Lebenshaus Schwäbische Alb - Gemeinschaft für soziale Gerechtigkeit, Frieden und Ökologie e.V.

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Lebendige Tagung “We shall overcome!” in Gammertingen

Wie schon in den vergangenen zehn Jahren hatte der Verein Lebenshaus Schwäbische Alb - Gemeinschaft für soziale Gerechtigkeit, Frieden und Ökologie zu seiner  11. Tagung "’We shall overcome!’ Gewaltfrei für die Vision einer Welt ohne Gewalt und Unrecht" eingeladen. Am vergangenen Samstag, den 14. Oktober, berichteten im evang. Gemeindehaus in Gammertingen der ehemalige Mitarbeiter der Werkstatt für Gewaltfreie Aktion, Baden,  Christoph Besemer, die ehemalige Bundestagsabgeordnete und Mitarbeiterin der Gesellschaft Kultur des Friedens, Tübingen, Heike Hänsel, sowie Katrin Warnatzsch und Michael Schmid, die den gastgebenden Verein mitgründeten, ausführlich über ihr jahrzehntelanges Engagement. Die über 40 Teilnehmenden empfanden die Tagungsbeiträge als bewegend und als für sie persönlich anregend und ermutigend.

Eine Besonderheit dieser Tagung ist es, dass von den Referierenden ein biografischer Zugang gewählt wird. Damit sollen nicht Sachthemen im Vordergrund stehen, sondern  wie sie daraus ihr politisches Selbstverständnis entwickelt haben und woraus sie  Mut und Kraft für ihr nicht immer einfaches, lang anhaltendes Engagement für den Frieden ziehen.

Umrahmt wurde die Tagung von einem wunderbaren, gehaltvollen und ausdrucksstarken musikalischen Programm, dargeboten von Gabriele Lang (Gesang und Cello) und Bernd Geisler (Gitarre). Unterstützt wurden sie dabei von Mitgliedern der bundesweit aktiven Gruppe "Lebenslaute Süd", die für ihre gewaltfreien, musikalischen Aktionen bekannt ist. Den Schwerpunkt bildeten dabei Auszüge aus der Mauthausen Kantate von Mikis Theodorakis.  Julia Kramer moderierte die Tagung.

Christoph Besemer berichtete, wie er als Kind einer Pfarrersfamilie über verschiedene Stationen seinen Weg hin zum Thema "Gewaltfreiheit" gefunden hat. Das Thema "Gewaltfreie Aktion" und eine daraus abgeleitete Alternative zur militärischen Verteidigung, die "Soziale Verteidigung", interessierten ihn dabei ganz besonders. So war er während seines Studiums der Politikwissenschaften bei Prof. Dr. Theodor Ebert in Berlin an verschiedenen gewaltfreien Aktionen beteiligt, z.B. bei der Blockade einer alliierten Militärparade. Er kam mit prägenden Menschen der gewaltfreien Szene und der Kriegsdienstverweigerer in engen Kontakt und lernte von ihnen. Christoph Besemer schilderte, wie wichtig es ihm damals war, als Kontaktperson zur Polizei bei gewaltfreien Demonstrationen mit dem politischen Gegenüber in einen Dialog zu kommen und die Aktion anschließend auszuwerten.

Als hauptamtlicher Mitarbeiter der 1984 neu gegründeten Werkstatt für gewaltfreie Aktion, Baden führt er bis heute zahllose Trainings für gewaltfreie Aktionen durch und veröffentlichte verschiedenste einschlägige Artikel, Broschüren und Bücher. Speziell das Thema "Umgang mit politischen Gegnern" beschäftigt ihn und immer wieder konnte er erleben, wie selbst rechtsextrem denkende Menschen sich mit der Zeit für Veränderung öffnen, wenn es gelingt, sie als Menschen zu sehen. Auf der Suche danach, wie man damit hilfreich umgehen kann, wurde er mit den Jahren ein wichtiger Vertreter der "Mediation", ein wissenschaftlich fundiertes Konzept zur Vermittlung in Konflikten, sowohl im persönlichen, als auch im gesellschaftlichen Bereich. Als Antwort auf die sich vertiefenden gesellschaftlichen Spaltungen der letzten Jahre (Stichworte Impfgegner - Impfbefürworter, Klimaleugner - Klimaaktivisten usw.) entwickelte er ein Veranstaltungskonzept "Gespräche aus der Mitte". Sein Ziel dabei: dazu beitragen, Spaltung und Ausgrenzung zu überwinden. Als persönlich aufbauend und ermutigend erlebt er aktuell, wie in seiner Heimatstadt Freiburg in den letzten Jahren, mit seiner Unterstützung, die Idee einer "Initiative Friedensstadt Freiburg" entwickelt wurde mit dem Ziel, die Idee der Sozialen Verteidigung als Alternative zur militärischen Verteidigung bekannter zu machen. Als wichtiges Ergebnis aus seinen Erfahrungen benannte er seine zunehmenden Schwierigkeiten mit allen Denkkonzepten, deren Ziel es ist, die andere Seite zu bekämpfen. Sein Ansatz ist es vielmehr, den Dialog zu suchen. Auch wenn das in der Regel nicht zu schnellen Erfolgen führt, sieht er darin jedoch die Chance einer wirklichen Konfliktlösung mit und für alle Beteiligten.

