Deutsche MitverantwortungVon Georg Rammer Das Massaker der israelischen Armee an den Menschen in Gaza nicht klar zu verurteilen, ist eine Sache. Es mag als fehlgeleiteter Versuch gewertet werden, der besonderen, historisch bedingten Verantwortung Deutschlands für Israel gerecht zu werden. Was die deutsche Politik nun aber tut, ist noch schlimmer. Sie wirkt aktiv an Völkermord mit - durch "moralische" Unterstützung, durch Waffenlieferungen an Israel und durch Versuche, Proteste dagegen in unserem Land zum Schweigen zu bringen. Zeugen, die in Gaza waren und sich Verdienste um die Versorgung der schwer geschundenen Bevölkerung gemacht hatten, durften gar nicht erst nach Deutschland einreisen, um über ihre Erlebnisse zu berichten. Unser Land häuft weiter Schande auf sich, was im Ausland auch vielfach so empfunden wird. Wir sprechen hier nicht über ein Abstraktum - etwa "Palästinenserfeindlichkeit" oder "Selbstverteidigung" - wir sprechen über traumatisierte, verstümmelte und verhungerte Kinder. Deutschland engagierte sich vehement - jedoch im Kampf gegen die Kritiker derartiger Zustände. Der Autor trägt hier wichtige Statements engagierter Autorinnen und Autoren wie Karin Leukefeld und Jens Berger zusammen. Aus einem Bericht von Karin Leukefeld 15.4.24:"Ich bin Dr. Ghassan Abu Sitta. Ich komme gerade aus Deutschland zurück, wo man mir die Einreise verweigert hat. Ich wollte an einer Konferenz in Deutschland teilnehmen, um über den Krieg in Gaza zu sprechen. Ich sollte als Zeuge über meine Arbeit als Arzt sprechen, der in den Krankenhäusern in Gaza gearbeitet hat. Bei meiner Ankunft wurde ich an der Passkontrolle gestoppt. Dann hat man mich in den Keller des Flughafens gebracht, wo ich 3,5 Stunden befragt wurde. Am Ende dieser 3,5 Stunden sagte man mir, ich dürfe deutschen Boden nicht betreten. Sollte ich versuchen, mich per Zoom oder FaceTime mit der Konferenz in Verbindung zu setzen, selbst wenn ich außerhalb von Deutschland sei, oder sollte ich ein Video mit meinem Vortrag an die Berliner Konferenz senden, sei das ein Vergehen gegen deutsches Recht." Ghassan Abu Sitta ist Palästinenser mit britischer Staatsangehörigkeit. Er lebt und arbeitet in Großbritannien und wurde kürzlich zum Direktor der Universität Glasgow gewählt. Seine Familie wurde 1948 - im Zuge der Nakba - aus Palästina vertrieben. "Dieser Krieg war ein Völkermord, kein Krieg mit militärischen Zielen." In der ersten Angriffswelle wurden Brandbomben eingesetzt und Hunderte von Verletzten wurden mit schweren Brandverletzungen eingeliefert. "50 bis 60 Prozent ihrer Körper waren verbrannt". Dann kam eine Welle, in der ganze Familien, mehrere Generationen einer Familie durch die Bombardierung ihrer Häuser verschwanden. Einzelne Kinder wurden in den Kliniken eingeliefert, die als einzige Überlebende von ausgelöschten Familien übriggeblieben waren. "Dann wurden Kollegen von uns getötet", so Dr. Ghassan, oft mit ihren ganzen Familien. In der Nacht zwischen zwei Operationen hörten sie das Geräusch einer sich nähernden Rakete, die dann in unmittelbarer Nähe einschlug. Es folgte eine große Explosion. "Die Druckwelle war so stark, dass die Decke des Operationssaals einstürzte", so Dr. Ghassan. Als er ins Freie kam, bot sich dort, wo Familien Schutz gesucht hatten, ein Bild der Verwüstung: "Die Rettungswagen brannten, die Autos brannten. Das Feuer erleuchtete den Hof der Klinik, der mit Körpern übersät war und mit Körperteilen. Es war offensichtlich, dass der Einschlag direkt dort war, wo die Menschen gesessen hatten." Unzählige Amputationen an den Verletzten mussten vorgenommen werden, die Patienten hätten im ganzen Körper Metallsplitter gehabt. "Am Ende der Nacht hatten wir 483 Tote gezählt", sagt Dr. Ghassan. Ihm sei klargeworden, dass das Ahli-Krankenhaus speziell und absichtlich angegriffen worden sei. Vier Monate später wollte der Arzt seine Erfahrungen aus dem Gazakrieg auf dem Palästina-Kongress in Berlin vortragen. Die Einreise wurde ihm verboten. "Wir sehen, wie sich der erste Völkermord im 21. Jahrhundert entfaltet. Dass Deutschland Zeugen dieses Völkermordes zum Schweigen bringt, verheißt für das vor uns liegende Jahrhundert nichts Gutes." ( https://www.nachdenkseiten.de/?p=113863 ) Aus einem Bericht von Jens Berger 16.4.24:"Im SPIEGEL war gestern Nachmittag die siebenjährige Amina die Top-Nachricht . Amina wurde während des iranischen Raketenangriffs von den herabfallenden Trümmern einer abgefangenen Rakete schwer verletzt. Sie lebt im Süden