Vom Anfangen und WeitergehenVon Katrin Warnatzsch (aus: Lebenshaus Schwäbische Alb, Rundbrief Nr. 117, Juni 2023 Der gesamte Rundbrief Nr. 117 kann hier heruntergeladen werden: PDF-Datei , 669 KB. Den gedruckten Rundbrief schicken wir Ihnen/Dir gerne kostenlos zu. Bitte einfach per Mail abonnieren ) Mit der Tolstoi-Friedensbibliothek ist von Peter Bürger ein Projekt ins Leben gerufen worden, das mir die Vision einer gewaltfreien Welt nahe bringt. In den alten Texten des berühmten russischen Schriftstellers werden allgemeingültige, über alle Zeit relevante Wahrheiten festgehalten, die mich stärken, mich an meine Grundüberzeugungen erinnern und durch das gründliche Erklären ins Unterbewusstsein absinken können, von wo ich im Alltag schöpfen kann. Ich bin sehr dankbar, dass ich durch die Tätigkeit des Edierens einige der Texte in mich aufnehmen konnte, die mir weiterhin eine Kraftquelle sind. Auch die ursprüngliche Motivation für die Gründung des Lebenshaus-Projektes findet sich in vielfältiger Beschreibung in den Quellen von Tolstoi wieder. "Eine Liebe in der Zukunft gibt es nicht; die Liebe ist immer eine Thätigkeit in der Gegenwart. Der Mensch aber, der keine Liebe in der Gegenwart kundgiebt, besitzt keine Liebe." Leo N. Tolstoi in "Das Leben", übersetzt von Raphael Löwenfeld, 1902. Neu herausgegeben in der Tolstoi-Friedensbibliothek durch Peter Bürger. ( www.tolstoi-friedensbibliothek.de ) Von Anfang an bestand ein wesentliches Anliegen mit dem Lebenshaus-Projekt in der Unterstützung und Begleitung von Menschen, die Schwierigkeiten haben, mit ihrem Leben in dieser Gesellschaft zurechtzukommen, die benachteiligt, an den Rand gedrängt sind. Diese Zuwendung geschieht nicht aus purer Selbstlosigkeit. Sie hat zu tun mit der grundlegenden Einsicht, dass wir alle miteinander verbunden und voneinander betroffen sind. Wenn ein natürliches Phänomen leidet - ob Mensch, Tier, Pflanze, Wasser, Luft oder andere - dann hat das Auswirkungen auf alle und alles. Deshalb ist das Beste, was wir Menschen für einander, für unsere Mitwelt und für uns selber tun können, praktiziertes Mitgefühl. Als Menschen verfügen wir über Möglichkeiten, das Leid anderer durch unser Bemühen zu lindern, denn Mitgefühl bedeutet Gerechtigkeit. Und soweit es gelingt, eine mitfühlende Haltung einzunehmen oder zu erlernen, hemmt uns dies in der Anwendung von Gewalt, macht uns friedensfähiger. Deshalb haben wir im Lebenshaus auch immer ein Projekt gesehen, in dem Mitgefühl, Anteilnahme und Teilen wichtig sind. Beim Rückblick auf 30 Jahre fällt mir auf, wie viele Menschen bei uns gelebt oder Unterstützung erhalten haben, die vor Kriegen aus ihren Herkunftsländern geflohen sind - Kosovo, Algerien, Türkei, Irak, Afghanistan, Iran, … Wir lehnen Krieg und Waffenlieferungen ab, setzen uns für politische Lösungen, für zivile Konfliktbearbeitung ein. Wo es dennoch zu Kriegen kommt, besteht unsere praktische Antwort u.a. darin, dass wir uns um Betroffene kümmern. Aktuell engagieren wir uns dafür, dass Deserteure und Kriegsdienstverweigerer aus der Ukraine, Russland und Weißrussland Schutz und Asyl in Deutschland und anderen EU-Staaten bekommen. Bei meinen Gedanken an geflüchtete Menschen, mit denen wir als Lebenshaus persönlich zu tun hatten, ist mir durchaus bewusst, dass es die Wenigsten geflüchteten oder migrierten Menschen bis in unser Land schaffen. Seit Jahrzehnten schon versucht Deutschland, die Tür für sie möglichst weitgehend zu schließen. Schon vor 30 Jahren wurde das Asylrecht mit einer Grundgesetzänderung weitestgehend abgeschafft. Das Grundrecht mit dem anspruchsvollen Satz aus dem Grundgesetz: "Politisch Verfolgte genießen Asylrecht" wurde massiv eingeschränkt. Mir persönlich brachte die Beteiligung an einer Protestaktion gegen die Grundgesetzänderung sogar ein Ermittlungsverfahren mit dem Tatvorwurf: "Öffentliche Aufforderung zu Straftaten" durch die Staatsanwaltschaft Bonn ein. Grund war meine Unterschrift unter den Aufruf des Komitees für Grundrechte und Demokratie zu Aktionen des Zivilen Ungehorsams für den Tag, an dem der Deutsche Bundestag das im Grundgesetz verankerte Grundrecht