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Kapitalismus verstehen und überwinden

Von Michael Schmid (aus: Lebenshaus Schwäbische Alb, Rundbrief Nr. 118, Sept. 2023 Der gesamte Rundbrief Nr. 118 kann hier heruntergeladen werden: PDF-Datei , 669 KB. Den gedruckten Rundbrief schicken wir Ihnen/Dir gerne kostenlos zu. Bitte einfach per Mail abonnieren )

Dass es so nicht weiter gehen kann angesichts von Klimaerhitzung und ökologischer Zerstörung, von Kriegen und atomarer Bedrohung, Armut und Hunger, ist vielen von uns mehr oder weniger bewusst. Wo aber genau liegen die Ursachen und vor allem, wie kann, wie muss es anders werden?

In unserem Rundbrief Nr. 109 vom Juni 2021 wurde im Zusammenhang mit der Besprechung von Bruno Kerns Buch "Das Märchen vom grünen Wachstum" eingehender auf die Illusion des ewigen "Weiter so" und der Dringlichkeit eines Systemwechsels hingewiesen. Dieses Buch kann immer noch als sehr lesenswert empfohlen werden. Es war auch hilfreiche Grundlage für unsere Lebenshaus-Projektgruppe "Eine andere Welt ist möglich - aber welche, und wie erreichen wir sie?", in der wir uns ein Jahr lang mit unterschiedlichen Lösungsansätzen beschäftigt haben. Und natürlich war uns sehr klar, dass damit die Problematik nicht erschöpfend behandelt war, weshalb es sinnvoll ist, sich u.a. mit neuen Veröffentlichungen dazu befassen.

Der Verlag Graswurzelrevolution hat ein Buch mit dem Titel "Grüner Kapitalismus. Kritik und Alternativen – ein ABC" herausgegeben. Das Original stammt von Corporate Watch, einer gemeinnützigen, nicht gewinnorientierten britischen Kooperative mit dem Anspruch, kritische Informationen zu den sozialen und ökologischen Folgen von Konzernaktivitäten und des Kapitalismus bereitzustellen. Corporate Watch will u.a. mit Recherche, journalistischer Tätigkeit, Analysen und Trainings Menschen unterstützen, die von Konzernaktivitäten betroffen sind oder die für einen radikalen sozialen Wandel eintreten. Ein Ansatz, den ich sehr sympathisch finde.

Weil Corporate Watch den grünen Kapitalismus – völlig zurecht - als wahrhaftige Gefahr betrachtet, soll mit dem vorgelegten Leitfaden sowohl in die Ideenwelt dieser relativ neuen Erscheinungsform des Kapitalismus eingeführt werden, um sie verständlicher zu machen. Zudem soll damit der Widerstand dagegen gestärkt und Raum für echte Alternativen geschaffen werden.

Der grüne Kapitalismus wird als Köder eingeschätzt, als Versuch, den Kapitalismus entgegen seiner realen Wirkungsweise als sozial und ökologisch verantwortlich erscheinen zu lassen. Es werde damit von der Frage abgelenkt, welche Rolle der Kapitalismus als Verursacher zum Beispiel hinsichtlich der Klimakatastrophe und der ökologischen Zerstörungen spiele.

In dem Buch wird von Corporate Watch auf knappe und gut verständliche Weise die Problematik des grünen Kapitalismus auf den Punkt gebracht und im ABC kurz und prägnant wichtige Begriffe bzw. Konzepte erklärt. Dabei wurden auch einige Alternativen zu grün-kapitalistischen Ansätzen aufgenommen, beispielsweise indigenes Wissen, buen vivir (in Harmonie mit der Natur und miteinander leben), alternative Ökonomien und Ernährungssouveränität.

Ernährungssouveränität – das ist auch ein Stichwort, das in Vandana Shivas jahrzehntelangem Engagement eine herausragende Rolle spielt. Sie erhebt ihre Stimme, das Saatgut vor der Vereinnahmung durch Konzerne zu bewahren und scheut auch juristische Auseinandersetzung mit diesen nicht. Sie kämpft für die Erhaltung kleinbäuerlicher Betriebe und damit für die Ernährungssouveränität.

Im vergangenen Jahr hat der Neue Erde Verlag zwei Bücher von Vandana Shiva herausgebracht. Zum einen ist anlässlich ihres 70. Geburtstags am 5. November mit "Terra Viva - Mein Leben für eine lebendige Erde" ein Buch mit ihren Erinnerungen erschienen. Dieses Leben begann am Fuße des Himalaya in Nordindien und es führte sie in alle Teile der Welt, von entlegenen Tälern bis zu den Zentren der Macht in Genf und New York, von Bürgerversammlungen über Konferenzen bis an die Front von Klimamärschen und Protesten vor den Zentralen der großen Konzerne dieser Welt. Deutlich wird, wie ihr Leben der Liebe zum Leben in all seinen Formen gewidmet ist.

Wie ein roter Faden durch das Leben Vandana Shiva und durchs Buch zieht sich ihr ausgeprägter Sinn für Gerechtigkeit und die Rechte der Menschen und der Erde - ob für das Wasser und die Biodiversität, für die Freiheit von Saatgut, die Rechte von Frauen und Kleinbauern oder gegen globalen Freihandel, Pestizid- und Gentechnikindustrie sowie Extraktivismus, also die größtmögliche und rücksichtslose Ausbeutung von Natur und anderen Menschen.

Rechtzeitig zum 70. Geburtstag Vandana Shivas erschien ebenfalls das Buch "Wahre Wirtschaft. Von der Geldgier zu einer Ökonomie der Fürsorge". Auch in diesem Buch betont sie, es sei völlig unzureichend, das derzeitige Wirtschaftssystem nur reformieren zu wollen. Was als "Wirtschaft" und "Wachstum" bezeichnet werde, sei die größtmögliche Ausbeutung und Plünderung der Lebensgrundlagen, welche die Substanz aufzehren.

In dieser Streitschrift zeigt sie auf, warum es existentiell wichtig ist, zu einer anderen Wirtschaft zu finden. Sie knüpft an Gandhis Maxime für ein einfaches Leben in der Gemeinschaft aller Lebewesen in einer Erddemokratie an. Und weist Wege in eine tragfähige Zukunft, die auf einer neuen, einer "Wahren Wirtschaft" beruht, die gekennzeichnet ist als Ökonomie der Fürsorge, der Pflege und des vernünftigen Haushaltens, mit der es gelingt, die Lebenserhaltungssysteme der Erde wiederzubeleben, die im Einklang mit der Natur und ihren Kreisläufen steht.

Alle drei hier aufgeführten Bücher zeigen auf je eigene Weise auf, dass das vorherrschende kapitalistische Wirtschaftssystem, welches immense Krisen und Katastrophen hervorruft, die uns an den Rand des existentiellen Abgrunds führen, nicht alternativlos ist. Sie machen Mut, gegen die angebliche Alternativlosigkeit anzudenken und anzukämpfen. Für das Leben und Überleben auf diesem Globus.