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“Es geht um Selbstbestimmung”

Solidarität mit der revolutionären Bewegung im Iran. Ein Gespräch mit den Feministinnen Shouresh und Alexandra

Von Bernd Drücke - Interview

Die neue Radio-Graswurzelrevolution-Sendung zum Iran kann jetzt in der NRWision-Mediathek gehört werden, inklusive Musik.Die 55minütige Radio Graswurzelrevolution-Sendung zum Iran mit GWR-Redakteur Bernd Drücke und den Studiogästen Shouresh und Alexandra wurde im Studio des medienforums münster geführt und am 27.2.2023 im Bürgerfunk auf Antenne Münster erstausgestrahlt. Sie ist nachzuhören auf: https://www.nrwision.de/mediathek/radio-graswurzelrevolution-solidaritaet-mit-der-revolutionaeren-bewegung-im-iran-230306/ . Wir veröffentlichen Auszüge aus dem Gespräch, das Graswurzelrevolution-Redakteur Bernd Drücke Ende Februar 2023 mit den Feministinnen Shouresh und Alexandra geführt hat. (GWR-Red.)

Graswurzelrevolution (GWR): Shouresh, kannst du dich bitte vorstellen?

Shouresh: Mein Name ist Shouresh. Ich bin 42 Jahre alt und lebe seit 1987 in Münster. Wir sind damals mit meinem Vater und meinen Geschwistern aus dem Iran geflohen. Dann ist meine Mutter mit der Jüngsten nachgezogen. Seitdem sind wir in Münster. Dadurch, dass mein Vater, schon seitdem wir in Deutschland sind, hier politisch aktiv ist, waren wir bis jetzt immer mit dabei. Ich versuche immer die Revolutionsbewegungen und die Proteste, die es seit vielen Jahren gibt, zu unterstützen. Seit dem 16. September 2022, seitdem Jina Mahsa Amini im Gewahrsam der islamischen Sittenpolizei in Teheran ermordet worden ist, machen wir jede Woche Kundgebungen.Die Kundgebungen finden jeden Samstag von 14 bis 15 Uhr 30 auf der Stubengasse in Münster statt. Am Anfang waren es mehrere in der Woche, aber dann haben wir es auf die Samstage reduziert. Wir, eine iranische Community mit Unterstützung von Nicht-Iranern, versuchen die Stimme der Menschen im Iran in die Welt zu streuen und Aufmerksamkeit auf die Menschen im Iran zu lenken, damit sie und die Bewegung nicht vergessen werden.

GWR: Alexandra, du bist aktiv in der Solidaritätsbewegung mit der feministischen Bewegung im Iran.

Alexandra: Ich bin ehrenamtlich engagiert u. a. in der Persisch-Deutschen Kulturbrücke Poll und gut vernetzt in der Community. Seit Beginn dieser Kundgebungen aus Anlass der Ermordung von Jina Mahsa Amini, bin ich mit dabei. Bemerkenswert ist, dass diese Revolution von Frauen ausgegangen ist und aus den kurdischen Gebieten. Das hat eine ganz andere Dimension als bislang alle Revolutionsansätze hatten. Dass nämlich zum einen die Frauen aktiv sind und zum anderen damit auch gesagt ist, dass alle Menschen im Iran, egal welcher ethnischen oder politischen Zugehörigkeit, da an der Befreiung gegen das Mullah-Regime mit engagiert sein sollen. Das ist mir das Wichtigste und das ist das Ziel, das wir verfolgen sollten.

GWR: Kannst Du etwas zu den Ursprüngen dieser Massenbewegung sagen, die seit September im Iran auf die Straße geht? Es gab ja einen konkreten Auslöser.

Shouresh: Der Auslöser war im September 2022, wo die 22-jährige, iranische Kurdin Jina Mahsa Amini mit ihrem Bruder in Teheran Urlaub machen wollte und dann von der Sittenpolizei festgenommen und so geschlagen worden ist, dass sie ein paar Tage später im Krankenhaus gestorben ist. Die Islamische Republik ist seit 1979 an der Macht. Immer wieder gibt es Proteste im Iran. Aber immer wieder werden sie gewaltsam unterdrückt. Die jüngsten Proteste waren 2019. Da wurden alleine innerhalb von einer Woche 1500 Leute umgebracht. Es gibt immer Proteste, aber es gibt immer Festnahmen und das macht Angst. Dann gehen sie wieder alle nach Hause.

