Gewaltfreie Blockadeaktion Großengstingen 1982: Maria BraigVom 1. bis 8. August 1982 fand bei Großengstingen auf der Schwäbischen Alb unter dem Motto "Schwerter zu Pflugscharen" eine einwöchige Blockadeaktion des Atomwaffenlagers statt. Rund 750 Menschen beteiligten sich an dieser gewaltfreien Aktion. Für viele Beteiligte hatte dies auch juristische Folgen. Seit dieser gewaltfreien Aktion sind nun 40 Jahre vergangen. Wir haben Menschen eingeladen, die damals bei dieser Aktion dabei waren, sich nach dieser langen Zeit zurück zu erinnern. Hier findet sich eine Übersicht über alle Beiträge: Einwöchige gewaltfreie Sitzblockade vor dem Atomwaffenlager bei Großengstingen Sommer 1982 - Beteiligte erinnern sich Nachfolgend ein Interview mit Maria Braig.
Es ist wirklich schon sehr lange her, aber ich denke nach wie vor, dass es eine großartige Aktion war, die wir damals gestemmt haben. Eine Aktion, die viele Nachwirkungen, nicht nur für die einzelnen Aktivist*innen hatte. Es wurden Grundlagen für weitere gewaltfreie Aktionen (nicht nur im antimilitaristischen Bereich) entwickelt und ausprobiert, die teilweise bis heute weiter wirken. Die Aktion selbst war schon damals für mich und meine Bezugsgruppe anstrengend, da sich sehr schnell herauskristallisierte, dass es große Unterschiede in der Radikalität (immer bezogen auf Nonviolence) der Beteiligten gab und Kompromisse äußerst schwer zu erreichen waren. So gab es beispielsweise unendliche Diskussionen darüber, dass sich eine Berliner Gruppe an ein blockiertes Militärfahrzeug ketten wollte. Und wir bekamen riesigen Ärger, weil wir mit Kreppband "Hau ab!" auf das Auto eines Kriminalbeamten klebten, der meinte, das Camp besuchen zu müssen. Im darauffolgenden Sommer fand erneut ein etwas kleineres Aktionscamp auf der Schwäbischen Alb statt. Meine Bezugsgruppe entwickelte die Idee, ins Atomwaffenlager einzusteigen. Da so etwas vom Camp nicht mitgetragen worden wäre, setzten wir das dann als unabhängige Kleingruppe mehrere Wochen später in die Tat um. In der Folge entwickelte sich m. E. der Begriff "Gewaltfreiheit" in vielen Kreisen auch zu einem fast ausschließlichen "die andere Backe hinhalten", und man bekam immer öfter zu hören: "Erst muss man bei sich selbst beginnen, bevor man nach außen geht." Darüber spaltete sich meiner Einschätzung nach die Bewegung zumindest zeitweise. Später in der Anti-AKW-Bewegung und heute bei Aktionen, wie sie "Ende Gelände" organisiert, scheint mir ein Miteinander dann aber doch wieder einigermaßen gelungen zu sein.
Ich war damals in der GA (Gewaltfreie Aktion) Tübingen engagiert. Wir sahen uns als gewaltfreie Anarchist*innen und verorteten uns rings um die Zeitschrift Graswurzelrevolution, die bis heute existiert. Solche Gruppierungen gab es bundesweit und sie organisierten sich in der FöGA, Föderation Gewaltfreier Aktionsgruppen. Die GA Tübingen bestand, so weit ich mich erinnere, aus zwei Bezugsgruppen, von denen sich die eine vorwiegend um antimilitaristische Themen kümmerte, die andere arbeitete in erster Linie gegen das Atomkraftwerk in Neckarwestheim. Wir beteiligten uns gemeinsam schon lange Zeit an Direkten Aktionen oder organisierten diese selbst. So waren wir in Gorleben bei der Platzbesetzung von 1004, störten den Großen Zapfenstreich vor dem Stuttgarter Schloss, ketteten uns an die Mauer des Atomkraftwerks Neckarwestheim usw. 1981 konzentrierte sich ein Teil der Gruppe auf mehrere bundesweit organisierte Blockaden vor der Baustelle des Atomkraftwerks Brokdorf, während der andere Teil sich vor der Kaserne in Großengstingen ankettete und damit den ersten Schritt machte, aus dem schließlich die große Blockade im Sommer 1982 hervorging. Auf alle diese Aktionen bereiteten wir uns gründlich vor, befassten uns mit den möglichen zu erwartenden juristischen Folgen und den Ängsten, die diese selbstverständlich bei uns auslösten, übten das gewaltfreie Verhalten während der Blockaden ein und versuchten möglichst alle Eventualitäten bereits im Vorhinein durchzusprechen. Später führten wir solche Vorbereitungskurse auch für andere Bezugsgruppen durch, bis sich irgendwann ein eigenes Kollektiv für gewaltfreie Trainings gründete.
Nur zu gut erinnere ich mich. Es waren ja zahlreiche große basisdemokratische Delegiertenversammlungen oder "Sprecherräte", wie es damals noch ganz genderunkritisch hieß, in denen wir um eine gemeinsame Plattform gerungen und letztendlich die logistische Vorbereitung der Blockade durchgeführt haben. Konsensfindung ist sehr anstrengend und zeitraubend bei solch großen Aktionen - und manchmal auch sehr nervenaufreibend. Das wurde mir schnell bewusst.