auf Asyl ändert. Und so wurde ich eines Tages gemeinsam mit Michael zum Polizeiposten Gammertingen vorgeladen, um Aussagen zur Sache zu machen. Später wurde das Ermittlungsverfahren dann eingestellt. Allerdings beschloss der Bundestag 1993 dann trotz großer Proteste die Grundgesetzänderung. Die bis dahin große Tür für schutzsuchende Menschen wurde durch eine neue kleine Tür ersetzt, durch die Menschen nur noch kriechen können. "Immer neue ‚flankierende’ Maßnahmen wurden gefunden, die das Fundament des Grundrechts zerstörten", stellt Heribert Prantl fest. Auch die Europäische Union wurde immer mehr zur "Festung Europa" ausgebaut, um geflüchtete und migrierte Menschen abzuhalten. Mit aktuellen Plänen der EU-Kommission droht nun nach Einschätzung der Menschenrechtsorganisation PRO ASYL ein Horrorszenario - und das mit Unterstützung der Bundesregierung: Flüchtlinge erreichen einen Staat an der EU-Außengrenze. Sie bitten um Asyl. Sofort werden sie inhaftiert. Alles, was sie ab diesem Moment von Europa noch zu sehen bekommen, sind Mauern, Stacheldraht und Sicherheitspersonal. Das soll jetzt Realität in der EU werden. In einem Brief fordert PRO ASYL die Parteivorstände der Ampelkoalition auf, für die Ziele im Koalitionsvertrag einzustehen und sich gegen die Zustimmung zu EU-Grenzverfahren auszusprechen. Die Umsetzung der Pläne der EU-Kommission - Grenzverfahren, De-facto-Haftlager und die Aushebelung des Flüchtlingsschutzes an den EU-Grenzen - wären ein "großer Erfolg für alle rechtspopulistischen, nationalistischen und postfaschistischen Regierungen in der EU, die für ein Europa der Gewalt und der Rechtlosigkeit stehen. Eine fürchterliche Niederlage nicht nur für asylsuchende Menschen und ihr Recht auf Schutz vor Krieg, Folter oder Verfolgung, sondern für uns alle, die wir ein anderes Europa wollen: Ein Europa der Menschenrechte, der Freiheit und der Demokratie", heißt es in dem Brief. In meiner Erinnerung treten auch einige der Menschen in Erscheinung, die mit ihrer Persönlichkeit starke Eindrücke hinterlassen haben - Spuren. Die allermeisten sind ihren Weg längst weitergegangen und haben damals bestenfalls hier einen Handlauf als Geländer auf der Treppe des Lebens gefunden. Wir haben auf Tuchfühlung erlebt, wie Menschen erschüttert waren, wie sie, traurig oder freudig, ängstlich oder deprimiert, uns berührt haben. In großer Dankbarkeit haben wir von diesen Menschen gelernt, was Mut und Veränderungsbereitschaft bewirken können. Das Gebäude des Lebenshauses hat sich über all die Zeit als geeigneter Ort für diese Arbeit erwiesen. Die Räume haben wir immer wieder flexibel umgewidmet, je nach unserm Bedarf und dem der jeweiligen Menschen, die mit uns waren. Der grundsätzliche Bedarf für Orte und Räume, an denen Menschen sich zurückziehen, sich regenerieren und neu orientieren können, ist nach wie vor geblieben. Mit unseren beiden afghanischen Mitbewohnern war ich vor kurzem in der von allen Menschen mit weniger Geld geliebten Pizza-Kebab-Oase (dort kann man inzwischen nur noch für mehr Geld essen), und wir wurden von einem immer lächelnden afghanischen Landsmann mit Tee verwöhnt. Wir einigten uns mit ihm darauf, dass er wirklich der allerfreundlichste Mitarbeiter dort ist, aber wir, die wir ihn kennen, wissen, dass er hinter seinem Lächeln weint. Er musste sich hier in ein hartes Leben ohne Familie, aber wenigstens ohne die Bedrohung durch Bewaffnete, einfinden. Und er ist einer derjenigen Afghanen, die es "geschafft" haben, bis hierher zu kommen. Ein anderer Afghane, der auf den Nachzug seiner Frau wartet und vielseitig politisch interessiert und aktiv ist, hat an unserer Veranstaltung zur Sozialen Verteidigung teilgenommen. Es geht dabei um Formen des gewaltfreien Widerstands, das interessiert ihn, auch im Hinblick auf seine ehemalige Heimat. Vor ein paar Wochen verbrachten Michael und ich ein Wochenende in Schwäbisch Gmünd, um an einem Konzert des geliebten Konstantin Wecker teilzunehmen, der sein Leben lang für den Frieden und die Gerechtigkeit singt. Wir besuchten auch Mutlangen und das ehemalige Depot mit den Atomwaffen, das nun zu einem ansprechenden