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“Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus” gehören unteilbar zusammen

Von Michael Schmid (aus: Lebenshaus Schwäbische Alb, Rundbrief Nr. 120, März. 2024 Der gesamte Rundbrief Nr. 120 kann hier heruntergeladen werden: PDF-Datei , 497 KB. Den gedruckten Rundbrief schicken wir Ihnen/Dir gerne kostenlos zu. Bitte einfach per Mail abonnieren )

Liebe Freundinnen und Freunde,

im Januar hat die Jury an der Philipps Universität in Marburg den Begriff "Remigration" zum Unwort des Jahres 2023 gekürt. Warum das? Mir ist dieser Begriff, soweit ich mich erinnere, erstmals während meines sozialwissenschaftlichen Studiums an der Uni Tübingen begegnet. In den Sozialwissenschaften wird von "Remigration" ganz neutral gesprochen, wenn Menschen wieder in ihr ursprüngliches Heimatland zurückkehren. Das war beispielsweise der Fall, als Menschen, die vor den Nazis ins Exil flohen, nach 1945 wieder nach Deutschland zurückkamen, wie etwa die jüdischen Intellektuellen Max Horkheimer und Theodor Adorno. Um "Remigration" in diesem Sinne geht es auch bei einer Rückkehr von ausländischen Arbeitsmigranten ("Gastarbeiter") in ihre Heimat. So verstanden wäre es natürlich sehr erstaunlich, "Remigration" zu einem Unwort zu erklären.

Doch der Begriff wird eben inzwischen auch ganz anders verwendet. Vor ein paar Jahren rief mich eine Frau aus unserer Gemeinde an. An der Eisenbahnbrücke, die kurz nach der Ortseinfahrt von der Bundesstraße 313 unterquert wird, hinge ein großes Transparent mit der Parole "Zuwanderung stoppen - Remigration sofort!" Die Anruferin bat mich - ich sei doch in solchen Dingen erfahren -, die Polizei anzurufen und diese auf das Transparent aufmerksam zu machen. Damals war mir bereits bewusst, dass Rechtsextreme "Remigration" in einem ganz anderen Sinn als dem sozialwissenschaftlichen verwenden: als beschönigenden Begriff für den Irrsinn von Zwangsausweisungen und Massendeportationen von Menschen mit Migrationshintergrund! Nach meinem Telefonat kümmerte sich die Polizei darum, dass diese hetzerische Parole wieder abgenommen wurde.

Am 10. Januar 2024, wenige Tage vor der Auszeichnung von "Remigration" zum "Unwort des Jahres", hat die Medienplattform Correctiv darüber berichtet, dass sich im November einige AfD-Mitglieder mit Unternehmern, Ärzten, Juristen, CDU-Mitgliedern und bekannten Rechtsextremisten in Potsdam getroffen hätten. Laut Correctiv ein "Geheimtreffen", bei dem Pläne zur Vertreibung und "Remigration" von Migrantinnen und Migranten, auch solche mit deutschem Pass, vorgestellt und diskutiert worden seien.

Obwohl es in unserem Land nichts Neues ist, dass sich Rechtsextreme treffen, und das nicht, um sich übers Wetter zu unterhalten, sondern um ihre menschenverachtenden Gedanken auszutauschen, hat kein anderer Artikel so eingeschlagen wie die Veröffentlichung von Correctiv über angebliche rechte Vertreibungspläne. Seither gehen Millionen Menschen gegen die AfD und ihr Umfeld auf die Straße. Auf den ersten Blick ein ermutigendes Zeichen der Zivilgesellschaft.

Rechtspopulistische Migrationspolitik ist Realität

Doch bei genauerem Betrachten kommen zwiespältige Gefühle bei mir auf. Viele der Kundgebungen gegen Rechtsextremismus werden von Mitgliedern von SPD und Grünen unterstützt oder gar organisiert - oft "privat", um ein breites Bündnis zustande zu bringen. Politikerinnen und Politiker von Bundes- und Landesregierungen reihen sich ein, lassen sich mit betroffener Miene medienwirksam fotografieren und loben die Demonstrierenden.

Dabei machen CDU/CSU, SPD und FDP, toleriert von den Grünen, selbst schon lange rechtspopulistische Migrationspolitik. Kanzler Scholz möchte "endlich im großen Stil abschieben". Allerdings sind laut der Menschenrechtsorganisation Pro Asyl gerade einmal etwas mehr als 51.000 Menschen ohne Duldung zur Ausreise verpflichtet, von denen lediglich rund 19.000 aus einem abgelehnten Asylverfahren stammen. Trotzdem legt die Ampel-Regierung zur gleichen Zeit, in der ihre Mitglieder medienwirksam gegen die AfD und deren Abschiebepläne demonstrieren, die Grundlage, um exakt solche Pläne umzusetzen: Das jetzt beschlossene sogenannte "Rückführungsverbesserungsgesetz" hebelt rechtlich den staatlichen Schutz aus und wird vor allem zu deutlich mehr Grundrechtsverletzungen, rechtsstaatlich fragwürdigen Inhaftierungen und einer noch brutaleren Abschiebungspraxis führen. Ganz zu schweigen von der katastrophalen Abschottungspolitik mit zigtausenden im Mittelmeer ertrunkenen und in der Wüste verdursteten Menschen.

