Lebenshaus Schwäbische Alb - Gemeinschaft für soziale Gerechtigkeit, Frieden und Ökologie e.V.

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By design or by desaster?

Von Katrin Warnatzsch - Soziale Friedensarbeit (aus: Lebenshaus Schwäbische Alb, Rundbrief Nr. 114, Sept. 2022 Der gesamte Rundbrief Nr. 114 kann hier heruntergeladen werden: PDF-Datei , 699 KB. Den gedruckten Rundbrief schicken wir Ihnen/Dir gerne kostenlos zu. Bitte einfach per Mail abonnieren )

Desaster

Inmitten der gefühlt fünften Hitzewelle sitze ich im abgedunkelten Büro, hoffe, dass der PC nicht meine Beine erhitzt oder ich zuvor den Artikel fertig bekomme. Es erfordert jeden Tag ein gewissenhaftes Ritual, rechtzeitig die Sonne aus dem Haus zu halten, um nicht zu hohe Temperaturen aufzustauen. Über 30 Grad im Dachgeschoss sind ziemlich unerträglich, dann lässt es sich kaum mehr arbeiten. Wir haben trotz allem meistens noch etwas Abkühlung in den Nächten, so dass wir durch gezieltes Lüften in der Nacht wieder frische Luft bekommen. Aber in den Städten, wo die Hitze sich noch mehr staut, sind die Menschen in den engen Wohnungen, oder gar ungeschützt auf den Straßen, noch mehr beeinträchtigt.

Es beunruhigt mich, in der Natur zu beobachten, dass bestimmte Wildpflanzen bereits zwei Monate früher als hier üblich, Früchte tragen (Schlehen, Hagebutten, Vogelbeeren…) oder schon Ende Juli die ersten Silberdisteln erblühen, Wahrzeichen der Schwäbischen Alb. Im Herbst, wo sie eigentlich ihre charakteristischen Blüten öffnen, werden sie völlig vertrocknet oder verschwunden sein. Was bedeutet das für das Laub der Bäume, die elend trocken leiden und deren Schatten wir so dringend benötigen? Tiefstand in den Bächen, staubtrockener Boden, frühe Mähdrescher in unendliche Staubwolken eingehüllt. Mais, der spitz wie Waffen, seine trockenen Blätter mehr als 2,50 Meter hoch in die Sonne steckt. Dazu noch Feuergefahr und Brände überall. Unser Nachbar, ein alter Bauer aus Leidenschaft, findet kaum mehr Worte über das Klima. Der Sommer hat seine Unbeschwertheit völlig verloren.

Design

Wie schnell werden wir uns neue Gewohnheiten zulegen? Werden wir, wo möglich, unsere Arbeitszeiten und Aktivitäten in den Abendstunden und Nächten konzentrieren? Fensterfronten verschatten, zumauern? Überall Mückenschutz und Vorhänge anbringen? Meine alte naturverbundene Mutter fragte mich verzweifelt, welche bodendeckenden Pflanzen es denn gäbe, die Hitze aushalten und kein Wasser benötigen. Bei uns im Garten besorgt das die Natur schon selbst: es wachsen überall ungebremst Disteln und Winden, das Gras hat allen Wegerich-Arten Platz gemacht. Nur wenige Stauden, aber Sukkulenten tummeln sich im Vorgarten.

Wir fangen jeden Liter Wasser auf, der in der Küche anfällt, und das Regenwasser, so spärlich auch immer, mit einer aufwändigen Konstruktion, nur mit Physik und ohne Strom ebenfalls. Der von Sonne und Wind ausgelaugte Boden braucht kontinuierliche Verbesserung, um das Wasser besser halten zu können. Können Kaffeesatz, Kräuterteereste sowie die Biotonne mit Kompost und Mulchen die Erosion schnell genug eindämmen? Wir müssen uns auf eine neue Art des Pflanzenanbaus und resistentere Sorten einstellen, werden also unsere gewohnte Vegetation weiter verlieren. Im vergangenen Jahr gab es übermäßige Regengüsse, die teilweise zu verheerenden Überschwemmungen führten und auch den Boden schädigten. Die Wetterextreme haben zugenommen, Jahreszeiten sind weniger berechenbar und fordern eine sehr flexible Anpassung und neue Planung von uns. Nicht alle Menschen können sich das entsprechend leisten, werden überrascht und zu Opfern von Hitze, Dürre, Bränden, Überschwemmungen. Obwohl wir nach und nach die Auswirkungen der Klimakatastrophe zu spüren bekommen, leben wir immer noch sehr privilegiert im Vergleich zu den schon längst von klimatischen Katastrophen betroffenen Ländern vornehmlich auf der südlichen Erdhalbkugel. Und verantwortlich für diese Katastrophe sind überwiegend die industrialisierten Länder des Nordens.