Die Revolutionsbewegung diesmal hält schon seit Monaten. Warum? Weil die Frauen so stark waren und vorne dabei. Aber auch, weil unsere Schüler*innen, die Student*innen, die Arbeiter*innenbewegung, alle Ethnien von allen sozialen Schichten sich jetzt alle zusammengetan haben. 44 Jahre Unterdrückung und Diktatur - es reicht! Man sieht immer wieder Proteste auf den Straßen. In letzter Zeit sind sie ein bisschen zurückgegangen, dafür gab es viele Streiks. Die Streikenden waren von Anfang aktiv und immer dabei gewesen, was wichtig ist, weil es wirtschaftlich das Regime schwächt. Es gibt viele Streiks und Generalstreiks, wo viele mitgemacht haben. Wir dürfen nicht vergessen, dass die Menschen, die auf die Straße gehen, mit ihrem Leben bezahlen. Sie wissen nicht, ob sie wieder nach Hause kommen. Das ist nicht so wie bei uns. Wenn dann Leute hier fragen: "Wieso gehen die nicht raus?" Also, Entschuldigung, ich weiß gar nicht, ob ich so mutig wäre. Wir wissen, dass sie das tun. Allein in den letzten fünf Monaten hat das Regime 20.000 politische Gefangene genommen, ganz zu schweigen von denen, die schon vorher inhaftiert wurden. Über 550 Menschen sind in den letzten Monaten getötet worden, davon 71 Kinder. Das sind Zahlen, die wir jetzt hier hören. Wir wissen nicht, ob es mehr sind. Auch die Student*innen waren so aktiv gewesen, die Professoren, die Lehrer*innen. In den Gefängnissen sitzen gerade alle: Rechtsanwälte, Umweltaktivist*innen, alle sind in den Gefängnissen. Das ist ein Punkt, der uns sehr wichtig ist: die politischen Gefangenen. Aber es ist nicht abgeschwächt. Deshalb ist es auch wichtig, dass wir hier weiterhin laut sind und die Aufmerksamkeit nicht aufgeben und versuchen sie aufrecht zu erhalten, damit das nicht wieder vergessen wird. Ich denke, das schaffen wir.

GWR: Das Motto der Bewegung ist "Frau, Leben, Freiheit". Könnt Ihr etwas zur Situation der Frauen im Iran erzählen? Unter welchen Bedingungen leben Frauen in der iranischen Theokratie? Wie erklärt Ihr euch, dass die Frauen Trägerinnen dieser Revolution sind? Im ganzen Iran, vor allem auch in den kurdischen Gebieten, gab es große Proteste, obwohl die Polizei gnadenlos agiert und auch auf Demonstrant:innen schießt.

Alexandra: Ich schließe direkt an. Die politischen Gefangenen sind nicht einfach in Haft, sie werden gefoltert, die Frauen und Männer werden vergewaltigt. Ich weiß nicht, wer den Film "Born in Evin" https://www.zdf.de/filme/das-kleine-fernsehspiel/born-in-evin-104.html . von Maryam Zaree gesehen hat, über die Lebensbedingungen von Frauen im berühmt-berüchtigten Evin-Gefängnis. Dass da Frauen ohne Schreien zu dürfen, gebären mussten, ansonsten wurden sie wieder gefoltert. Das ist in keinster Weise mit der Situation hier zu vergleichen. Wer da raus geht, dem ist klar, das kann unglaublich grausam sein, bis zum Tod.

