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Debattenkultur zum Nahostkonflikt: Die Glocke von Gaza

Das aktuelle Staatsräson-Verständnis schadet unserem Land. Deutschland sollte bei der Bewältigung der israelisch-palästinensischen Misere ein Partner sein.

Von Charlotte Wiedemann

Demnächst erscheint die deutsche Übersetzung von "The Hundred Years’ War on Palestine". Rashid Khalidi, US-palästinensischer Historiker, Zeitzeuge und politischer Berater, erzählt darin die Geschichte Palästinas entlang einer doppelten Tragik: der Unterdrückung wie der verfehlten Strategien von Befreiung. Eminent kritisch gegenüber bisherigen und gegenwärtigen palästinensischen Führungen lässt Khalidi keinen Zweifel: Alles muss auf den Prüfstand, es braucht eine neue Vision der Gleichheit zweier Völker.

Die Glocke von Gaza, eine Totenglocke für so viele Menschen, läutet unter dem schwarzen Schleier der Trauer auch einen Neubeginn ein: Nichts kann so bleiben, wie es ist, wie es war. Das gilt für Israel, für die Besatzung, für die sklerotische Autonomiebehörde, aber es gilt ebenfalls für Deutschland, für ein Verständnis von Staatsräson, das unserem Land, unserem internationalen Ansehen und unseren gesellschaftlichen Möglichkeiten beträchtlichen Schaden zufügt.

Es ist an der Zeit, dies klar auszusprechen und es zu ändern - nicht zuletzt, damit Deutschland bei der Bewältigung der israelisch-palästinensischen Katastrophe ein konstruktiver, fairer Partner sein kann.

Was ist geschehen? Deutschland ist auf die abschüssige Bahn eines falsch verstandenen Exzeptionalismus geraten: Indem die Verantwortung für den Holocaust und die daraus folgenden außergewöhnlichen Verpflichtungen verengt wurden auf ein Bekenntnis zur israelischen Staatsverfasstheit und Politik. Und indem wir anderen vorschreiben, wie sie zu Israel zu denken haben, wenn sie deutschen Boden betreten.

So ist ein schwüles Gemisch entstanden, eine seltsam auftrumpfende Weltabgewandtheit. Wir laden ein, um auszuladen. Und wir haben das Recht zu beleidigen, denn wir sind als Ex-Böse die einzig wahren Guten.

Wobei Vorträge, Gastprofessuren oder Preisverleihungen meist nicht etwa gecancelt werden, weil die Verantwortlichen überzeugt wären, in ihrem Haus käme sonst Antisemitismus zu Wort. Sondern weil sie Angst haben, dies könne ihnen vorgeworfen werden. Also waschen sie ihre Hände auf Kosten anderer in Unschuld. Das Bekenntnis zu historischer deutscher Schuld ist zur Versicherungspolice mutiert: Ich bezeuge meine Reinheit, indem ich andere denunziere.

Dies ist traurig, ja - und noch trauriger vor der Kulisse realen Leids in Gaza. Manches davon wirkt nur lächerlich, erratisch, armselig. Aber da ist etwas Dunkles, Beunruhigendes; zu oft straft das herrische Gutsein prominente jüdische Frauen ab.

Quelle: taz - 18.04.2024.

Veröffentlicht am

20. April 2024

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