. Aber nur wenige würden auf einen dieser Erfolge blicken und sich wünschen, ihn gewaltsam zu wiederholen, um eine geringere Erfolgschance zu haben, aber eine höhere Wahrscheinlichkeit, einen währenden Kreislauf von Gewalt und Niederlage zu befeuern und wahrscheinlich bedeutend mehr Tote und Leid während des Vorhabens zu bewirken, nur damit einige der Menschen, die gestorben sind, dies mit Waffen in der Hand getan haben könnten. Umgekehrt würden viele, selbst wenn sie einen gewaltsamen Kampf mit einem zumindest vorübergehenden Erfolg feiern, aber mit erschreckenden Verlusten an Menschenleben, die Chance ergreifen, ihn auf magische Weise genauso erfolgreich zu wiederholen, aber ohne Gewalt und den Verlust von Angehörigen. Diejenigen, die sich in solchen Szenarien für Gewalt entscheiden würden, würden keine Strategie verfolgen, sondern Gewalt um ihrer selbst willen bevorzugen. Ja, aber selbst die imperialen westlichen Kriegshetzer haben sicherlich Recht damit, dass Krieg oft das letzte Mittel ist, sie irren sich nur, wenn es darum geht, für welche Seiten in welchen Kriegen diese Rechtfertigung gilt. Russland zum Beispiel hatte kein anderes Mittel, als auf dramatische Weise den Krieg in der Ukraine zur Eskalation zu führen? (Es ist etwas seltsam für mich, einen von einer imperialistischen Nation wie Russland geführten Krieg als Beispiel für einen anti-imperialistischen Konflikt aufzuführen, aber für viele Gegner:innen des amerikanischen Imperialismus gibt es keinen anderen Imperialismus und für die meisten Menschen gibt es gerade keinen anderen Krieg.) Die Behauptung, dass Russland keine andere Wahl hatte, ist genauso wenig wahr wie die Behauptung, dass die USA nicht anders konnten, als Berge von Waffen in die Ukraine zu liefern, oder Afghanistan oder Irak oder Syrien oder Libyen etc. anzugreifen. Wir können den Anfang einer langen Liste von Fakten anführen (in der Hoffnung, dass wir uns der anderen bewusst sind): Die USA lügen, wenn es um Russland geht und bedrohen es, bilden auf provokante Weise Allianzen, stationieren Waffen und führen Kriegsübungen durch; die USA unterstützten 2014 den Putsch in Kiew; die Ukraine verweigerte ihren östlichen Regionen die Unabhängigkeit, die sie gemäß Minsk II hätten beanspruchen können; die meisten Menschen auf der Krim sehnen sich nicht nach Befreiung etc. Aber niemand griff Russland an oder marschierte ein. Die NATO-Erweiterung und die Stationierung von Waffen waren schreckliche Aktionen, aber keine Verbrechen. Erinnert ihr euch noch daran, als die USA behaupteten, der Irak verfüge über Massenvernichtungswaffen, die der Irak wahrscheinlich nur im Falle eines Angriffs einsetzen würde, und dann den Irak im Namen der Verhinderung des Einsatzes von Massenvernichtungswaffen angriffen? Russland behauptete, die NATO sei eine Bedrohung, wusste, dass der Angriff auf die Ukraine einen enormen Anstieg der Popularität, der Mitgliedschaft und der Waffenkäufe der NATO garantieren würde und griff die Ukraine im Namen der Verhinderung der NATO- Erweiterung an. Die beiden Fälle weisen viele bedeutende Unterschiede auf, aber die beiden entsetzlichen, massenmörderischen Aktionen waren für sich genommen eindeutig kontraproduktiv. Und in beiden Fällen gab es andere, bessere Optionen. Russland hätte sich weiterhin über die täglichen Vorhersagen einer Invasion lustig machen und weltweit für Heiterkeit sorgen können, anstatt einzumarschieren und die Vorhersagen einfach um ein paar Tage zu verfälschen; es hätte weiterhin Menschen aus der Ostukraine evakuieren können, die sich von der ukrainischen Regierung, dem Militär und den Nazi- Schergen bedroht fühlten; es hätte den Evakuierten mehr als 29 Dollar zum Überleben anbieten können; es hätte die UNO bitten können, eine erneute Abstimmung auf der Krim über den Wiederanschluss an Russland zu beaufsichtigen, dem Internationalen Gerichtshof beitreten und um Ermittlungen gegen Straftaten im Donbass bitten können; es hätte viele Tausende von unbewaffneten zivilen Beschützer:innen in den Donbass entsenden können; es hätte einen Aufruf an die Welt richten können, um Freiwillige zu finden, die sich ihnen anschließen etc. Das Schlimmste daran, im Westen für die Rechtfertigung der Kriegsführung Russlands, Palästinas, Vietnams, Kubas usw. zu plädieren, ist nicht nur, dass man den Unterdrückten sagt, dass sie schwache Mittel einsetzen sollen, die unnötigerweise zum Scheitern verurteilt sind, sondern auch, dass man der US-amerikanischen Öffentlichkeit sagt, dass die Institution des Krieges auf die eine oder andere Weise gerechtfertigt ist. Schließlich sehen sich das Pentagon und seine eifrigsten Unterstützer:innen als unterdrückte und bedrohte Opfer irrationaler, angsteinflößender Bedrohungen aus aller Welt. Die Abschaffung des Krieges aus den Köpfen der Menschen in den USA herauszuhalten, hat schreckliche Folgen für die Welt, nicht nur durch die Kriege, sondern auch durch die Ausgaben und den Schaden für die Umwelt, die Rechtsstaatlichkeit, die bürgerlichen Freiheiten, Selbstverwaltung und den Kampf gegen Bigotterie, der durch die Institution des Krieges ausgelöst wird. Ich diskutiere manchmal mit Kriegsbefürworter:innen über die Frage, ob Krieg jemals gerechtfertigt werden könne. Für gewöhnlich versucht mein:e Diskussionsgegner:in dann Debatten über tatsächliche Kriege aus dem Weg zu gehen und spricht lieber über Großmütter und Straßenräuber in dunklen Gassen, aber wenn Druck empfunden wird, verteidigt mein:e Debattengegner:in die amerikanische Seite des zweiten Weltkrieges oder eines anderen Krieges. Ich habe nun eine kommende Debatte mit jemandem angesetzt, von dem ich erwarte, dass er Beispiele von Kriegen anführen wird, die er als gerechtfertigt betrachtet; aber ich erwarte, dass er versucht, die antiamerikanische Seite in jedem Krieg zu rechtfertigen. Natürlich kann ich nicht wissen, worüber er diskutieren wird, aber ich werde gerne zugeben, dass ich keine Rechtfertigung sehe, Palästinenser:innen vorzuschreiben, was sie tun sollen, dass die schlimmsten Schandtaten in Palästina von Israel durchgeführt worden sind, und, dass Palästinenser:innen - verdammt nochmal - einfach das Recht haben, sich zur Wehr zu setzen. Was ich nicht zu hören erwarte, sind überzeugende Beweise dafür, dass der klügste Weg zum wahrscheinlichsten und dauerhaftesten Erfolg der Krieg ist.
Quelle: Pressenza - 07.07.2022. Die Übersetzung aus dem Englischen wurde von Linda Michels vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam erstellt. Bearbeitung durch Michael Schmid. Eine Vervielfältigung oder Verwendung des Textes in anderen elektronischen oder gedruckten Publikationen ist unter Berücksichtigung der Regeln von Creative Commons Attribution 4.0 International (CC BY 4.0) möglich. Veröffentlicht amArtikel ausdruckenWeitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von |
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