“Putin ist wie Hitler - ähh, bloß ohne Holocaust!” - oder: Auch eine VergangenheitsentsorgungVon Leo Ensel Putin ist Hitler und er führt in der Ukraine einen "Vernichtungskrieg". Russlands Krieg in der Ukraine bietet nicht zuletzt Deutschland die Chance, mit schrägen Vergleichen die Vergangenheit zu entsorgen und ‚Hitler’ endlich doch noch zu besiegen. - Stoff für eine böse Sottise. Die Wiedergänger Hitlers sind Legion. Meistens tauchen sie wie auf Kommando genau dann auf, wenn der Westen gerade einen neuen Krieg vorbereitet oder bereits in ihn verwickelt ist. Kaum hatte die NATO vor einem Vierteljahrhundert, die regelbasierte Weltordnung verteidigend, mit chirurgisch-präzisen Bombardements auf die Hauptstadt Belgrad und andere serbische Städte dem Präsidenten der Bundesrepublik Jugoslawien, Slobodan Miloševic, das Handwerk gelegt (und damit nicht nur das Völkerrecht eigenmächtig um die berühmt gewordene "Responsibility to protect" erweitert, sondern en passant auch noch ein "zweites Auschwitz" verhindert), da tauchte am nahöstlichen Horizont bereits der nächste Kandidat auf. Aber auch Saddam Hussein, der die Welt um ein Haar ins nukleare Armageddon gestürzt hätte, konnte mit einer willigen Koalition des Westens gerade noch rechtzeitig der Garaus gemacht werden. (Dass diese Befreiungsaktion das irakische Volk hunderttausende Tote - manche sprechen sogar von einer Million - kostete und zugleich der Geburtshelfer des ‚islamischen Staates’ war, verbuchte man unter dem, ebenfalls ad hoc für den Jugoslawienkrieg aus dem Zylinder gezauberten, Begriff "Kollateralschaden".) Nun also Putin, pardon: "Putler", der neueste und gefährlichste - schließlich verfügt er ja tatsächlich über Atomwaffen - Wiedergänger des größten Feldherren aller Zeiten. "Er lügt wie gedruckt und will die Sowjetunion wiederherstellen!""Putin ist wie Hitler!", warf mir ein langjähriger Freund, nennen wir ihn "B." - wir waren vor 40 Jahren zusammen in der westdeutschen Friedensbewegung aktiv; er ist mittlerweile Psychoanalytiker - kürzlich an den Kopf, als wir uns wieder mal um die Frage stritten, wer am Krieg in der Ukraine eigentlich schuld sei. Und in der Tat: Waren nicht beide schon in der zweiten Klasse als ausgesprochene Raufbolde berüchtigt? Hier der "kleine Rädelsführer" in Braunau, dort der spätere Judoka, Eishockeyathlet, Tiefseetaucher und Oben-ohne-Reiter im Leningrader Nachkriegshinterhof? Hatten sie nicht beide gelernt, dass im harten Kampf ums Dasein der Schwächere unweigerlich unterliegt? Traumata, die ein Leben lang in der geschändeten Kinderseele weiterwüten. - Insoweit musste ich B., wenn auch widerwillig, recht geben. "Putin, so B. weiter, "lügt wie gedruckt!" - Zweifellos ein Alleinstellungsmerkmal des russischen Präsidenten. Und schon wieder ein Punktsieg für meinen alten Freund. Er wolle die Sowjetunion wiederherstellen - schließlich habe er ja deren Untergang als "größte geopolitische Katastrophe des XX. Jahrhunderts" bezeichnet - und habe es zugleich auf den Westen abgesehen. Er führe gerade einen Vernichtungskrieg in der Ukraine und wenn man ihn jetzt nicht stoppe … "Vernichtungskrieg"Ob aus dem Bedauern des Untergangs der Sowjetunion auch zwingend die Absicht ihrer Rekonstruktion folge?, warf ich schüchtern ein. Ob man denn tatsächlich den Vernichtungskrieg Nazideutschlands gegen die Sowjetunion, fast 27 Millionen Tote!, mit der russischen Kriegsführung in der Ukraine vergleichen könne, selbst wenn man der westlichen Berichterstattung in allen Punkten - von Butscha bis zu den entführten Kindern - eins zu eins folge und Putin, zu Recht oder zu Unrecht, unterstelle, er wolle die Ukraine als Staat zerschlagen? Ob Putin denn auch sechs Millionen Juden fabrikmäßig ermordet habe?, zog ich schließlich meinen finalen Joker aus der Tasche. - "Das zwar nicht, aber sonst schon!" - Putin ist also Hitler - bloß ohne Holocaust. Eine Argumentation, die frappierend an das alte deutsche Sprichwort erinnert: "Wussten Sie schon, dass die Alpen einen ziemlich traurigen Anblick bieten, wenn man sich die Berge einmal wegdenkt?" Quelle: Globalbridge vom 21.03.2024. Veröffentlicht amArtikel ausdruckenWeitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von |
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