Die Menschen leben im Iran schon lange ziemlich schlecht. Das hat etwas mit der Wirtschaft und mit dem Mullah-Regime zu tun. Die Inflationsrate ist ungefähr so wie in der Weimarer Republik während der Weltwirtschaftskrise, so dass das Geld nichts mehr wert ist, dass du damit nichts mehr kaufen kannst. Es gibt eine sehr dünne Schicht, Pasdaran, die Revolutionsgarden und das Regime, die davon prosperieren. Die leben gut. Die anderen können von ihrer Arbeit nicht mehr leben. Das hat einen riesigen Groll über das ganze Land gezogen. Die Frauen sind extrem erbost darüber, weil sie sich darum kümmern müssen, dass ihre Familien über Wasser bleiben. Deswegen waren sie in besonderer Weise sensibilisiert. Außerdem: ein Zwang, sich zu verhüllen, um ein Gesellschaftssystem aufrecht zu erhalten, was nicht funktioniert, was mit Religion und Terror zusammengekittet wird, das ist für Frauen immer nachteilig. Der Schah hatte vorher die Kopftücher abgerissen und gesagt: "Ihr dürft sie nicht mehr tragen". Auch das war nicht im Sinne der Gesellschaft und der Frauen. Der Verhüllungszwang, der dann bei Jina Mahsa Amini so tragisch ihren Tod zur Konsequenz hatte, das war ein Auslöser, wo viele Dinge zusammengekommen sind. Dieser Groll darüber, dass es eine unglaubliche Bigotterie des Regimes gibt. Und dann das. Es sind nicht alleine die Kurden, nicht alleine universitäre Unruhen oder Elite-Unruhen. Alle haben die Schnauze voll. Das ist das, was es so intensiv macht und so lang andauernd. Auch, wenn die Demos nicht jeden Tag so groß sind, es brodelt nach wie vor. Das Regime kommt nicht auf die Füße und versucht dann auch, mit Macht nach außen, mit Unterstützung Russlands an der Macht zu bleiben. Das ist im Grunde nur noch eine Verzweiflungstat.

Shouresh: Die Frauen leiden seit vielen Jahren unter großer Unterdrückung. Es geht um Selbstbestimmung, nicht nur um das Kopftuch, darum, dass die Frauen das anziehen können, was sie anziehen wollen. Es gibt auch noch andere Punkte, zum Beispiel, wenn eine Frau sich von ihrem Mann trennt, kriegt sie nicht das Sorgerecht für ihr Kind, wenn eine Frau einen Ausweis haben möchte, geht das nicht ohne Erlaubnis ihres Mannes oder ihres Vaters. Eine nicht verheiratete Frau darf im Iran nicht alleine verreisen und in Hotels einchecken. Sie darf nicht in ein Fußballstadion gehen, darf nicht Fahrrad fahren, darf so vieles nicht. Bei Zeugenaussagen zählt die Stimme eines Mannes soviel wie die von zwei Frauen. Wir haben viele gebildete Frauen im Iran. Das können sie nicht ertragen. Es gab immer Proteste. Vor allem die Jugend kann das nicht mehr ertragen und zeigt ihren Unmut. Die Freiheit der Gesellschaft ist ohne die Freiheit der Frau nicht möglich. Das ist das, was wichtig ist. In den kurdischen Gebieten, da hat es angefangen mit: "Jin, Jihan, Azadi". Das hat eine Bedeutung, denn das iranische Regime will die Kurden unterdrücken, auch diese laute Stimme unterdrücken. In den kurdischen Gebieten wird anders vorgegangen als in Teheran, da sind Panzer, da ist die Revolutionsgarde, da wird mit scharfer Munition geschossen. Da sind fast jeden Tag Hinrichtungen, von denen wir hier im Ausland in der Regel nichts hören. Gestern wurde ein kurdischer junger Mann hingerichtet. Wir hören keine Namen, weil viele Kurd*innen weder Ausweis noch Geburtsurkunde haben. Es gibt so viele Festnahmen in den kurdischen Gebieten. Obwohl im Iran allgemein weniger auf die Straße gegangen wurde, gibt es in den kurdischen Gebieten und in Balutschistan jeden Freitag Massendemonstrationen. Die sind so stark und so mutig. Diesen Mut will das Regime mit aller Gewalt unterdrücken.