Israels. Das ist tragisch und traurig. Aber wie viele kleine Aminas sind doch gleich in den letzten Monaten im Gazastreifen zerstückelt oder erschlagen worden, verbrannt oder verhungert? Laut den Vereinten Nationen sind es mehr als 13.800. Kriegt zumindest eine dieser tausenden palästinensischen Aminas auch eine Titelstory im SPIEGEL? Alle 15 Minuten wird in Gaza ein Kind durch israelische Bomben getötet. Alle 15 Minuten! Anfang April waren es 13.800 . Weitere rund 12.000 Kinder wurden teils schwer verletzt - so wie die kleine Amina. Mehr als 1.000 Kinder haben seit Oktober durch die israelischen Angriffe ein oder beide Beine verloren. Noch keines dieser 26.000 Kinder hat es geschafft, im SPIEGEL betrauert zu werden. Bereits im November warnte der UN-Generalsektretär Guterres , dass ‘Gaza zum Friedhof der Kinder werde’. Er sollte recht behalten. Doch in Deutschland scheint dies niemanden so recht zu interessieren. ‘Dieser Krieg ist ein Krieg gegen Kinder. Er ist ein Krieg gegen ihre Kindheit und ihre Zukunft’, sagt UNRWA-Generalkommissar Philippe Lazzarini. In den ersten vier Monaten der israelischen Bombardierungen sind in Gaza mehr Kinder gestorben als in sämtlichen militärischen Konflikten der letzten vier Jahre zusammengenommen. ( https://www.nachdenkseiten.de/?p=113908 ) Leserbrief von Georg Rammer (Badische Neueste Nachrichten 13.4.24):"Wenn jemand mit dem israelischen Historiker Avi Shlaim darin übereinstimmt, Israel habe sich ‘der gewaltsamen Vertreibung der Zivilbevölkerung schuldig gemacht; Ziel ist die ethnische Säuberung von Gaza’ - kann er oder sie sich dazu öffentlich bekennen? Wenn es mich fassungslos macht, wenn der israelische Ministerpräsident Netanjahu als Kriegsziel den ‘totalen Sieg’ verkündet, darf ich dann mein Entsetzen demonstrativ kundtun? Den politisch Verantwortlichen in Deutschland sollte es zu denken geben, wenn laut einer Umfrage die Mehrheit meint, sich nicht frei äußern zu können. Bei Themen wie Krieg und Frieden oder Israel und Palästina scheint es Grenzen der Meinungsfreiheit zu geben. Demonstrationen werden verboten, Vorträge abgesagt, Andersdenkende diffamiert, wenn sie nicht mit der regierungsamtlichen ‘Staatsräson’ übereinstimmen. Die Einschränkung der Meinungsfreiheit trifft auch kritische Juden. Die Stadt München wollte eine Veranstaltung mit dem israelischen Historiker Ilan Pappe verbieten; er, dessen jüdische Eltern in den 1930er Jahren aus Deutschland fliehen mussten, sei ein ‘antisemitischer Akteur’. Der Rektor der Uni Köln ließ die weltbekannte US-Professorin Nancy Fraser von einer Professur ausladen, weil sie sich mit Hunderten Fachkolleginnen und -kollegen für die Rechte der Palästinenser eingesetzt hat. Der Vorwurf des Antisemitismus traf auch den israelischen Soziologen Moshe Zuckermann, sein Vortrag musste abgesagt werden. Wenn Meinungen und Äußerungen, die die menschenfeindliche Politik einer rechtsextremen Regierung kritisieren, reflexhaft als antisemitisch gebrandmarkt und unterdrückt werden, schadet es der Demokratie ebenso wie der Sicherheit Israels. Israel hat ein Recht auf Existenz und Sicherheit - Palästina auch. Es darf keine bedingungslose Solidarität geben angesichts der seit Jahrzehnten praktizierten menschen- und völkerrechtswidrigen Besatzungs- und Siedlungspolitik im Westjordanland und der Totalisolation in Gaza. Worauf zielt Israels Kriegsführung? ‘Das jüdische Volk hat ein exklusives und unveräußerliches Recht auf alle Teile des Landes Israel.’ So steht es bereits im Koalitionsvertrag der Regierung Netanjahu. Auch die Stiftung Wissenschaft und Politik stellte für die Bundesregierung bereits im Januar 2023 fest: Im Konflikt mit den Palästinensern werde ein Sieg angestrebt, das heißt die ‘Integration des Westjordanlands in das Rechtsgebiet des Staates Israel soll unumkehrbar gemacht werden.’ Dafür liefert Deutschland Waffen? Die Toten in Gaza - in der Mehrzahl Kinder und Frauen - sind inzwischen nur noch eine schnell wachsende fünfstellige Zahl in der Statistik. Was wird aus den Kindern, die das Grauen erleben - wenn sie es überleben? Zwei Monate vor den Morden der Hamas veröffentlichten 1900 meist jüdische und israelische Wissenschaftler die Petition ‘Jews Fight for Justice’. Darin steht, es kann ‘für Juden in Israel keine Demokratie geben, solange Palästinenser unter einem Apartheidregime leben, als das es israelische Juristen charakterisiert haben.’" Quelle: Hinter den Schlagzeilen - 18.04.2024. 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