Ist es nicht paradox, wenn diejenigen, die diese fremden- und menschenfeindliche Politik verantworten, zu Demonstrationen gegen eine Partei aufrufen, die bessere Rückführungen fordert? Warum gehen Menschen gegen "Remigrationspläne" auf die Straße und stören sich nicht daran, dies gemeinsam mit Politikern und Politikerinnen zu machen, die währenddessen ihr eigenes, neues "Abschiebegesetz" erlassen haben, das inhaltlich nicht weit entfernt von der AfD-Politik ist? Und warum gibt es keine massenhaften Demonstrationen gegen diese oft menschenverachtende Politik?

Inszenierte "Veröffentlichung" rechter "Remigrationspläne"

Noch etwas anderes gibt mir zu denken. Der Zeitpunkt und die Art der Präsentation des Potsdamer Treffens mit Rechtsextremisten durch Correctiv, und die damit ausgelöste anschließende Empörungswelle, wirken auf mich reichlich inszeniert. Während das Treffen bereits am 25. November 2023 stattfand, erfolgte die "Enthüllung" erst über sechs Wochen später am 10. Januar 2024. Dabei war Correctiv auf maximale Wirkung aus. Der "Geheimplan gegen Deutschland" wurde in Theaterakten angelegt mit Prolog, Akt 1 bis Akt 3 sowie einem Epilog. Nur wenige Tage später wurde bereits eine Bühnenfassung im Berliner Ensemble aufgeführt. Und die deutsche Politik reagierte sehr schnell. Scholz twitterte am Tag nach der Veröffentlichung: "Wir schützen alle - unabhängig von Herkunft, Hautfarbe oder wie unbequem jemand für Fanatiker mit Assimilationsfantasien ist." Innenministerin Nancy Faeser kamen durch die Pläne der Rechtsextremen "unwillkürlich Erinnerungen an die furchtbare Wannseekonferenz" - dort hatten die von Hitler geführten Nazis 1942 Pläne zur systematischen Vernichtung der jüdischen Bevölkerung Europas geschmiedet. Indem solche Assoziationen zu einer angeblichen "Wannseekonferenz 2.0" geweckt werden, wird die Stimmung angeheizt.

Ein weiterer Aspekt. Die von Olaf Scholz angeführte Bundesregierung steht politisch mit dem Rücken zur Wand. Die schlechten Umfragewerte zeigen eine tiefe Vertrauenskrise gegenüber jenen Parteien, die in den vergangenen Jahrzehnten den Staat getragen haben. Dazu gehört auch die CDU. Dazu kommen die Bauernproteste. Die verzögerte "Enthüllung" der angeblich "unabhängigen Faktenchecker" von Correctiv - die sich einen Großteil ihrer "Recherche"-Arbeit durch US-Milliardäre und deutsche Behörden finanzieren lassen - über das vermeintliche "Geheimtreffen" rechter Kräfte in Potsdam, ließ einen Hype der Empörung über die AfD entstehen. Die dann von den Medien mit veranlasste und hochgejubelte Bewegung konnten Kanzler und Mitglieder seines Kabinetts nutzen, um durch ihre Teilnahme an Großkundgebungen "gegen rechts" von ihrem eigenen Versagen abzulenken, welches die hohen Umfragewerte für den Konkurrenten AfD überhaupt erst ermöglicht. Wie auch immer: Die Anti-AfD-Demos scheinen wie gerufen zu kommen …

Ursachen von Rechtsextremismus bekämpfen

Um nicht missverstanden zu werden: Mit meinen kritischen Anmerkungen zu den Anti-AfD-Demos geht es mir keineswegs darum, die Gefahren herunterzuspielen, die von dieser Partei ausgehen. Das habe ich zum Beispiel in meinem Redebeitrag bei unserer Gedenkveranstaltung "Erinnern, Gedenken, Verantwortung übernehmen - die Häftlinge des KZ Heuberg vor 90 Jahren nicht vergessen!" am 15.10.2023 auf dem Truppenübungsplatz bei Stetten a.k.M. deutlich gemacht, von der ich hier den Schlussteil wiedergeben möchte.

"An die Verbrechen der Nazis zu erinnern, den Opfern zu gedenken und Verantwortung zu übernehmen, ist in der Gegenwart und auch in der Zukunft wichtig. Dafür sind Gedenkstätten und Denkmäler wichtig (…). Aber das alleine reicht noch nicht aus, denn unsere Demokratie ist natürlich keine Selbstverständlichkeit. Um sie muss fortwährend auch gestritten und gekämpft werden. Vor und nach der Machtübernahme der Nazis war ja das Fatale, dass viele dachten, es würde sicher nicht so schlimm werden. Das gilt auch heute.