GWR: Die Herrschaft des Schahs von Persien, die auch eine Diktatur, ein brutales Folter- und Staatsterrorregime war, ist 1979 durch die Revolution hinweggefegt worden. Es gab damals Hoffnungen auch bei vielen Linken weltweit, die gedacht haben, jetzt gibt es eine Demokratisierung im Iran, vielleicht wird sich dort eine freiheitlich-sozialistische Gesellschaft entwickeln. Dann ist relativ schnell mit ihrem religiösen Führer Ajatollah Khomeini die theokratische Mullah-Diktatur entstanden und an der Macht geblieben. Die emanzipatorischen Kräfte landeten wieder in den Folterkellern oder mussten das Land verlassen. Heute wird die neue soziale Revolutionsbewegung gegen das Regime durch eine weltweite Solidaritätsbewegung unterstützt. In Berlin haben im Oktober 80.000 Menschen gegen die Mullah-Diktatur demonstriert, in vielen Städten finden regelmäßig Kundgebungen statt. Das Schah-Regime ist 1979 ins Exil gegangen. Nun möchte Reza Pahlavi, der älteste Sohn des Schah, an die Macht kommen. Bei Iran-Kundgebungen waren im Februar 2023 auch royalistische Fahnen zu sehen, von Menschen, die ihn sich als neuen iranischen Herrscher wünschen. Möchtest Du dazu etwas sagen?

Alexandra: Das gibt es. Da wundert man sich, weil das Schah-Regime ja auch ein Terrorregime war für die Menschen. Der Schah war sehr westlich orientiert und der Westen hat beste Geschäfte mit ihm gemacht. Der Westen fand die Revolution nicht lustig. Khomeini war noch im Exil in Frankreich. Es war eine bunt gemischte Revolutionsbewegung aus bürgerlichen, sozialistischen, auch aus religiösen Bewegungen, die dann die Revolution zusammen gemacht und den Schah verjagt haben. In kurzer Zeit sind die Religiösen dann an die Macht gekommen und haben dann alle anderen bedroht, verfolgt, umgebracht. Viele Menschen mussten ins Exil gehen. Und das Exil tut weh. Nun gibt es tatsächlich wieder monarchistische Anhänger. Reza Pahlavi gibt sich moderat, seine Frau und seine Tochter weniger. Die kündigen schon an, was sie machen wollen, wenn sie an der Macht sind. Soweit ich das gehört habe, haben die im Iran aber keine besondere Bedeutung, weil die Leute sagen: "Wir haben eine Diktatur vertrieben, haben dafür die nächste bekommen. Wollen wir wieder eine haben? Wir wollen jetzt Freiheit haben." Damals wurde das Schah-Regime von den USA und Europa unterstützt. Ich erinnere an den Studenten Benno Ohnesorg, der am 2. Juni 1967 von einem Polizisten erschossen wurde, als er gegen den Besuch des Schahs in West-Berlin demonstriert hat. Daraus hatten sich dann noch ganz andere Dinge entwickelt, leider nicht zum Guten. Der Westen war für den Schah und hat der Entwicklung im Iran wenig Chancen gegeben. Das hat auch dazu beigetragen, dass die Religiösen eine bessere Chance bekommen haben. Ich hoffe, dass die Menschen im Iran etwas anderes wollen als wieder einen Monarchen an der Spitze. Ich denke, dass sich die Bewegung gegen das Mullah-Regime auch hier in Deutschland nicht auseinanderdividieren sollte, ich habe aber Respekt vor Leuten, die sagen: "Wir ertragen das nicht, wenn hier die Monarchisten-Fahnen wehen". Ich finde es trotzdem bedauerlich, weil wir im Augenblick eine gemeinsame Aufgabe haben, nämlich dieses Mullah-Regime zu stürzen und dafür in Europa, USA und Kanada die Politiker*innen zusammenbekommen, dass sie das vorantreiben. Da sind wir nämlich noch nicht. Diese Revolution lässt sich nicht mehr plattmachen. Es gab viele Vorläufer und es gibt viele Opfer dieses Regimes, aber diese Revolution ist jetzt am längsten dran und auch eine Folge von denen, die davor waren. Das heißt, die anderen sind nicht weg, sondern sozusagen in der Genetik der jetzigen Revolution mit drin. Aber wir müssen uns in Europa kümmern, dass die Politiker*innen endlich aufwachen und sagen: "Wir hören auf, Geschäfte mit diesem Regime zu machen."

