Lebenshaus Schwäbische Alb - Gemeinschaft für soziale Gerechtigkeit, Frieden und Ökologie e.V.

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Bericht von der Lebenshaus-Tagung “We shall overcome!” 2023

(aus: Lebenshaus Schwäbische Alb, Rundbrief Nr. 119, Dez. 2023 Der gesamte Rundbrief Nr. 119 kann hier heruntergeladen werden: PDF-Datei , 669 KB. Den gedruckten Rundbrief schicken wir Ihnen/Dir gerne kostenlos zu. Bitte einfach per Mail abonnieren )

Wie schon in den vergangenen zehn Jahren hatte der Verein "Lebenshaus Schwäbische Alb - Gemeinschaft für soziale Gerechtigkeit, Frieden und Ökologie" für den 14. Oktober 2023 zu seiner 11. Tagung "’We shall overcome!’ Gewaltfrei für die Vision einer Welt ohne Gewalt und Unrecht" ins evang. Gemeindehaus nach Gammertingen eingeladen.

Wir waren sehr erfreut, dass 44 Menschen an der Tagung teilnahmen. Sie empfanden die Tagungsbeiträge als bewegend und als für sie persönlich anregend und ermutigend, so die vielfachen Rückmeldungen.

Nach der Begrüßung machten Bernd Geisler und Gabriele Lang den musikalischen Auftakt. Im Anschluss berichteten, verteilt über den ganzen Tag, der ehemalige hauptamtliche Mitarbeiter der Werkstatt für Gewaltfreie Aktion, Baden, Christoph Besemer, die ehemalige Bundestagsabgeordnete und Mitarbeiterin der Gesellschaft Kultur des Friedens, Tübingen, Heike Hänsel, sowie Katrin Warnatzsch und Michael Schmid, die den gastgebenden Verein mitgründeten, ausführlich über ihr jahrzehntelanges Engagement.

Eine Besonderheit dieser Tagung ist es, dass von den Referierenden ein biografischer Zugang gewählt wird. Damit sollen nicht Sachthemen im Vordergrund stehen, sondern wie sie daraus ihr politisches Selbstverständnis entwickelt haben und woraus sie Mut und Kraft für ihr nicht immer einfaches, lang anhaltendes Engagement für den Frieden ziehen.

Julia Kramer moderierte diese Beiträge, zwischen denen es weitere musikalische Darbietungen gab.

Axel Pfaff-Schneider berichtet nachfolgend ausführlich über die Vorträge.

(Michael Schmid)

Schriftliche Zusammenfassungen der Vorträge

Von Axel Pfaff-Schneider

Christoph Besemer: "Das Geschenk der Gewaltfreiheit: Wohin sie mich brachte, was ich daraus machte"

Als erster Referent berichtete Christoph Besemer, wie er seinen Weg hin zum Thema "Gewaltfreiheit" gefunden hat.

Christoph, geboren 1955, hat als Pfarrerssohn eine weniger kirchlich geprägte, als vielmehr ethische Haltung entwickelt. In Anlehnung an Willi Haller, einem Mitbegründer des Lebenshauses Trossingen, bezeichnete Christoph diese Haltung als "jesuanische Ethik". Diese Ethik vermisst er heute in den meisten Diskussionen über "Krieg oder Frieden" und "Waffenlieferungen oder nicht", weil dabei meist rational und utilitaristisch argumentiert wird.

Während seiner Auseinandersetzung mit der eigenen Wehrpflicht las er u.a. Bücher über Mahatma Gandhi und Martin Luther King, die ihn so sehr beeindruckten, dass er damit den Grundstein zu seiner lebenslangen Beschäftigung mit dem Thema "Gewaltfreiheit" gelegt sieht. Christoph schrieb daraufhin eine umfangreiche Jahresarbeit im Fach Deutsch über das Konzept der "Sozialen Verteidigung" und verweigerte den Kriegsdienst. Als Zivildienstleistender betreute er Kinder von Spätaussiedlerfamilien aus Russland und Rumänien und suchte auch über Seminare mit anderen Zivildienstleistenden den Kontakt. In dieser Zeit entschied sich Christoph für ein Studium der Politikwissenschaften an der Freien Universität Berlin, wo auch Prof. Theodor Ebert lehrte, Vordenker der Sozialen Verteidigung im deutschsprachigen Raum. Und Christoph begann, sich im Bereich gewaltfreier Aktionen und Aktionstrainings zu engagieren.

Visuell unterstützt von einigen Bildern, ließ er das Publikum an einem seiner ersten "Höhepunkte" teilhaben. 1980 beispielsweise ging es um die Vorbereitung und Durchführung einer Blockade der Alliierten-Militärparade in West-Berlin. Christoph schilderte detailliert die Vorbereitungen, seine Rolle als Kontaktperson zur Polizei und wie wichtig es ihnen allen war, die gewaltfreie Haltung und die Ziele der Aktion klar zu vermitteln. So gelang es tatsächlich, die anrückende Militärkolonne aufzuhalten. Die ca. 50 Aktionsteilnehmer*innen wurden von der Polizei geräumt, in Gewahrsam genommen und erkennungsdienstlich behandelt. Die Resonanz in der Presse war enorm, und in seiner sachlichen und ruhigen Art konnte uns Christoph überzeugend vermitteln, wie systematisch man an diese Aktion herangegangen war. Das wurde anschließend gründlich ausgewertet und in einer Broschüre dokumentiert.

Als "Niederlagen" könnten seine Teilnahme an Aktionen gegen Atomkraftwerke in Neckar-westheim und in Brokdorf, gegen die Lagerung von Atomwaffen in Großengstingen und Büchel, sowie gegen die Pershing-2-Stationierung in Heilbronn und Mutlangen, angesehen werden. Aber solch ambitionierte Ziele ließen sich nicht so einfach durch eine oder mehrere Aktionen erreichen. Letztlich stellten sich jedoch nach Monaten, Jahren oder Jahrzehnten die Erfolge ein!

