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Ukraine-Krieg und Diplomatie: Kriegslogik versperrt den Weg

Von Wolfram Wette

Beim Krieg in der Ukraine handelt es sich um eine offensichtliche Aggression Russlands. Der Historiker Wolfram Wette fragt dennoch, ob die Fokussierung allein darauf nicht verkürzt ist. Denn sie verstellt den Blick auf die Ursachen des Krieges, deren Kenntnis wichtig ist, um eine diplomatische Lösung zu finden.

Der vormalige Bundespräsident Gustav W. Heinemann richtete im Jahre 1970 an die damals aufstrebende deutsche Friedens- und Konfliktforschung die folgende Erwartung und Mahnung: "Unendlicher Fleiß ist seit erdenklichen Zeiten von Geschichtsschreibern darauf verwandt worden, den Verlauf von Schlachten und Kriegen darzustellen. Auch den vordergründigen Ursachen von Kriegen wurde nachgespürt. Aber nur wenig Kraft, Energie und Mühe wurden in der Regel darauf verwandt, sich darüber Gedanken zu machen, wie man sie hätte vermeiden können."

Auch im Hinblick auf den Ukraine-Krieg sind wir aufgefordert, uns nicht mit der unstrittigen Feststellung zu begnügen, dass es sich um eine völkerrechtswidrige russische Aggression handelt. Wir müssen uns auch bemühen, den langfristigen Ursachen dieses Krieges nachzuspüren. Im Hintergrund steht immer die Frage, ob und gegebenenfalls wie dieser Krieg hätte verhindert werden können. Damit verbindet sich der Wunsch, zu lernen für eine Zukunft, in der Frieden als Ernstfall eine Chance hat.

War der Ukraine-Krieg vermeidbar?

Wir alle haben den Kriegsbeginn als einen Schock erlebt und konnten die neue Lage, die Zäsur, zunächst kaum erfassen. Nur eines war klar: Die Hauptverantwortung für die Entfesselung dieses Krieges lag bei Russland. Der russische Staatspräsident Putin hatte den Angriffsbefehl erteilt, und die russischen Funktionseliten standen hinter ihm.

In den westlichen Ländern und ebenso in Deutschland führte das Faktum der russischen Aggression dazu, dass sämtliche Informationen über diesen Krieg entlang der offensichtlichen Kriegsschuld Putin-Russlands sortiert und bewertet wurden. Das - leicht begreifbare - Freund-Feind-Schema strukturierte nun die öffentliche Meinung und bald auch die politischen Entscheidungen. Differenziertes Denken war weniger gefragt und stand in der Gefahr, als Parteiergreifen für die falsche Seite denunziert und attackiert zu werden.

Nur wenige Menschen waren unter diesen Umständen bereit, einen neutralen Standpunkt einzunehmen und sich die Frage vorzulegen, ob die Fokussierung auf die Aggression nicht eine verkürzte Sichtweise war, die nur einen Teil des Ganzen erfasste. Hat nicht jeder Konflikt eine Vorgeschichte?

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Quelle:  KONTEXT:Wochenzeitung - 27.07.2022. 

Veröffentlicht am

30. Juli 2022

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