Shouresh: Unterdrückung, Armut und Ungerechtigkeit im Iran. Das Regime hat nur deshalb so handeln können, weil es alles versteckt gemacht hat. Aber diesmal ist es anders. Die Welt schaut zu. Dafür sorgen wir alle im Ausland und die Menschen im Iran, die die Videos machen und in den sozialen Medien veröffentlichen. Die Journalist*innen, die wir im Ausland haben, machen gute Arbeit, Gilda Sahebi und viele andere. Die Menschen wollen Freiheit, Gleichberechtigung, Selbstbestimmung, universelle Werte, dafür kämpfen sie. 20 unabhängige Gewerkschaften und zivilgesellschaftliche Organisationen aus dem Iran haben eine Charta Charta der 20 gewerkschaftlichen und zivilgesellschaftlichen Organisationen im Iran, dokumentiert auf: https://www.graswurzel.?net/gwr/2023/03/sofort-und-ohne-?bedingung/ . mit Forderungen veröffentlicht, wo sie klar formulieren, was sie wollen: Keine Diktatur, keinen Anführer, Gleichberechtigung, all diese Punkte. Was wir hier wollen, ist nicht so wichtig. Wir können hier nur erzählen, was im Iran passiert und Aufmerksamkeit herstellen. Das ist unsere Aufgabe im Ausland. Wir wünschen uns Demokratie im Iran.

Alexandra: Bei den Hinrichtungen und Verurteilungen wird deutlich, dass es keine Gewaltenteilung im Iran gibt. Gewaltenteilung ist ein Garant für Demokratie. Wenn die Polizei gleichzeitig entscheidet, wer lebt und wer stirbt, dann kann das keine Demokratie werden. Man kann viel gegen Demokratie sagen und wie sie ausgelebt wird in den unterschiedlichen Ländern, aber da habe ich immer noch die meisten Chancen zu überleben und meine Meinung und was mir wichtig ist, zum Ausdruck zu bringen. Ob das jetzt Russland oder der Iran ist, da geht das nicht, da ist man schnell weg vom Fenster.

GWR: Am 21. Februar 2023 wurde der 2020 vom iranischen Geheimdienst entführte und gefolterte Menschenrechtsaktivist und Deutsch-Iraner Jamshid Sharmahd zum Tode verurteilt - wegen "Korruption auf Erden". Die Reaktion der Bundesregierung darauf war, dass sie zwei iranische Diplomaten ausgewiesen hat. Ich finde das beschämend. Was sind Eure Forderungen an die EU und die Bundesrepublik?

Shouresh: Deutschland ist der zweitgrößte Handelspartner des Iran. Seit fünf Monaten reden wir uns den Mund fusselig und demonstrieren in den Städten, in Paris, Brüssel, Straßburg und Berlin, wo wir die Forderungen an die EU und die Bundesregierung stellen, wie z.B. dass die Revolutionsgarde als Terrororganisation auf die Sanktionsliste muss, die Botschaften müssen geschlossen werden, die Konten der Revolutionsgarde und des Regimes müssen eingefroren werden. Aber es hört keiner auf uns.

Es gibt schöne Worte, aber so richtig passiert nichts. Es gibt nur kleine Sanktiönchen. Ich habe das Gefühl, dass die Bundesregierung hofft, dass sich auch diese Oppositionsbewegung wieder abschwächt und verschwindet. Deshalb warten sie, damit sie weiter Handel mit dem Regime treiben können. Aber sie sehen auch, dass es diesmal nicht so ist. Wir wissen, dass für sie Menschenrechte nicht so wichtig sind, wie der Handel. Die Politiker*innen müssen schnell aktiv werden.

Alexandra: Vielleicht läuft hinter den Kulissen noch mehr, jetzt wo die Hinrichtung eines Deutsch-Iraners angekündigt wird. Die Sanktionen müssen jetzt durchgesetzt werden, auch weil der Iran seine Fühler zu Russland und China ausstreckt, um die Abhängigkeit von der EU zu verringern. Wenn sie ökonomisch unabhängig von der EU sind, sagen sie: "Pah, macht doch, was ihr wollt."

