Vor 40 Jahren: Die Menschenkette zwischen Stuttgart und Neu-Ulm 1983Von Michael Schmid Am 12.12.1979 hatte die NATO einen "Doppelbeschluss" gefasst. Sie kündigte die Stationierung der neuen atomaren Mittelstreckenwaffen Pershing II und Cruise Missiles für Ende 1983 als "Nachrüstung" an, wenn zuvor Verhandlungen über einen Abbau von sowjetischen atomaren Mittelstreckenwaffen scheitern sollten.
Nachdem Verhandlungen zwischen den Supermächten USA und Sowjetunion 1982 gescheitert waren, steigerten sich im Jahr 1983 die Aktionen der Friedensbewegung nochmals deutlich, um die geplante Stationierung neuer atomarer Mittelstreckensysteme durch die NATO zu verhindern. Der "heiße Herbst" wurde u.a. eingeleitet mit der gewaltfreien "Prominentenblockade" vom 1. bis 3. September in Mutlangen. Für den Herbst war eine Aktionswoche geplant mit großen "Volksversammlungen für den Frieden" in Bonn, Berlin, Hamburg sowie für Süddeutschland.
Am 22. Oktober 1983 war dann der Erfolg riesengroß. Die längste Kette, welche die Friedensbewegung jemals zustande brachte, konnte nicht nur lückenlos gebildet werden, sondern über weite Strecken gleich mehrfach. Aus den mindestens benötigten 100.000 Menschen für diese Aktion waren schließlich rund 400.000 geworden. Hunderttausende reichten sich von 12.40 Uhr bis 13 Uhr die Hände, schlossen damit die Kette und verbanden den Raketenstandort Neu-Ulm mit dem EUCOM in Stuttgart. Damit diese herausragende Aktion überhaupt gelingen konnte, war zuvor eine organisatorische Meisterleistung von Menschen unterschiedlicher Organisationen erforderlich, die sich monatelang im Stuttgarter "Aktionsbüro Herbst `83" engagiert hatten. Den größten Verdienst dieses historischen Ereignisses rechne ich aber dem 2014 verstorbenen Ulli Thiel zu! Vor 40 Jahren, am 22. Oktober 1983 gingen bei der Menschenkette von Stuttgart nach Neu-Ulm und bei den weiteren Großdemonstrationen in anderen Städten weit mehr als 1,3 Millionen Menschen in Westdeutschland gegen das atomare Wettrüsten auf die Straße. Trotz dieser und weiterer beeindruckenden Aktionen der Friedensbewegung billigte der Deutsche Bundestag am 22. November 1983 den sogenannten NATO-Doppelbeschluss und genehmigte die Stationierung neuer Atomwaffen in der Bundesrepublik Deutschland. Nur wenige Tage später, ab 25. November 1983, trafen die ersten Atomraketen in Mutlangen ein.
1985 wurde mit Michail Gorbatschow ein Reformer zum Generalsekretär des Zentralkomitees (ZK) der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU) gewählt und damit zum De-facto-Herrscher der Sowjetunion. Begünstigt wurde diese Wahl unter anderem dadurch, dass es im Westen eine Friedensbewegung gab. Dies betonte zum Beispiel Georgi Arbatow, ZK-Mitglied, Leiter des Moskauer Instituts für USA-Forschung und Berater aller sowjetischen Generalsekretäre von Breschnew bis Gorbatschow, 1986 bei einem Symposium in Washington: "Die Friedensbewegung war ein Ausdruck des Bewusstseinswandels, der sich in der westdeutschen Bevölkerung abgespielt hat. Das war ein Faktor für unsere Entscheidung, Michail Gorbatschow als Verfechter eines dezidierten Entspannungskurses zum Generalsekretär zu wählen." Gorbatschow selber hatte 1996 in einem Fernsehinterview mit Franz Alt in der ARD gesagt: "Nur mit Hilfe der westlichen Friedensbewegung konnte ich meine Abrüstungs-Politik gegen die Hardliner im Kreml durchsetzen."
Folgt man der Einschätzung von Arbatow und Gorbatschow, dann war die westliche Friedensbewegung der 1980er Jahre letztlich sehr erfolgreich! Sie hat mit ihren Aktivitäten dazu beigetragen, dass Gorbatschow an die Macht kam und ihm dann die wichtigste militärische Abrüstung aller Zeiten, sowie eine friedliche Wiedervereinigung Deutschlands, zu verdanken ist. Die aufsehenerregende Menschenkette zwischen Stuttgart und Neu-Ulm war eine sehr bedeutsame Aktion der damaligen Friedensbewegung. Der 40. Jahrestag am 22. Oktober 2023 ist Anlass, nochmals an diese riesige Volksversammlung zu erinnern. Hinweise zu Videos über die Menschenkette 1983:
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