Wie Vandana Shiva aufzeigt, plündert die Agrogroßindustrie mit Chemie und Gentechnik den Planeten, richtet die Lebenswelt zugrunde und untergräbt unsere Gesundheit. Die industrielle Landwirtschaft trägt maßgeblich zur Zerstörung unserer ökologischen Lebensgrundlage bei. Der biologische Anbau in landwirtschaftlichen Betrieben und Gärten überall muss dagegen zur planetarischen Mission werden! Wir müssen für ein Ernährungs- und Landwirtschaftssystem innovativ tätig werden, das die Erde, unsere Gemeinschaften, unsere Wohnorte und unsere Gesundheit regeneriert.

Wir selber können versuchen, beim Essen politisch zu sein. Und als Konsument*innen haben wir Macht und müssen nicht auf den politischen Willen warten. Wir können weniger Fertigprodukte und Supermarktfood einkaufen, stattdessen mehr ökologisch produzierte regionale Produkte, die wir bei Direktvermarktern und gemeinwohlorientierten Betrieben unserer Region beziehen können.

Ich kann die mühsam aufgebauten alternativen Lieferketten der Bio-erzeugenden regionalen Betriebe stärken, indem ich gerade jetzt, in Zeiten der Lebensmittelverteuerung, dort weiter einkaufe! Denn sie machen uns unabhängiger von Importen und erhalten unsere landwirtschaftlichen Flächen. Dabei geht es vor allem um das heimisch erzeugte Gemüse, Getreide und Obst, Importe mit langen, umweltschädigenden Transportwegen werden vermieden.

Ergänzend habe ich mich dieses Jahr verstärkt auf den Eigenanbau im Garten konzentriert. Unser im Garten selbsterzeugtes Gemüse, üppig und gleichzeitig reifend, muss auf verschiedene Weise konserviert werden - kostbare Nahrung für die kalte Jahreszeit. Dabei sollte möglichst wenig Energie eingesetzt werden - also erinnere ich mich daran, wie frau das früher gemacht hat: einkochen, einlegen und trocknen, einlagern. Tägliches, handarbeitendes, zeitaufwändiges Sorgen. Das alte Wissen und die Notwendigkeit dieser Arbeit muss damit zum weitverbreiteten Handwerkszeug werden und im Alltag seinen Platz erhalten. Maria Mies hat in ihren Arbeiten zur Subsistenzwirtschaft schon vor vielen Jahren eine Aufwertung dieser überlebenswichtigen Tätigkeiten gefordert.

Geflüchtete Menschen erzählen in ihren Lebensgeschichten davon, wie ihre Familien in vom Krieg gezeichneten Städten und Dörfern überleben, z.B. in Afghanistan. Dort ist es wegen Kriegshandlungen, fehlender Sicherheit, eingeschränkter Mobilität u.a. für Viele unmöglich, einer Erwerbsarbeit nachzugehen, Möglichkeiten zum Einkaufen brechen weg, das Geld fehlt. Überleben können diejenigen Menschen einigermaßen, die ein wenn auch noch so kleines Stückchen Land an ihrem Haus haben. Sie pflanzen Grundnahrungsmittel an, so viel sie können, sammeln und vermehren selbst das Saatgut. Und wenn dann noch ein Rind, ein Schaf oder Hühner zu halten sind, ein Baum, der Früchte trägt, dann muss nicht verhungert werden. Man könnte tauschen, Mehl, Öl und Energie zum Kochen und Heizen herbeischaffen. Vielleicht kommt für uns die Zeit, sich daran zu erinnern, wie unsere Vorfahren mit Notlagen und desaströsen Bedingungen umgegangen sind und unsere eigene Kreativität und Möglichkeiten mit ihren Erfahrungen in Verbindung zu bringen, soweit dies möglich ist.

Sicherheit?

Im August wird Sabine, eine langjährige Freundin des Lebenshauses, für einige Zeit die Schwäbische Alb mit Jerusalem eintauschen, um dort in einem Café der evangelischen Kirche zu arbeiten. Der Ausstieg aus ihrem bisherigen Leben war lange geplant und wegen der Corona-Maßnahmen immer wieder verschoben worden. In einem berührenden Gottesdienst im Grünen wurde sie mit einem Reisesegen von unserer evangelischen Kirchengemeinde und Pfarrer Ulrich Deissinger verabschiedet. In einem langen Gespräch hat sie mir die Frage beantwortet, was sie wohl meint, am meisten zu vermissen. Sie antwortete, dass es wahrscheinlich das Gefühl der Sicherheit sei. Obwohl auch hier in unserm Land ihr Sicherheitsgefühl in den letzten Jahren abgenommen habe, insbesondere auch wegen des Ukraine-Kriegs. Doch werde in Israel/Palästina wohl die allgegenwärtige Militarisierung des Alltags noch augenfälliger sein. Sie sagte, gerade diesem Gefühl wolle sie sich aber aussetzen - sei es doch noch immer unser Privileg, hier in relativer Sicherheit zu leben.