Shouresh: Wir fordern, anders als die Ukraine, keine Waffen, wir wollen keinen militärischen Einsatz, wir wollen keinen Krieg im Iran. Diese Revolution müssen die Menschen im Iran schaffen. Wir möchten keine Einmischung von außen. Der Westen soll die Menschen im Iran nicht retten, es reicht aus, wenn die Mörder nicht weiter unterstützt werden.

Alexandra: Der Einfluss des Iran, was Hamas und Hisbollah betrifft, der ganze Mittlere Osten hätte eine größere Chance sich zu befrieden, wenn da nicht immer der Iran dazwischenfunken würde.

GWR: Shouresh, für dich persönlich ist es eine dramatische Entwicklung. Du warst im Sommer 2022 noch im Iran, um Verwandte zu besuchen. Dadurch, dass du jetzt in der Öffentlichkeit stehst, dass du dem WDR ein Interview gegeben hast und regelmäßig auch als Rednerin bei Demonstrationen in Erscheinung trittst, ist es praktisch unmöglich für dich geworden den Iran zu besuchen. Wie siehst du die Chancen, dass es zu einem gesellschaftlichen Umbruch, zu einer Graswurzelrevolution im Iran kommt und das autokratische, theokratische Mullah-Regime weggeblasen wird? Und du dann wieder ohne Gefahr in den Iran einreisen kannst?

Shouresh: Wenn man meinen Namen eingibt, sieht man, dass ich seit vielen Jahren auf der Straße aktiv bin, aber ich bin immer wieder in den Iran geflogen, weil ich gesagt habe: "Ich habe keine Angst." Es ist bis jetzt immer gut gegangen. Aber diesmal werde ich es nicht mehr tun, weil ich mir sicher bin, dass auf jeder Kundgebung die Spione sind und vor allem die Namen der Redner*innen und Veranstalter*innen aufgeschrieben werden. Manchmal denke ich: "Was hast du dir dabei gedacht? Du kannst nie wieder in den Iran." Dann sage ich: "Es ist egal. Die Menschen im Iran sind so mutig auf den Straßen und kämpfen für Freiheit und ich kann nur das tun, was wir hier tun." Es muss sich schnell etwas verändern, damit wir wieder in den Iran reisen können. Manchmal bin ich traurig. Meine Familie sagt: "Was tust du? Bist du verrückt?!" Ich sage: "Es wird sich verändern. Dann werden wir uns alle in Freiheit sehen."

GWR: Was können wir tun? Wie können wir die Solidaritätsbewegung unterstützen?

Shouresh: An Kundgebungen und Demos teilnehmen. Je mehr Leute wir sind, desto mehr werden wir gesehen, gehört durch die Medien. Petitionen https://action.amnesty.ch/de/amnesty-international-petition-iran-2023/ . unterschreiben, Abgeordnete anschreiben und ein Ende des Handels mit dem Iran und Freiheit für alle politischen Gefangenen fordern, Videos, die aus dem Iran rauskommen, teilen, damit die Welt sieht, was im Iran passiert.

Alexandra: Schluss mit der Blauen Moschee in Hamburg! Das Regime ist nicht reformierbar. Es ist nur noch abschaffbar. Man braucht keine Gespräche mehr mit denen zu führen. Die reichern das Uran immer weiter an. Auch deshalb muss das Regime jetzt gestoppt werden, sonst haben sie eine Atombombe. Das kann keiner wollen. Wir träumen davon, dass wir eines Tages in den Iran reisen und unsere Freund*innen in den Arm nehmen und miteinander tanzen können.

Shouresh: Menschenrechte gehen uns alle an. Akzeptieren wir Menschenrechtsverletzungen in einem Land, fühlen sich auch andere Staaten nicht mehr an ihre Verpflichtungen gebunden. Deshalb müssen wir alle überall laut sein, wenn wir Menchenrechtsverletzungen, egal in welchem Land, sehen. Wir leben hier in Deutschland, wir haben so viele Privilegien. Da können wir wenigstens ein bisschen unserer Zeit opfern.

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Quelle: graswurzelrevolution 478 april 2023.

Fußnoten

Veröffentlicht am

22. April 2023

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