Dabei machen die Wahlergebnisse der AfD auf erschreckende Weise deutlich, wieviel Zustimmung Rechtspopulismus und Rechtsextremismus heute haben. Die AfD ist in ihrem Kern eine faschistische Partei und verbreitet offen nationalistische und rassistische Hetze, Islamfeindlichkeit und Antifeminismus, Antisemitismus sowie andere Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. Sie relativiert die Verbrechen des Nationalsozialismus und deutet die Erinnerungskultur um. Die AfD ist der parlamentarische Arm des rechten und rassistischen Terrors. Diese Partei wird im Zuge ihrer stetigen Radikalisierung auch zunehmend zu einer Gefahr für die Demokratie. Denn der Rechtsextremismus strebt eine Abschaffung der Demokratie an. Es wäre also ein großer Fehler, zu denken, das wird schon nicht so schlimm kommen. Wo immer möglich, sollten wir uns entschieden gegen diese Partei und gegen jeglichen Rechtsextremismus wenden. (…)

Der Rechtsextremismus- und Armutsforscher Prof. Christoph Butterwegge macht Zusammenhänge zwischen ökonomischer Globalisierung einerseits und rechtsextremer Mobilisierung andererseits aus. Er macht die Konkurrenz, welche die Triebkraft des kapitalistischen Wirtschaftssystems ist, bestimmte Erblasten der politischen Kultur sowie aktuell die neoliberale Modernisierung beinahe aller Bereiche der Gesellschaft für Nationalismus, Rassismus und rechte Gewalt verantwortlich. Es kann einem Angst und Bange werden, wohin die Vorgänge im Zusammenhang mit dem Ukrainekrieg führen können: Wirtschaftliche Rezession, hohe Inflationsrate und massive Verteuerung der meisten Güter durch die Sanktionspolitik, zunehmende Verarmung breiter Schichten und Vertiefung der Kluft zwischen arm und reich, Kürzungen bei den Sozialausgaben und an anderen Stellen, wie z.B. bei der politischen Bildung oder bei Freiwilligendiensten, dafür aber sprunghafter Anstieg bei den Rüstungsausgaben, und zudem eine Menge Geld für Waffenlieferungen an die Ukraine - und daraus resultierend hohe Gewinne für die Rüstungswirtschaft.

Vor diesem Hintergrund müssen wir uns einerseits für einen Stopp der Waffenlieferungen an die Ukraine und für Verhandlungen einsetzen, des Weiteren für Abrüstung statt weiterer Aufrüstung, und in der Perspektive für die Abschaffung des Militärs, die Überwindung von Kriegen, zivile, gewaltfreie Austragung von Konflikten. Und wenn ich der Analyse von Christoph Butterwegge folge, geht es um die Überwindung des Kapitalismus, um grundlegende Veränderungen der bestehenden Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, um soziale Gerechtigkeit, Frieden und eine intakte Umwelt.

In diesem Sinne lasst uns eintreten für ein nachhaltiges, solidarisches, ökologisches und weitgehend gewaltfreies Gemeinwesen in Deutschland, Europa und der ganzen Welt, das niemanden ausschließt.

Hier an diesem Ort des Schreckens möchte ich enden mit dem Vermächtnis jener, die durch die Nazis gequält, gefoltert und ermordet wurden: Nie wieder Faschismus! Nie wieder Krieg!" (vollständige Rede hier: https://www.lebenshaus-alb.de/magazin/014872.html )

Bei den aktuellen Demonstrationen ist häufig zu hören: "Nie wieder ist jetzt". Diese verkürzte Form beinhaltet die Gefahr der Sinnentleerung. Schon der grüne Außenminister Joseph Fischer hat es mit dem Ausruf "Nie wieder Ausschwitz" auf die Spitze getrieben und damit die Teilnahme Deutschlands am völkerrechtswidrigen NATO-Krieg gegen Jugoslawien gerechtfertigt. Bei den heutigen Demos gegen Faschismus scheint allzu oft durchaus eine Unterstützung von Kriegsparteien möglich zu sein. Dabei lassen sich selbstverständlich nicht alle aktuellen Demonstrationen über einen Kamm scheren und unter den Hunderttausenden sind viele normale, politisch unabhängige und vor allem besorgte Bürgerinnen und Bürger und parteiunabhängige Organisationen und Initiativen. Wo es dabei möglich ist, den Protest gegen Rüstung, Krieg und Rechtsextremismus zusammenzubringen, macht es Sinn, sich daran zu beteiligen. Jedenfalls gehört für mich das Bekenntnis "Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus" auch heute unteilbar zusammen. Und da längst nicht alle AfD-Wähler Faschisten sind, würde es ebenfalls Sinn machen, mit ihnen zu diskutieren und zu debattieren und sie davon zu überzeugen, dass die AfD keine Alternative ist.

Euer / Ihr
Michael Schmid

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Fußnoten

Veröffentlicht am

28. Februar 2024

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