Der US-Nahost-“Jahrhundertplan”Von Clemens Ronnefeldt Krisen und KriegeKernpunkte des von US-Präsident Donald Trump im Beisein von Benjamin Netanyahu am 28. Januar 2020 in Washington vorgestellten 181 Seiten umfassenden Nahost-Friedensplans mit dem Titel "Frieden für Wohlstand" (Peace to Prosperity) https://www.whitehouse.gov/peacetoprosperity/ . sind: die Souveränität Israels über alle Siedlungen in der Westbank und des Jordantales, die Legalisierung der mehr als 400.000 Siedler*innen in der Westbank und der ca. 200.000 Siedler*innen in Ostjerusalem, deren Siedlungen nach internationalem Recht völkerrechtswidrig errichtet wurden. Jerusalem wird in dem Plan als "ungeteilte Hauptstadt Israels" bezeichnet und im "östlichen Jerusalem" - gemeint ist offenbar der Jerusalemer Vorort Abu Dis - die Hauptstadt des palästinensischen Staates in Aussicht gestellt. 50 Milliarden US-Dollar sollen als Wirtschaftshilfe für den "Palästinenserstaat" (nicht: Palästina) zur Verfügung gestellt werden, wobei völlig offen bleibt, welche (arabischen) Staaten dieses Geld tatsächlich überweisen werden. Die Annahme des Plans wird als Grundlage für direkte Verhandlungen angesehen, von der palästinensischen Führung werden politische Reformen und das Abschwören der Gewalt gegenüber Israel verlangt. Der Plan sieht den Verzicht auf das Rückkehrrecht geflüchteter Palästinenser*innen nach Israel vor und verlangt die Mitsprache der israelischen Regierung bei der Aufnahme Geflüchteter in den neuen "Palästinenserstaat". JerusalemJerusalem kann von Palästinenser*innen mit dem arabischen Namen "al Quds" (die Heilige) bezeichnet werden, allerdings sieht der Plan lediglich Gebiete östlich und nördlich der Sperranlage für Palästinenser*innen vor, die in Jerusalem aus einer Betonmauer besteht. Die muslimischen Heiligtümer Al-Aksa-Moschee und Felsendom sollen wie der gesamte Tempelberg und das muslimische Viertel der Altstadt unter israelischer Kontrolle bleiben. PalästinenserstaatVor der Ausrufung des neuen palästinensischen Staates sieht der Plan vier Jahre Verhandlungen zwischen Israel und Palästinenser*innen vor. Ca. 80% der Westbank in den Grenzen von 1967 sollen "Palästinenserstaat" werden, 120 illegale Siedlungen mit mehr als 400 Israelis zum Staat Israel werden. Die israelische Regierung soll für Sicherheitsfragen zwischen Mittelmeer und Jordan allein zuständig sein. Für den Palästinenserstaat - bestehend aus Gazastreifen und Westbank - ist die vollständige Demilitarisierung samt Entwaffnung von Hamas und Islamischem Dschihad im Gazastreifen vorgesehen. Alle Zahlungen an Hinterbliebene von palästinensischen Attentäter*innen sollen gestoppt und die Korruption bekämpft werden. SiedlungenAlle israelischen Siedlungen in der Westbank sollen bestehen bleiben, auch 15 Enklaven im künftigen Palästinenserstaat. Neben 140 von Israel genehmigten Siedlungen sollen auch 120 - nach israelischen Recht - illegale Siedlungen Staat Israel werden, mit insgesamt mehr als 600.000 Siedler*innen. Der Siedlungsbau soll vier Jahre eingefroren werden. FlüchtlingeDie israelische Regierung soll die Zahl der rückkehrenden palästinensischen Flüchtlinge mitbestimmen, die in den Palästinenserstaat zurückkehren dürfen. Es soll keine Rückkehr von Geflüchteten nach Israel geben. Das UN-Hilfswerk für die Palästinenser*innen (UNRWA) soll aufgelöst werden, der Flüchtlingsstatus beendet und alle Ansprüche und Kompensationszahlungen mit dem US-Nahostplan beendet werden. GrenzenDie palästinensische Regierung soll keine Souveränität über ihre Grenzen erhalten. Vorgesehen ist der Waren-Zugang für den palästinensischen Staat über zwei israelische Häfen bis zur Errichtung eigener Häfen im Gazastreifen. Zwei Korridore sollen den palästinensischen Staat mit Jordanien verbinden, ein Tunnel zwischen Westbank und Gazastreifen neu gebaut werden - der allerdings von israelischer Seite kontrolliert und abgeriegelt werden kann. UmsiedlungVon der rund 21%-arabisch-palästinensischen-Minderheit in Israel sind im Jahrhundertplan rund 300.000 bis 350.000 arabisch-palästinensische Staatsbürger*innen Israels aus dem so genannten "Kleinen Dreieck" zwischen Netanja und Afula zur Umsiedlung in die Westbank vorgesehen. Umgekehrt ist keine einzige Person aus einer Siedlung in der Westbank zur Umsiedlung nach Israel vorgesehen. ReaktionenBenjamin Netanjahu