Als ein anderes, für ihn bedeutsames und in der Gesellschaft umstrittenes Thema, benannte Christoph den Umgang mit politischen Gegner*innen, vor allem aus der rechtsextremen Ecke. Dazu hatte Christoph schon während seiner Schulzeit verschiedene Erfahrungen gesammelt und später auch Seminare durchgeführt, Vorträge gehalten und Artikel geschrieben.

So berichtete er aus seiner Gymnasialzeit von einem Mitschüler, der hin und wieder durch seine provokanten, rechten Ansichten auffiel. Er erfuhr über die Jahre, wie der junge Mann während eines Aufenthalts in den USA seine Haltung veränderte, den Militärdienst verweigerte und schließlich auch sein rechtes Gedankengut in eine linksliberale, ökologische Haltung veränderte.

Daraus folgt für Christoph, dass auch Menschen mit extremen Ansichten ansprechbar sind und - allmählich - ihre Meinungen ändern können. Ohne Druck und Zwang, nur durch Kontakt mit Menschen und neuen Ideen.

Da war z.B. auch ein Gespräch mit zwei jungen Neonazis, welches unerwartet respektvoll verlaufen war. Und es gab ein moderiertes Gespräch zwischen einem bedrohlich auftretenden Skinhead und einem örtlichen "Arbeitskreis gegen rechts". Dabei konnten gegenseitige Vorbehalte abgebaut und die Situation bei Begegnungen auf der Straße deutlich entspannt werden.

Als besonders aufschlussreich bezeichnete Christoph einen Workshop im Rahmen einer Friedenswoche im Jahr 2014. Titel: "Wie gehen wir mit unserem politischen Gegner um? Eine praktische Auseinandersetzung mit unserem Dialogverhalten". In dem Gespräch trafen friedensbewegte Teilnehmer*innen des Workshops und ein "echter" Kritiker der Friedensbewegung aufeinander. Ziel war es, das Gesprächsverhalten zu beobachten und auszuwerten. Im Ergebnis bestätigten sich Christophs Thesen: 1. Es hatte sich die übliche, kontroverse Form der Auseinandersetzung mit politisch Andersdenkenden gezeigt. 2. Das Gespräch war hoch emotional verlaufen und endete fruchtlos. 3. Eine andere Herangehensweise auf der Basis der Gewaltfreien Kommunikation hatte zu besseren Ergebnissen geführt. Es war zwar niemand bekehrt worden, aber in der konzentrierten Atmosphäre war es ermöglicht worden, dass sich der kritische Gesprächspartner gesehen und gehört fühlte und sich so die Möglichkeit für eine weitere konstruktive Auseinandersetzung eröffnet hatte!

Naheliegend ist es für Christoph, dass eine freundliche und respektvolle Haltung ein Gespräch mit der anderen Seite ermöglicht, und die Gefahr eines Abgleitens in zu große Emotionalität bis hin zur Gewalt verringern kann. Man sollte nicht mit schnellen Veränderungen rechnen. Wichtig ist es zunächst einmal, Bedingungen zu schaffen, in denen Kontakt, Austausch, Reflexion und damit Entwicklung stattfinden können.

Als sehr schmerzhafte Niederlage bezeichnete er das Umkippen der GRÜNEN zu einer Militär und Krieg befürwortenden Partei. Er berichtete von seinem Versuch, sich dieser Entwicklung entgegenzustellen, indem er - zusammen mit zwei Friedensfreunden - bei der "Bundesarbeitsgemeinschaft Frieden und Internationales" der Partei, einen Antrag zum Thema "Zukünftige Sicherheitspolitik" gestellt hatte. Darin ging es für den Fall eines eventuellen militärischen Angriffs vorrangig um den Schutz der Zivilbevölkerung und ihrer Infrastruktur als oberste Zielsetzung. Er regte an, die gewaltfreie "Soziale Verteidigung" als Möglichkeit des Schutzes und des Widerstands für die Zivilbevölkerung vorzusehen und vorzubereiten. Die Mehrheit lehnte den Antrag ab.

Christoph erklärte, dass er diesen Versuch nicht bereue. Er macht deutlich, wie weit sich die GRÜNEN von ihren Wurzeln in der Friedensbewegung entfernt haben. Auch wenn er sich wenig Hoffnung macht, dass sich diese Haltung der Partei mit der Zeit wieder ändert
angesichts der eskalierenden Konflikte und Kriege, hält er es doch für notwendig, die GRÜNEN genauso wie auch die anderen Krieg befürwortenden Parteien weiterhin mit Respekt und Hartnäckigkeit von Seiten der Friedensbewegung mit gewaltfreien Konzepten zu konfrontieren.

Mit Blick auf seine eigenen, tieferen Gefühle erklärte Christoph, dass es leicht war, Höhen, sprich Erfolge, zu verarbeiten: Sie erzeugten Lust weiterzumachen. Beispielhaft verwies er auf einen Friedenspreis, der ihm 2017 verliehen wurde. Da war er schon mächtig stolz, glücklich und dankbar über die Würdigung seines Lebensweges mit seinen Aktivitäten und Veröffentlichungen. Christoph zitierte aus der Laudatio: "Er hat die Gewaltfreiheit aus der Ecke des vermeintlich Lächerlichen oder Naiven herausgeholt. … Und: Es gibt immer eine Alternative, aber auf die muss man sich gründlich vorbereiten, und eine Kultur der Gewaltlosigkeit ist machbar."