Heike Hänsel erzählte von ihren Erfahrungen "auf dem Weg zu einer Kultur des Friedens". Als aktuell ehrenamtliche Mitarbeiterin des Tübinger Vereins Gesellschaft Kultur des Friedens löste die musikalische Einleitung mit Auszügen aus der Mauthausen Kantate starke Erinnerungen bei ihr aus, vor allem an den letztes Jahr unerwartet verstorbenen Leiter des Tübinger Theodorakis-Chores und Initiator der Gesellschaft Kultur des Friedens, Henning Zierok. Es war dieser Chor, über den sie während ihres Studiums in Tübingen zu dieser besonderen Form von Friedensarbeit gekommen war. Heike Hänsel berichtete zunächst von ihrer katholischen Sozialisation in Stuttgart und im Schwarzwald, die sie zum Theologie-Studium nach Tübingen geführt hatte. Schon immer hatte sie ein "diffuses Gefühl" von Ungerechtigkeit in der Welt empfunden. Sie wurde in verschiedenen Initiativen aktiv und war bei unterschiedlichen Aktionen beteiligt. In der Idee und Praxis der Gesellschaft Kultur des Friedens hatte sie dann erlebt, wie bereichernd es sein kann, kulturell aktiv zu sein. So wurde sie im Verein hauptamtliche Mitarbeiterin und konnte auf etlichen Reisen und in vielen persönlichen Begegnungen sehen und spüren, wie kraftvoll Musik in Befreiungsbewegungen, im Widerstand und im Kampf für Frieden und Gerechtigkeit wirken kann. Sie zitierte u.a. Bertolt Brecht mit der Aussage: "Kultur ist das Vergnügen, die Welt zu verändern". So sieht sie mit dieser Idee ganz klar das Selbstverständnis verbunden, Konflikte menschlich und ohne Gewalt zu lösen.  Schließlich führte ihr Engagement zu einer Anfrage der damals noch jungen Partei "Die Linke", über die sie 2005 in den Bundestag einziehen konnte. Auch wenn sie politisch viele Niederlagen erleben musste, zuletzt 2021 ihr Ausscheiden aus dem Bundestag, hatte sie nie das Gefühl gehabt, es hätte sich nicht gelohnt. Als besondere Kraftquelle benannte sie Begegnungen mit Menschen, die zum Teil unter lebensgefährlichen Bedingungen für eine bessere Welt kämpfen und sich behaupten müssen. Sie ist der festen Überzeugung, dass Gewaltfreiheit eine große Kraft hat und glaubt  an eine fast magische Kraft der Versöhnung. Immer wieder konnte sie erleben, wie dabei Musik Menschen erreichen kann und etwas auslöst, was mit Worten alleine kaum möglich ist. Auf zahlreiche Nachfragen aus dem Publikum berichtete sie von ihren Erfahrungen im Bundestag, und wie die Strukturen dort ihrer Einschätzung nach zur Persönlichkeitsveränderung von Abgeordneten und deren anfänglichen Überzeugungen beitragen.

Zum Abschluss der Tagung berichteten Katrin Warnatzsch und Michael Schmid von ihren jeweiligen Lebensgeschichten und ihrem gemeinsamen Weg im und mit dem Lebenshaus Schwäbische Alb. Beide wurden in ihren Familien stark religiös geprägt, der damaligen Zeit entsprechend streng und konservativ erzogen, aber mit dem Wissen um die Bedeutung der Nächstenliebe und der Kraft des Glaubens. Katrin Warnatzsch und Michael Schmid ließen das Publikum teilhaben an Studium, Berufsausbildung, an Familiengründungen und Scheitern ihrer Ehen, sowie an ihren unterschiedlichen Wegen hin zur politischen Arbeit. So berichtete Michael Schmid, wie ihn der Dienst als Wehrpflichtiger bei der Bundeswehr und 1973 der Putsch in Chile politisiert hatte und er über die Chile-Solidaritätsarbeit zur Friedenspolitik fand. So war er u.a. von 1983 bis 1991 Abrüstungsreferent in der Deutschen Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK), nahm an zahlreichen Blockadeaktionen vor und nach der Stationierung der Pershing II-Raketen teil und machte sogar bundesweit Schlagzeilen, als er 1987 als erster gewaltfreier Blockierer von Mutlangen einen Freispruch beim Amtsgericht Schwäbisch Gmünd erwirken konnte. Katrin Warnatzsch wurde erstmals friedenspolitisch aktiv, als sie sich zusammen mit vielen anderen gegen die damals allgegenwärtigen Tiefflieger über der Schwäbischen Alb wehren wollte. In der örtlichen Gruppe der DFG-VK lernten sich Katrin und Michael dann kennen und fanden als Patchwork-Familie zueinander.

