Gewaltfreie Blockadeaktion Großengstingen 1982: Thomas FelderVom 1. bis 8. August 1982 fand bei Großengstingen auf der Schwäbischen Alb unter dem Motto "Schwerter zu Pflugscharen" eine einwöchige Blockadeaktion des Atomwaffenlagers statt. Rund 750 Menschen beteiligten sich an dieser gewaltfreien Aktion. Für viele Beteiligte hatte dies auch juristische Folgen. Seit dieser gewaltfreien Aktion sind nun 40 Jahre vergangen. Wir haben Menschen eingeladen, die damals bei dieser Aktion dabei waren, sich nach dieser langen Zeit zurück zu erinnern. Hier findet sich eine Übersicht über alle Beiträge: Einwöchige gewaltfreie Sitzblockade vor dem Atomwaffenlager bei Großengstingen Sommer 1982 - Beteiligte erinnern sich Nachfolgend ein Interview mit Thomas Felder.
Es war in der Tat ein Aufbruch, sowohl persönlich als auch politisch.
Ein Jahr zuvor sind meine Zwillinge geboren. Um ihres Überlebens willen war ich dabei.
Wir übten Konsensfindung in Bezugsgruppen und trainierten für die Blockade. Es war aber natürlich völlig unsicher, was uns bei und nach dieser Blockade alles passieren würde. Als der Lastwagen auf mich zu rollte, half mir allein mein Gottvertrauen, die Angst zu überwinden. Helmut Rathfelder war der einzige aus unserer Gönninger Gruppe, der noch neben mir saß. Alle anderen waren im letzten Moment doch noch aufgestanden, obwohl anderes verabredet war. Sie bewarben sich damals gerade um das Lehramt und fürchteten um ihren Beamtenstatus. Helmut wurde trotzdem Lehrer in Mariaberg.
Ich musste vors Amtsgericht und dieses Nachspiel dort fiel mir auch nicht gerade in den Schoß. Immerhin handelte es sich um einen Straftatbestand, den es zu entkräften galt. Dabei half mir das Singen und Spielen, der Humor und die öffentliche Aufmerksamkeit. Der Staatsanwalt nuschelte derart unverständlich, dass ich den Wortlaut des Strafbefehls musikalisch, laut und deutlich noch einmal in den Raum stellte (siehe FR-Bericht unten).
Habe die Erfahrung gemacht, dass eigenes Handeln Wirkung zeitigt.
Ja. Gesellschaftliche Entwicklung ist nur denkbar, wenn Menschen gegen den Strom schwimmen - in Richtung der Quellen. Thomas Felder, Jg. 1953, stammt aus einem evangelischen Pfarrhaus. Vom Kindesalter an wurde er mit dem Singen und Musizieren vertraut gemacht. An einem kirchlichen Internat, das er von 1966 bis 1972 besuchte, wählte er als Schwerpunkt den musisch-kulturellen Bereich. In Stuttgart und London studierte er Bildende Kunst und Anglistik und war danach einige Jahre Lehrer. Seit Beginn der 1970er Jahre ist Thomas Felder als Liedermacher tätig, im Lauf der Zeit als hauptberuflich freischaffender Künstler. Um von der kommerziellen Musikindustrie unabhängig zu bleiben und dennoch sein wirtschaftliches Auskommen zu sichern, gründete er mit der Kulturwerkstatt "Musik&Wort" ein eigenes Label. Über seine Stimme hinaus verwendet er bei öffentlichen Auftritten mit Liedern und Programmen, die vorwiegend von ihm selbst geschrieben und komponiert sind, verschiedene Musikinstrumente. 2020 hat er sein 50-jähriges Bühnenjubiläum gefeiert. Neben seiner Tätigkeit als Künstler engagiert sich Thomas Felder auch politisch: So zum Beispiel in der Friedensbewegung, der Aufarbeitung des Holocaust, insbesondere in seiner schwäbischen Heimat, und im weiteren Kontext des jüdisch-christlichen Dialogs. Ein außergewöhnlicher Beitrag entstand, als er sich im August 1982 an der einwöchigen Sitzblockade des Atomwaffenlagers Golf bei Großengstingen beteiligte und in die Schlagzeilen geriet, als er beim später erfolgenden Nötigungsprozess an Stelle einer Aussage zum Nötigungsvorwurf den Wortlaut des Strafbefehls vorsang - worauf der Richter den Saal fluchtartig verließ… (siehe unten). Website von Thomas Felder: www.thomas-felder.de Abschrift des Artikels aus der Frankfurter