Als einen Tiefpunkt benannte Christoph einen Konflikt innerhalb der Werkstatt für Gewaltfreie Aktion, Baden. Der Verein ist 1984 gegründet worden und Christoph war dort seit 1985 als Mitarbeiter beschäftigt. Als er sich intensiv auch mit dem Thema "Mediation" beschäftigte, wurde das von ein paar Mitarbeiter*innen kritisch in Frage gestellt. Auch der Versuch einer Mediation hatte keine abschließende Lösung des Konflikts gebracht. Erst Jahre später gab es versöhnliche Zeichen. Christoph interpretierte diese Situation auch als Anfrage an sich selbst, nämlich für wie wichtig er das Thema "Vermittlung in Konflikten" in seiner persönlichen und politischen Arbeit tatsächlich nehmen soll. In diesem Zusammenhang benannte Christoph seine zunehmenden Bedenken gegen ein Konzept, das die andere Seite "bekämpfen" und "besiegen" will. Das löse nicht die zugrunde liegenden Probleme und Konflikte und werde sich früher oder später rächen.

Was Christoph sehr beschäftigt, sind die sich vertiefenden gesellschaftlichen Spaltungen der letzten Jahre (Stichwort Impfgegner - Impfbefürworter, Klimaleugner - Klimaaktivisten usw.). Christoph ist sehr bedrückt von diesen negativen Tendenzen, die Ausgrenzung, die Polarisierung, den Hass - und vor allem wegen seiner eigenen fehlenden "Selbstwirksamkeit". Auf der Suche nach Handlungsmöglichkeiten entwickelte er zusammen mit einer Mediations-Kollegin das Konzept "Gespräch aus der Mitte", das Menschen mit gegensätzlichen Einstellungen einen konstruktiven, wertschätzenden Austausch ermöglicht. Ihre Erfahrungen zeigten, dass es tatsächlich funktioniert.

Seit Februar 2022 belastet ihn der Angriff Russlands auf die Ukraine, ebenso die ausgerufene "Zeitenwende" mit all ihren Konsequenzen. Als eine erste Antwort organisierte er zusammen mit einem Friedensfreund eine Online-Veranstaltung über den erfolgreichen gewaltfreien Widerstand in der Ukraine 2004, und über aktuelle Beispiele gewaltfreien Handelns im gegenwärtigen Krieg. Sein Gefühl aber, nichts verändern zu können, blieb. Im weiteren Suchen entstand die "Initiative Friedensstadt Freiburg" mit dem Ziel, Soziale Verteidigung als Alternative zur militärischen bekannt zu machen und konkrete Schritte darauf hin zu initiieren. Vor dem Hintergrund anstehender Gemeinderatswahlen wurde zusammen mit einigen prominenten Friedensbewegten aus Freiburg ein 10-Punkte-Maßnahmen-Katalog für die angestrebte "Friedensstadt Freiburg" ausgearbeitet, den man in den Wahlkampf einbringen möchte. Christophs Erkenntnis, dass in Tief-Phasen die beste "Therapie" die Wiedererlangung der eigenen "Selbstwirksamkeit" ist, lässt ihn neue Hoffnung und Energie gewinnen.

Die Antwort auf die Frage nach dem Lebensmut für das weitere Engagement fiel Christoph nicht schwer. Er sieht sich eingebunden in eine wachsende Gemeinschaft gleichgesinnter Menschen. Wertschätzung und Respekt, darum geht es! Die Idee der Ganzheitlichkeit gibt Lebensmut und Lebensfreude! Lebensmut geben ihm auch der Erfolg seines Grundlagenbuches zur Mediation und auch das positive Feedback zu seinen anderen Veröffentlichungen.

Als Chance für eine andere Welt verwies Christoph Besemer auf seine Diplomarbeit mit dem Titel "Utopische Kommunen - zum Scheitern verurteilt?" Seiner Einschätzung nach lässt sich aus den historischen Versuchen, in kommunitären, egalitären und gewaltfreien Gemeinschaften zusammenzuleben, sehr viel lernen. Er sieht in diesen Gruppen keine weltfremden Spinner, sondern soziale Experimente, die für die folgenden Generationen wichtige Impulse gaben, auch wenn sie nicht immer langfristig überleben konnten. Beispielhaft benannte er das in diesen Gruppen praktizierte Konsens-Verfahren, welches in der Friedens- und Ökologiebewegung aufgegriffen und weiterentwickelt wurde. Angesichts der zahlreichen aktuellen Probleme und Konflikte sieht er nur die Wahl, mit diesen Konflikten anders umzugehen, indem Verfahren der gewaltfreien Konfliktbearbeitung angewendet werden. Denn Resignation, Verhärtung und Hass, genauso wie die Idee, andere Menschen mit ihren Ideen bekämpfen und besiegen zu wollen, führen genau zu dem, was eigentlich überwunden werden soll.

Christoph schloss mit dem Appell: "Wagen wir es, unseren Werten entsprechend zu handeln und nicht aus politischem Machtkalkül, dann haben wir eine Chance: Nutzen wir sie!"
Christoph Besemers Ausführungen stießen auf große Resonanz und ließen zahlreiche Statements und Fragen zu den angesprochenen Themen aufkommen.

Heike Hänsel: "Auf dem Weg zu einer Kultur des Friedens"

Die anwesende Gruppe der "Lebenslaute" eröffnete den Beitrag von Heike mit dem "Lied der Lieder" aus der bekannten Mauthausen-Kantate von Mikis Theodorakis. Heike Hänsel sang hier ganz selbstverständlich mit. Als Mitglied des Theodorakis-Chores Tübingen war ihr die Kantate sehr präsent. Der Gründer und Leiter des Chores, Henning Zierock, war im Laufe der Jahre für Heike ein wichtiger Vertrauter geworden. Da er im Mai 2022 unerwartet verstorben ist, hatte sie das Lied, auch im Gedenken an ihn, bewegt. Wie überhaupt die "Kultur des Friedens" für ihre Geschichte eine wesentliche Orientierung darstellt, mit den Lehren aus dem Zweiten Weltkrieg: Nie wieder Krieg! Nie wieder Faschismus! Für sie ist beides gleichermaßen wichtig und darf nicht gegeneinander ausgespielt werden. Heike erklärte, wie sehr sie der Verein Gesellschaft Kultur des Friedens mit seiner Herangehensweise an die Probleme der Welt geprägt hat: rausgehen in die Welt, weniger Seminare und Veranstaltungen, selbst gestalten.