Beide gehörten auch dem Friedensnetz Gammertingen an, in dessen Rahmen 1993 die Idee eines Lebenshauses entstanden war mit der Absicht, nicht nur gegen etwas zu protestieren, sondern zudem etwas Konstruktives aufzubauen, und dies ganz bewusst auch in einer hochmilitarisierten Region. Mit der Gründung des Vereins 1993 und dem Kauf eines vereinseigenen Gebäudes in Gammertingen sollten damit die für Viele wichtigen Aspekte von Frieden, Ökologie und sozialer Gerechtigkeit nachhaltig miteinander verbunden und gelebt werden.

Begleitet von vielen Bildern nahm das Ehepaar die Tagungsteilnehmenden mit zu Ostermärschen, Plakataktionen, hunderten von Mahnwachen, kleinen und größeren Aktionen, sowie zu ihren zahlreichen Begegnungen in der Unterstützung von Geflüchteten. Während Michael Schmid seinen Schwerpunkt eher in der inhaltlichen, politischen Friedensarbeit sieht, liegt der Schwerpunkt von Katrin Warnatzsch in der Begleitung von Menschen in schwierigen Lebenslagen. Zuletzt waren dies vor allem junge Männer aus Afghanistan. Beide Aspekte werden jedoch gemeinsam reflektiert und verantwortet. Mit all diesen bewegenden Einblicken in ihre Lebensgeschichten wurden für die Teilnehmenden der Tagung nochmal neue Facetten von den beiden Menschen deutlich, die seit nunmehr 30 Jahren im Lebenshaus in Gammertingen leben und von dort als "Hauptaktive und gewissermaßen als die Gesichter des Vereins" in vielerlei Weise wirksam sind.

Mit all den Eindrücken dieser Tagung bekam das gemeinsam gesungene Schlusslied "We shall overcome" ("Wir werden überwinden") wieder neue Nahrung.

"Erinnern, Gedenken, Verantwortung übernehmen - die Häftlinge des KZ Heuberg vor 90 Jahren nicht vergessen!"

Am Sonntag, 15. Oktober 2023, hat der Verein Lebenshaus Schwäbische Alb eine Gedenkveranstaltung in unmittelbarer Nähe des früheren Konzentrationslagers Heuberg durchgeführt. Dieses KZ wurde wenige Wochen, nachdem Hitler zum Reichskanzler ernannt worden war, als wohl erstes KZ in Deutschland am 20. März 1933 eingerichtet. Dort waren in den rund zehn Monaten des Bestehens in erster Linie politisch Oppositionelle inhaftiert. Für sehr viele wurde das eine der ersten "Stationen zur Hölle" (Julius Schätzle). In einer Rede informierte Michael Schmid über das KZ Heuberg und die Bedeutung der frühen Konzentrationslager. In einem zweiten Teil ging es um Verantwortung, die wir heute und in Zukunft über das Erinnern und Gedanken hinaus übernehmen sollten. In die Rede eingestreut wurden die vier Lieder der Mauthausen-Kantate des griechischen Komponisten Mikis Theodorakis durch das Aktionsorchester Lebenslaute Süd unter Leitung von Bernd Geisler. Die berührende Veranstaltung fand bei der vom SPD-Landesverband Baden-Württemberg 1983 initiierten kleinen Gedenkstätte statt, mit der am Rand des Truppenübungsplatzes Heuberg an das frühere KZ und seine Opfer erinnert wird.


In der Dezember-Ausgabe unseres gedruckten Rundbriefs wird ausführlich über die Tagung 2023 berichtet, insbesondere über die Beiträge von Christoph Besemer, Heike Hänsel, Michael Schmid und Katrin Warnatzsch. Der Rundbrief kann kostenlos abonniert werden: info@lebenshaus-alb.de . Mitglieder sowie Spenderinnen und Spender erhalten ihn automatisch zugestellt.

Weblinks:

Referierende der einzelnen Tagungen auf einen Blick

2023   Christoph Besemer   Heike Hänsel

  Michael Schmid u.
  Katrin Warnatzsch

2022   Emran Feroz   Barbara u. Dr. Eberhard Bürger   Marion Küpker
2021   Klaus Pfisterer   Thomas Gebauer   Karen Hinrichs
2020   Thomas Felder   Renate Wanie   Hans-Hartwig Lützow
  2019   Eva-Maria Willkomm   Andreas Linder   Nirit Sommerfeld
  2018   Katja Tempel   Peter Bürger   Andreas Zumach
  2017   Julia Kramer   Paul Schobel   Clemens Ronnefeldt
  2016   Sonnhild Thiel   Werner Gebert   Ursula Sladek
  2015   Heinz Rothenpieler   Dr. Ute Finckh-Krämer   Jochen Stay
  2014   Dr. Martin Arnold   Jutta Sundermann   Roland Blach
  2013   Dr. Wolfgang Sternstein   Wiltrud Rösch-Metzler   Ullrich Hahn

 

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Veröffentlicht am

18. Oktober 2023

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