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Gaza-Krieg: Keine Zuflucht, nirgends

Die Offensive auf Rafah beginnt, eine Million Menschen sind bedroht. Wer kann das Töten noch aufhalten?

Von Riad Othman

Die beginnende Offensive gegen Rafah im äußersten Süden des Gazastreifens stellt für mindestens eine Million Menschen eine weitere lebensbedrohliche Eskalation dar. Hier zeichnet sich in aller Deutlichkeit und mit wochenlanger Ansage eine Verschärfung der bestehenden Katastrophe ab, die dem Muster folgt, das wir in den letzten Monaten verfolgen mussten: Die israelischen Streitkräfte ordnen per Befehl vor Ort oder – wie bereits geschehen – durch den Abwurf von Flugblättern die Zwangsevakuierung der Bevölkerung in "sichere Zonen" an und warnen davor, dass diejenigen, die dennoch bleiben, das eigene Leben in Gefahr bringen.

Diese Art des Vorgehens mag in politischen Diskussionen für das Argument taugen, Israel habe die Menschen gewarnt, immerhin sei das human, und die Menschen hätten schließlich die Wahl gehabt, auf die Warnungen zu hören. Allerdings stellt dies die Rechtslage auf den Kopf, denn Zivilpersonen, die Umsiedlungsbefehlen nicht Folge leisten – und zwar ganz unabhängig davon, ob diese Befehle selbst rechtens sind oder nicht – verlieren dadurch eben nicht ihren Schutzstatus. Die israelische Armee kann die Verantwortung dafür, dass diesen Menschen nichts geschieht, nicht durch ein Flugblatt oder einen Befehl an die Betroffenen delegieren.

Keine sicheren Orte

Vor allen Dingen vernachlässigt diese Sichtweise den ganz zentralen Umstand, dass die Armee seit Monaten die Bevölkerung in allen Teilen Gazas bombardiert. Sie tötet in Gaza nicht nur in den Teilen der abgeriegelten Enklave Menschen, in denen sie sie zur Flucht genötigt hatte, sondern auch in den von der Armee selbst als "sichere Zonen" dargestellten Gebieten. Mehr als zwei Drittel ihrer Opfer sind Frauen, Kinder und Jugendliche. Es gibt also schlicht keine sicheren Gebiete in Gaza, unabhängig davon, was die israelische Armee den Leuten anrät, befiehlt oder auf Flugblättern als Botschaft vom Himmel wirft.

Was es jedoch noch in Gaza gibt, das ist Rafah als einzige kleinere Stadt im gesamten Gazastreifen, die zwar stark in Mitleidenschaft gezogen worden ist durch Artilleriebeschuss und Bombardements, die aber anders als Gaza-Stadt, Jabalia, Beit Hanoun und all die anderen Orte in der Enklave noch nicht einer einzigen großen Trümmerwüste gleicht.

Was nun kommt, wenn niemand der israelischen Regierung in letzter Sekunde in den Arm fällt, dürfte klar sein: Die Stadt wird dasselbe Schicksal ereilen wie Khan Younis oder Deir al-Balah. Sie wird ähnlich pulverisiert werden wie ihre etwas weiter nördlich gelegenen Nachbarorte, unabhängig davon, wie viele der nun dazu gezwungenen Menschen den Befehlen zur Zwangsumsiedlung Folge geleistet haben werden.

Was tun wir?

Das weiß man in Washington ebenso wie in Berlin. Die Bilder aus Gaza sind dort bekannt. Die Opferzahlen sind bekannt. Die Zustände in den Dünen von Al-Mawasi sind bekannt, wo es keine Infrastruktur gibt und wohin nun Hunderttausende fliehen sollen. Die unzureichende Hilfe ist bekannt.

Sicher, auch in Berlin würde man das sich abzeichnende Grauen in Rafah und die Bilder, die es hervorbringt, lieber vermeiden. Aber wie? Sicher nicht mit Vertrauen auf die Zusicherungen des israelischen Militärs, ziviles Leben schonen zu wollen. Dafür haben wir alle zu viel gesehen.

Und so lautet auch die Frage an Washington, Berlin, Paris, Kairo und all die anderen Regierungen, längst nicht mehr, was sie sagen oder zusichern, sondern was sie tun. Was tun sie, um das Töten in Rafah zu verhindern, um das Sterben in Gaza zu beenden? Und was tun wir, wir alle, um sie dazu zu bringen, ihren Einfluss auf Israel geltend zu machen?

Riad Othman arbeitet seit 2016 als Nahostreferent für medico international von Berlin aus. Davor war er medico-Büroleiter für Israel und Palästina.

Quelle: medico international - 06.05.2024.

Veröffentlicht am

07. Mai 2024

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