Geboren wurde Heike 1966 in Stuttgart und ist im Schwarzwald aufgewachsen. Sie erzählte, wie in ihrer katholisch geprägten Familie und an der Schule bei ihr so etwas wie ein allgemeines Gerechtigkeitsgefühl entstanden ist. Ihr Elternhaus war zwar wenig politisch, aber es wurde diskutiert und sie selbst war auf der Suche. So verkehrte sie einige Zeit auch in christlichen Gruppen. Sie bewunderte Mutter Theresa und hatte als Schülerin auch die Anti-Atomkraft-Bewegung und die Menschenkette von Stuttgart nach Ulm mitbekommen. Sie spürte schon damals, dass sie etwas bewegen und verändern will. So entschied sie sich auf Basis ihres christlichen Glaubens 1986 für ein Studium der Katholischen Theologie in Tübingen. Das erlebte sie dort einerseits als recht streng. Andererseits spürte sie aber auch etwas von der Dynamik, welche die Ideen der Theologie der Befreiung und etliche fortschrittliche Professoren erzeugten. Heike nannte es ein "diffuses Gefühl von Ungerechtigkeit auf der Welt", weshalb sie sich davon, und von den revolutionären Prozessen in Lateinamerika, stark angesprochen fühlte. Sie ließ sich auch von Bertolt Brecht inspirieren und von den revolutionären Zeilen seiner Musik. Damit begann ihr konkretes politisches Engagement in Tübingen, wo sie konfrontiert war mit der Situation von Flüchtlingen aus dem Iran, für die sie Sprachunterricht erteilte. Heike berichtete, wie mit der Zeit Kontakte zu Friedensaktivist*innen entstanden, die Blockaden in Mutlangen organisierten. Und weil sie selbst etwas aktiv gegen Atomwaffen unternehmen wollte, beteiligte sie sich an der Gründung einer Gruppe "Theolog*innen für den Frieden". Es folgten 1986 Trainings in gewaltfreier Aktion zur Vorbereitung auf eine Theolog*innen-Blockade in Mutlangen und auf der Waldheide bei Heilbronn, sowie die Teilnahme an Friedensdemonstrationen in Bonn. Anhand weiterer Beispiele machte sie deutlich, wie diese Zeit sie geprägt hat, wodurch bei ihr die Klarheit entstanden ist: "Ja, ich will für den Frieden arbeiten!".

Als ebenfalls prägend beschrieb Heike dann die Begegnung mit Henning Zierock und dem Chor. Sie vermittelte mit ihrem lebendigen Vortrag, wie sehr sie sich durch die verschiedenen kulturellen Aktivitäten des Chores bereichert fühlte. Für sie hatte sich eine neue Welt eröffnet, die von Widerstand, Freiheitskämpfen und internationaler Solidarität durch Kultur geprägt wird. Auf den Reisen mit dem Chor und in den Begegnungen mit vielen politisch aktiven Menschenm erlebte sie die kraftvolle Musik von Theodorakis gegen die Militärdiktatur in Griechenland, die Mut machende Vertonung des Canto Generale von Pablo Neruda gegen das Pinochet-Regime in Chile, die bewegende Mauthausen-Kantate gegen Faschismus. Das fasziniert sie bis heute! In der Musik erlebte sie eine Sprache, die überall verstanden wird, und wie sich durch die Musik Menschen gestärkt und verbunden fühlen. Heike erinnerte an den Gründungskongress "Kultur des Friedens" am 8. Mai 1988, an dem Mikis Theodorakis, Karola Bloch, Tschingis Aitmatow, Walter Jens und viele andere Intellektuelle aus Ost und West teilnahmen. Im Mittelpunkt standen dabei die Ideen von Versöhnung, vertrauensbildenden Maßnahmen, Überwindung des Kalten Krieges und der Impuls, etwas Neues aufbauen zu wollen. Die "Proklamation für eine Kultur des Friedens": "Die Wurzeln einer Kultur des Friedens sind vorhanden: sie reichen zurück über Jahrhunderte und Jahrtausende. Denn die Geschichte der Menschheit ist nicht nur eine Geschichte von Kriegen - sie ist auch eine Geschichte des Denkens und Handelns für den Frieden." Und sie verwies auf einen Satz von Bertolt Brecht: "Kultur ist das Vergnügen, die Welt zu verändern".

Es muss aber nicht nur Vergnügen gewesen sein, denn Heike berichtete davon, wie sie parallel zu all diesen wichtigen Erfahrungen an der Uni Tübingen versuchte, Seminare zur Befreiungstheologie zu organisieren und dabei in Konflikt mit den vorgegebenen Lehrinhalten geriet. Schließlich entstand daraus der Wunsch, das Studienfach zu wechseln. Sie ging 1989 nach Gießen und schloss dort ein Studium der Ernährungswissenschaften ab mit dem Schwerpunkt "Entwicklungspolitik". Sie arbeitete jedoch nicht in diesem Beruf, sondern kehrte nach Tübingen zurück und wurde hauptamtliche Mitarbeiterin der Gesellschaft Kultur des Friedens, wobei "hauptamtlich" damals hieß, von der Hand in den Mund zu leben. Heike war seitdem vielfältig aktiv, u.a. im Rahmen von Attac. Sie erzählte begeistert von ihren Erlebnissen, zum Beispiel in den zahlreichen internationalen Begegnungen, wo sie Menschen erlebte, die ihre Stimme erheben, die sehr viel mutiger sind, als es von uns hier und heute gefordert ist, und dass es immer Alternativen gibt. All das gab ihr Kraft, Mut und Ausdauer. In den Mitteln der Kultur sieht sie eine ganz eigene Stärke und Dimension der Verständigung und Begegnung.