Die juristischen Folgen der Blockade waren ein Strafbefehl, gegen den ich, wie fast alle anderen, Widerspruch eingelegt habe. Es folgte eine Verhandlung vor dem Amtsgericht Münsingen beim Richter Rainer, der damals über 300 Verhandlungen abarbeiten musste. Ich selbst wurde als Erste drangenommen, weil ich bereits eine rechtskräftige Geldstrafe für mehrere Blockaden des Bauplatzes des Atomkraftwerks in Brokdorf nicht bezahlt hatte und eine Ersatzfreiheitsstrafe im Raum stand. Beides wurde dann vor dem AG Münsingen zusammengefasst zu einer Gesamtgeldstrafe. Es folgte auf meinen Widerspruch eine Berufungsverhandlung vor dem Landgericht in Tübingen und letztendlich wurde 1985 eine vierwöchige Ersatzfreiheitsstrafe in der JVA Leonberg und der JVA Schwäbisch Gmünd vollstreckt.
Es war ein wichtiger Teil meiner Biografie, aber eben nur einer von vielen. Ich denke, ich habe dabei gelernt, mich auch vor vielen Menschen einigermaßen sicher zu bewegen und auszudrücken. Sowohl in den "Sprecherräten", vor Gericht und in Informationsveranstaltungen hatte ich dazu viele Gelegenheiten. Mir wurde schnell klar, dass das Gefängnis kein Ort ist, wo man sich positiv verändert, dass die Bezugspersonen draußen sehr beansprucht werden durch eine Haft, dass Beziehungen das nur sehr schwer aushalten, und mir wurde dort auch meine privilegierte Position in der Gesellschaft sehr deutlich. Ich habe mich radikalisiert, was Aktionen anging und musste auch die Grenzen dessen erkennen, was ich bereit war für das politische Engagement in Kauf zu nehmen.
Es hat sich ja nichts so verändert, dass wir heute nicht mehr kämpfen müssten. Leider. Warum sollten Aktionen des Zivilen Ungehorsams heute anders eingeschätzt werden als damals? Leider haben sie, was sich gerade in der jetzigen Situation des Ukraine-Krieges zeigt, immer noch nicht genug Wichtigkeit und keine wirkliche Lobby erlangt. Menschen, die in den Achtzigern die Friedensbewegung mitgetragen haben, rufen nun plötzlich nach schweren Waffen, als ob damals alles nur ein Spiel gewesen wäre und heute eine völlig neue Realität herrschen würde. Aber Kriege und Waffen und diejenige, die davon profitieren genauso wie die, die sterben (sei es direkt durch Waffen oder mittelbar durch Hunger), gab es damals wie heute. Leider haben wir zu früh nachgelassen und den Ausbau und die Entwicklung der Zivilen Verteidigung schon bald nur noch als Nebenschauplatz gesehen, was sich jetzt rächt. Wäre nur ein Bruchteil der Gelder, die in die Rüstung fließen und geflossen sind hier eingesetzt worden, dann wüsste die Welt heute, dass es nicht nur eine militärische Verteidigungsstrategie gibt. Welchen Sinn Aktionen des Zivilen Ungehorsams haben, dazu wurde über die Jahre wirklich genug geschrieben und geforscht. Wie sollte ich das in einen Satz fassen? Höchstens in die uralte Parole: "Es gibt genug zu tun, packen wir es an!" SpäterWährend der juristischen Folgen der Blockade in Großengstingen versuchte ich mein Studium abzuschließen und die Magisterarbeit zu schreiben, was mir mit mäßigem Erfolg auch gelang. Spannend dabei für mich war, dass mein Professor sich viel weniger für die Magisterarbeit, als für die Zeitungsberichte über meine Prozesse interessierte. Es folgten Blockaden in Mutlangen, wobei ich mir eine Freiheitsstrafe auf Bewährung einhandelte. Da ließ ich mich zunächst ausbremsen, da klar war, die nächste Verurteilung würde dann eine Freiheitsstrafe bedeuten, was ich meinem Umfeld nicht mehr zumuten wollte. Wir wichen auf verdeckte Aktionen aus und zementierten viele Nächte lang unzählige Sprengdeckel auf der Schwäbischen Alb zu. Irgendwann entschied dann der BGH, dass die damaligen Verurteilungen zu Unrecht erfolgt waren, weil es sich höchstens um Ordnungswidrigkeiten, aber nicht um Nötigung gehandelt hätte. (Ich bekam eine Haftentschädigung von etwa 300 DM!) Bis 2010 blieb ich im Raum Tübingen / Reutlingen wohnen und zog dann nach Osnabrück. Es blieb immer spannend. Es folgten die Castor-Transporte, Aktionen gegen Abschiebungen und die Unterstützung für Geflüchtete (Schwerpunkt Frauen auf der Flucht, LGBT*IQ-Geflüchtete), …
Maria Braig: Ich bin 1957 im tiefen Süden der Republik in Isny im Allgäu geboren, dort auch aufgewachsen und über einige Zwischenstationen (Studium in München und Tübingen) ungefähr 50 Jahre später, in der Friedensstadt Osnabrück angekommen. Website von Maria Braig: www.maria-braig.de
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