Rundschau, 9.3.1984 Gerichtssprache ist Deutsch - nicht GesungenEs waren etwa die Fälle 181, 182 und 183, die am Mittwoch Im Münsinger Amtsgericht hoch auf der Schwäbischen Alb zu verhandeln waren, keine 20 Kilometer von jenem Sondermunitionslager der Bundeswehr bei Engstingen entfernt, dessen Zufahrt in den vergangenen zwei Jahren immer mal wieder blockiert worden war. 306 Strafbefehle hat die Staatsanwaltschaft Tübingen an die Teilnehmer der ersten großen Blockade vom August 1982 verschickt, und stets, wenn es um diesen Tatbestand der Nötigung geht, muß in Münsingen Richter Thomas Rainer ran. Keine leichte Aufgabe. Sieht er die einen Angeklagten aus der Friedensbewegung weinen, weil sie es nicht fassen können, daß ihr oft christlich motivierter Einsatz für eine Welt ohne Atomwaffen sie zu Vorbestraften macht, so ist Thomas Rainer auch nicht vor Ausbrüchen von Heiterkeit sicher. Am 11. 11. des Vorjahrs etwa flogen Luftschlangen durch den Gerichtssaal. Dem folgenden Happening auf den Zuhörerbänken mit Pappnasen und Konfetti entzog er sich durch einen schnellen Abgang. Am Mittwoch verließ Richter Rainer wiederum fluchtartig den Saal. Schuld daran war der Reutlinger Liedermacher Thomas Felder, der sich durchaus zu der Anklageschrift gegen ihn äußern wollte - aber singend. In der Tonart G-Dur stimmte er den Wortlaut des Strafbefehls an: "Die Staatsanwaltschaft beschuldigt Sie, gemeinschaftlich handelnd andere rechtswidrig mit Gewalt zu einer Handlung, Duldung oder Unterlas…" - doch da war der Richter schon weg. Daß sich Felder "am 5. 8. 1982 gegen 7.00 Uhr in bewußtem und gewolltem Zusammenwirken mit zahlreichen weiteren Demonstranten zur Aufrechterhaltung einer in der Zeit vom 1. 8. bis 8. 8. 1982 ununterbrochen andauernden Blockade auf die Zufahrt zum Sondermunitionslager setzte", hörte sich Staatsanwalt Rolf Kindsvater noch an, dann zog auch er aus. Nach einer Unterbrechung ging es weiter. Der Liedermacher erklärte seinen Gesangsvortrag zum "wichtigen Beweismaterial", denn singend könne er den Text besser durchleuchten, könne Lügen und Verdrehungen durch Betonung oder einen Akkord deutlich machen. "Singen erfordert einfach Ehrlichkeit," so der 31jährige, der von seiner Kunst lebt. Der Richter bestand auf einem schriftlichen Antrag Felders, die Anklage vorsingen zu dürfen. Was den Staatsanwalt veranlaßte, sogleich klarzustellen, was er davon hielt: "Die Gerichtssprache ist Deutsch und nicht Gesungen". Nun, der Antrag wurde abgelehnt. Begründung: unsachlich. Man könne sich, so Richter Rainer, auch in sprachlicher Form korrekt äußern. Felder versuchte es. Er, der 17 Jahre in Münsingen gelebt hatte, trug ungesungen vor: Es ist mir ein ernstes Anliegen, daß meine Heimat erhalten bleibt." Alle Anzeichen deuteten auf die Vorbereitung eines Atomkriegs hin, und dafür könne er bergeweise Belege bringen. Der Vorwurf der Nötigung entbehre "für diese Demonstration mit leichter Verkehrsbehinderung" jeder Grundlage. Der Liedermacher will den gesungenen Strafbefehl nun auf einer Platte veröffentlichen, "auch im Gedenken an die Schreibkraft, die genötigt wurde, dreihundertmal dieselbe Leier abzutippen und an die einzelnen Demonstranten zu versenden". Er wurde am Mittwoch zu einer Geldstrafe von 300 Mark verurteilt, gegen die er keinen Widerspruch einlegen wird. Einer der beiden Mitangeklagten blieb am Mittwoch im Gerichtssaal stehen, aus Respekt, wie er sagte, vor Gericht und Gesetz, die auch ihn respektieren sollten. "Ich möchte nicht sitzend abgeurteilt werden. Ich stehe zu meiner Tat." Gegen diese Körpersprache wurden keine richterlichen Bedenken laut. BERND SERGER - Frankfurter Rundschau Erdenmutter, Sensenmann, Gerichtssprache - Thomas Felder (ab 5:57 Min. = STRAFBEFEHL)
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