So richtige Niederlagen, so erklärte Heike, hat sie eigentlich nur wenige erlebt. Auch wenn sie oft politische Niederlagen erlebte, so wäre sie nie auf den Gedanken gekommen, es hätte sich nicht gelohnt. Natürlich fällt es ihr schwer, auszuhalten, dass immer wieder auf der Welt Kriege begonnen werden, gerade dann, wenn man davor gewarnt hat und verzweifelt versucht hatte, dies zu verhindern. Als Beispiele nannte sie die Mobilisierung gegen den Irakkrieg 1991, die Bombardierung Jugoslawiens 1999, den Afghanistan-Krieg 2001, den Irakkrieg 2003. Der Beginn dieser Kriege waren für sie verzweifelte Momente, die allerdings schnell in Wut und Energie übergingen. Das hat ihr dann geholfen, weiter aktiv zu werden. Hilfreich zur Verarbeitung waren für sie auch die Begegnungen mit Gleichgesinnten, und sich bewusst zu machen, was trotzdem erreicht wurde. Als Beispiel nannte sie die weltweite Mobilisierung gegen den Irakkrieg 2003 mit den größten Demonstrationen rund um den Globus. Als schmerzhafte Niederlage erlebte Heike ihr Ausscheiden aus dem Bundestag 2021.

Als Quelle für Lebensmut benannte Heike an erster Stelle die persönlichen Begegnungen mit vielen Menschen vor Ort in Kriegs- und Bürgerkriegsgebieten. Mit Menschen, die im Widerstand aktiv waren und unter schwierigsten Bedingungen weitermachten oder fliehen mussten. Diese Menschen gaben ihr Mut, selbst weiterzumachen und die eigene privilegierte Situation hier in Deutschland zu erkennen. Sie verwies auf ein Lied von Konstantin Wecker, der Weißen Rose gewidmet, in dem sie auch ihr Lebensmotto sieht: "Es geht ums Tun, und nicht ums Siegen!" Das bringt es für sie auf den Punkt.

Heike sagte, aus vollem Herzen und mit spürbarer Leidenschaft: "Ich bin der festen, festen Überzeugung, dass Gewaltfreiheit eine große Kraft hat. Ich glaube an eine kraftspendende, fast schon magische Kraft der Versöhnung". Sie bekräftige ihre Überzeugung, dass jeder Mensch einen Punkt hat, wo er berührt werden kann, wo seine Seele berührt wird. Musik, Kunst und Kultur können etwas auslösen und bewirken, weil sich jeder Mensch nach Liebe, Anerkennung, Bestätigung und Respekt sehnt. Sie hat das einige Male erlebt und schilderte eine bewegende Situation, in der sich jüdische und palästinensische Bewohner*innen eines Dorfes in Israel die Hände gereicht hatten. Durch diese lebendigen Erfahrungen geprägt glaubt sie, dass eine andere Welt jenseits des Kapitalismus nicht nur nötig, sondern auch möglich ist.

Ihr Fazit für eine Perspektive: "Es gibt immer Menschen, die anders denken, sprechen, handeln, in jedem Konflikt! Da muss man ansetzen, diese manchmal kleinen Pflänzchen unterstützen, stärken oder überhaupt erst einmal sichtbar machen!"

Für die Chancen auf eine andere Welt geht es für Heike darum, das Überleben der Menschheit angesichts drohender atomarer Katastrophe und mit Blick auf die Klimakrise als übergreifendes Ziel zu sehen. Nach ihrer Einschätzung werden die Friedens- und die Klimabewegung noch viel zu wenig zusammen gedacht. Nach ihrer Überzeugung kommt es auf jeden einzelnen an, und dass wir unsere Stimme erheben.

Um ihr Engagement für eine "Kultur des Friedens" weiter zu verdeutlichen, zeigte Heike noch zahlreiche Bilder von Aktionen und Reisen, in denen sie Beispiele für gewaltfreie Interventionen und Ansätze im Kleinen für eine andere Politik sieht.

In diesem Zusammenhang, auch in der Beantwortung zahlreicher Fragen aus dem Publikum, skizzierte Heike ihren Lebensabschnitt seit 2005. Der hatte sich ergeben, als sie zur Kandidatur auf der Landesliste "DIE LINKE. Baden-Württemberg" angefragt wurde. Bis dahin war sie immer nur außerparlamentarisch in der Friedensbewegung und in der globalisierungskritischen Bewegung aktiv gewesen. Mit ihrem Einzug in den Bundestag im Herbst 2005 ergaben sich neue Schwerpunkte: Ausschüsse für Entwicklungspolitik, Außenpolitik, EU-Politik, Vereinte Nationen, Friedenspolitik. So berichtete sie von ihren Aktivitäten, zum Beispiel gegen Auslandseinsätze der Bundeswehr. Besonders wichtig war ihr die Unterstützung menschenrechtlicher Aktivitäten, u.a. die der Vereinten Nationen. Als Mitglied des Parlaments konnte sie Möglichkeiten nutzen, um Menschen und Gruppen in deren Engagement zu unterstützen, zum Beispiel durch die Beobachtung von Wahlen und Prozessen. Spannend waren Heikes Ausführungen zu politischen Entwicklungen innerhalb der Partei DIE LINKE und ihre Einschätzung zu den massiven Veränderungen bei den GRÜNEN, von ihren friedensbewegten Anfängen, bis hin zu Befürwortung von Militäreinsätzen und Waffenlieferungen.

Zum Abschluss bekannte sich Heike nochmal dazu, dass die außerparlamentarische Arbeit für sie am wichtigsten ist. Daran konnte sie nach ihrem Ausscheiden aus dem Bundestag anknüpfen. So war sie u.a. zusammen mit Henning Zierock in Rom, um den Papst zur Vermittlung im Ukraine-Konflikt aufzurufen, und beteiligte sich an einer Kundgebung gegen den Krieg unter dem Motto: "Den Frieden gewinnen - nicht den Krieg!" Nach dem unerwarteten Tod von Henning Zierock geht es nicht nur für sie darum, sich neu zu orientieren. Aktuell arbeitet sie zusammen mit einigen Mitstreiter*innen an der umfassenden Dokumentation einer Geschichte der "Kultur des Friedens".

