Jürgen Grässlin: “Lasst uns die Zeitenwende der Zeitenwende herbeiführen – in Deutschland, in Europa, weltweit!”Von Jürgen Grässlin - Rede zum Antikriegstag 1. September 2023, Marktplatz Freudenstadt, auf Einladung des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB),der IG-Metall und des SPD Kreisverbandes Freudenstadt Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde, liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Damen und Herren, im dritten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts befindet sich die Menschheit – historisch gesehen – in ihrer tiefsten existentiellen Krise.Ich nenne pars pro toto einige der dramatischen Fehlentwicklungen:
Nein, so kann und darf es nicht weitergehen! Wir alle – in den Gewerkschaften, in den Kirchen, in der Friedensbewegung und in der demokratischen Gesellschaft – müssen diesen dramatischen Fehlsteuerungen mit aller Kraft entgegentreten. Wir fordern: Diese selbstzerstörerische suizidale Entwicklung muss gestoppt werden! Was die Welt braucht ist Frieden und Gerechtigkeit, die Wahrung der Menschenrechte, der Schutz und Erhalt der natürlichen Ressourcen – keinesfalls aber immer mehr Sozialabbau, immer mehr Waffen und immer mehr Militär! "Die Welt braucht Frieden!"Das Motto unseres Antikriegstags in Freudenstadt und des DBG ist: "Die Welt braucht Frieden!" Ja, die Welt braucht Frieden, schon deshalb, weil die Menschheit überleben will. Laut Angaben des Hamburger Friedensforschungsinstituts AKUF tobten im Jahr 2022 28 bewaffnete Konflikte und Kriege, vor allem in Afrika und Asien, zudem in Kolumbien in Südamerika und in der Ukraine in Europa.Siehe www.akuf.de für 2022. Dabei hilft Waffengewalt keinesfalls weiter. Um den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands zu stoppen und die Besatzer aus dem Land zu jagen, haben die USA mit fast allen anderen Staaten der NATO Kriegswaffen in zuvor gekannten Volumen an das ukrainische Militär geliefert. Doch anderthalb Jahre nach Kriegsbeginn ist die Ukraine dem Frieden nicht einen Schritt näher gekommen. Vielmehr verursacht der Abnutzungskrieg zwischen Russland und der Ukraine unermessliches Leid. Schon jetzt sind weite Teile des Ostens und Süden des Landes zerstört, ist ein Drittel des Landes mit Landminen verseucht. Bereits nach einem Jahr waren rund 100.000 Tote auf beiden Seiten zu beklagen: jeweils rund 40.000 ukrainische und russische Soldaten, rund 20.000 Zivilistinnen und Zivilisten – mittlerweile sind es weitaus mehr. Wir wollen, dass die Waffen schweigen! Dazu müssen nachhaltig wirkende Schritte zum Frieden eingeleitet werden!
Lasst uns noch weiterdenken:
Wir fordern: Die Welt braucht Frieden! Schaffen wir diesen Frieden: in Europa, auf der ganzen Welt! Für die Zeitenwende der ZeitenwendeLiebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde, um mich herum finden sich Menschen, die abgrundtief enttäuscht sind vom gnadenlosen Roll-Back in die Zeit der Blockkonfrontation, der Aufrüstung und Militarisierung. Nicht wenige von ihnen wollen sich abschotten, sich in die vermeintlich heile Welt des Privaten zurückziehen. Aber jetzt ist nicht die Zeit, um sich still und leise ins Privatleben zurückzuziehen. Nicht die Zeit, um die nächste Urlaubsreise mit Flügen auf die Kanaren oder auf die Malediven zu planen. Nicht die Zeit, um in die virtuelle Welt der Computerspiele zu flüchten. Und auch nicht die Zeit, um gefrustet ins politische Nirwana abzutauchen. Angesichts der dramatischen Lage in Deutschland, in Europa und in der Welt brauchen wir jede und jeden von Ihnen und euch, um diesen destruktiven Entwicklungen mutig und kraftvoll und lautstark entgegenzutreten. Jetzt ist die Zeit gekommen zum aktiven Handeln, zur vehementen Einmischung in die politischen Diskussionen auf allen Ebenen, zum gewaltfreien und kreativen Widerstand gegen die Zerstörung unseres Planeten. Deshalb, liebe Freundinnen und Freunde: Lasst uns gemeinsam die Zeitenwende der Zeitenwende ausrufen! Und damit die Abkehr von der militärischen hin zur zivilen und sozialen und damit gerechten Zeitenwende! Ja, die Aufgabe, die vor uns liegt, ist gewaltig: In den kommenden Jahren und Jahrzehnten müssen wir uns selbst und auch unseren Kindern und Enkeln viel Engagement und Kraft abverlangen. Denn freiwillig werden Militär und Rüstungsindustrie und ihre politischen Protegés nicht von ihrer durchaus lukrativen und profitablen Kriegspolitik abwenden. Allein in Deutschland muss die Politik monetäre Mittel im Umfang von mehreren hundert Milliarden Euro anders investieren. Geld, das zukunftsgerichtet und damit wesentlich sinnvoller eingesetzt wird für die Bekämpfung der Armut und des Hungers, für Frieden und Gerechtigkeit, für Soziales, Pflege und Bildung. Geld, das wir in einem harten Verteilungskampf dem Militär und der Rüstung entziehen müssen. Zum Schluss, liebe Freundinnen und Freunde, will ich auf das so wichtige Szenario der Badischen Landeskirche – "Sicherheit neu denken" – verweisen. Wir müssen dieses Konzept bundesweit bekannt machen und mit aller Kraft umsetzen. Dieses Szenario weist den Weg "von der militärischen zur zivilen Sicherheitspolitik". Es zeigt in realistischen Schritten, "wie Deutschland analog dem Ausstieg aus der Atom- und Kohleenergie bis zum Jahr 2040 die militärische Aufrüstung überwinden könnte".Siehe https://www.ekiba.de/infothek/arbeitsfelder-von-a-z/frieden-gerechtigkeit-2/kirche-des-gerechten-friedens/szenario-sicherheit-neu-denken/ . Damit wir all diese Ziele erreichen, müssen wir handeln – jetzt handeln! Denn wir wollen unseren Kindern und Kindeskindern eine friedlichere, gerechtere und damit bessere Welt hinterlassen! Vielen Dank. Jürgen Grässlin ist laut SPIEGEL (1/2023) der "bekannteste Pazifist und Rüstungsgegner des Landes". Er ist Sprecher der Kampagne "Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!", Bundessprecher der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK), Aktivist der Kritischen Aktionär*innen Daimler und Heckler & Koch sowie Vorsitzender des RüstungsInformationsBüros (RIB e.V.) mit dem GLOBAL NET – STOP THE ARMS TRADE (GN-STAT). Er ist Autor zahlreicher kritischer Sachbücher über Rüstungsexporte sowie Militär- und Wirtschaftspolitik, darunter internationale Bestseller. Mit seinem aktuellen Buch "EINSCHÜCHTERN ZWECKLOS" ist er im Herbst 2023 und ab Herbst 2024 auf Lesereisen. Grässlin wurde mit bislang zehn Preisen für Frieden, Zivilcourage, Menschenrechte und Medienarbeit ausgezeichnet, u.a. mit dem Aachener Friedenspreis, dem Menschenrechtspreis von Amnesty International und dem Grimme-Medienpreis. FußnotenVeröffentlicht amArtikel ausdruckenWeitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von |
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