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Klimagerechtigkeit: Alle reden übers Wetter

Ein Kommentar dazu, was uns die dieser Tage zu Ende gegangene Weltklimakonferenz lehrt.

Von Thomas Rudhof-Seibert

Wenn 20.000 Menschen, Staatschefs, Bürokrat:innen, Wissenschaftler:innen, Journalist:innen, NGO-Vertreter:innen, zwei Wochen lang zusammenkommen, um sich zur Lage der Welt auszutauschen, darf man doch erwarten, dass dieser ungeheure Aufwand uns dem Ziel irgend näherbringt, die drohende Verwüstung des Planeten abzuwenden. Man darf erwarten, dass die Versammelten Löcher in den Raum bohren, in denen die Gerechtigkeit Platz finden kann.

Was aber heißt Gerechtigkeit? Und wer schuldet wem eigentlich was? Seit über zehn Jahren versuchen Bewegungen von Bäuer:innen, Indigenen, von Klimagerechtigkeitsaktivist:innen und NGOs den Globalen Norden zur Wiedergutmachung von Klimaschäden zu verpflichten  - für Schäden, die bereits geschehen sind, die gerade geschehen und die unabwendbar geschehen werden. Nach über zehn Jahren aktivistischer Beharrlichkeit von unten, unzähligen wissenschaftlichen Mahnungen vor eben diesen drohenden Klimakatastrophen, konnten Europa und die USA die Debatte um Klimagerechtigkeit und loss & damage nicht mehr länger totschweigen. Alle haben darüber gesprochen, haben darüber reden müssen. Verständigt aber hat man sich nicht. Der Weltklimagipfel von Sharm el-Sheik hat uns dem, was zu tun nötig wäre, um keinen Zentimeter nähergebracht.

Entwicklungspolitische Erfolge?

Völlig unerfindlich deshalb auch, wie die deutsche Umweltministerin dazu kommt, sich immerhin über "entwicklungspolitische" Erfolge freuen zu dürfen. Sie meint damit einerseits die in Aussicht gestellten Einzelverabredungen einzelner Verursacherländer mit jeweils einzelnen der demnächst verwüsteten Länder. Solche Einzelverabredungen werden nie auf Augenhöhe getroffen und finden, das lehren die letzten dreißig Jahre zur Genüge, niemals eine wirklich angemessene Lösung. Daneben meint sie vermutlich den sog. "Entschädigungsfonds", aus dem Ländern wie Pakistan oder Somalia "Ausgleichszahlungen" nicht nur für die erlittenen, sondern auch für die kommenden Verheerungen erhalten sollen.

Versank Pakistans südliche Hälfte im August nahezu vollständig in den Fluten, wird sich das in den nächsten Jahren, das eben meint der schönrednerische Begriff des "Klimawandels", nicht nur einmal, sondern mehrfach wiederholen, in immer kürzeren Abständen. Vom Verdorren Somalias unter wochenlanger Gluthitze ist dasselbe zu sagen: auch das wird von jetzt an nicht mehr aufhören, sondern auf Dauer genau so weitergehen, bis zum letzten Rinderkadaver, den die sengende Sonne irgendwo Staub werden lässt.

Der trotzdem allseits begrüßte Fond - irgendwas muss man ja begrüßen! - ist dabei nur erst als solcher beschlossen: verpflichtet hat sich die famose "internationale Gemeinschaft" de facto und in concreto bis jetzt zu überhaupt gar nichts. Mehr noch: Die Industrieländer haben eine zentrale Forderung aus dem globalen Süden rhetorisch aufgegriffen, aber gleichzeitig neutralisiert.

Auch der deutschen Umweltministerin fiel gar nichts anderes als eine Ermahnung Chinas ein: ganz so, als ob Deutschland nur ein unbeteiligter Schiedsrichter und nicht einer der Hauptverantwortlichen des Unheils wäre, das anderswo Millionen jede Lebensperspektive raubt.