Katrin Warnatzsch und Michael Schmid: "Herz und Hand verstehen lernen" - "Auf Umwegen zum Weg der aktiven Gewaltfreiheit"

Zum Abschluss der Tagung berichteten Katrin Warnatzsch und Michael Schmid von ihren jeweiligen Lebensgeschichten sowie ihrem gemeinsamen Weg mit dem Lebenshaus. Die beiden berichteten im Wechsel, jeweils angeregt durch Fragen der Moderatorin Julia Kramer und visualisiert durch zahlreiche Bilder aus ihrer Kindheit, Jugend und von ihren Aktivitäten. Gleich zu Beginn machten Katrin und Michael klar, dass ihre individuellen Beiträge zwar jeweils eine eigene Überschrift tragen, für sie aber die Gemeinsamkeit ihres Engagements entscheidend ist.

Michael, geboren 1951, startete seine Vita mit einem herrlichen Babybild von sich und einigen Bildern seines schwäbischen Heimatortes Plochingen am Neckar. Sein Elternhaus, wie auch seine unmittelbare Umgebung, war stark traditionell katholisch geprägt. Ganz selbstverständlich wurde Michael Ministrant und war später mit den katholischen Pfadfindern tagelang unterwegs. Das prägte ihn natürlich. Noch bedeutsamer für ihn war jedoch seine große Leidenschaft für den Sport, vor allem die Leichtathletik. Mit 15 Jahren begann er mit einem systematischen Training, nahm an Wettkämpfen teil und träumte von einer Teilnahme an den Olympischen Spielen 1972 in München. Wie wichtig dieses Trainieren für sein späteres Leben wurde, verdeutlichte Michael mit Zitaten aus einer schulischen Hausarbeit zum Thema "Der Lauf". Darin hatte er als 16- jähriger folgendes geschrieben: "Der Lauf ist nicht nur eine Schulung des Körpers, sondern auch des Geistes. Durch die Entbehrungen und die Härte beim Wettkampf und beim Training wird der Wille des Läufers gestärkt. Das Erleben von Sieg und Niederlage formt den Charakter des Läufers. So ist der Lauf nicht nur Sport - er ist mehr, eine Schule fürs Leben!"

Daraus formulierte Michael seine spätere Erkenntnis: Obwohl er sehr zur Anpassung erzogen und sozialisiert wurde, hat ihm das Laufen stark geholfen, mit der Zeit zu einer Persönlichkeit mit einem ausgeprägten eigenen Willen zu werden.

Sein Verhältnis zur Gewalt entwickelte sich recht zwiespältig. Einerseits war seine Erziehung, der damaligen Zeit entsprechend, alles andere als gewaltfrei. Andererseits hat sich in ihm die Idee der Nächstenliebe als tiefster Wert eingeprägt. Seine Eltern erzählten viel von ihren eigenen Erfahrungen in der Nazi-Diktatur und im Krieg. Das hat tiefe Spuren in ihm hinterlassen und eine tiefe Ablehnung gegen Krieg und "Nationalsozialismus" erzeugt. Und trotzdem war es überhaupt kein Thema, über Kriegsdienstverweigerung nachzudenken. Es gab ja auch niemanden, der ihn darin unterstützt hätte. So ließ er sich zur Bundeswehr einziehen mit der Erwartung, dort ideale Trainingsmöglichkeiten vorzufinden. Michael berichtete davon, wie er bereits in den ersten Stunden in der Kaserne das Empfinden hatte, am völlig falschen Ort gelandet zu sein. Das verstärkte sich dann nochmals bei seinem ersten Scharfschießen auf sog. "Pappkameraden", als er aufgefordert wurde, dem "bösen Russen" mitten ins Gesicht zu schießen. Zu dieser für ihn erschütternden Erfahrung kam, dass er erkrankte, nach einer Blinddarmoperation eine zunächst nicht erkannte tiefe Beckenvenenthrombose und Lungenembolie erlitt, wegen der er dann erst drei Monate und viele Arztbesuche später ins Bundeswehrkrankenhaus geschickt wurde. Die Untersuchungen ergaben, dass er vorzeitig aus der Bundeswehr entlassen werden sollte. Da zusätzlich auch noch eine Beckenfehlstellung diagnostiziert wurde, bedeutete das alles zusammen für Michael das Aus seiner sportlichen Träume und stürzte ihn in eine tiefe Krise. Die sich über Monate hinziehende, unnötig lange Wartezeit bis zu seiner endgültigen Entlassung aus der Bundeswehr konnte er jedoch nutzen, indem er anfing, Antikriegsliteratur zu lesen. In der Rückschau sieht Michael hier den Beginn seines politischen Erwachens!

Katrin, geboren 1958, erzählte von ihren Eltern und Geschwistern und einer ebenfalls sehr strengen Erziehung. Was aus ihrer Sicht die Kindheit stark geprägt hat, war eine belastete Atmosphäre in der Familie, wohl aufgrund von nie aufgearbeiteten Kriegs- und Nachkriegstraumata der Eltern. Politik wurde als etwas erlebt, das bis in die Familie hinein wirkt und wie ein Damoklesschwert über der Familie schwebt. Der Bau - und später der Fall der Mauer zwischen Ost- und Westdeutschland hatte direkte Auswirkungen auf das Familienleben, weil die Verwandtschaft väterlicherseits in Sachsen lebte. Außer von diesen belastenden Einflüssen konnte Katrin aber auch von Zeiten berichten, in denen sie z.B. Ferien bei einer Tante verbrachte und Familie dort ganz anders erleben konnte.