Zukunft?

Einer der Männer in unserm Umfeld, die aus Afghanistan geflüchtet waren, hat es im Frühjahr mit der Unterstützung des Lebenshauses geschafft, seine Frau, durch einen Autounfall schwer verletzt, im Iran zu besuchen. Nun ist sie wieder gesund und er zurück - unermesslich der Trennungsschmerz. Mit unermüdlichem Einsatz und dem festen Glauben daran, es würde irgendwann gelingen, dass sie nach Deutschland einreisen kann, haben die beiden nun fast alle Voraussetzungen beisammen, auf die sie Einfluss haben. Es fehlt aber z.B. noch eine passende, bezahlbare Wohnung in unserer Umgebung, die er mieten kann. Am liebsten wollen die beiden natürlich in der Nähe seines sozialen Netzes bleiben, das wären die besten Voraussetzungen für ihre schnelle Eingewöhnung. Erschwinglicher Wohnraum ist auch hier auf dem Land für diesen Personenkreis schwer zu finden, gibt es doch, neben dem Wohnbedarf Einheimischer, auch Konkurrenz zwischen den eher willkommenen Geflüchteten aus der Ukraine und denjenigen, die scheinbar "noch fremder" zu sein scheinen.

Heilung?

Nach einer eiligen und schweren Hüftoperation hat es ein anderer junger Mann mehr schlecht als recht geschafft, sein langandauerndes Gesundheitsproblem, noch von einem Unfall in seiner frühen Jugend im Iran herrührend, anzugehen. Jedoch sind all seine anderen Probleme ungelöst. Er sucht ebenfalls eine Wohnung und einen neuen Arbeitsplatz. Mit der Ausstattung für den Krankenhaus- und Reha-Aufenthalt und immer wieder für den Lebensunterhalt konnten wir als Lebenshaus materiell ein wenig beitragen. Die langwierigen Gespräche und Ermutigungen zur Lebensplanung werden weiter notwendig sein. Ob hier über die Bekämpfung des körperlichen Leidens endlich auch der Lebensmut wieder wächst, bleibt abzuwarten.

Aufwärts!

Sommerzeit ist auch Prüfungszeit. Einer unserer Mitbewohner hat sein erstes Ausbildungsjahr mit guten Noten bestanden und ist jeden Tag dabei, im Lebensmittelhandel sein Bestes zu geben. Er kam vor sechs Jahren als Analphabet, ohne jegliche Schulbildung und deutsche Sprachkenntnisse hierher. Nun ist er auf gutem Wege in ein selbstbestimmtes Leben. Viel Fleiß, ein ehemaliger Lehrer, der ihn seit Jahren beim Lernen unterstützt, Mittagessen vom Lebenshaus und sein offenes Wesen, nette, hilfsbereite Kolleg*innen und noch einiges mehr, haben das möglich gemacht. Wir sind froh und freuen uns mit ihm, dass es gerade so gut aussieht für ihn. Wir wünschen ihm weiter das nötige Glück.

Lebenshaus Schwäbische Alb: Bitte um weitere Unterstützung

Für unser von Politik, Parteien und Wirtschaft unabhängiges Engagement sind wir auf Ihre und Eure Unterstützung und Solidarität angewiesen. Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit, Aktionen und Veranstaltungen wie z.B. unsere jährlichen Tagungen im Herbst, die Unterstützung von Menschen in schwierigen Lebenssituationen, die Personalkosten für eine 30-Prozent-Teilzeitstelle und zwei Minijobs sowie möglichst Abbau von Verbindlichkeiten für das Gebäude erfordern erhebliche Finanzmittel.

Wir freuen uns über jede Unterstützung, gerne mit einer Einzelspende oder gar einer regelmäßigen Spende oder einer Fördermitgliedschaft.

Herzlich bedanken wollen wir uns bei allen, die unsere Arbeit unterstützen!

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Der Verein Lebenshaus Schwäbische Alb - Gemeinschaft für soziale Gerechtigkeit, Frieden und Ökologie e.V. ist durch das Finanzamt Sigmaringen als gemeinnützig und mildtätig anerkannt (aktueller Bescheid vom 22.07.2021). Spenden und Mitgliedsbeiträge sind daher steuerabzugsfähig. Ab 25 € werden automatisch Spendenbescheinigungen zugestellt, für niedrigere Beträge auf Anforderung (bitte bei Erstspenden Anschrift wegen Spendenbescheinigung angeben).

Fußnoten

Veröffentlicht am

06. September 2022

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