Wohngebiet und einem großen Solarpark konvertiert ist. Dort hat man sich mit einem kleinen naturbelassenen Pfad und einigen Tafeln mitten durch das Viertel eine dauerhafte Erinnerung an den damaligen Widerstand gegen die gefährlichen Pershing II-Atomraketen geschaffen. Der Mensch hat sich das ehemalige Militärgelände wieder für das Leben nutzbar gemacht. Ich erinnerte mich an eine Mahnwache vor dem Tor des Depots, im nebeligen Novemberdunkel, eiskalt und unheimlich die Umgebung, wo wir Friedenslieder gesungen haben. Jetzt blühen dort die Kirschbäume und Kinder radeln umher. Veränderungen innerhalb von 30 Jahren - man kann es eine Generation nennen -, gibt es sichtbare, fühlbare und viele. Es ist notwendig, die erfreulichen darunter sehr genau in den Blick zu nehmen. Meine innere Haltung zum Leben, das, was mich trägt und mir wichtig ist, das gibt es nach wie vor, es ist mitgewachsen. Was vor 30 Jahren unsere Motivation und der Antrieb für das Lebenshaus war, hat sich bestätigt und verfestigt. Das menschliche Mitgefühl und die Zugehörigkeitsperspektive zur Natur, die auch gut ohne uns Menschen zurecht kommt, ist der Schlüssel für die Veränderung, die wir brauchen, damit der Planet vom menschengemachten Unheil genesen kann. Wenn ich auch immer wieder meine sich verändernden eigenen Möglichkeiten wahrnehmen muss, meine eigenen Grenzen erkennen und neu definieren muss, so bleibt doch das Eine: Liebe will gelebt werden, sie will ins Handeln kommen und wird immer wieder neue Projekte und Prozesse hervorbringen. "Es geht ums Tun und nicht ums Siegen!" (Konstantin Wecker) Lebenshaus Schwäbische Alb: Bitte um UnterstützungFür unser von Politik, Parteien und Wirtschaft unabhängiges Engagement sind wir auf Ihre und Eure Unterstützung und Solidarität angewiesen. Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit, Aktionen und Veranstaltungen wie z.B. unsere jährlichen Tagungen im Herbst, die Unterstützung von Menschen in schwierigen Lebenssituationen, die Personalkosten für eine 30-Prozent-Teilzeitstelle und zwei Minijobs sowie möglichst Abbau von Verbindlichkeiten für das Gebäude erfordern erhebliche Finanzmittel. Wir möchten auch nach 30 Jahren unsere Arbeit für Gerechtigkeit, Frieden und Ökologie so engagiert wie bisher fortsetzen können bzw. weiter ausbauen. Damit uns das gelingt, bitten wir um Unterstützung unseres Engagements - gerne mit einer Einzelspende oder gar einer regelmäßigen Spende oder einer Fördermitgliedschaft. Herzlich bedanken wollen wir uns bei allen, die unsere Arbeit unterstützen! Mehr zu unseren Aktivitäten findet sich z.B.hier: Über uns: Lebenshaus Schwäbische Alb Bei “Transparenz TV” aus Berlin: Das Lebenshaus Schwäbische Alb - Video aus der Sendereihe "Friedensfragen mit Clemens Ronnefeldt" "Kriegsdienstverweigerer. Unsere Geschichten" Solidarfonds "Grundeinkommen Friedensarbeit" und Möglichkeiten der Unterstützung . Spendenkonto Lebenshaus Schwäbische Alb e.V. Der Verein Lebenshaus Schwäbische Alb - Gemeinschaft für soziale Gerechtigkeit, Frieden und Ökologie e.V. ist durch das Finanzamt Sigmaringen als gemeinnützig und mildtätig anerkannt (aktueller Bescheid vom 22.07.2021). Spenden und Mitgliedsbeiträge sind daher steuerabzugsfähig. Ab 25 € werden automatisch Spendenbescheinigungen zugestellt, für niedrigere Beträge auf Anforderung (bitte bei Erstspenden Anschrift wegen Spendenbescheinigung angeben). Kontaktaufnahme Wer Kontakt mit uns aufnehmen möchte, kann dies tun über Telefon (07574-2862), Fax (07574-91110), Brief (Bubenhofenstr. 3, 72501 Gammertingen) oder E-Mail (info@lebenshaus-alb.de). Um Info-Materialien anzufordern bzw. für den Antrag auf Fördermitgliedschaft, für die Ausstellung einer Einzugsermächtigung und Weiteres kann die PDF-Datei Rückantwort-Formular ausgedruckt und ausgefüllt an uns zurückgesandt werden. Wer speziell den Solidarfonds "Grundeinkommen Friedensarbeit" fördern möchte, kann dieses Formular verwenden Antwortformular Solidarfonds (PDF-Datei) FußnotenVeröffentlicht amArtikel ausdruckenWeitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von |
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