Als besonders belastend für die gesamte Familie schilderte Katrin, wie sie als Jugendliche den frühen Tod einer Schwester wegen eines ärztlichen Behandlungsfehlers erleben musste. All das zusammen führte dazu, dass sich Katrin in ihrer Jugend sehr auf sich allein gestellt fühlte. Sie verließ mit der 10. Klasse die Schule und begann eine Ausbildung zur Apothekenhelferin. Mit der Idee im Kopf, es mit einer eigenen Familie alles besser zu machen, heiratete sie früh und zog zu ihrem ersten Mann nach Gammertingen. Ihre drei Söhne kamen kurz nacheinander auf die Welt, doch nach zehn Jahren war diese erste Familienphase zu Ende. In einer eigenen Wohnung in Gammertingen suchte sie den Neuanfang und lernte dabei junge Eltern kennen, die in der damals neu gegründeten Gruppe der DFG-VK (Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen) aktiv waren.

Michael musste sich nach dem Aus in Sport und Bundeswehr ebenfalls neu orientieren. Hilfreich in dieser Phase war für ihn seine Verbundenheit mit dem Sport. Er engagierte sich als Abteilungs- und Übungsleiter im Sportverein. In diesem Zusammenhang erfuhr er bei einem Vortrag, dass die beste Therapie angesichts seiner gesundheitlichen Vorgeschichte regelmäßige Bewegung ist. So fing er wieder an, zu trainieren, (das tut er übrigens noch heute regelmäßig), und entschloss sich zu einem Lehramtsstudium an der Pädagogischen Hochschule in Esslingen am Neckar mit den Fächern Sport und Theologie.

Eindrücklich schilderte Michael dann, wie am 11.09.1973 der Militär-Putsch in Chile sein politisches Interesse weckte und er zunächst anfing, sich in der Chile-Solidaritätsarbeit zu engagieren. Er fand Kontakt zu einer Gruppe "Christen für Sozialismus" in Stuttgart, zog 1977 zusammen mit seiner damaligen Freundin und späteren Frau nach Nürtingen, war dort maßgeblich am Aufbau eines "Arbeitskreises Entwicklungspolitik" beteiligt, der viel Solidaritätsarbeit machte, z.B. für den Sturz der Diktatur in Nicaragua und gegen das Apartheid-Regime in Südafrika. Er wurde Mitglied in der DFG-VK und im Versöhnungsbund. In diese Zeit fiel auch eine viermonatige Reise durch Indien auf den Spuren Gandhis. Da er nicht länger als Lehrer arbeiten mochte, begann er 1980 ein Studium der Politikwissenschaften und Soziologie (das er später als "Magister Artium" abschloss). Ebenfalls 1980 verweigerte er den Kriegsdienst und war u.a. an der ersten Friedenswoche in Nürtingen unter dem Motto "Frieden schaffen ohne Waffen" maßgeblich beteiligt.

Wenig später zog er nach Gammertingen, weil er gemeinsam mit seiner Frau, die dort arbeitete, ein Kind erwartete. Michael musste sich dort völlig neu orientieren. Eine echte Perspektive in Gammertingen fand Michael dann, nachdem dort 1981 eine DFG-VK Gruppe gegründet wurde und er politisch aktiv werden konnte. Anhand von zahlreichen Bildern ließ Michael die folgenden Jahre lebendig werden. Ein besonderes Highlight bildete 1983 der dreitägige Ostermarsch über Inneringen (damals noch Standort von Pershing 1) nach Großengstingen (damals noch Standort von Lance-Kurzstrecken-Raketen). Mit augenzwinkernder Genugtuung konnte Michael dann erzählen, wie sie nach dem Ostermarsch bei der Vorbereitung eines Friedenscamps bei der Atomraketenstellung in Inneringen feststellen durften, dass die US-Armee diesen Standort gerade räumte.

Im Rückblick resümierte Michael, dass sie mit diesen und etlichen anderen Aktionen einerseits ein sehr positives Echo hervorgerufen hatten. Andererseits gehörten die wenigen Friedensaktivisten vor Ort damals und auch später zu einer kleinen Minderheit und mussten viele, zum Teil drastische Erfahrungen mit Ausgrenzung und Diskriminierung erleben. Vor allem solche Erfahrungen waren es, die Michaels (und Katrins) Selbstverständnis von Friedensarbeit in der schwäbischen Provinz geprägt haben.

Katrins Motivation, in der DFG-VK-Gruppe aktiv zu werden war, dass zu jener Zeit die Familien und besonders die kleinen Kinder unter den fast täglichen Tieffliegern zu leiden hatten. In der Gruppe lernte sie auch Michael kennen. Näher kamen sie sich aber erst - Michaels Ehe war zu dieser Zeit schon zu Ende - als die beiden bei einer heftigen Diskussion in der Gruppe aneinander geraten waren. 1987 zogen Katrin mit ihren drei Kindern und Michael mit seiner Tochter zusammen. Katrin erlebte die neue Patchwork-Familien-Situation als bereichernd und ermutigend. Verbunden mit dem neuen Lebensgefühl waren die Blockadeaktionen in Mutlangen und Michaels Gerichtsprozesse deswegen. Katrin selbst beteiligte sich erstmals selbst an einer Blockadeaktion, nämlich 1988 an der einwöchigen Blockade des Atomwaffenlagers in Großengstingen.

Als eine weitere Phase skizzierte Michael die Zeit bei den GRÜNEN, bei denen er 1982 Mitglied wurde. Bereits wenige Monate später wurde er im Landkreis Sigmaringen als Kandidat für die Landtagswahl nominiert, war zwei Jahre Kreisvorsitzender und kandidierte 1990 sogar für den Bundestag. Schwer enttäuscht über die Entwicklung der GRÜNEN erklärte Michael schließlich, wie viele andere auch, 1992 seinen Austritt aus der Partei. Er war zutiefst überzeugt, dass sich unter den gegebenen Verhältnissen die notwendigen politischen und gesellschaftlichen Veränderungen nicht in erster Linie durch wählende, sondern durch handelnde Menschen bewirken lassen. Also durch außerparlamentarisches Engagement "von unten". Die GRÜNEN hatten aber immer stärker auf die parlamentarische Ebene und die Beteiligung an Regierungen gesetzt und sich deshalb an das Bestehende angepasst. Es sei erschreckend, was aus den GRÜNEN inzwischen geworden ist.