bezeichnete Donald Trump als "den größten Freund, den Israel je im Weißen Haus hatte". Der israelische Premier verglich den Plan mit der Gründung des Staates Israel 1948 und kündigte die umgehende Annexion der völkerrechtswidrigen israelischen Siedlungen in der Westbank und dem Jordantal an. Die US-Regierung übte daraufhin Druck auf den israelischen Regierungschef aus, der für den 4. Februar 2020 nach einer Kabinettssitzung vorgesehenen Beginn der Annexionen zu verschieben. Der israelische Verteidigungsminister Naftali Bennett und auch der Siedlerrat lehnten die vorgesehene Gründung eines "Palästinenserstaat" generell ab, Benny Gantz kündigte an, nach seiner Wahl zum Premier den Plan vollständig umzusetzen - unter Berücksichtigung der Interessen der Nachbarstaaten. Abgelehnt wurde der Plan von der Meretz-Partei, der Arbeitspartei und der Vereinigten Liste der arabischen Parteien. In einer kurz nach der Veröffentlichung durchgeführten Umfrage sprachen sich 50% der israelischen Bevölkerung für den Plan aus, 24% lehnten ihn ab und 16% erklärten ihre Unentschiedenheit. Mahmud Abbas sagte zu dem "Jahrhundertplan" "Tausendmal Nein" und nannte ihn ein Plan für den "Mülleimer der Geschichte". Er deutete an, die Sicherheitspartnerschaft mit Israel aufzukündigen, sollte die israelische Regierung mit der Annexion von Gebieten in der Westbank beginnen. Einen Antrag im UN-Sicherheitsrat mit einer Ablehnungs-Abstimmung des Plans zog der palästinensische Präsident wieder zurück, nachdem die US-Regierung ihr Veto angekündigt hatte. Sowohl Hamas als auch Fatah waren sich schnell einig in der vollständigen Ablehnung des Planes. Die Anhänger*innen beider Lager versammelten sich bereits am Tag der Verkündung des Plans zu Demonstrationen in verschiedenen Städten, die in den folgenden Tagen zu zahlreichen Verletzten und einigen Toten führten. Zwei Wochen nach der Veröffentlichung des Trump-Plans stellte der palästinensische Präsident Mahmud Abbas gemeinsam mit dem früheren israelischen Ministerpräsidenten Ehud Olmert bei einer Pressekonferenz in New York seine Vorstellungen vom Staat Palästina und einer Lösung des Konfliktes vor. Ehud Olmert bezeichnete bei dieser Pressekonferenz Mahmud Abbas als "einzigen Partner, mit dem Israel zusammenarbeiten" könne. (Süddeutsche Zeitung, 13.2.2020). Im Jahre 2008 hatte Ehud Olmert der palästinensischen Seite rund 94% des Westjordanlandes als Staat Palästina angeboten, arabische Viertel in Ostjerusalem sollten zur Hauptstadt Palästinas werden. Diesen Plan stellte Mahmud Abbas erneut als Grundlage einer Lösung vor und kündigte Verhandlungen mit dem Nahost-Quartett - bestehend aus USA, UN, EU und Russland - an. Die Führung der Hizbollah im Libanon verurteilte den Plan mit großer Schärfe, ebenso das jordanische Königshaus. Die ägyptische Regierung hingegen forderte beide Seiten auf, den Plan "sorgfältig zu studieren". Der deutsche Außenminister Heiko Maas ließ unmittelbar nach der Veröffentlichung verlauten: "Nur eine für beide Seiten akzeptable, verhandelte Zweistaatenlösung" könne Frieden bringen. Ende Februar 2020 veröffentlichen 50 europäische Spitzenpolitiker*innen einen gemeinsamen Brief, in dem sie den Plan von Donald Trump stark kritisieren: "Trumps Nahost-Plan erinnert an Apartheid". (…) "Der Plan widerspricht international vereinbarten Parametern des Nahost-Friedensprozesses, einschlägigen UN-Resolutionen und den grundlegendsten Prinzipien internationalen Rechts". https://www.kas.de/documents/252038/7938566/Trumps+Nahost-Plan+%E2%80%93+Reaktionen+aus+der+Region.pdf/ac6b343c-b27b-4778-1cdc-79b6b63f8bcc?version=1.0&t=1580467043589 . Zu den Unterzeichner*innen gehören Sigmar Gabriel (SPD), Hans-Gert Pöttering (CDU), der frühere Nato-Generalsekretär Javier Solana, der frühere französische Premierminister Dominique de Villepin, der frühere britische Außenminister Jack Straw und der frühere österreichische Außenminister Michael Spindelegger. Nach den Wahlen in Israel im März 2020 ist mit baldigen Annexionen im Westjordanland und einer weiteren Verschärfung des Konfliktes zu rechnen. Clemens Ronnefeldt ist seit 1992 Referent für Friedensfragen beim deutschen Zweig des Internationalen Versöhnungsbundes. Quelle: FriedensForum 3/2020. FußnotenVeröffentlicht amArtikel ausdruckenWeitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von |
|