Reparationen

Damit ist der eigentliche Skandal noch gar nicht angesprochen, der Umstand, dass die Ausgleichszahlungen, wenn es überhaupt zu ihnen kommen wird, freiwillig geleistet werden sollen, von denen, die aktuell keine Macht der Welt zu Zugeständnissen nötigen kann. Von ihnen hat sich deshalb auch nur eine ehrenwerte, doch letztlich irrelevante Minderheit - etwa die Region der Wallonie in Belgien, oder Schottland - zu konkreten Zusagen bereiterklärt: Rechnet man das guten Willens hoch, kommen ein paar Millionen zusammen, wo viele Milliarden gebraucht werden. Doch bleibt selbst dieses Ungenügen ein freiwilliges, politisch gesehen also eine gerade eben milde Gabe vom Tisch der Herr:innen des Weltgeschehens an die, die unter ihm zu leiden haben. Dabei ginge es gerade umgekehrt um die Anerkennung von Rechtsansprüchen, bedingungslos basiert sowohl im eindeutig zu bestimmenden Verursacherprinzip wie politisch und juristisch allgemein im Menschenrecht.

Klagen um Entschädigung sind heute schon gefürchtet, sie könnten auch beim Internationalen Strafgerichtshof eingereicht werden. Allerdings: nicht jeder hat Zugang zu solchen Verfahren, die langwierig sein werden, im Ausgang also über Jahre, vielleicht Jahrzehnte offen bleiben und im Fall eines abschlägigen Urteils politisch katastrophal sein können. Zumal mit einem positiven Urteil nicht im Ansatz geklärt sein wird, wer im Einzelfall wie im Ganzen haftbar ist und wer umgekehrt von wem wann wie viel erhalten kann. Das spricht nicht gegen die Eröffnung solcher Verfahren - wenn man sie nicht bloß juristisch, sondern in erster Linie politisch angeht. Politisch aber heißt: als Zug in einem Kampf, der die Welt teilen wird in die, die zugleich um ihr Recht wie um ihr Überleben streiten und die, die einfach weitermachen wollen, weil sie dazu die Macht haben.

Was an der Zeit wäre

Das ruft die Zeit ins Gedächtnis zurück, in der die einstmals kolonisierten Länder ihre Kolonialherr:innen einen nach dem anderen je aus ihrem Land treiben mussten, weil sie von sich aus nicht gehen wollten und von sich aus auch nie gegangen wären. Heute richtet sich ein solcher Kampf noch immer gegen dieselben Mächte, könnte aber nicht mehr von Land zu Land, sondern müsste weltweit gemeinsam geführt werden. Diese Einsicht ist denn auch das einzig interessante Resultat, das in Sharm el-Sheik erreicht wurde: die Einsicht, dass die vorherrschenden Mächte dieser Welt nicht die geringste Bereitschaft zeigen, von der Verwüstung dieser Welt abzulassen, dass man sie dazu also wird zwingen müssen. Besonders dann, wenn man zugleich anerkennt, dass rechtsbasierte und deshalb bedingungslos zu leistende Reparationen für erlittene und zu erwartende Schäden ja eigentlich nur der zweite Schritt sein können.

Der Schritt, der nach dem ersten zu gehen wäre, dem Schritt heraus aus einer globalen Produktions- und Lebensweise, die für die Mehrzahl der Menschen nur noch Katastrophe auf Katastrophe häuft. Dass dem so und nicht anders ist, erklärt auch die maßlose Wut, mit der hierzulande gegen Klimaaktivist:innen vorgegangen wird, die sich Unheil wie Unrecht ja nur symbolisch in den Weg stellen. Der bayerische Staat kann es wagen, fünfzehn von ihnen gerade dreißig Tage lang "präventiv" ins Gefängnis zu sperren, weil sie, wie der Chef seiner Staatskanzlei unverblümt erklärt, Straftaten begehen könnten. "Eine wehrhafte Demokratie", so ließ er verlauten, "lässt sich nicht auf der Nase herumtanzen." Bleibt der Welt selbst nur die Folgerung, sich von solcher Politik und ihren Täter:innen nicht länger auf ihrer Nase herumtanzen zu lassen. Das immerhin lehrt Sharm el-Sheik.

Thomas Rudhof-Seibert ist in der Öffentlichkeitsarbeit von medico international zuständig für Südasien und Referent für Menschenrechte. Der Philosoph und Autor ist außerdem Vorstandssprecher des Instituts Solidarische Moderne; weitere Texte zugänglich auch unter www.thomasseibert.de

Quelle: medico international - 22.11.2022.

Veröffentlicht am

27. November 2022

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