Michael berichtete dann noch ausführlicher von seinen Erfahrungen mit Blockadeaktionen vor Atomwaffenstellungen, vor allem wie es ihm gelungen war, nach weit über tausend Verurteilungen als erster Blockierer von Mutlangen überhaupt, 1987 einen Freispruch vor Gericht zu erwirken, weshalb er damit bundesweit Schlagzeilen machte. Eine weitere Entwicklung erfolgte mit dem Golfkrieg 1990, als in dessen Zusammenhang das Friedensnetz Gammertingen gegründet wurde.

Katrin konnte nun weiter berichten, wie sie damals Willi Haller und Ullrich Hahn zu Vorträgen in das Friedensnetz eingeladen hatten. Beide stellten dabei das Lebenshaus Trossingen vor, dessen Mitgründer sie waren.

Gemeinsam spannten Katrin und Michael diesen Faden weiter und erzählten, wie daraus die Idee entstanden war, etwas Ähnliches in Gammertingen zu versuchen. In ihren gemeinsamen Überlegungen waren schließlich mehrere Stränge zusammengekommen: Sie wollten nicht immer nur gegen etwas protestieren, sondern bewusst etwas Konstruktives aufbauen.

Damit begann am 20.06.1993 mit der Vereinsgründung die Geschichte des Lebenshauses Schwäbische Alb. Diese Geschichte mussten Katrin und Michael aber in ihrem Beitrag nicht weiter ausführen, da sie schon einige Male im Rahmen der Tagungen erzählt worden war.

Zum Abschluss knüpfte Katrin nochmal an ihr Motto "Herz und Hand verstehen lernen" an. Damit wollte sie zum Ausdruck bringen, wie ihre eigenen lebensgeschichtlichen Erfahrungen, sich selbst helfen zu können, dazu beigetragen haben, dass sie nun anderen helfen kann. Es war ihr Herz, mit dem sie spürte, dass Krisen überwunden werden können und sie erfuhr, dass es dazu auch die Hand braucht, das Tun also, damit das gelingen kann. Aus diesem Grundgefühl heraus war Katrins Schwerpunkt im Lebenshaus entstanden, nämlich die Begleitung von Menschen in schwierigen Lebenslagen, das, was sie "Soziale Friedensarbeit" nennt. Michaels Schwerpunkt hingegen liegt eher in der inhaltlichen, politischen Friedensarbeit, zum Beispiel die Pflege von Website und Newsletter sowie in der Organisation von inhaltlichen Veranstaltungen und Mahnwachen. Beide Arbeitsschwerpunkte werden jedoch, und darauf legten sie zum Abschluss nochmal besonderen Wert, gemeinsam diskutiert und verantwortet. Dazu gehört auch, dass sie viele Jahre Supervision in Anspruch genommen haben und die Wohnsituation im Lebenshaus immer wieder an die eigene Familiensituation anpassen mussten.

Mit diesen bewegenden Einblicken in die Lebensgeschichten von Katrin und Michael wurden nochmals neue Facetten der beiden Menschen sichtbar, die seit nunmehr 30 Jahren im Lebenshaus in Gammertingen leben und von dort als "Hauptaktive und gewissermaßen als die Gesichter des Vereins" in vielerlei Weise wirksam sind.

Mit all den Eindrücken dieser Tagung bekam das gemeinsam gesungene Schlusslied "We shall overcome" ("Wir werden überwinden") wieder neue Nahrung. 

Weblinks:

Referierende der einzelnen Tagungen auf einen Blick

2023   Christoph Besemer   Heike Hänsel

  Katrin Warnatzsch u.
  Michael Schmid

2022   Emran Feroz   Barbara u. Dr. Eberhard Bürger   Marion Küpker
2021   Klaus Pfisterer   Thomas Gebauer   Karen Hinrichs
2020   Thomas Felder   Renate Wanie   Hans-Hartwig Lützow
  2019   Eva-Maria Willkomm   Andreas Linder   Nirit Sommerfeld
  2018   Katja Tempel   Peter Bürger   Andreas Zumach
  2017   Julia Kramer   Paul Schobel   Clemens Ronnefeldt
  2016   Sonnhild Thiel   Werner Gebert   Ursula Sladek
  2015   Heinz Rothenpieler   Dr. Ute Finckh-Krämer   Jochen Stay
  2014   Dr. Martin Arnold   Jutta Sundermann   Roland Blach
  2013   Dr. Wolfgang Sternstein   Wiltrud Rösch-Metzler   Ullrich Hahn

 

Lebenshaus Schwäbische Alb bittet um Spende zum Jahresende

1993 haben wir unseren Verein gegründet, um damit für eine weltweite friedliche, soziale gerechte und umweltverträgliche Entwicklung einzutreten. Wir sind heute wie zu Beginn unserer Vereinsgeschichte der Überzeugung, dass diese Ziele gefördert werden müssen. Seit nunmehr 30 Jahren tragen wir unseren Teil dazu bei. Gerne möchten wir unsere Arbeit für Gerechtigkeit, Frieden und Ökologie so engagiert wie bisher fortsetzen können. Damit uns das gelingt, bitten wir um Unterstützung unseres Engagements - gerne mit einer Einzelspende oder gar einer regelmäßigen Spende oder einer Fördermitgliedschaft. 

Herzlich bedanken wollen wir uns bei allen, die unsere Arbeit unterstützen!

Mehr zu unseren Aktivitäten findet sich z.B. im

"Brief vom Herbst 2023" (PDF) 

"Über uns"

Über uns: Lebenshaus Schwäbische Alb

Bei “Transparenz TV” aus Berlin: Das Lebenshaus Schwäbische Alb - Video aus der Sendereihe "Friedensfragen mit Clemens Ronnefeldt"

"Kriegsdienstverweigerer. Unsere Geschichten"

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Fußnoten

Veröffentlicht am

06. Dezember 2023

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