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“Nato-Länder haben Waffenstillstand in der Ukraine vereitelt”

Israels Ex-Premierminister Bennett: Die USA und die Verbündeten beschlossen, gegen Putin weiter zu kämpfen und nicht zu verhandeln.

Von Urs P. Gasche

In den ersten Wochen nach der russischen Invasion in der Ukraine arbeitete der damalige israelische Premierminister Naftali Bennett hinter den Kulissen intensiv an Verhandlungen zwischen Kiew und Moskau. Sein Ziel war ein Waffenstillstandsabkommen. Nun hat er in einem Interview erstmals ausführlich über den Ablauf und das Ende der Verhandlungen gesprochen. Selensky sei bereit gewesen, auf eine Mitgliedschaft in der Nato zu verzichten. Putin seinerseits sei bereit gewesen, auf eine Demilitarisierung der Ukraine zu verzichten und Selensky am Leben zu lassen.

Laut Bennett, der im März 2022 Präsident Putin in Moskau besuchte, habe er das Abkommen sogar bis ins Detail mit der deutschen und französischen Regierung abgesprochen. Dann sei es aber vor allem von Boris Johnson und Präsident Biden abgeblockt worden. "Ich glaube, das war ein Fehler", sagte Bennett.

Das Interview führte Bennet am 4. Februar 2023 mit einem israelischen Journalisten auf Bennetts YouTube-Kanal. Hier das Original-Interview auf hebräisch. Untertitel auf Englisch einstellbar. Ab Minute 2h19m:

 

Große Medien haben über diese Aussagen Bennetts bisher nicht informiert. Einzig seine Aussage, Putin habe zugesichert, Selensky nicht töten zu wollen, wurde vereinzelt erwähnt.

Selensky habe ihn, Bennett, nach Ausbruch des Krieges gebeten, Wladimir Putin zu kontaktieren. So stehe es in den Protokollen. Als die russische Armee damals vor Kiew stand, habe Selensky um sein Überleben gefürchtet. Darauf habe Bennett mit US-Präsident Joe Biden gesprochen und erklärt, er könne eine "Pipeline" für den Kontakt zum Kreml sein.

Auch die Zukunft des Donbass und der Krim sowie Sicherheitsgarantien für die Ukraine seien Gegenstand von intensiven Gesprächen gewesen. Bennett wörtlich: "Ich hatte damals den Eindruck, dass beide Seiten großes Interesse an einem Waffenstillstand hatten."

Bennett flog darauf nach Deutschland, um mit Bundeskanzler Scholz zu sprechen, anschließend informierte er den französischen Präsidenten Emmanuel Macron, den britischen Premier Boris Johnson sowie die US-Regierung. Boris Johnson habe die "aggressive" Position vertreten, dass "man Putin weiter bekämpfen müsse", wogegen Scholz und Macron eher pragmatisch eingestellt waren. In der US-Administration seien beide Positionen vertreten gewesen.

Damals, im März 2022, waren einige Tausend Menschen im Krieg gestorben. Seither sind weit über 200.000 Militärpersonen und Zivilisten umgekommen. Millionen mussten wegen Zerstörungen von Häusern und Infrastruktur fliehen.

Auch im Dezember 2021 wollten die USA und die NATO nicht verhandeln

Am 17. Dezember 2021 ließ Russland der NATO und den USA jeweils einen  Vertragsentwurf  zukommen, der Sicherheitsgarantien für beide Seiten rechtsverbindlich festlegen sollte.

Was Russland der NATO vorschlug …

  • Beide Seiten sollten bestätigen, sich nicht als Gegner zu betrachten;
  • Rückkehr zu den Prinzipien der "gleichen und unteilbaren Sicherheit";
  • Verzicht auf die Anwendung und Androhung von Gewalt;
  • Verzicht, Situationen zu schaffen, die eine Seite als Bedrohung ihrer nationalen Sicherheit ansehen könnte;
  • Zurückhaltung bei militärischen Planungen und Übungen zur Vermeidung von "Dangerous Brinkmanships" (gefährlichen Zwischenfällen), insbesondere in der Ostseeregion und über dem Schwarzen Meer;
  • Wiederbelebung des NATO-Russland-Rates und anderer bi- und multilateraler Gesprächsformate;
  • Transparenz bei militärischen Übungen und Manövern;
  • Einrichtung von Hotlines für Notfallkontakte (Revitalisierung des "Roten Telefons");
  • Rückzug der westlichen Streitkräfte und Waffensysteme auf das Niveau vor der ersten NATO-Osterweiterung;
  • Verzicht einer Stationierung landgestützter Kurz- und Mittelstreckenraketen in Gebieten, von denen aus sie das Hoheitsgebiet der anderen Partei angreifen könnten;
  • keine weitere Ausdehnung der NATO (insbesondere nicht um die, namentlich genannte, Ukraine);
  • Verzicht der NATO auf militärische Aktivitäten auf dem Gebiet der Ukraine, sowie anderer Staaten Osteuropas, des Südkaukasus und Zentralasiens;
  • Einrichtung eines weitgehend entmilitarisierten Korridors zwischen NATO und Russland.

… und was Russland den USA vorschlug

Der an die Seite der USA gerichtete Vertragsentwurf enthielt darüber hinaus folgende Vorschläge:

  • Bekräftigung der Erklärung, dass ein Atomkrieg keinen Sieger haben kann und dass alle Anstrengungen unternommen werden müssen, diese Gefahr abzuwenden;
  • Verzicht auf gegen die andere Seite gerichtete kriegsvorbereitende Maßnahmen auf dem Territorium von Drittstaaten;
  • Verzicht der USA auf die Einrichtung von Militärstützpunkten und eine bilaterale militärische Zusammenarbeit in und mit den Staaten des postsowjetischen Raums, die keine NATO-Mitglieder sind;
  • beidseitiger Verzicht auf die Stationierung von Streitkräften und Waffensystemen außerhalb ihrer Hoheitsgebiete, die die andere Seite als Bedrohung ihrer nationalen Sicherheit ansehen könnte;
  • Verzicht auf Flüge schwerer Bomber und die Anwesenheit von Überwasserkampfschiffen in Regionen, von denen aus sie Ziele im Gebiet der anderen Vertragspartei treffen könnten;
  • Verzicht auf die Stationierung von Atomwaffen außerhalb des eigenen Hoheitsgebietes sowie Rückführung entsprechender Waffensysteme und Zerstörung der entsprechenden Infrastruktur in Drittstaaten;
  • keine Schulungen von Personal im Umgang Atomwaffen und keine Militärübungen für deren Einsatz in Ländern, die diese nicht besitzen.

Natürlich steckte, wie immer bei solchen Verträgen, der Teufel im Detail. Die Vorschläge hätten einer intensiven Prüfung durch sicherheitspolitische und diplomatische Experten bedurft. Zudem waren die "Paketforderungen" und der ultimative Ton, in dem die beiden Briefe gehalten waren, sehr undiplomatisch. Die NATO und die USA lasen die beiden Vertragsentwürfe nicht als Formulierung russischer Sicherheitsinteressen, die es genauestens zu prüfen und als Ausgangspunkt für Verhandlungen zu nutzen galt, deren Ziel eine deutliche Verbesserung der Sicherheitslage sämtlicher Vertragsstaaten und vor allem Europas hätte sein können – auf möglichst niedrigem militärischen Niveau.

Quelle: Bericht von Leo Ensel vom 16. Dezember 2022 auf Infosperber.

Quelle: Infosperber.ch - 12.02.2023.

Veröffentlicht am

13. Februar 2023

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